Protokoll der Sitzung vom 14.11.2007

„Hier entsteht der Eindruck, dass der vorliegende Text mit allen seinen Lücken lediglich verfasst wurde, um erst einmal Ruhe vor den berechtigten Forderungen von Menschen mit Behinderung zu haben.“

Der vorgelegte Entwurf wurde von den Verbänden als sozialpolitische Bankrotterklärung der Landesregierung bezeichnet. Frau Mundlos, das ist ein bisschen etwas anderes als das, was Sie hier gerade vorgetragen haben.

(Beifall bei der SPD)

Wie schon beim Nichtraucherschutz und beim Blindengeld musste Herr Wulff eine Kehrtwendung vollziehen, nachdem der ursprüngliche Entwurf bei allen Verbänden auf massive Ablehnung gestoßen war.

(Die Beleuchtung im Plenarsaal geht wieder an)

- So ist das mit dem Schattenmann. Jetzt geht das Licht wieder an, sehen Sie!

(Herrn Bernd Althusmann [CDU]: Aber jetzt werfen Sie keinen Schatten mehr!)

Nachdem die Landesregierung nach vier Jahren voller Ausflüchte und Vertröstungen einen inhaltsleeren Gesetzentwurf vorgelegt hatte, musste Herr Wulff diesen Gesetzentwurf selbst wieder einkassieren. Es ist offensichtlich, dass die erneute WulffWende ausschließlich opportunistischen und wahltaktischen Gründen geschuldet ist und nicht etwa inhaltlich neuen Überzeugungen. Meine Damen und Herren, Sie haben, um es deutlich zu sagen, schlicht Muffe vor der durchaus bekannten Kampagnefähigkeit der behinderten Menschen be

kommen, die Sie beim Blindengeld erlebt haben.

Ich finde, das war auch gut so, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Der heute hier vorliegende Gesetzentwurf ist daher in erster Linie nicht ein Verdienst der Landesregierung, sondern ein Erfolg des Bündnisses von behinderten Menschen, die Sie bereits beim Blindengeld erfolgreich in die Knie gezwungen haben. Ich sage Ihnen: Wir gratulieren diesen behinderten Menschen für ihren intensiven Einsatz zur Durchsetzung ihrer eigenen Rechte.

(Beifall bei der SPD)

Wir sollten uns auch nicht täuschen lassen. Ohne die bevorstehende Landtagswahl hätten Sie den Gesetzentwurf weiter ausgesessen.

Das ist übrigens - darauf hat meine Kollegin schon hingewiesen - auch ein Erfolg beharrlicher Oppositionsarbeit. Wir können im Übrigen gut damit leben, dass Sie zur Grundlage Ihres neuen Gesetzentwurfes den Gesetzentwurf der SPD-Landtagsfraktion gemacht haben; das ist uns nämlich

durchaus aufgefallen, meine Damen und Herren. So schlecht kann dieser Entwurf nicht gewesen sein. Das hätten Sie nur viel früher haben können, dann hätten Sie nicht fünf Jahre warten müssen.

(Beifall bei der SPD)

Zwischenzeitlich sind in der Tat fünf Jahre ins Land gegangen. Wäre der Gesetzentwurf damals verabschiedet worden, wäre Niedersachsen Vorreiter gewesen. Bei Ihnen hingegen ist Niedersachsen zum Schlusslicht in der Behindertenpolitik bundesweit geworden.

(Christina Philipps [CDU]: Das ist gar nicht wahr!)

- Das sind Sie auch noch nach Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes. Dazu haben Sie da zu viel angerichtet. Ich will hier nicht auf alles eingehen. Aber wir können gerne über Nullrunden und das Thema Heilerziehung reden. Sie haben in der Behindertenpolitik wirklich verbrannte Erde hinterlassen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD) - Wilhelm Hogrefe [CDU]: Wer soll Sie eigentlich noch ernst nehmen!)

Mit unseren Änderungsantrag haben wir die im Gesetzentwurf fehlenden Anregungen aus der

Anhörung aufgenommen. Erstens. Wir wollen,

dass die Barrierefreiheit vorrangig vor Denkmalschutzfragen steht.

Zweitens. Wir wollen, dass Beiräte für Menschen mit Behinderungen paritätisch mit Frauen und Männern besetzt werden, und das insbesondere deshalb, weil gerade behinderte Frauen noch zusätzlich besonders benachteiligt sind.

Drittens. Wir wollen das Verbandsklagerecht stärken, und zwar so, dass Verbände behinderte Menschen auch bei individuellen Problemen unterstützen und für sie stellvertretend tätig werden können.

Viertens. Wir wollen den Abschluss von Zielvereinbarungen zwischen den Verbänden, dem Land, den Landkreisen und den Kommunen, um die berechtigten Interessen behinderter Menschen zügig umzusetzen.

Fünftens. Wir wollen eine klare Regelung für die Finanzierung der Umsetzung des Gesetzes über den kommunalen Finanzausgleich. Ihre im Gesetz enthaltenen Begrenzungen auf 1,5 Millionen Euro sind eine Mogelpackung. Das wissen Sie auch, meine Damen und Herren. Der Finanzminister hatte schon vor Jahren die Auswirkungen des Gesetzes mit einem fast dreistelligen Millionenbetrag beziffert. Sie versuchen auch hier nur, Ruhe bis zur Landtagswahl zu haben, und danach kommt die wirkliche Rechnung auf den Tisch. Ich bin gespannt, wie Sie es dann mit der Konnexität halten, meine Damen und Herren.

(Zuruf von Heidemarie Mundlos [CDU])

- Doch, es steht drin, und es steht jetzt auch in unserem Änderungsantrag. Frau Mundlos, lesen müssen Sie es allein.

(Heidemarie Mundlos [CDU]: In dem Entwurf, den Sie 2002 vorgelegt ha- ben, stand das nicht drin!)

- Auch da steht etwas drin. Ich lese es Ihnen in der Pause vor.

Sechstens. Wir wollen eine nicht nur einmalige Überprüfung des Gesetzes, sondern wir wollen alle fünf Jahre prüfen, ob das Gesetz angepasst werden muss, um seine Wirkung für behinderte Menschen zu entfalten.

Siebentens. Wir wollen eine klare Verpflichtung der Straßenbaulastträger, dass bei der Gestaltung von Straßen und Gehwegen den Bedürfnissen von Behinderten einschließlich sehbehinderter Menschen, älterer Menschen und Menschen mit kleinen Kindern Rechnung getragen wird. Deutschland ist an dieser Stelle wirklich Entwicklungsland. Das muss endlich beendet werden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Achtens. Wir wollen, dass hörbehinderte und gehörlose Eltern von nicht behinderten Kindern zur Wahrnehmung ihrer Elternrechte in Kindertagesstätten und im schulischen Bereich einen Rechtsanspruch auf den Einsatz der Gebärdensprache haben. Das sind wir den Eltern und auch den Kindern schuldig.

Im Interesse der behinderten Menschen ist es wichtig, dass der rechtlose Zustand in Niedersachsen als letztem Bundesland heute in der Tat beendet wird. Die Vorgeschichte sollte es ermöglichen, dass wir heute einen Gesetzentwurf auf der Höhe der Zeit verabschieden. Insofern dürften Sie eigentlich keine Probleme haben, den Punkten, die ich hier vorgetragen habe und die alle aus der Anhörung stammen, zuzustimmen. Dann hätte Niedersachsen in der Tat ein deutlicher in die Zukunft weisendes Gesetz, als es gegebenenfalls heute verabschiedet wird.

Sollten Sie sich dem verweigern, werden wir diesen Gesetzentwurf nach der Landtagswahl erneut einbringen. Aber es wird Sie überraschen, meine Damen und Herren: Falls Sie sich dem verweigern, werden wir dem heute ergänzten Gesetzentwurf, der jetzt mit den beiden Änderungen auf dem Tisch liegt, zustimmen, weil wir es natürlich nicht zulassen, dass Sie glauben, unseren Gesetzentwurf, den Sie klammheimlich übernommen haben, als Ihre Meriten einfahren zu können. Wir hätten uns etwas Besseres gewünscht für die Behinderten. Das liegt auf dem Tisch. Sollten Sie nicht bereit sein, dem zuzustimmen, werden wir das

Rumpfgesetz jedenfalls erst einmal mittragen, um es später nachzubessern.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Kollege Schwarz. - Für die FDP-Fraktion hat Frau Kollegin Meißner das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schwarz, das war zwar ein netter Versuch. Aber in vielen Punkten kann man das, was Sie gesagt haben, locker widerlegen. Würde diese Landesregierung nämlich tatsächlich keine Politik für Menschen mit Behinderungen machen, warum haben wir dann z. B. bei der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf eine so breite Zustimmung bekommen?

(Zustimmung bei der CDU)

Sie haben gesagt, es gebe keine partnerschaftliche Sozialpolitik. Aber allein schon die Anhörung zeigt ebenso wie die letzten Gespräche, die wir mit Behindertenverbänden beispielsweise über das

Persönliche Budget oder über die Eingliederungshilfe geführt haben, eine breite Zustimmung der Verbände. Sie wissen, dass wir auf sie achten, auf sie eingehen und sie berücksichtigen. Unter anderem weil wir intensiv beraten haben, auch im Austausch mit den Verbänden, hat es bis zur Einbringung des Gesetzentwurfes so lange gedauert.

(Zustimmung bei der CDU)

Sie haben den vorherigen Entwurf kritisiert. Das ist richtig. Der vorherige Entwurf war nicht gut, und deshalb haben wir ihn zurückgezogen und durch diesen wirklich guten Entwurf ersetzt, der heute von uns verabschiedet werden soll.

Zu Ihren Kritikpunkten: Sie haben gesagt, wenn das Gesetz schon 2002 gekommen wäre, wären wir Vorreiter gewesen. Warum haben Sie es denn damals nicht gemacht?

(Uwe Schwarz [SPD]: Weil Sie es verhindert haben!)

Wenn man genau weiß, dass Anfang Februar Landtagswahlen sind, kann man doch nicht wirklich glauben, dass man einen Gesetzentwurf, den man im Dezember einbringt, noch verabschieden kann. Man kann man doch nicht wirklich glauben - das wissen Sie; Sie sind doch parlamentarisch erfahren –, dass es noch klappt, dieses Gesetz vor der Wahl zu verabschieden. Das war wirklich halbherzig.

(Zustimmung bei der CDU)