Protokoll der Sitzung vom 08.03.2007

(Rolf Meyer [SPD]: Das ist Quatsch! Das wissen Sie doch ganz genau! )

Sie ignorieren alle Probleme unserer Rentenversicherung. Sie ignorieren alle Gründe, die eine Anhebung des Renteneintrittsalters nötig machen.

(Zuruf von Günter Lenz [SPD])

Meine Damen und Herren, ich fühle mich an eine peinliche Expertenanhörung in der EnqueteKommission zum demografischen Wandel erinnert. Dort wurde uns dargelegt - ich habe explizit nachgefragt -, dass Deutschland gar kein demografisches Problem hat. Wissen Sie, wer uns damit konfrontiert hat? Das waren der DGB und die IG Metall Niedersachsen. Ich erkenne heute, dass damals nicht zwei Herren einen schlechten Tag hatten, sondern dass das Wegsehen bei Ihnen in der IG Metall Methode hat. Wie aber wollen wir eine verantwortliche Politik machen, die wir mit gutem Gewissen auch noch unseren Kindern erklären können, wenn man derart einschneidende Veränderungen nicht zur Kenntnis nehmen will? Kommen Sie aus Ihrem ideologischen Betonbunker heraus.

(Beifall bei der CDU - Rolf Meyer [SPD]: Sie erzählen hier groben Un- fug!)

Mit der Altersteilzeit wurde und wird besonders in der Großindustrie Personalabbau in großem Stil betrieben - auf Kosten der Gesamtheit der Steuerund Beitragszahler.

(Rolf Meyer [SPD]: Er hat es immer noch nicht verstanden!)

Das Märchen von den frei gemachten Stellen für junge Menschen glaubt Ihnen niemand mehr. Nur eine von zehn Stellen, deren Inhaber wegen Frühverrentung ausschieden, wurde wieder besetzt. Es geht nicht nur um die zurzeit 1,5 Milliarden Euro an direkter Förderung. Die gleiche Summe kommt durch steuerliche Begünstigungen und Ausfälle in der Sozialversicherung noch einmal obendrauf.

Über alle finanziellen Ungerechtigkeiten könnte man noch hinwegsehen. Natürlich kann man noch

einmal einigen Zehntausend oder meinetwegen auch 100 000 eine Sonderprämie zubilligen und dafür Millionen Arbeitnehmer zahlen lassen. Entscheidend ist das fatale Signal, das von einer Verlängerung der Altersteilzeit ausgehen würde: Rente mit 67 brauchen wir nicht, das war alles nur ein Rechenfehler. Ältere Arbeitnehmer - böswillige Arbeitsplatzbesetzer, altes Eisen - sollen Platz machen. - Das alles fördert nicht eine altersfreundliche Gesellschaft, die wir brauchen.

Statt neuer Altersdiskriminierung brauchen wir ein neues Bild vom Alter. Es ist notwendig, völlig anders über Alter nachzudenken, wenn wir den demografischen Wandel und die sich daraus ergebenden Anforderungen an eine alternde Gesellschaft bewältigen wollen. Die Fähigkeiten und Potenziale älterer Menschen werden in unserer heutigen Gesellschaft, die auf 14- bis 49-Jährige fokussiert ist, überhaupt nicht wahrgenommen. Heute wird Alter vielfach mit Begriffen wie Last, Defizit und Disengagement belegt. In einer Gesellschaft des langen Lebens kann man nicht die Hälfte dieses langen Lebens alt und überflüssig sein. Viele ältere Menschen möchten als Menschen wahrgenommen werden, auf deren Leistung unsere Gesellschaft ausdrücklich angewiesen ist. Sie möchten als mitverantwortlich handelnde Staatsbürgerinnen und -bürger angesprochen werden.

Schon im Jahre 2005 hat der frühere Bundeswirtschaftsminister Müller in einem Fachgutachten deutlich zum Ausdruck gebracht, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland in 15 Jahren nur noch dann gehalten werden kann, wenn wir die älteren Belegschaften qualifiziert halten und sie auf die richtige Art und Weise ansprechen. Der goldene Handschlag im Alter von 58 oder 60 Jahren mag heute von dem einen oder anderen Arbeitnehmer gern entgegengenommen werden. Damit ist man aber auch unumkehrbar ausgemustert. Neben persönlichen Befindlichkeiten muss auch bedacht werden, wie das Miteinander in einer Gesellschaft funktioniert, in der es womöglich ebenso viele Rentner wie Arbeitnehmer gibt. Deutschland hat heute eine noch durch den Krieg geschmälerte Altengeneration und darunter eine breite Babyboomer-Generation im besten Erwerbsalter, die ihrerseits weniger für Kinder aufwendet als jede Generation vor ihr. Vielleicht hat uns nur diese historisch einmalige, aber ganz sicher ungesunde Situation in die Lage versetzt, Menschen schon mit 60 Jahren in ein gut versorgtes Alter zu entlassen.

In weniger als 20 Jahren stellt sich das Bild komplett anders dar. Eine übermächtige Rentnergeneration will dann von einer deutlich schmaleren Erwerbsgeneration, die überdies noch an den Schulden der Vorgängergeneration zu tragen hat, versorgt sein. Wie weit reicht Solidarität, wenn eine Generation vor der Abwägung zwischen Versorgung der eigenen Kinder und Versorgung der Elterngeneration steht? Vielleicht war Altersteilzeit mit 60 Jahren nur eine kurze Episode in einer langen Geschichte.

Viele andere Länder haben ein unbefangenes Verhältnis zu älteren Arbeitnehmern. Ich möchte hier Schweden, Finnland und die Schweiz nennen. Dort lag laut OECD-Bericht 2005 die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen zwischen 69 und 70 %. In Deutschland lag die Quote im gleichen Zeitraum bei 45,4 %.

Frühverrentung und Altersteilzeit haben in der Vergangenheit falsche Signale gesetzt, die wir nicht in die Zukunft weitertragen dürfen. Japan hat deutlich weniger Probleme mit der Einstellung auf den demografischen Wandel und auf längere Arbeitszeiten, weil dort niemals Frühverrentungsprogramme eingeführt wurden und die Wertschätzung für ältere Arbeitnehmer ausgeprägter ist. Ich bin als optimistischer Mensch sicher, dass wir die Herausforderungen der Zukunft meistern werden. Genauso sicher weiß ich auch, dass Ihre rückwärts gewandte Wünsch-dir-was-Politik eine schwere Hypothek für unsere Kinder bedeutet. Das Schlimmste, was Ihnen, Herr Lenz, passieren kann, ist, dass Ihre Kinder in 20 Jahren Ihre Reden nachlesen, die Sie heute halten.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Danke. - Herr Meyer hat sich jetzt zu einer Kurzintervention gemeldet. Herr Meyer, Sie haben anderthalb Minuten Redezeit.

Ich finde es schade, Herr Kollege Hillmer, dass Sie der Definition meines Kollegen Günter Lenz nicht zugehört haben. Sonst hätten Sie verstanden, dass es hier nicht um eine Zusammenfassung der Arbeit der Enquete-Kommission ging, sondern um etwas ganz Konkretes. Ich nenne Ihnen deshalb jetzt ein konkretes Beispiel. Ich habe heute Mor

gen gerade mit Personalräten der Bundeswehrstandorte in meinem Wahlkreis gesprochen. Die Zahl der an den Bundeswehrstandorten Beschäftigten wird bundesweit von 120 000 auf 75 000 heruntergebrochen. Für die Standorte in meinem Wahlkreis heißt das, dass dort bis Ende 2010 über 100 Arbeitsplätze in irgendeiner Form abgebaut werden. Was glauben Sie denn wohl, wie man das erreicht? Was glauben Sie denn, wie diese 100 Arbeitskräfte dort auf eine anständige Weise sozialverträglich in den Ruhestand gebracht werden? Deshalb sind Ihre Belehrung und die Zusammenfassung aller Bereiche - Günter Lenz hat es deutlich gemacht - fehl am Platze. Wenn Sie immer noch so argumentieren, tut es mir leid. Dann haben Sie die Debatte nicht verstanden.

(Beifall bei der SPD)

Herr Hillmer hat jetzt die Gelegenheit, für anderthalb Minuten darauf zu antworten. Herr Hillmer, bitte!

Vielen Dank, Herr Meyer. Sie haben zwei Dinge bewiesen. Erstens haben Sie ausdrücklich bewiesen, dass Frühverrentung ein Personalabbauinstrument ist.

(Rolf Meyer [SPD]: Das ist die Politik von Frau Merkel und der Bundesre- gierung!)

Das belegt das von Ihnen genannte Beispiel der Bundeswehr.

Sie haben zweitens bewiesen, dass Sie in der Enquete-Kommission, in der Sie ja durchaus regelmäßig an den Sitzungen teilnehmen, überhaupt nicht zugehört und auch überhaupt nichts verstanden haben.

(Zustimmung bei der CDU)

Die nächste Rednerin ist jetzt Frau König von der FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit der ersten Lesung hat sich beim Thema „Altersteil

zeit“ nichts Neues ergeben, weder auf Bundesebene noch in der Ausschussberatung. Es bleibt also dabei: Die SPD bleibt bei ihren Forderungen von allen Fraktionen isoliert. Selbst die eigene Bundestagsfraktion ist schon weiter. Glaubt die niedersächsische SPD immer noch, man könnte die Arbeitslosigkeit senken, indem man möglichst viele Menschen vom Arbeitsmarkt fernhält und den Rest weniger arbeiten lässt? Das ist die verfehlte Politik vergangener Jahrzehnte: die Wochenarbeitszeit senken, junge Leute möglichst lange in den Schulen und in den Universitäten festhalten und Ältere so früh wie möglich in Rente schicken.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Glauben Sie wirklich, Herr Lenz, dass Sie Ingenieure, Techniker, Meister und gut ausgebildete, qualifizierte Mitarbeiter durch junge Arbeitslose ersetzen können? Wie sieht es denn letztendlich aus, wenn Sie älteren Arbeitslosen wieder Arbeit vermitteln wollen? Soll das Programm dafür so aussehen, wie Sie es hier dargestellt haben? Kein einziger Arbeitsplatz ist dadurch entstanden. Im Gegenteil, der Rekord von 5 Millionen Arbeitslosen liegt auch in dieser falschen Politik begründet.

(Beifall bei der FDP)

Würden Sie die strengen Kriterien, die Sie an unseren Niedersachsen-Kombi anlegen, auf Ihre Arbeitsteilzeit übertragen, müssten Sie noch heute die komplette Abschaffung fordern.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Derzeit erhalten über 90 000 Menschen Zuschüsse im Rahmen der Altersteilzeit. Die SPD-Fraktion sollte konsequent sein. Wer mit Milliardenbeträgen ältere Arbeitnehmer aus dem Arbeitsmarkt heraussubventioniert, sollte es als Erfolg feiern, wenn der Anteil der älteren Arbeitnehmer dann sinkt. Das Gegenteil ist aber der Fall. Sie beklagen die Erfolge Ihrer Förderung auch noch und fordern als Antwort wieder Programme zur besseren Integration Älterer in den Arbeitsmarkt. Auf diese Weise sollen also neue Subventionen die Schäden aufgrund der alten Subventionen beheben. Auf die Idee, dies auch noch als Generationenvertrag zu bezeichnen, kann wohl nur ein Sozialdemokrat kommen. Das Einzige, was die nächste Generation von diesem Vertrag hat, sind höhere Steuern und mehr Schulden, nicht aber Arbeitsplätze.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Nutznießer in der Wirtschaft sind übrigens auch nur Großkonzerne, die ihre betriebsbedingten Kündigungen gerne in subventionierte Altersteilzeitprogramme umwandeln und dann Arbeitsplätze auch noch ins Ausland verlagern können. Der Mittelstand kann sich diesen Weg gar nicht leisten.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Die kleinen und mittelständischen Unternehmen haben bei Ihnen ja nie besonders hoch im Kurs gestanden. Was wir heute angesichts der Herausforderung durch Globalisierung und demografischen Wandel brauchen, ist mehr und nicht weniger Teilnahme am Arbeitsmarkt. Das heißt, früher in den Beruf einsteigen, z. B. durch Abitur nach zwölf Jahren, kürzere Studienzeiten, längere Lebensarbeitszeit, z. B. durch Beendigung der Frühverrentung - -

Frau König, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Sie müssen zum Schluss kommen.

- ich komme zum Schluss -, mehr Partizipation der Frauen, auch eine bessere Kinderbetreuung und eine bessere Bildung und natürlich bessere Schulen, um den wachsenden Bedarf an gut ausgebildeten Mitarbeitern abzudecken. Uns fehlen nämlich heute schon viele Facharbeiter. Also gehen wir doch das lieber an.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Nächster Redner ist Herr Hagenah von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Hillmer, ich kann tatsächlich den allermeisten Punkten in Ihrer Rede beipflichten.

(Günter Lenz [SPD]: Das ist ja das Schlimme, Kollege Hagenah!)

In diesem Feld ist die CDU tatsächlich auf der Höhe der Zeit, was die Ergebnisse der Demografiekommission angeht.

(Beifall bei der CDU - Hans-Werner Schwarz [FDP]: Ohne die Einschrän- kung wäre es sonst auch schwierig geworden!)

Allerdings muss ich bedauern, dass Sie in vielen anderen Feldern - Schulpolitik, Raumordnung oder auch Verkehrspolitik - so überhaupt nicht auf der Höhe der Zeit sind. Es wäre schön, wenn Sie die Erkenntnisse, die Sie in der Demografiekommission gewonnen haben, auch in diesen Politikfeldern umsetzen könnten.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Insofern kann ich nur eine Teilfreude empfinden.

Herr Lenz, der Populismus hat doch irgendwo Grenzen. Wir sind doch gemeinsam dafür verantwortlich, dass das Rentenalter auf 67 gesetzt worden ist, Sie sogar noch mehr als wir als Grüne, obwohl wir dem beitreten als letztendlich mit in der politischen Verantwortung Stehende. Aber beschlossen hat es die Große Koalition. Dass Sie hier auf Landesebene in dieser Art und Weise das Projekt mit Ihren Vorschlägen zur Verlängerung der Altersteilzeit untertunneln,