Protokoll der Sitzung vom 06.06.2007

(Beifall bei den GRÜNEN)

Als Nächste hat die Kollegin Meißner für die FDPFraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir über dieses Thema schon einmal gesprochen, anhand zweier Anträge. Es hat - wegen unterschiedlicher Auffassungen über die Formulierungen - seinerzeit zwar keinen gemeinsamen Beschluss gegeben, aber in der Sache waren wir uns schon darüber einig, was passieren muss. Heute scheint sogar noch mehr Einigkeit über das künftige Vorgehen zu herrschen.

Das Modellprojekt ist im Jahr 2002 aufgelegt worden und lief bis zum letzten Jahr. Im Rahmen dieses Projektes sollte herausgefunden werden, ob für die schwerstkranken Abhängigen eine Substitution mit Diamorphin besser ist als die Substitution mit Methadon. Es hat sich deutlich herausgestellt, dass die Substitution mit Diamorphin besser ist.

Üblicherweise zieht man aus einem solchen Modellprojekt Konsequenzen. Bei diesem Modellprojekt wären bundesgesetzliche Änderungen die Konsequenzen. Solche Änderungen hat auch Frau Siebert gerade gefordert. Wir sollten wirklich überlegen, wie wir das hinbekommen.

Schuldzuweisungen helfen hier nicht weiter. Zum Glück hat es solche heute auch nur in geringem Umfang gegeben. Frau Langhans sagte, die FDP solle auf die CDU hinwirken. Ich glaube nicht, dass wir auf unseren Koalitionspartner hinwirken müs

sen; denn er sieht das genauso wie wir. Das Problem besteht darin, dass es in der CDUBundestagsfraktion einige Personen gibt - so etwas kommt immer einmal vor -, die, weil sie nicht direkt betroffen sind, nicht von diesem Projekt wissen, es falsch verstehen und sich deshalb dagegen wehren. Dort muss vonseiten der CDU natürlich Überzeugungsarbeit geleistet werden, das ist völlig klar. Ich denke aber, dass dies auch schon passiert.

Frau Elsner-Solar, Sie haben gesagt, die SPDBundestagsfraktion sei auf Kurs. Ich finde, sie kann durchaus mehr Druck entfalten. Statt hier Anträge zu stellen, wäre es sicherlich besser, wenn Sie in Berlin einmal mit den Mitgliedern Ihres Koalitionspartners CDU/CSU reden würden, die noch nicht auf Kurs sind.

Die Bundesregierung vollführt hier einen ziemlichen Eiertanz. Eigentlich sollte das Modellprojekt im Sommer des letzten Jahres auslaufen. Daraufhin hat das Land Niedersachsen ebenso wie andere betroffene Länder erklärt, weitermachen zu wollen und das Modellprojekt noch bis Ende 2006 zu finanzieren. Erst dann sollte Schluss sein. Deshalb hatte unsere Fraktion bei den Haushaltberatungen gesagt: Wenn das Modellprojekt Ende Dezember 2006 tatsächlich beendet wird, dann müssen Mittel für die psychosoziale Betreuung derjenigen Menschen zur Verfügung stehen, die sonst in ein Loch fallen. Darum haben wir gemeinsam mit der CDU beschlossen, 250 000 Euro zusätzlich in den Haushalt einzustellen. Diese Mittel sind dann in das besagte Modellprojekt, das auch in Niedersachsen noch einmal verlängert worden ist, eingeflossen.

Dann hieß es: Mitte des Jahres 2007 ist Schluss. Daraufhin hat der Bund als für das Modellprojekt Verantwortlicher gesagt, es noch einmal um drei Monate verlängern zu wollen.

Wir als Land sind bereit, das Modellprojekt auch noch bis zum Ende dieses Jahres zu verlängern. Das Problem ist aber, dass wir nicht auf ewig verlängern können. Ein Modellprojekt ist ein Modellprojekt und muss irgendwann ein Ende haben. Danach müssen die Konsequenzen aus diesem Projekt gezogen werden. Von daher stellt sich nun die Frage, was wir tun können, damit dieses Geeiere auf Bundesebene endlich ein Ende hat.

Insofern, Frau Elsner-Solar, ist Ihr Antrag auch inkonsistent. Sie haben z. B. gesagt, man sollte

eine Fortführung über den 30. Juni hinaus anstreben. - Diese Forderung muss man, um den Betroffenen zu helfen, natürlich erst einmal bejahen. Das allein kann es aber nicht sein. Wir brauchen noch viel mehr.

Ferner haben Sie gefordert, sich für die Aufhebung der bisherigen Beschränkung auf eine kleine Zahl von Patienten einzusetzen, die an dem Projekt teilnehmen. - Das halte ich für rechtlich problematisch. Zu einem Modellprojekt gehört eine Vergleichsgruppe, die Methadon bekommt. Mit dem Ansatz „Wir wissen inzwischen, dass die Verabreichung von Diamorphin besser ist, und deshalb sollen alle in die Modellprojektgruppe aufgenommen werden“ würde das Modellprojekt überschritten. Auch das geht nicht. Im Endeffekt bedeutet das: Wir müssen auf eine Gesetzesänderung hinwirken.

Außerdem fordern Sie, dem Landtag bis zur Überführung der diamorphingestützten Behandlung in die Regelversorgung ein dauerhaft tragfähiges Finanzierungskonzept vorzulegen. - Das aber widerspricht sich. Bei einer Überführung in die Regelversorgung - die wir ausdrücklich wollen brauchen wir kein dauerhaftes Finanzierungskonzept. Wir brauchen vielmehr gesetzliche Änderungen auf Bundesebene und eine Übergangsfinanzierung.

Eine letzte Bemerkung, weil hier auch die Situation in Hannover angesprochen worden ist. Die Pressemitteilungen, die die Stadt und die Region Hannover herausgegeben haben, waren meines Erachtens nicht besonders glücklich. Darin wurde der Eindruck erweckt, dass das Land mauert und die Menschen im Regen stehen lassen will. Das Gegenteil ist aber der Fall! Region, Stadt, Land und auch wir überlegen gemeinsam, wie man aus dem Modellprojekt heraus- und in die Zukunft hineinkommen kann, die die schwerstabhängigen Kranken brauchen: Änderung der Bundesgesetzgebung und Überführung in die Regelversorgung für den kleinen Kreis der Schwerstabhängigen. Daran müssen wir arbeiten.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Für die SPD-Fraktion hat sich noch einmal Frau Elsner-Solar gemeldet. Sie haben noch eine Redezeit von sieben Minuten.

Frau Präsidentin! Verehrte Frau Kollegin Meißner, ich hätte heute gerne einen Antrag eingebracht, mit dem ich die Aktivitäten, die wir schon im letzten Jahr angestrebt haben, begrüße. Ich habe in meinen Ausführungen aber schon deutlich gemacht, dass ich hier nicht aus Jux und Tollerei stehe, sondern deshalb, weil wir mit dem Modellprojekt, hauptsächlich aber mit den Menschen noch immer in der Luft hängen.

Sie haben darauf hingewiesen, dass in Hannover die Vermutung umgeht, dass sich das Land weiterhin beteiligen werde. Wir haben in der letzten Woche mit Vertretern von Drogenprojekten gesprochen. Die haben noch keinen weiterführenden Zuwendungsbescheid bekommen. Offizielles weiß man nicht.

Zurzeit hängen diese Themen auf der Bundesebene, und zwar ausschließlich bei CDU und CSU. Ich kann Ihnen den Briefwechsel, den ich dazu geführt habe, gern vorlegen. Er ist aber nicht rühmlich, muss ich Ihnen sagen. Deshalb verzichte ich lieber darauf.

Eigentlich würde es reichen, in diesem Zusammenhang den Sozialdezernenten der Stadt Hannover, der ebenfalls CDU-Mitglied ist, zu zitieren. Unter der Überschrift „Ein erfolgreicher Versuch, eine ungewisse Zukunft“ führte er aus: Eigentlich neige er nicht zu Verbalradikalismus. Was aber an Begründungen zur Ablehnung des Heroinprojektes aus der CDU-Bundestagsfraktion komme, sei doch schlicht Unfug.

Da wir uns hier im Hause doch einig sind, haben wir jetzt eine bessere Chance als noch im letzten Jahr, auf Bundesebene die letzten noch Unentschlossenen zu überzeugen.

In Anbetracht der Dringlichkeit der Entscheidungsfindung bitte ich Sie um sofortige Abstimmung.

(Beifall bei der SPD)

Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Heister-Neumann. Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Missbrauch von

Suchtstoffen ist auch in Niedersachsen eine der großen sozialpolitischen Herausforderungen. Wir betrachten es als vorrangiges Ziel, Menschen vor der Sucht und den damit verbundenen gesundheitlichen und sozialen Folgen zu bewahren. Wenn Menschen aber in die Sucht geraten, dann brauchen und dann haben sie auch unsere Unterstützung. Das Land fördert Angebote der Suchthilfe und -prävention mit rund 7 Millionen Euro. Diese Förderung trägt in starkem Maße dazu bei, die gesundheitlichen und sozialen Probleme des Einzelnen zu mildern. Die Fürsorge für suchtabhängige Menschen ist notwendig. Es ist aber auch gesellschaftlicher Konsens, dass das Ziel aller gesellschaftspolitischen Bestrebungen insbesondere bei den illegalen Suchtstoffen die Abstinenz ist.

Bei Heroinabhängigkeit - eine der schwersten Suchtformen überhaupt - hat sich die Substitution mit Methadon und begleitender psychosozialer Betreuung bewährt. Wir wissen aber sehr wohl, dass eine kleine Gruppe von Schwerstabhängigen mit diesem therapeutischen Ansatz nur schwer oder gar nicht erreicht wird.

Wichtig bei der Drogen- und Suchtbekämpfung in unserem Lande war und ist es deshalb immer, zukunftsträchtige und notwendige Forschungsvorhaben fachlich und womöglich auch finanziell mit dem Bund und den anderen Ländern zu initiieren und zu begleiten. Dazu gehört auch die Teilnahme des Landes am Heroin-Modellprojekt.

Wie Sie alle wissen, war Hannover ein Projektstandort. Hier wurde diamorphingestützte Behandlung erprobt und mit Landesmitteln seit geraumer Zeit erheblich gefördert; zwischenzeitlich mit mehr als 2 Millionen Euro. Wir wollten mit diesem Modell wissen, ob Schwerstabhängigen durch die geregelte Gabe von Diamorphin unter Aufsicht geholfen werden kann.

Während in den meisten anderen Projektstandorten in der Vergangenheit und in der zukünftigen Planung überwiegend die Kommunen die Finanzierung übernehmen, hat das Land Niedersachsen das Projekt sehr ausschlaggebend finanziert. Für die Jahre 2005 und 2006 wurden vom Land jeweils 500 000 Euro zur Verfügung gestellt.

Die Studie ist nunmehr abgeschlossen, und zwar seit dem 31. Dezember 2006. Die Ergebnisse dieser Studie liegen allen vor. Danach bestätigt die Arzneimittelstudie einen individuellen therapeutischen Nutzen und die medizinische Möglichkeit,

Diamorphin unter bestimmten, allerdings sehr eingeschränkten Bedingungen als Arzneimittel einzusetzen. Auch die Kriminalität, insbesondere die Beschaffungskriminalität, wegen der die Justiz leider Gottes verschärft zu tun bekommt, nimmt in diesem Zusammenhang ab.

Meine Damen und Herren, trotz aller positiven Erkenntnisse aus dem Modellprojekt muss uns allen aber eines klar sein: Diamorphin wird nie und kann auch nie Mittel der ersten Wahl sein, weil intravenöses Spritzen mit einem erheblichen gesundheitlichen Risiko verbunden ist und weil - rein organisatorisch - eine zwei- bis dreimalige Präsenz am Tag in einer hierfür eingerichteten Ambulanz notwendig ist. Die Behandlung mit Diamorphin bedarf daher eines nachvollziehbaren Therapieplans, der als Ziel eine Abstinenz oder auch eine andere Behandlungsform, z. B. die Substitution mit Methadon, vorsieht.

Damit Diamorphin dennoch für eine kleine Gruppe Schwerstkranker als Arzneimittel verschrieben werden kann, bedarf es - dies ist schon mehrfach gesagt worden - bundesgesetzlicher Veränderungen im Betäubungsmittelgesetz, in der Betäubungsmittelverordnung ebenso wie im Arzneimittelgesetz. Dies sind zwingend notwendige Vorbedingungen, um die Möglichkeiten für eine Regelversorgung mit Diamorphin zu schaffen. Das heißt nichts anderes als: um von einem Modellprojekt in eine geregelte Normalversorgung für alle zu kommen. Niedersachsen hat folglich in der letzten Amtschefkonferenz der Gesundheitsminister Mitte Mai 2007 mit einigen anderen Bundesländern gefordert, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen für die diamorphingestützte Behandlung geschaffen werden.

Niedersachsen zeigt sich darüber hinaus weiterhin - dies, meine Damen und Herren, halte ich für sehr wichtig - verantwortlich für die Absprachen, die in der Kooperationsvereinbarung zwischen Bund, Ländern und Städten bezüglich des Heroinmodellprojektes getroffen wurden. Das heißt, die Landesregierung ist sich ihrer Verantwortung für die in dem Modellprojekt nach wie vor befindlichen Schwerstabhängigen bewusst. Sie hat deshalb auch in diesem Jahr erhebliche finanzielle Mittel bereitgestellt, um sicherzustellen, dass die betroffenen 33 Personen in die Abstinenz oder in andere Behandlungsformen begleitet werden können. Im ersten Halbjahr haben wir weitere 200 000 Euro hierfür zur Verfügung gestellt.

Meine Damen und Herren, wir stehen im Vergleich mit den anderen beteiligten Ländern wirklich an erster Stelle und haben eine herausragende Bedeutung bei der Unterstützung dieser Modellprojekte. Darüber hinaus steht das Sozialministerium in engem Kontakt und in Gesprächen mit der Stadt Hannover und dem Bund, um die Weiterbetreuung dieser Menschen zu gewährleisten.

Leider - auch dies ist allgemein bekannt - ist es weiterhin unklar, ob die bundesgesetzlich erforderlichen Regelungen tatsächlich getroffen werden. Es ist auch nicht sicher, wann und wie sich der gemeinsame Bundesausschuss bezüglich einer Übernahme in die Regelversorgung tatsächlich positionieren wird. Dies ist auch im Sinne der Betroffenen abzuwarten, weil wir, wie gesagt, ein Modellprojekt abgeschlossen haben und weil wir das Ganze ohne die Veränderung der bundesgesetzlichen Regelungen nicht ausdehnen können. Dies bleibt abzuwarten, bevor wir neue Therapien beginnen oder laufende Therapien ausgeweitet werden können. Sie können aber sicher sein, dass die Landesregierung auf Bundesebene im Verbund mit den anderen Ländern alles tun wird, um auf diese bundesgesetzlichen Veränderungen hinzuwirken. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Die Fraktion der SPD hat beantragt, für ihren Antrag in der Drucksache 3816 die zweite Beratung und damit die Entscheidung über den Antrag sofort anzuschließen. Die Fraktionen der CDU und der FDP haben mir signalisiert, dass sie die Ausschussüberweisung beantragen.

Ich frage zunächst: Wer möchte den Antrag in die Ausschüsse überweisen? - Damit ist das Quorum von 30 Mitgliedern des Landtages erreicht.

Wir kommen damit zur Ausschussüberweisung.

Wer den Antrag zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit und zur Mitberatung an den Ausschuss für Inneres und Sport, den Ausschuss für Haushalt und Finanzen und den Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen überweisen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Das ist einstimmig so entschieden worden.

Wir kommen jetzt zu

Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung: Gegen Armut und Ausgrenzung - Für mehr Chancengerechtigkeit und gesellschaftliche Teilhabe - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/3813

Ich erteile der Kollegin Helmhold von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich in unserem Land immer weiter. Während sich Manager unanständig hohe Gehälter genehmigen und gleichzeitig damit prahlen, dass ihre Unternehmen in Deutschland keine Steuern bezahlen, müssen immer mehr Menschen zu Hungerlöhnen arbeiten. Die oberen 10 % der Haushalte verfügen über 42 % des Gesamtvermögens, während sich die unteren 50 % mit 5 % begnügen müssen.

Außerdem verabschieden sich die ökonomischen Eliten immer mehr von ihrer gesellschaftlichen Verantwortung. Zum Ende der Adenauer-Gesellschaft betrug der Anteil der Gewinnsteuern am steuerlichen Gesamtaufkommen noch mehr als ein Drittel; zurzeit liegt er bei knapp 15 %.

Armut, meine Damen und Herren, ist weit mehr als ein Mangel an Einkommen. Die reinen Zahlen des Einkommens täuschen beinahe über das eigentliche Problem hinweg. Denn bei der Betrachtung der tatsächlichen Lebenslagen armer Menschen zeigt sich eine Unterversorgung in den unterschiedlichsten Bereichen wie z. B. Wohnen, Bildung, Gesundheit oder Kultur. Im Kern geht es um die ungleiche Verteilung von Chancen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.