Protokoll der Sitzung vom 26.04.2007

(Zustimmung von Ursula Körtner [CDU])

Der Antrag, so gut er gemeint ist, verfremdet unsere Schulen, anstatt sie weiterzuführen. Er bürdet ihnen neue Lasten auf und gibt ihnen neue Themen vor. Eigenverantwortlichkeit heißt gerade, dass sich die Bildungspolitik in bezug auf Schulen zurückhalten muss, dass wir wachsen lassen müssen und die Verantwortung in den Schulen respektieren. Wir müssen respektieren, was sie vor Ort machen und wollen. Ich vertraue ihnen da voll.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dabei müssen wir nicht bevormunden. Sie wollen die neue Bevormundung. Das ist gerade nicht unser Ding.

Wie gesagt: Es mag theoretisch interessant sein, das eine oder andere mal zu diskutieren. Aber gerade in diesen Tagen kommt dieser Antrag absolut zur Unzeit. Vielleicht sehen wir ein paar Jahre später weiter. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Die Beschlussempfehlung des Ausschusses lautet auf Ablehnung. Wer möchte der Beschlussempfehlung folgen? - Wer möchte sie ablehnen? - Wer enthält sich der Stimme? - Das Erste war die Mehrheit.

Ich rufe jetzt auf den

Tagesordnungspunkt 18: Besprechung: Entwicklung der Integration von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Niedersachsen Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/3421 - Antwort der Landesregierung - Drs. 15/3566

Nach § 45 Abs. 5 unserer Geschäftsordnung wird zu Beginn der Besprechung der Fragestellerin oder dem Fragesteller das Wort erteilt. Alsdann erhält die Landesregierung das Wort.

Für die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen liegt mir die Wortmeldung von Frau Korter vor. Bitte schön, Frau Korter, Sie haben das Wort!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 21. März dieses Jahres hat der Sonderberichterstatter der UN für das Recht auf Bildung, Vernor Muñoz, seinen Deutschlandbericht zur Umsetzung der UN-Resolution 60/251 vorgelegt. Er beklagt, das deutsche Schulsystem sei nicht auf Einbeziehung, auf Inklusion von Menschen mit Behinderungen ausgerichtet, sondern auf Aussonderung, auf Segregation. Unsere Schule verweigere Flüchtlingskindern, Kindern aus Migrantenfamilien und Kindern mit Lernbeeinträchtigungen und Behinderungen das gleiche Recht auf Bildung. Das Menschenrecht auf diskriminierungsfreien Zugang zu den Schulen wird damit in Deutschland nicht verwirklicht.

Meine Damen und Herren, noch bevor der Bericht von Herrn Muñoz überhaupt veröffentlicht war, ist Kultusminister Busemann bereits durch die Lande gezogen und hat sich mokiert.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Aber nicht nur Herr Busemann! Alle Kultusmi- nister Deutschlands!)

Der UN-Sonderberichterstatter sei ja nur neun Tage in Deutschland gewesen, und überhaupt sei er nur ein Handlungsreisender der GEW. Herr Busemann, mit diesen Äußerungen haben Sie nur sich selbst diskreditiert. Sie haben damit bezeugt, wie wenig Respekt Sie vor der Institution der UN haben und wie wenig Sie die auch von Deutschland unterzeichneten Menschenrechtsabkommen interessieren.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Das ist eine Unverschämtheit!)

Meine Damen und Herren, wenn Herr Muñoz die Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage schon gekannt hätte, dann wäre er in seinem Urteil über unser Schulsystem nur noch bestärkt worden; denn Ihre Antwort macht auf beschämende Weise deutlich: In Sachen schulischer Integration sind wir in Niedersachsen seit vielen Jahren kein Stück vorangekommen.

(Widerspruch von der CDU)

Erstens. Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die in eine besondere Schule geschickt werden, ist in Niedersachsen in den letzten Jahren deutlich gestiegen, sowohl absolut als auch prozentual.

Zweitens. Die Landesregierung hat die Zahl der Lehrerstunden pro Schüler für die Integration im gleichen Zeitraum drastisch reduziert. Sie hält zwar für eine Minderheit Integrationsangebote aufrecht, aber sie setzt dafür immer weniger Mittel ein.

Drittens. Die Landesregierung hat kein Konzept und zeigt keinerlei Engagement, die Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu verbessern.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Du sollst nicht lügen! Das ist ein Gebot!)

Meine Damen und Herren, wenn wir über Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf sprechen, dann geht es zum einen um die optimale Förderung dieser Kinder in der Schule. Zum anderen geht es um gesellschaftliche Integration, um die volle gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen. Hier trennen uns Welten, Herr Busemann.

Die Landesregierung behauptet in ihrer Antwort, die Integration könne mit gemeinsamem Unterricht erreicht werden, aber genauso gut über den Weg der Aussonderung auf spezielle Schulen. Herr Busemann, Sie sind uns in Ihrer Antwort jeglichen wissenschaftlichen Beleg für diese These schuldig geblieben.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Nein! Für Ih- re These gibt es keinen Beleg!)

Wir haben danach gefragt. Keine Antwort darauf! Sie beweisen damit, dass Sie offenbar die Diskussion der vergangenen 30 Jahre komplett verpennt

haben oder, genauer gesagt, nicht zur Kenntnis nehmen wollten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie behaupten, dass über den Förderort grundsätzlich im Interesse des Kindes entschieden wird. Aber welcher Ort der richtige für das Kind ist, das wollen Sie als Schulbehörde besser wissen und allein entscheiden. Sie sind ja der Experte, der allein definieren will, was für ein Kind gut ist und welche Bildungschancen es haben soll.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Wer soll es denn definieren?)

Sie ignorieren dabei völlig, was die Eltern dieser Kinder wollen. Sie haben keine Ahnung - das wissen wir aus der Antwort -, wie viele Eltern sich für einen gemeinsamen Unterricht für ihr Kind engagieren und wie viele dieser Eltern mit diesem Wunsch bereits an der zuständigen Grundschule scheitern.

Auch das, was die Betroffenen selber sagen, interessiert Sie ganz offenkundig nicht. Der Deutsche Behindertenrat hat für seine Arbeit drei zentrale Ziele formuliert: selbstbestimmt leben statt Heimversorgung, gleiche Rechte statt entmündigende Fürsorge sowie ganz klar - und das betrifft unseren Bereich - gemeinsame Bildung statt Sonderschule.

Die Überwindung der Aussonderung in spezielle Schulen ist seit Jahren eine der zentralen Forderungen der Menschen mit Behinderungen, aber Ihr Ministerpräsident glaubt, er hätte Menschen mit Behinderungen bereits adäquat integriert, wenn er mehr Gebärdendolmetscher fordert. Das wird nicht reichen, sage ich Ihnen.

Seit 1993 ist das Ziel der Integration im Niedersächsischen Schulgesetz verankert, aber von der amtierenden Landesregierung wird es offenkundig nicht mehr geteilt. Die Juristen Wulff und Busemann interessiert dieser Part unseres Schulgesetzes anscheinend nur wenig.

Wenn man die Antwort auf unsere Große Anfrage betrachtet, ergibt sich eine beschämende Bilanz, wie ich finde. Auch wenn Ihre Zahlen sehr unvollständig sind, so wird doch deutlich: Seit 1995 stagniert die Integration in der Schule. Von 1995 bis 2003 ist sowohl die absolute Zahl der Schülerinnen und Schüler, die eine Förderschule besuchen, gestiegen, und zwar um 31 % von 30 461 Kindern auf 40 024, als auch die Förderschulquo

te. Die Prozentzahl der Schülerinnen und Schüler, die auf eine Förderschule geschickt worden sind, ist von 3,7 auf 4,4 % gestiegen und nicht etwa gefallen. Erst ab 2005 sind bei insgesamt sinkenden Schülerzahlen auch diese Zahlen wieder geringfügig gesunken.

Sehr stark angewachsen ist der Anteil der in besondere Schulen geschickten Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, emotionale und soziale Entwicklung und Sprache. Beim Förderschwerpunkt geistige Entwicklung ist die Förderschulquote von 1995 bis 2006 um 60 % gestiegen, bei sprachlicher Entwicklung um 85 %

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Aber woran liegt das denn?)

und bei emotionaler und sozialer Entwicklung sogar um 87 %. Da fragt man sich doch, Herr Klare: Wie sollen sprachbeeinträchtigte Kinder besser und richtiger sprechen lernen, wenn sie sich vorwiegend unter Kindern mit Sprachschwierigkeiten aufhalten? Das müssen Sie mir erst einmal erklären.

(Ursula Körtner [CDU]: Wie sollen sie das denn in der gemeinsamen Schu- le? - Karl-Heinz Klare [CDU]: Wie stellen Sie das denn fest? Wir haben doch heute andere Diagnosemöglich- keiten!)

Auch beim Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung hat es seit 2000 einen Anstieg gegeben.

Zugleich stagniert der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit geistiger Behinderung, die in einer Integrationsklasse gefördert werden, seit Ende der 90er-Jahre auf einem sehr niedrigen Niveau. Noch immer besuchen 25 mal mehr Schülerinnen und Schüler mit geistiger Behinderung eine gesonderte Schule als eine Integrationsklasse.

Richtig blamabel wird es, wenn man sich ansieht, wie viele Lehrerstunden für die Integrationsklassen angesetzt werden. Während 1991 unter Grün-Rot im Durchschnitt für jedes Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Integrationsklassen noch 7,7 Sonderpädagogik-Lehrerstunden eingesetzt wurden, sind es 2006 nur noch 3,72 Stunden. Der entscheidende Einbruch - das muss man bei einer genaueren Betrachtung sagen - hat schon seit

1995 unter der damaligen SPD-Alleinregierung stattgefunden.

Positiv ist, dass inzwischen 23 % der Grundschulen in die sonderpädagogische Grundversorgung einbezogen sind, durch die für Kinder mit dem Förderbedarf Lernen, Sprache, emotionale und soziale Entwicklung immerhin in den ersten vier Jahren ein gemeinsamer Unterricht ermöglicht werden soll. Aber auch dieser Erfolg wird bei genauerer Betrachtung deutlich relativiert; denn gleichzeitig haben Sie die Lehrerstunden für die sonderpädagogische Grundversorgung pro Klasse um 30 % und mehr gekürzt.

Trotz Ausbau der sonderpädagogischen Grundversorgung ist der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die schon im Grundschulalter in eine Förderschule geschickt werden, deutlich angestiegen. Kinder mit geistiger Behinderung sind sowieso nicht in dieses Konzept einbezogen. Ganz offenkundig also trägt das Konzept der sonderpädagogischen Grundversorgung, so schlecht, wie es jetzt ausgestattet ist, zu wenig zur Integration bei.

Meine Damen und Herren, mit großem Pathos haben Schulpolitikerinnen und Schulpolitiker der CDU hier im letzten Jahr erklärt, dass sie nicht vom System aus denken, sondern vom einzelnen Kind aus.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das ist der Anspruch!)

Frau Körtner, das werden Sie sicher auch gleich wieder tun. Sie wissen ja offensichtlich immer besser, was richtig für ein Kind ist und was nicht.