Protokoll der Sitzung vom 13.09.2007

Geburtstag hat heute der Abgeordnete Jens Nacke.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Auch das Präsidium gratuliert ihm ganz herzlich.

Zur Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit der Regierungserklärung. Anschließend setzen wir die Beratungen in der Reihenfolge der Tagesordnung fort. Die Fraktionen sind übereingekommen, den Tagesordnungspunkt 12 im nächsten Tagungsabschnitt, also im Oktober, zu behandeln und den Tagesordnungspunkt 14 lediglich zum Zwecke der Ausschussüberweisung aufzurufen.

Die heutige Sitzung soll gegen 18.10 Uhr enden.

An die rechtzeitige Rückgabe der Reden an den Stenografischen Dienst - bis spätestens morgen Mittag, 12 Uhr - wird hiermit erinnert.

Es folgen geschäftliche Mitteilungen durch die Schriftführerin Frau Zachow.

Guten Morgen, meine Damen, meine Herren! Es haben sich für heute entschuldigt von der Landesregierung der Minister für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Herr Ehlen, und der Finanzminister, Herr Möllring, von der Fraktion der CDU Frau Klopp und Herr Dr. Brockstedt und von der Fraktion der SPD Frau Krämer und Herr Wolfkühler.

Vielen Dank. - Ich rufe auf

Zusätzlicher Tagesordnungspunkt: Abgabe einer Regierungserklärung zum Thema „Islamistischer Terrorismus“ - Unterrichtung - Drs. 15/4055

Dazu erteile ich Herrn Minister Schünemann das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Festnahme der drei Terrorverdächtigen am 4. September im nordrhein-westfälischen Sauerland und der Ernst der Sicherheitslage in Deutschland machen aus Sicht der Landesregierung eine Regierungserklärung unausweichlich. Die Bürgerinnen und Bürger Niedersachsens haben ein Recht darauf zu erfahren, mit welcher terroristischen Bedrohung wir es zu tun haben und wie diese Landesregierung zu handeln gedenkt.

Meine Damen und Herren, spätestens seit Dienstag letzter Woche ist überdeutlich geworden: Die Bedrohung Deutschlands durch den islamistischen Terrorismus ist unmittelbar und gegenwärtig, und sie besteht in einem Ausmaß, vor dem wir alle nur erschrecken können. Wie wir wissen, hatten die letzte Woche verhafteten Terrorverdächtigen die Absicht, mittels mehrerer Sprengstoffanschläge möglichst viele Menschen zu töten oder zu verletzen. Hierzu hatten sie sich Material für die Herstellung von Sprengsätzen besorgt, die in ihrer Wirkung die bei den Anschlägen von Madrid und London benutzten Bomben bei Weitem übertroffen hätten. Erinnern wir uns: Allein bei den Anschlägen in Madrid im März 2004 gab es 190 Tote und über 1 000 Verletzte - erschreckende Zahlen, die wir allzu leicht verdrängen.

An der mörderischen Entschlossenheit der Terrorverdächtigen, die letzte Woche festgenommen wurden, können keine Zweifel bestehen. Sie hatten ihren Anschlagsbefehl aus dem Ausland bereits bekommen und waren bereit loszuschlagen. Obwohl sie spürten, dass sie in das Visier unserer Sicherheitsbehörden gerieten, brachen sie ihre Aktivitäten nicht ab, sondern setzten die Anschlagsvorbereitungen mit Hochdruck fort. Sie wollten hier bei uns in Deutschland ein Fanal des Terrors setzen - und das um jeden Preis.

Meine Damen und Herren, wir haben es der vorbildlichen Zusammenarbeit und hohen Professionalität deutscher Sicherheitsbehörden zu verdan

ken, dass diese verblendeten Fanatiker ihr verbrecherisches Werk nicht vollenden konnten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Viele Menschen bei uns in Deutschland haben den Verfassungsschutz- und Polizeibehörden des Bundes und der Länder ihr Leben zu verdanken. Die Frauen und Männer, die für unsere Sicherheit verantwortlich sind, handeln professionell, gesetzestreu und mit Umsicht und Augenmaß. Sie schützen unser aller Freiheit und die Fundamente des Rechtsstaates, indem sie Terroranschläge und den massenhaften Mord an wehrlosen Menschen vereitelt haben.

Die durchgeführten Maßnahmen haben allen eingesetzten Beamtinnen und Beamten höchsten Einsatz unter sehr schwierigen Bedingungen abgefordert. Und ich bin stolz darauf, dass Kräfte auch aus Niedersachsen zu diesem wichtigen Schlag gegen den Terrorismus aktiv beigetragen haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich glaube, ich spreche auch im Namen aller hier Anwesenden, wenn ich sage: Wir danken ihnen allen für ihren unermüdlichen Einsatz und ihre professionelle Arbeit. Herzlichen Dank für diese hervorragende Arbeit!

(Beifall bei allen Fraktionen)

Eines bleibt auch festzustellen: Die Sicherheitsarchitektur in unserem Lande stimmt, die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern ist in Ordnung.

Meine Damen und Herren, trotz des herausragenden Ermittlungserfolgs ist die Gefahr keineswegs gebannt. Zwar konnten mit der Festnahme der drei Beschuldigten am 4. September deren konkrete Anschlagspläne unterbunden werden. Aber nach allem, was wir wissen, gehören sie zu einem größeren Netzwerk islamistischer Gotteskrieger, die von Zentralasien und Pakistan aus gesteuert werden. Wir müssen also davon ausgehen, dass andere Personen rekrutiert werden oder schon bereitstehen, die Deutschland zum Schauplatz eines blutigen Anschlags machen wollen.

Deswegen sage ich allen hier im Hause mit allem Ernst: Wir können uns einen Parteienstreit auf Kosten der Sicherheit nicht leisten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Eine aufrichtige und ehrliche Sicherheitsdebatte, die dem Ausmaß der Bedrohung gerecht wird, ist überfällig. Wir stehen im Fadenkreuz gewaltbereiter Islamisten und müssen deswegen alles tun, um ihre Strukturen rechtzeitig zu erkennen und möglichst vollständig aufzuklären.

(Zustimmung bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wir wissen, die jetzt festgenommenen Täter verfügten über Kontakte nach Niedersachsen und besorgten sich hier auch die wesentlichen Materialien zum Bau der Sprengsätze. Wir hatten bundesweit 41 Durchsuchungen, davon eine in Wolfsburg. Es gibt weitere deutliche Belege dafür, dass islamistische Extremisten in Niedersachsen aktiv sind. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die Festnahme eines irakischen Staatsangehörigen im Oktober 2006 in Georgsmarienhütte wegen des dringenden Verdachts der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung.

Meine Damen und Herren, es gilt auch nach den Erkenntnissen, die uns jetzt vorliegen: Niedersachsen ist kein Schwerpunktland islamistischen Extremismus. Aber es ist genauso richtig, dass wir auch Gefährder hier in unserem Land haben und dass es Personen gibt, die durchaus lockere oder auch intensive Kontakte zur islamistischen Szene pflegen. Deshalb ist es unabdingbar, dass wir wachsam bleiben, Aktivitäten islamistischer Extremisten aufklären und - wo immer möglich - mit allen rechtsstaatlich zu Gebote stehenden Mitteln konsequent unterbinden.

(Beifall bei der CDU)

Die Niedersächsische Landesregierung hat in der Vergangenheit immer wieder auf die realen Gefahren der terroristischen Bedrohung hingewiesen und die Sicherheitsbehörden in ihrer schwierigen Aufgabe nach Kräften unterstützt. Beispielhaft möchte ich in Erinnerung rufen: Wir haben das Personal für den Kampf gegen islamistische Extremisten und Terroristen aufgestockt - im Bereich Staatsschutz beim Landeskriminalamt und der PD Hannover um 31 Beamte, im Bereich Verfassungsschutz um insgesamt 22 Stellen. Es war richtig und wichtig, dass wir beim Landeskriminalamt rechtzeitig eine Islamwissenschaftlerin eingesetzt haben. Ich sage es klar: Hätten wir diese Aufstockung nicht vorgenommen, wäre es erheblich schwieriger gewesen, den niedersächsischen Part bei der Aufklärung dieser Fälle erfolgreich

durchzuführen. Deshalb ist es auch völlig klar, dass wir diese Bereiche in der Zukunft lageangemessen weiter verstärken. Insbesondere werden wir beim Verfassungsschutz zehn zusätzliche Stellen im Bereich ausländischer Extremismus zur Verfügung stellen müssen, und wir werden diese einrichten.

Meine Damen und Herren, wir haben ein Gemeinsames Informations- und Analysezentrum von Polizei und Verfassungsschutz eingerichtet, das die Informationsbündelung und -auswertung im Antiterrorkampf erheblich optimiert. Wir haben die operative Schlagkraft unserer Sicherheitsbehörden durch Strukturreformen im Bereich Polizei und Verfassungsschutz erhöht. Niedersachsen hat sich konsequent und letztlich erfolgreich für die Realisierung der Antiterrordatei im Bund eingesetzt.

Trotz knapper Kassen hat sich die Landesregierung den drängenden Herausforderungen auf dem Gebiet der inneren Sicherheit jederzeit gestellt und die erforderlichen Maßnahmen umgesetzt. Wir werden weiterhin alles dafür tun, dass unsere Sicherheitsbehörden für einen effektiven Antiterrorkampf personell und technisch gewappnet sind. Es ist völlig selbstverständlich, dass wir die mobilen Einsatzkommandos so ausstatten, dass sie auch in Zukunft die Observation terrorverdächtiger Zielpersonen optimal bewältigen können. Wir werden auch weiterhin gezielt in moderne Operativ- und Kommunikationstechnik sowie Spezialsoftware wie z. B. rs-Case investieren. Denn nur so können unsere Sicherheitsbehörden die konspirativen Strukturen militanter Islamisten wirksam aufdecken.

Das sind nur einige, aber ganz entscheidende Schwerpunktbereiche. Für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger notwendige finanzielle Mittel wird diese Landesregierung zu jeder Zeit bereitstellen. Darauf können sich Polizei und Verfassungsschutz in Niedersachsen verlassen; daran kann es gar keinen Zweifel geben.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP)

Meine Damen und Herren, vielfach waren in der Vergangenheit politische Widerstände zu überwinden und Kraft in Überzeugungsarbeit zu investieren, um Skeptiker von der Notwendigkeit konsequenter staatlicher Reaktionen auf die terroristische Bedrohung zu überzeugen. Denken Sie nur an die jahrelang verschleppte Einrichtung der ge

meinsamen Antiterrordatei! Erst nach den knapp gescheiterten Kofferbombenanschlägen auf die Nahverkehrszüge nach Koblenz und Dortmund im Sommer letzten Jahres konnten die letzten politischen Barrieren gegen dieses zentrale Informationsinstrument überwunden werden. Gerade mit Blick auf fanatisierte Konvertiten, die uns in den aktuellen Ermittlungen beschäftigen, zeigt sich jetzt: Die von uns immer gewollte, aber lange Zeit blockierte Aufnahme der Religionszugehörigkeit oder auch eines Freitextfeldes in die Antiterrordatei ist richtig und notwendig, um weitreichende Aufschlüsse über islamistische Strukturen und Akteure zu erlangen.

Meine Damen und Herren, natürlich will ich auch etwas zu der Diskussion um eine zentrale Konvertitendatei sagen. Sie ist erstens rechtlich nicht machbar, zweitens aber auch nicht notwendig. Es war jedoch richtig, dass wir dafür gesorgt haben, dass wir jetzt die Konvertiten, die sich im islamistischen Umfeld aufhalten, mit in die Antiterrordatei aufnehmen können und dass dann wirklich alle Sicherheitsbehörden ein besonderes Augenmerk auf diejenigen legen können, die auffällig geworden sind und die unsere Sicherheit bedrohen. Das war richtig und wichtig. Ich bin froh, dass wir uns in diesem Punkt durchgesetzt haben.

(Beifall bei der CDU)

Ich sage Ihnen auch: Es kann in Anbetracht der jüngsten Ereignisse nicht darum gehen, hier nur eine Leistungsbilanz der Landesregierung vorzulegen. Das ist nicht der Punkt. Die Dramatik der Ereignisse, der Ernst und die fortdauernde terroristische Bedrohung lassen uns keine Zeit, in der Zufriedenheit über erreichte Erfolge zu verharren. Hier und heute muss es daher um die Antwort auf die Frage gehen: Wie können wir zukünftig noch besser, noch wirksamer der andauernden terroristischen Gefahr in Niedersachsen und in Deutschland begegnen?

Meine Damen und Herren, wir haben es aufseiten der islamistischen Terroristen und ihrer Unterstützer mit Gotteskriegern zu tun, die zu allem entschlossen sind. Diese Dschihadisten hassen uns nicht für das, was wir tun, sondern für das, was wir sind. Sie nehmen bei der Durchsetzung ihres menschenverachtenden Weltbildes nicht nur die Tötung Unschuldiger in Kauf, sondern es kommt ihnen gerade auf möglichst viele Opfer an. Die Unbestimmbarkeit und scheinbare Beliebigkeit der Zielauswahl sind dabei kaltes Kalkül, steigern die

Terroristen damit doch die Angst und die Verunsicherung in der Bevölkerung. Nicht herausgehobene Repräsentanten der ihnen verhassten Gesellschaft sind Ziel ihrer Gewalttaten, sondern jedes einzelne Mitglied selbst. Das ist Massenmord quasi als Kommunikationsstrategie, als zynische Zurschaustellung der Verwundbarkeit einer demokratischen Gesellschaft und der hier lebenden Menschen. Die scheinbare Wahllosigkeit und die Unbestimmbarkeit der Anschlagsorte erschweren darüber hinaus effektive Schutzmaßnahmen.

Die gewählten Tatmittel sind, wie uns auch das jüngste Beispiel wieder zeigt, in einer freien und offenen Gesellschaft leicht zu erlangen. Erforderliche Kenntnisse werden im Ausbildungslager oder - in einem immer größeren Umfeld - im Internet vermittelt. Per Mausklick werden alle Fertigkeiten zum Bombenbau und zu Erfolg versprechenden terroristischen Vorgehensstrategien erworben, die notwendigen Materialien eingekauft und die weltweite Kommunikation zu Mittätern und Unterstützern aufrechterhalten, ohne die eigenen vier Wände verlassen zu müssen und sich einer ernst zu nehmenden Entdeckungsgefahr auszusetzen. Das Internet mutiert gleichsam zu einer virtuellen Schule des Terrors. Auf diese Bedrohungsdynamik durch neue Technologien muss der wehrhafte Rechtsstaat reagieren. Es darf keinen geschützten Kommunikationsraum für Terroristen in unserem Land geben. Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Viele einschlägige Ermittlungen der jüngeren Vergangenheit, auch und gerade im Zusammenhang mit den jüngst vereitelten Anschlägen sowie im Fall von Georgsmarienhütte, haben in aller Deutlichkeit die Schlüsselrelevanz des Internets für die Tatvorbereitungen und die Täterkommunikation belegt. Die Fachleute sind sich einig: Hier liegt ein unverzichtbarer Ansatzpunkt für unsere Sicherheitsbehörden. Die Aufklärung und Enttarnung der Täterkommunikation ist von ganz zentraler Bedeutung in dem Bemühen, Anschläge terroristischer Gewalttäter zu verhindern.

Aus dieser Tatsache erklären sich unsere Forderungen nach effektiven Aufklärungsinstrumenten. Dies sind - nahe liegend - insbesondere die aktuell diskutierte Onlinedurchsuchung von Computern und auch die präventive Telekommunikationsüberwachung bei Terrorverdächtigen. Die schnelle Bereitstellung der rechtlichen Befugnisse und der

entsprechenden technischen Ausstattung sind aus meiner Sicht alternativlos. Wer glaubt, diese notwendigen Aufklärungsinstrumente durch andere ersetzen zu können, befindet sich auf einem Irrweg. Verstärkungen von Observations- und Ermittlungseinheiten sind fraglos wichtig. Das Eindringen in die Täterkommunikation ermöglichen sie indes nicht. Im Vergleich zu den genannten Aufklärungsmaßnahmen sind sie ungleich aufwändiger, ohne qualitativ annähernd vergleichbare Ergebnisse bringen zu können.

Darüber hinaus müssen wir uns sehr schnell und sehr intensiv mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit die dynamische Entwicklung der modernen Kommunikationstechnologien Anpassungen der Sicherheitsbehörden in rechtlicher, technischer, personeller, finanzieller und organisatorischer Hinsicht erfordert. Denken Sie in diesem Zusammenhang beispielsweise an die Möglichkeit, Telefonate über Voice over IP zu betreiben, schwer aufschlüsselbare Kryptierungssoftware einzusetzen oder Datenströme über weltweit verteilte Anonymisierungsserver zu leiten! Unsere Aufklärungsmaßnahmen müssen mit dieser Dynamik Schritt halten, ja sie nach Möglichkeit antizipieren. Mit eben diesen Möglichkeiten und den hieraus folgenden strategischen Anpassungserfordernissen beschäftigt sich zurzeit eine hochrangige Expertengruppe auf Bund-Länder-Ebene unter der Federführung Niedersachsens. Präsident Bruns wird zur Innenministerkonferenz im Herbst die Ergebnisse vorlegen.

Meine Damen und Herren, umso bedauerlicher ist es, dass am vergangenen Freitag eine gemeinsame Position der Innenministerkonferenz in zentralen Fragen des Antiterrorkampfes gescheitert ist. Das habe ich, gerade wenn wir in einer schwierigen Situation sind, zum ersten Mal in der Innenministerkonferenz erlebt.