Protokoll der Sitzung vom 08.03.2007

Herr Lenz, der Populismus hat doch irgendwo Grenzen. Wir sind doch gemeinsam dafür verantwortlich, dass das Rentenalter auf 67 gesetzt worden ist, Sie sogar noch mehr als wir als Grüne, obwohl wir dem beitreten als letztendlich mit in der politischen Verantwortung Stehende. Aber beschlossen hat es die Große Koalition. Dass Sie hier auf Landesebene in dieser Art und Weise das Projekt mit Ihren Vorschlägen zur Verlängerung der Altersteilzeit untertunneln,

(Günter Lenz [SPD]: Ergänzen!)

ist nicht wirklich hilfreich, weil auch Ihre Argumente nicht wirklich treffend sind. Der vermeintliche Zusammenhang zwischen dem Ausscheiden älterer Beschäftigter zugunsten junger Arbeitsmarkteinsteiger, den Sie in Ihrem Antrag herstellen, lässt sich empirisch so nicht erhärten.

(Günter Lenz [SPD]: Doch! Statistisch sogar!)

Vielmehr zeigt sich im internationalen Vergleich, dass eher das Gegenteil richtig ist, Herr Lenz. Länder mit hoher Beschäftigungsquote bei den 55bis 64-Jährigen wie Dänemark, die Schweiz oder Norwegen haben nämlich auch eine hohe Beschäftigungsquote bei den 15- bis 24-Jährigen. Diejenigen Länder, die eine geringe Beschäftigungsquote bei den Älteren haben, insbesondere Belgien, Italien, Frankreich und Griechenland, haben auch bei den Jüngeren eine sehr geringe Beschäftigungsquote. Deutschland ist bei beiden Indikatoren etwas besser als die zuletzt Genannten, gehört aber trotzdem zu den Abgehängten mit den sehr geringen Beschäftigungsquoten im Alter. Natürlich spielt die Binnenkonjunktur da mit hinein, und die Menschen in Altersteilzeit sind eben für die

Binnenkonjunktur offensichtlich nicht so aktiv wie Arbeitnehmer im höheren Alter.

Geförderte und ungeförderte Altersteilzeit wurde leider in den Unternehmen bei uns hier in Deutschland bisher zumeist zum Abbau von Beschäftigungskapazitäten und zur Senkung des Altersdurchschnitts der Belegschaften genutzt. Die Altersdiskriminierung in unserer Gesellschaft, die wir gemeinsam beklagen - das ist ja eines der wichtigen Themen in der Enquetekommission, Herr Meyer -, ist dadurch verstärkt worden und würde auch weiter bestätigt werden, wenn man mit diesen Instrumenten schlichtweg so weitermacht, als wäre nichts passiert. Das müssen wir anerkennen, und wir brauchen auch die Hilfe der SPD, um es im gesellschaftlichen Konsens zu verändern. Da können Sie nicht einfach aussteigen und auf Bundesebene die Rente mit 67 mit beschließen, während Sie hier auf Landesebene dagegen moppern. Das verträgt sich nicht.

Wir sollten deswegen der einfachen Antwort, die uns die SPD hier heute vorschlägt, die mit Instrumenten von gestern die Probleme von morgen lösen will, nicht beitreten. Das tun wir als Grüne auch nicht. Wir brauchen zukünftig Instrumente, die eine flexiblere Erwerbsbiografie gestatten. Die fehlende Erwerbsintegration von älteren Beschäftigten erweist sich mittlerweile als Wachstumsbremse. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Schünemann.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir brauchen flexible Regelungen für ältere Arbeitnehmer. Die Verlängerung des bestehenden Altersteilzeitgesetzes ist jedoch der falsche Weg. Das haben auch die Beratungen in den Fachausschüssen des Landtages deutlich gemacht. Mit Ausnahme der SPD haben sich dort alle Fraktionen gegen diesen Entschließungsantrag ausgesprochen. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand.

Nachdem in den letzten Jahren die Erwerbsbeteiligung der älteren Beschäftigten über 55 Jahre im

mer weiter auf inzwischen 45 % gesunken ist, müssen wir insbesondere vor dem Hintergrund des demografischen Wandels diesen Trend endlich umkehren. Wir müssen zu einer Erhöhung der Erwerbsquote in dieser Altersgruppe und des faktischen Renteneintrittsalters kommen. Eine Verlängerung der Regelungen des Altersteilzeitgesetzes wäre vor diesem Hintergrund völlig kontraproduktiv.

Richtig ist, dass wir aufgrund der notwendigen Verlängerung der Lebensarbeitszeit auch über eine stärkere Flexibilisierung der Arbeitszeit im Alter reden müssen. Dabei kann es nicht nur darum gehen, den Beschäftigten eine Wahlfreiheit für ein früheres Ausscheiden aus dem Erwerbsleben mit entsprechenden Rentenabschlägen zu geben, sondern es muss um die Frage gehen, mit welchen Rahmenbedingungen wir einen gleitenden Übergang, auch mithilfe von Altersteilzeit, zwischen Erwerbstätigkeit und Rentenphase ermöglichen können.

Meine Damen und Herren, das ist die eigentliche Herausforderung, und es lohnt eine intensive Diskussion darüber. Das bestehende Altersteilzeitgesetz bietet dafür aber keine Lösung; denn es hat sich auch in dieser Hinsicht als viel zu starr erwiesen. 90 % der Beschäftigten, die Altersteilzeit in Anspruch nehmen, wählen das Blockmodell. Damit ist das Altersteilzeitgesetz de facto zu einem Frühverrentungsinstrument geworden.

Wir müssen stattdessen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass ältere Beschäftigte flexibler als bisher eine Teilerwerbstätigkeit mit dem Bezug einer Teilrente kombinieren können. An dieser Stelle besteht beim Gesetzentwurf zur Einführung der Rente mit 67, der ja aktuell im Bundestag beraten wird, konkreter Nachbesserungsbedarf. Die bisherige Regelung, die Rentenbeziehern nur einen Hinzuverdienst von 400 Euro erlaubt, muss deshalb abgeschafft und durch eine angemessene Teilrentenregelung bei Erwerbstätigkeit ersetzt werden. Es fehlen Altersteilzeitmodelle, die diese Flexibilität zulassen, aber aus der massiven Subventionierung der Altersteilzeit aussteigen.

Das Auslaufen des Altersteilzeitgesetzes ist zudem eine konkrete Maßnahme zur Senkung der Lohnzusatzkosten. Wir sind uns sicherlich alle einig: Eine Senkung der Lohnzusatzkosten ist eine Maßnahme, die insgesamt den Arbeitsuchenden zugutekommt. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Bevor ich Herrn Lenz noch einmal zwei Minuten Redezeit erteile, begrüße ich die jungen Teilnehmerinnen oben auf der Besuchergalerie. Guten Tag!

(Beifall bei allen Fraktionen)

Jetzt hat Herr Lenz für zwei Minuten das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Ich muss wirklich sagen, Herr Hillmer, dass ich selten so wenig Sachverstand erlebt habe wie in Ihrer Rede. Das Gleiche gilt für Herrn Hagenah.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich habe es in meiner Rede extra erklärt, aber Sie haben den Unterschied immer noch nicht begriffen. Ich gebe es auch auf, will aber noch eines sagen: Wir werben hier für eine differenzierte Vorgehensweise. Wir sind nicht generell gegen die Rente mit 67. Wir haben auch in unseren Debatten immer deutlich gemacht, dass es eine uneinheitliche Entwicklung am Arbeitsmarkt gibt - auf der einen Seite eine sich verfestigende Langzeitarbeitslosigkeit von gering Qualifizierten, während sich auf der anderen Seite Bedarfe im höher qualifizierten Bereich abzeichnen. Wir wollen wahrlich nicht den Ingenieur mit 58 oder 60 Jahren nach Hause schicken, sondern uns ist durchaus klar, dass im Zuge der demografischen Entwicklung diese Menschen länger im Job bleiben müssen.

Herr Schünemann, es ist ja besonders nett, dass ausgerechnet Sie jetzt in Vertretung von Herrn Hirche argumentieren, die Altersteilzeit sei ganz schlecht. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass Sie für den Personalabbau im Zusammenhang mit der Auflösung der Bezirksregierungen massiv den Vorruhestand genutzt haben, und zwar für Mitarbeiter ab 55 Jahren. So weit geht noch nicht einmal unsere Forderung an dieser Stelle.

(Beifall bei der SPD)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Wir kommen zur Abstimmung.

(Zurufe)

- Ich habe nicht gesehen, dass sich Herr Minister Möllring noch gemeldet hat. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was Sie gesagt haben, ist schlicht falsch. Die Mitarbeiter sind nicht in den Vorruhestand gegangen, sondern in den einstweiligen Ruhestand nach § 109 NBG.

(Beifall bei der CDU - Bernd Althus- mann [CDU]: Die können jederzeit zu- rückgeholt werden! Das ist der feine Unterschied! - Lachen bei der SPD - Unruhe)

Nun kommen wir aber zur Abstimmung. Wenn Herr Althusmann mit dem Reden fertig ist, können wir abstimmen.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Das Erste war die Mehrheit.

Die beiden folgenden Tagesordnungspunkte rufe ich vereinbarungsgemäß zusammen auf, also

Tagesordnungspunkt 46: Erste Beratung: Junge Menschen nicht länger ohne Perspektive lassen - Verantwortung für Berufsausbildung übernehmen - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 15/3567

und

Tagesordnungspunkt 47: Erste Beratung: Recht auf Ausbildung für Jugendliche Initiative für 10 000 Ausbildungsplätze starten - Antrag der Fraktion der SPD Drs. 15/3579

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Korter. Ich erteile ihr das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn die Landesregierung vom Lehrstellenmarkt spricht, dann muss ich immer an das Sandmännchen denken. Vor wenigen Tagen hat Minister Hirche den Ausbildungspakt verlängert und als erfolgreiches Modell für mehr Ausbildungsplätze gepriesen.

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Ist es auch!)

Meine Damen und Herren, zielgerichtetes politisches Handeln sollte mit der ungeschminkten Zurkenntnisnahme der Realität beginnen. Die Situation auf dem Lehrstellenmarkt ist dramatisch. Nur noch knapp 40 % der Jugendlichen in Niedersachsen, die nach der allgemeinbildenden Schule in das Berufsausbildungssystem einsteigen wollen, finden einen Ausbildungsplatz im dualen System. Fast die Hälfte eines Jahrgangs landet in Übergangssystemen, den sogenannten Warteschleifen - fast die Hälfte! -, die sie auf dem Weg zu einem anerkannten Berufsabschluss nicht weiterbringen und die ihre Chancen, später eine Lehrstelle zu finden, bestenfalls nicht verschlechtern. Damit ist Niedersachsen bundesweit Schlusslicht.

Die Zahl der Altbewerber übersteigt inzwischen die Zahl der Neubewerber. Weniger als ein Viertel der Betriebe bildet überhaupt noch aus. Die Ausbildungsquote, also der Anteil der Auszubildenden an den Beschäftigten, liegt noch bei gut 5 %. Diese Zahlen sind an sich schon dramatisch genug. Die problematische Situation Tausender Jugendlicher in Niedersachsen lässt sich durch Statistiken aber nicht annähernd erfassen.

Meine Damen und Herren, was es für Zehntausende von Jugendlichen bedeutet, 20, 30, manchmal sogar 100 Bewerbungen geschrieben zu haben, immer wieder zu hoffen und doch wieder enttäuscht zu werden, können wir alle uns nicht wirklich vorstellen. Dass bei vielen das Gefühl aufkommt, von dieser Gesellschaft nicht gebraucht zu werden und nutzlos zu sein, liegt auf der Hand. Diese Enttäuschung sucht sich natürlich Ventile. Bei manchen ist das Ventil Gewalt, auch rechtsextreme Gewalt. Andere versuchen ihren Frust mit Alkohol und Drogen oder durch die innere Emigration zu bewältigen. Für ein demokratisches Gemeinwesen ist das hochgefährlich - und das umso mehr, wenn bestimmte Gruppen, insbesondere Jugendliche mit Migrationshintergrund, weit überproportional betroffen sind. Wenn die Gesellschaft diesen Jugendlichen keine Perspektive bietet,

braucht sie sich nicht zu wundern, wenn sie sich abwenden und sich ihre Perspektive woanders suchen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir alle müssen uns eingestehen, dass wir mit den alten Rezepten nicht mehr weiterkommen. Wir appellieren seit Jahren an die Wirtschaft, endlich mehr Ausbildungsplätze zu schaffen. Gleichzeitig steigt die Zahl derer, die keinen Ausbildungsplatz finden. Wir müssen erkennen: Unsere Bemühungen waren zwar nicht nutzlos, aber bei Weitem nicht ausreichend - so bitter das auch ist.

Herr Minister Busemann, man sollte schon erkennen, dass Sie mit den alten Rezepten nicht weiterkommen, und sich nicht mit platten Beschimpfungen derer über die Runden retten wollen, die andere Wege vorschlagen. Nicht um einen Ersatz des dualen Systems schulischer und betrieblicher Berufsausbildung geht es, sondern um Weiterentwicklung und Ergänzung. Es herrscht überhaupt kein Streit darüber, dass das duale System die beste Möglichkeit ist, junge Menschen praxisnah auszubilden. Deshalb brauchen wir eine Debatte nach dem Motto „Die duale Ausbildung wird infrage gestellt“ überhaupt nicht zu führen. Das ist nur Schattenboxen.

Meine Damen und Herren, statt mit dem Hohelied des dualen Systems auf den Lippen auf bessere Zeiten zu warten, müssen wir endlich handeln. Wir brauchen Konzepte, wie auch die schulische Berufsausbildung ausgebaut und weiterentwickelt werden kann. Der Anteil derer, die eine vollzeitschulische Berufsausbildung machen, liegt seit Jahren konstant bei ungefähr 17 %. Diese Situation wird der Entwicklung in der Wirtschaft nicht mehr gerecht.

Die SPD-Fraktion hat zum Ausbau der vollzeitschulischen Berufsausbildung einen Vorschlag vorgelegt, den wir im Grundsatz unterstützen. Über einzelne Details werden wir im Ausschuss noch beraten. Wir sollten vorher nicht zu viel festlegen, damit das Ganze nicht wieder wegen einzelner Punkte abgelehnt wird.

Meine Damen und Herren, unsere Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich gewandelt. Heute arbeiten weit mehr Menschen im Dienstleistungssektor als meinethalben vor 20 Jahren. Im Gegensatz zum Handwerk und zur Industrie gibt es in vielen Dienstleistungsbereichen, z. B. in der

IT-Branche, keine wirkliche duale Ausbildungstradition. Gerade in diesen Bereichen eine verstärkte vollzeitschulische Berufsausbildung zu etablieren, steht deshalb überhaupt nicht in Konkurrenz zur dualen Ausbildung.