Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Herausforderungen des demografischen Wandels sind von der Vorsitzenden der Kommission, Frau Stief-Kreihe, ausführlich dargestellt worden. Dem „weniger, älter, internationaler, vereinzelter“ ist aber noch hinzuzufügen, dass quer durch alle Altersgruppen Armut wieder zunehmen wird - eine wichtige Feststellung der Kommission, die von den Regierungsfraktionen nur nach deutlichem Drängen auch der Sachverständigen akzeptiert wurde.
Für Niedersachsen ergibt sich noch eine weitere wichtige Herausforderung: die Entwicklung unserer Regionen. Sie ist dramatisch unterschiedlich, klafft weit auseinander. Wir reden hier von 30 Prozentpunkten Unterschied bis 2020. Das bedeutet, die Gleichwertigkeit - wohlgemerkt: nicht die Gleichheit, sondern die Gleichwertigkeit - der Lebensverhältnisse wird immer schwerer zu gewährleisten sein.
Ich werde mich daher in meinem Redebeitrag darauf beschränken, einen Teil der Forderungen meiner Fraktion zu benennen und deutlich zu machen, dass diese Landesregierung mit der Politik, die sie diesem Land seit mehr als vier Jahren antut,
genau das Gegenteil von dem macht, was vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung notwendig ist.
Meine Damen und Herren, es gibt Stimmen, die sagen, die Erkenntnisse der Kommission seien nicht neu.
Die Fraktion der Grünen drückt es drastischer aus, indem sie sagten, dass es zwei verlorene Jahre gewesen seien. Die Regierungsfraktionen - das haben wir eben gehört - sehen sich auf dem besten Weg und haben die Weichen angeblich schon richtig gestellt.
- Ja. Freuen Sie sich mal, Herr Althusmann. Wenn dies so wäre, dann hätten wir uns die Kommission sparen können.
Erstens halten wir die Arbeit der Kommission für wichtig. Der Analyseteil enthält eine sehr umfangreiche und detaillierte Bestandsaufnahme von vielen Politikfeldern, die wir ohne diese Kommission in dieser Bündelung nicht bekommen hätten.
Zweitens konnte durch die Beteiligung von über 90 externen Institutionen, Sachverständigen, Experten und Interessenvertretungen, Kommunen und Kirchen ein breites Meinungsspektrum zur Thematik des demografischen Wandels zusammengetragen werden. Das ist für dieses Parlament auch eine gute Hilfe bei der Diskussion dieser Zukunftsaufgabe.
Ich möchte mich daher, auch im Namen meiner Fraktion, bei all diesen Institutionen und Experten, bei den Sachverständigen der Kommission, dem Niedersächsischen Landesamt für Statistik, der Landtagsverwaltung mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Kommission - ich erwähne hier ausdrücklich: Frau Kammeier, Herrn Dr. Fuchs, Frau Roth und Herrn Rasche - sowie dem Stenografischen Dienst und nicht zuletzt den Referenten der Fraktionen bedanken.
Sie alle haben viel Geduld gezeigt und durch ihre Arbeit - oft abends und auch am Wochenende einen wichtigen Beitrag zu diesem Bericht geleistet. Diese Geduld war auch nötig. Während insbesondere die externen Experten die Herausforderung durch den demografischen Wandel im Blick hatten, ging es den Mehrheitsfraktionen - den Regierungsfraktionen, muss ich hier ja sagen - zuallererst um das Beschönigen, Relativieren und Negieren.
(Beifall bei der SPD - Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Das ist doch Quatsch! - Zurufe von der CDU: Was? - Das ha- ben wir doch gar nicht nötig!)
Konkret bedeutet dies: Weichspülgang als Programm und Ziel. Offensichtliche Probleme wurden, wenn sie überhaupt angesprochen wurden, zu Herausforderungen oder Bedarfen; Zahlen wurden zum Teil beschönigt, und Schwächen des Landes wurden zu möglichen Stärken umdefiniert.
Lag Niedersachsen in einer Grafik am Ende der Skala, wie z. B. beim Wanderungssaldo der Studenten, wurde einfach eine andere inhaltliche Aussage wie z. B. die Quote gewählt, und dann lag man eben nicht mehr ganz am Ende.
Drunter und drüber ging es bei der Analyse im Bildungsbereich. Da waren die Zahlen des eigenen Statistischen Landesamtes einfach so schlecht, dass sie nicht mehr beschönigt werden konnten. Dann hat das MK einfach mehrere Wochen selbst gerechnet und eine eigene Statistik erstellt. Dabei sind dann mal eben 7 000 Schülerinnen und Schüler in dem Übergangssystem der beruflichen Bildung verschwunden.
Wohin, konnte nicht erläutert werden. Aber genau das ist der Stil, wie in diesem Land derzeit Politik gemacht wird.
Noch schlimmer ist allerdings, dass selbst diese schöngerechneten Zahlen eigentlich immer noch grottenschlecht sind. Auch bei der Betreuung der unter Dreijährigen ergab sich ein trauriges Bild.
In der Realität sind in Niedersachsen aber nur rund 2 % der Kinder unter drei Jahren in reinen Krippen untergebracht. Der Rest entfällt auf verschiedene Sonderformen und die Tagespflege.
(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Sind Tagesmütter schlechter als Krippen, Frau Kollegin? - Dr. Philipp Rösler [FDP]: Wie kann man nur so spießig sein!)
Bei der geriatrischen Versorgung hat man sich gar geweigert, die Forderungen des Verbandes geriatrischer Einrichtungen in den Bericht mit aufzunehmen, und behauptet, wir hätten ausreichend Kapazitäten in diesem Bereich. Genau das Gegenteil ist der Fall: Mindestens 4 000 Betten fehlen in Niedersachsen. Wenn es eine harte Herausforderung in diesem Bereich gibt, dann ist es die Situation der Altenpflege oder der Versorgung der älteren Menschen. Die Aufnahme der entsprechenden Zahlen haben Sie jedoch verweigert.
Meine Damen und Herren, wer nicht sauber analysiert oder analysieren will, der kann auch schlecht die richtigen Schlüsse ziehen.
Auch die Formulierung von Empfehlungen war von dem Ziel getragen, vor allen Dingen aktuelle Programme der Landesregierung unterzubringen. Die auch seitens aller externen Experten angemahnte Schwerpunktsetzung und integrierte Betrachtungsweise wurden abgelehnt.
Zu den Empfehlungen für den Hochschulbereich haben die Mehrheitsfraktionen eine Diskussion gar vollständig verweigert.
Aus diesem Grund waren wir gezwungen, unsere Vorstellungen in einem eigenen Votum darzustellen. Anders war eine aus unserer Sicht notwendige integrierte, ressortübergreifende Sichtweise nicht darstellbar.
Dass es bei einem schlüssigen und umfassenden Votum zu den künftigen Herausforderungen zwangsläufig inhaltliche Übereinstimmungen auch bei den Zielen gibt, ist logisch; denn unsere Kritik bezieht sich nicht auf die allgemeinen Ziele, sondern auf die Wege der Umsetzung. Damit sind wir bei der entscheidenden Frage: Was ist wichtig für die Zukunft? Welches sind die richtigen Instrumente, um die gesteckten Ziele zu erreichen?
Der zentrale Ansatzpunkt für die Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Landes ist die Bildung. Die einzige Zukunftsperspektive für unser Land in einer globalisierten Welt sind Innovationen. Grundvoraussetzung dafür sind Investitionen in die Köpfe der Menschen. In Zeiten steigender Konjunktur merken wir es schon jetzt: Fachkräfte werden rar. Die Diskussion um das Sicherstellen ausreichend qualifizierter Menschen nimmt zu, auch in diesen Tagen. Der Wettbewerb um Arbeitskräfte wird sich aufgrund der demografischen Entwicklung noch verschärfen. Deswegen müssen wir jetzt ausreichend bilden und qualifizieren. 10 % Schulabgänger ohne Abschluss - das geht einfach nicht mehr.
Bildung ist aber nicht nur dazu da, das Arbeitskräftepotenzial für die Wirtschaft sicherzustellen; Bildung ist vor allen Dingen wichtig für jede Einzelne und jeden Einzelnen, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können und nicht ausgegrenzt zu werden. Bildung ist wichtig für eine eigenständige Lebensführung, für einen intensiven Umgang mit Prävention und damit auch für die eigene Vorsorge vor Krankheiten, gerade in Zeiten, in denen wir immer länger leben.
Für eine weiterhin gute wirtschaftliche Entwicklung müssen wir die Potenziale aller Menschen besser nutzen. Dazu gehört, dass wir es Frauen, Migranten, aber auch älteren Menschen besser ermöglichen, ihre Potenziale am Arbeitsmarkt einzubringen. Dazu gehört eine echte - ich betone: echte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die sowohl die Betreuungssituation von Familien mit Kindern im Blick hat, aber auch die Situation von Menschen, die Familienangehörige pflegen. Dazu gehört vor allen Dingen, dass der Familienbegriff auch die Formen von Familie umfasst, die es heute in der Realität gibt. Wir müssen auch die Benachteiligung der Familien abbauen, die durch das familienpolitische Wunschraster der CDU fallen. Zu einer besseren Familienpolitik gehört auch, die Unternehmen in eine Verantwortung für die Gesellschaft mit einzubinden und familienorientierte - und nicht nur unternehmensorientierte - Arbeitszeiten festzulegen.