Protokoll der Sitzung vom 15.11.2007

Meine Damen und Herren, ich könnte Ihnen zu unserem Hochschulgesetz, zur Hochschulzulassung und zur Autonomie vieles sagen. Ich will das heute nicht tun; denn eigentlich müssten Sie alles wissen.

Meine Damen und Herren, Lichtenberg hat einmal einen ganz schlichten Satz gesagt, den man ihm gar nicht zutraut: „Was hilft der schönste Sonnenaufgang, wenn wir nicht aufstehen.“ - Stehen Sie endlich auf!

(Starker Beifall bei der CDU und bei der FDP - David McAllister [CDU]: Sehr gut!)

Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses - sie lautet auf Ablehnung - zustimmen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das Erste war die Mehrheit.

Ich rufe jetzt auf

Tagesordnungspunkt 23: Zweite Beratung: Verbrechen des DDR-Unrechtsregimes

wissenschaftlich aufarbeiten - Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP

Drs. 15/4022 Beschlussempfehlung des

Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien - Drs. 15/4199

Die Beschlussempfehlung lautet auf Annahme in geänderter Fassung.

Die Fraktionen sind übereingekommen, über diesen Tagesordnungspunkt ohne Aussprache abzustimmen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen! Damit ist der Beschlussempfehlung einstimmig zugestimmt worden.

Ich rufe nun folgende Punkte vereinbarungsgemäß zusammen auf

Tagesordnungspunkt 24: Einzige (abschließende) Beratung: Briefmonopol bis zur EU-weiten Öffnung des Postmarktes erhalten - fairen Wettbewerb sicherstellen - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/3914 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr - Drs. 15/4200

und

Tagesordnungspunkt 25: Zweite Beratung: Mindestlohn für Briefzusteller ermöglichen - Wulff muss Hirche in die Schranken weisen Antrag der Fraktion der SPD

Drs. 15/4107 Beschlussempfehlung des

Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr - Drs. 15/4201

Die Beschlussempfehlungen zu beiden Anträgen lauten auf Ablehnung.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Wir kommen zur Beratung. Das Wort hat der Kollege Jüttner für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden über zwei sehr aktuelle Anträge. Wir reden über das Thema, wie die Marktwirtschaft in

Deutschland in Zukunft sozial ausgestaltet wird. Der Markt ist eine vortreffliche Veranstaltung. Er kann unheimlich viel. Wie wir alle wissen, kann er auch regeln, wie Postdienstleistungen bewältigt werden. Deshalb ist unter sozialdemokratischer Regierungsverantwortung daran mitgewirkt worden, das Postmonopol in Europa Ende 2007 zu beenden.

In der Zwischenzeit zeigt sich, dass mehrere Länder in Europa aus sehr nationalen Gründen dieses Postmonopol für sich selbst verlängern - bis 2011, hier und da bis 2013. Die Frage ist, wie wir in Deutschland damit umgehen. Sagen wir: „Das ist uns egal. Wir halten daran fest.“? Oder sagen wir: „Das ist eine neue Herausforderung, auf die ganz spezifische Antworten gegeben werden müssen.“? - Wir meinen, Letzteres ist der Fall.

(Zustimmung bei der SPD)

Das heißt in der Konsequenz, meine Damen und Herren: Wir stehen vor der Alternative, entweder das Postmonopol auch in Deutschland zu verlängern - das ist ein Vorschlag, mit dem die SPD in diesem Jahr in die Große Koalition gegangen ist oder, wenn das nicht trägt, wenn es dafür keine Verständigung gibt, auf jeden Fall zu gewährleisten, dass die soziale Flankierung des branchenspezifischen Arbeitsmarktes auf jeden Fall durchgesetzt wird. Das ist unabdingbar, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Worüber reden wir bei Postdienstleistungen? - Es gibt den alten Monopolisten, bei dem solide Löhne und Gehälter bezahlt werden. Daneben gibt es inzwischen eine Reihe von Postdienstleistern. In dieser Branche sind 62 % der Beschäftigten Geringverdiener, meine Damen und Herren. 62 %! Die Postdienstleistungsbranche ist die Branche in Deutschland, die Spitzenreiter bei der Finanzierung schlechter und schlechtester Löhne ist, von Hungerlöhnen, wie wir das nennen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Interessanterweise hat das zuständige Bundesministerium in den letzten Wochen einmal errechnet, wie viel Geld aus dem Bundeshaushalt jährlich ausgegeben wird, um die sogenannte Finanzierung der Aufstocker zu gewährleisten, also diejenigen mit öffentlichen Mitteln zu dotieren, die ganztags erwerbstätig sind, davon aber nicht leben können. Es handelt sich um 1,5 Milliarden Euro, die jedes Jahr aus dem Bundeshaushalt dafür ausgegeben werden. Aufgrund der Tatsache, dass die Postdienstbranche die Spitzenreiterbranche ist, müssen wir davon ausgehen, dass wahrscheinlich knapp 1 Milliarde Euro von diesen Postdienstleistern mal nebenher aus den öffentlichen Haushalten mitkassiert wird. Das ist eine Unverschämtheit, meine Damen und Herren!

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Diese Argumente waren erkennbar überzeugend. Deshalb hat es in der Klausur der Bundesregierung vom 23. bis 24. August einen einstimmigen Beschluss mit folgendem Wortlaut gegeben:

„Im Zusammenhang mit der Liberalisierung der Postmärkte zum 1.1.2008 wird die Branche der Postdienstleistungen in 2007 in das ArbeitnehmerEntsendegesetz aufgenommen, wenn die Tarifpartner einen entsprechenden gemeinsamen Antrag stellen. Dabei geht die Bundesregierung davon aus, dass über 50 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Branche tarifgebunden sind.“

(Zuruf von der CDU: Das ist falsch!)

Das ist der Stand von August 2007.

Anfang September 2007 ist ein Tarifvertrag zwischen dem Arbeitgeberverband und ver.di als der zuständigen Gewerkschaft abgeschlossen worden. Der Antrag ist der Bundesregierung dann auf den Tisch gelegt worden. Die Zusage von Frau Merkel hieß: Wir ändern das Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Wenn ein Antrag kommt, ist es der zuständige Bundesminister, der eine Verfügung betreffend Mindestlohn zum 1. Januar 2008 erlässt.

Alles dies ist eingetreten. Die Tarifvertragsparteien haben etwas auf den Tisch gelegt. Die Bundesregierung hat am 19. September einstimmig beschlossen, den Gesetzentwurf in den parlamentarischen Beratungsbetrieb zu geben. Der Bundesrat hat in erster Lesung zugestimmt.

Jetzt aber kommen die Quertreiber ins Spiel. Es gibt mindestens zwei, wahrscheinlich aber auch nur höchstens zwei größere Unternehmen in der Branche mit jeweils mehreren Tausend Beschäftigten, denen das nicht in den Kram passt. Deren Geschäftsidee ist augenscheinlich nicht: Wir setzen uns über Flexibilität und Qualität gegenüber der Post durch. - Die Geschäftsidee scheint vielmehr zu sein: Wir setzen uns über Lohndumping durch.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wer das Postgesetz von 1998 kennt, das einvernehmlich beschlossen worden ist, um zu gewährleisten, dass sich die Branche solide entwickelt, weiß, dass solchen Firmen nicht einmal die Lizenzen gegeben werden dürften. Das ist die Situation.

Jetzt kommen die beiden erwähnten Unternehmen und einige kleinere Unternehmen und sagen: Mit uns hat überhaupt niemand verhandelt. - Der Geschäftsführer von PIN, Herr Thiel, hat öffentlich erklärt, ver.di weigere sich, einen Haustarifvertrag mit PIN abzuschließen. Daraufhin hat ver.di - meine Damen und Herren, hören Sie gut zu! - im September dieses Jahres eine einstweilige Verfügung erwirkt, in der dem Geschäftsführer von PIN untersagt worden ist, diese Behauptung noch einmal aufzustellen, weil ver.di sehr präzise nachweisen kann, dass man in Tarifverhandlungen mit den anderen Wettbewerbern eingetreten ist, diese

Wettbewerber in den Tarifverhandlungen allerdings auf Zeit gespielt haben und die notwendigen Beratungsunterlagen bis heute nicht bereitgestellt haben. Die Tarifverhandlungen sind nicht abgebrochen worden, sondern sie schweben, wenn man so will. Parallel dazu haben die Tarifvertragsparteien sämtliche Voraussetzungen erfüllt, um nicht nur das Arbeitnehmer-Entsendegesetz zu ändern - das ist Sache des Bundestages und Bundesrates -, sondern auch den Mindestlohn per Verordnung festzulegen. Das ist die Situation in den letzten Wochen gewesen, ehe wir am Montag im Koalitionsausschuss diese dramatische Entwicklung

Nun noch eine Randbemerkung zu Niedersachsen: In Niedersachsen gibt es einen Wirtschaftsminister, der eine ganz klare Linie fährt. Er hält das alles für Unfug. Das ist nicht meine Meinung, aber die Linie des Wirtschaftsministers ist wenigstens klar und deutlich. Dann gibt es einen Ministerpräsidenten, der seinen Wirtschaftsminister öffentlich

korrigiert und erklärt hat, er sei für den Mindestlohn. ver.di war Anfang September nach einer Demonstration im Gästehaus der Landesregierung. Damals hat Herr Wulff noch einmal bestätigt: Ich werde dafür kämpfen, dass der Postdienstbereich unter das Arbeitnehmer-Entsendegesetz fällt. - Am letzten Sonntag wird Herr Wulff in einer Zeitung dahin gehend zitiert, dass er davon ausgeht, dass der Koalitionsausschuss zu diesem Ergebnis kommt. Er hat doch über SMS unheimlich direkte Kontakte zu Frau Merkel. Was war da los? - Entweder hat Herr Wulff im Funkloch gesessen - das kann ja einmal passieren -, oder aber er war wieder Anscheinserwecker, hat ver.di etwas erzählt, aber in Berlin von seiner Meinung gar nichts kundgetan,

(Starker Beifall bei der SPD und Zu- stimmung bei den GRÜNEN)

oder aber - ich bin nicht sicher, ob an dieser Stelle einmal nicht das zweite, sondern das dritte Argument sticht - die Meinung von Herrn Wulff interessiert in Berlin keine Sau; auch das halte ich für möglich; sein Ruf ist dort nämlich dahin.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU - Rosemarie Tinius [SPD]: Hört! Hört!)

- Vielleicht war der Ausdruck „Sau“ unparlamentarisch.