Protokoll der Sitzung vom 26.04.2007

Die nächste Rednerin ist Frau Eckel für die SPDFraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor zehn Monaten hat dieses Haus in großer Hast das Gesetz zur Einführung der Eigenverantwortlichen Schule gegen die Stimmen der SPD-Fraktion verabschiedet. Zur Begründung wurde gesagt, die Schulen sollten genügend Zeit haben, um sich bis zum Inkrafttreten am 1. August 2007 auf die Veränderungen vorzubereiten. Hat sich das durch die Eile entstandene Beratungstohuwabohu wirklich gelohnt? Die Praxis zeigt: Nein.

Mein Kollege Poppe hat gestern bereits darauf hingewiesen, wie viele handwerkliche Fehler beseitigt werden müssen. Das ist das eine.

Das andere ist dies: Am 1. August 2007 geht es zwar de jure mit der Eigenverantwortlichkeit in Niedersachsen los, aber nicht de facto; denn die Schulen sind nicht vorbereitet. Sie konnten sich nicht vorbereiten; denn erst seit Januar liegt der Erlassentwurf betreffend Übertragung erweiterter Entscheidungsspielräume an Eigenverantwortlichen Schulen vor. So lange hat es gedauert, bis Sie etwas zustande bekommen haben, Herr Busemann. Die Anhörung ist gerade erst abgeschlossen. Die endgültige Fassung wird den Schulen erst kurz vor den Schulferien vorliegen. Dann erst werden die Schulen wissen, welche Möglichkeiten der Gestaltung sie haben.

Sehr geehrte Damen und Herren, ein wirkungsvolles Unterstützungssystem fehlt. Eine Budgetausweitung wird auch im Nachtragshaushalt wahrscheinlich nicht erfolgen. Wir werden es sehen. Herr Busemann, Sie haben die durch die Gesetzesverabschiedung gewonnene Zeit nicht genutzt. Sie haben getrödelt und schließlich einen Erlassentwurf vorgelegt, der an Halbherzigkeit kaum zu überbieten ist. Die sogenannten Bertelsmannschulen sind maßlos enttäuscht, und zwar zu Recht. Der Erlassentwurf ist von dem Grundsatz getragen: Es darf nichts kosten. Ohne finanziellen Einsatz, ohne Beratungs- und Unterstützungssysteme ist eine Eigenverantwortliche Schule aber nicht zu haben.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert getreu ihrer Ankündigung und sozusagen als Gegenstück

zum Erlassentwurf des Kultusministeriums mehr Gestaltungsräume für die Schulen. Lassen Sie mich hier etwas Grundsätzliches einflechten. Die SPD-Fraktion hat das Gesetz zur Eigenverantwortlichen Schule nicht mitgetragen, weil wir bis heute der Überzeugung sind, die Hierarchisierung der Entscheidungsbefugnisse und die geringe Gestaltungsfreiheit behindern die Entwicklung einer selbstständigen Schule. Die SPD-Fraktion wollte die pädagogische Arbeit der Schulen zum Ausgangspunkt der Gestaltungsfreiheit machen und den Schulen eine Rechtsgrundlage für souveränes Handeln geben. Stattdessen wird nun der Spielraum von oben vorgegeben. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat diesen Paradigmenwechsel allerdings mitgetragen. Sie hat mitgetragen, dass die Gestaltungsspielräume der Schulen am Gängelband des Kultusministers hängen. Ihr Antrag, mit dem Sie, Frau Kollegin Korter, diesen Paradigmenwechsel folgerichtig mittragen, ist andererseits aber auch erstaunlich, weil Sie nicht nur das Abweichen von Erlassen, sondern auch die Möglichkeit zum Abweichen von Rechtsverordnungen fordern, was im Gesetz so ja gar nicht vorgesehen ist. Das trifft für den Verzicht auf das Sitzenbleiben zu. Die Forderungen, auf das Sitzenbleiben zu verzichten und Ziffernzeugnisse durch Berichtszeugnisse zu ersetzen, sind in unserem Sinne. Für Ersteres, Frau Korter, haben wir hier im Landtag auch schon gemeinsam gestritten. In der Besprechung des Antrags im Ausschuss wurde sicherlich aber auch Ihnen deutlich, dass vieles, was Sie in den ersten vier Punkten fordern, glücklicherweise bereits heute möglich und zum großen Teil als erledigt zu betrachten ist. Dies schadet natürlich der Überzeugungskraft des Antrags insgesamt.

(Joachim Albrecht [CDU]: Sehr so- gar!)

Herr Minister, die 45-minütige Unterrichtsstunde als nötige Berechnungsgrundlage für die Lehrerarbeitszeit muss ja nicht ins Wanken geraten, wenn Schulen Unterrichtszeit kreativ flexibilisieren.

(Joachim Albrecht [CDU]: Das tun sie auch!)

- Das tun sie ja; eben.

Sehr geehrte Damen und Herren, der zweite Teil des Antrags beschäftigt sich mit den Ressourcen, die den Schulen zur Eigenverantwortlichkeit zur Verfügung stehen. Wenn ab dem 1. August die Schulen die Eigenverantwortlichkeit umsetzen

wollen, werden sie das ohne Budget bewerkstelligen müssen. Das ist ein schlechter Start. Schon bei der Aufstellung des Haushaltsplans für das laufende Jahr hat die Opposition dies moniert. Im laufenden Schuljahr ein Budget aus den zur Verfügung stehenden Mitteln des Ministeriums freizuschaufeln, ginge zulasten der Unterrichtsversorgung. Löcher auf Kosten der Unterrichtsversorgung zu stopfen, ist ein Mittel, das jetzt schon vom Kultusminister überstrapaziert wird; man muss nur einmal an die zahlreichen Abordnungen denken. Das Fehlen eines Budgets ist ein weiteres Beispiel dafür, wie zögerlich diese „Jahrhundertreform“ in die Umsetzung entlassen wird.

Bei der Forderung nach einem Personalbudget bleibt die Frage, wie weit dies durchdacht ist. Die SPD-Fraktion bleibt dabei, dass es Aufgabe des Landes ist, für ein möglichst gleichwertiges Bildungsangebot in allen Regionen des Landes zu achten. Das Land muss also den Lehrkräfteeinsatz steuern.

Der Vorschlag im letzten Punkt, Lehrkräfte je nach Qualifikation, Erfahrung, Alter und gesundheitlicher Verfassung flexibel für verschiedene schulische Tätigkeiten einzusetzen, sprengt diesen Antrag. Abgesehen von der Schwierigkeit, den Begriff „gesundheitliche Verfassung“ zu definieren, bleibt auch die Frage, ob Lehrerinnen und Lehrer ohne ihre Zustimmung für nichtunterrichtliche Bereiche eingesetzt werden können. Ein solcher Vorschlag bedarf, glaube ich, erheblicher Vorbereitung.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben in unserer Fraktion diesen Antrag gründlich diskutiert. Wie erläutert, halten wir Teile für unterstützenswert. Aber dieser Antrag steht als Ganzes zur Abstimmung, und in seiner Gänze müssen wir ihm unsere Zustimmung versagen. Dies fällt uns nicht leicht; denn, sehr geehrte Damen und Herren von CDU und FDP, auch die SPD sieht Handlungsbedarf bei der Einführung der Eigenverantwortlichen Schule. Wir befürchten, Ihre Vorgehensweise, Herr Minister Busemann, gefährdet das Ziel der selbstständigen Schulen mehr, als sie ihm nützt.

(Beifall bei der SPD - Joachim Alb- recht [CDU]: Im Gegenteil!)

Für die CDU-Fraktion hat jetzt der Kollege Albrecht das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Beschluss zur Einführung der Eigenverantwortliche Schule haben wir am 11. Juli letzten Jahres hier in diesem Raum Schulgeschichte geschrieben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Am 1. August dieses Jahres, also in wenigen Wochen, werden alle unsere niedersächsischen Schulen Eigenverantwortliche Schulen werden ohne Ausnahme alle Schulen!

(Beifall bei der CDU)

Bitte verwechseln Sie nicht die Übertragung der dienstrechtlichen Befugnisse auf die Schulleiterinnen und Schulleiter, die, am 1. Juli beginnend, in mehreren Schritten erfolgen wird, mit dem tatsächlichen Start aller unserer Schulen als Eigenverantwortliche Schule. Auch die Schulen, deren Schulleiterinnen bzw. Schulleiter die umfassenden dienstrechtlichen Befugnisse erst später erhalten werden, sind natürlich schon mit Beginn des Schuljahres 2007/2008 eigenverantwortlich.

(Beifall bei der CDU)

So steht es im Gesetz. Mit dem Gesetz wie mit allen unseren Beschlüssen zur Schulpolitik haben wir die Qualitätsverbesserung unserer Schulen vorangebracht.

(Beifall bei der CDU)

Mit diesem Gesetz haben wir die Grundlage geschaffen für eine umfangreiche innere Erneuerung unserer Schulen, für eine Qualitätssteigerung unserer Schulen, die nicht von einer Schulbehörde von außen aufgezwungen wurde, sondern sich von innen heraus entwickeln wird. Wer wie die Mitglieder der CDU-Fraktion mit den Schulen vor Ort ständig Kontakt hat und mit den Kolleginnen und Kollegen dort auch spricht, der konnte an vielen Stellen beobachten: Diese von uns beabsichtigte Qualitätsoffensive in den Schulen ist bereits ins Rollen gekommen.

(Beifall bei der CDU)

Mit unserem Beschluss zur Eigenverantwortlichen Schule haben wir die Grundlage für eine Deregulierung im Schulwesen geschaffen. Das Kultusministerium hat sich umgehend an die Arbeit gemacht und aus der Vielzahl von Verordnungen und

Erlassen etliche herausgefunden, die ersatzlos gestrichen werden konnten, aber auch viele, deren Inhalte ganz oder teilweise in die Obhut der Eigenverantwortlichen Schulen gegeben werden sollen. Wir haben im Ausschuss in den letzten Monaten mehrmals darüber beraten; wir haben das Ministerium dazu gehört. Die Anhörung der Verbände zu den Erlassänderungen ist inzwischen abgeschlossen. In der vorletzten Woche sind uns im Kultusausschuss vom Ministerium schon die wesentlichen Inhalte grob skizziert worden. Die Dinge sind im Schiffgraben auf einem guten Weg.

Aus unserer Sicht bekommen die Schulen ein sehr großes Maß an Freiheit, das eigene Schulleben ab 1. August auch individuell gestalten zu können.

(Beifall bei der CDU)

Aber sie haben auch die Möglichkeit, sich weiter an den bisherigen Vorgaben der Verordnungen und Erlasse zu orientieren. Die Schulen entscheiden selbst.

Die endgültige neue Erlassregelung wird in Kürze vom Ministerium bekannt gegeben werden. An dieser Stelle weise ich noch einmal darauf hin, wie wichtig es war, über das Gesetz schon im Sommer letzten Jahres zu entscheiden. Die Folgearbeiten zur Eigenverantwortlichen Schule sind danach im Ministerium umgehend aufgenommen worden. Die guten Ergebnisse werden jetzt nach und nach vorgestellt, also früh genug für den Start der Eigenverantwortlichen Schule.

(Beifall bei der CDU)

In unserer ausführlichen Ausschussberatung Ihres Antrags, verehrte Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, wurde eines sehr deutlich: Die allermeisten Forderungen Ihrer ersten fünf Punkte können heute schon in den Schulen umgesetzt werden.

(Beifall bei der CDU)

Dies habe ich Ihnen im Übrigen schon im September hier dargestellt. Außerdem wurde das, was heute schon alles möglich ist, vom Vertreter des Ministeriums in der letzten Ausschusssitzung ausdrücklich bestätigt; Sie können es im Protokoll nachlesen. Die Dinge, die heute noch nicht möglich sind, werden weitgehend in die Verantwortung der Eigenverantwortlichen Schulen gegeben, bis auf zwei Aspekte, die unseres Erachtens nicht in die Entscheidungshoheit der einzelnen Schulen

gegeben werden können, nämlich die Ziffernzeugnisse und die Frage der Nichtversetzung. Im September bin ich auch schon ausführlich auf diese beiden Punkte eingegangen. Neben den pädagogischen Überlegungen, die ich damals schon angesprochen habe, führen weitere Gesichtspunkte zur Ablehnung. Hier muss es auch in Zukunft eine landeseinheitliche Regelung geben;

(Zustimmung von Karl-Heinz Klare [CDU])

denn bei aller immer größer werdenden Eigenverantwortlichkeit und damit auch Unterschiedlichkeit unserer Schulen bleibt das Schulwesen in Niedersachsen auch künftig in staatlicher Verantwortung.

(Beifall bei der CDU)

Zu dieser Verantwortung gehört auch die Herstellung eines regional ausgeglichenen Bildungsangebots. Vor diesem Hintergrund lehnen wir Ihre Forderung nach totaler Budgetierung und weitgehender Personalwirtschaft zurzeit noch ab.

(Beifall bei der CDU)

Lassen Sie doch bitte die Schulen sich erst einmal zur Eigenverantwortlichen Schule entwickeln, und zwar mit all den Möglichkeiten, die es ab August 2007 geben wird! Nach den ersten Erfahrungen können wir sicherlich über eine Ausweitungsmöglichkeit der Budgetierung sprechen. Für unsere staatliche Verantwortung heißt dies: Wir müssen ein gewisses Maß an Vergleichbarkeit unserer Schulen sicherstellen, und wir müssen darauf achten, dass für Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen eine grundsätzliche Durchlässigkeit zwischen den Schulen gewahrt bleibt. Darum müssen wir auch in Zukunft auf die Einhaltung der Kerncurricula bestehen. Bei aller Sympathie für schuleigene Curricula, mit denen ich selber im Übrigen seit Jahrzehnten hervorragend arbeite, müssen wir aber die Erreichung der landeseinheitlichen Bildungsstandards verlangen. Dies sind wir unseren Kindern schuldig.

(Beifall bei der CDU)

Das bedeutet: Wir von der CDU lehnen diesen Antrag ab, da wir davon überzeugt sind, dass wir genau in dem Maße die Gestaltungsspielräume erweitern, in dem sie von den Schulen gebraucht werden und dann auch genutzt werden können. Gleichzeitig aber achten wir darauf, dass für all unsere Kinder auch künftig ein erfolgreiches, im

ganzen Lande an denselben Bildungsstandards und Kerncurricula ausgerichtetes allgemeinbildendes Schulwesen erhalten bleibt.

(Beifall bei der CDU)

Das sind wir unserem Land schuldig.

(Beifall bei der CDU)