Protokoll der Sitzung vom 12.12.2007

Vollzugslockerungen sind das nächste Stichwort. Vollzugslockerungen sind kein Gnadenerweis. Sie dienen der Resozialisierung und Entlassungsvorbereitung. Sie sind individuell und nicht pauschal nach der Haftlänge zu betrachten. In Ihrer Regierungszeit sind die Lockerungen um ca. 10 % zurückgegangen, was mindestens zwei negative Folgen hatte. Ohne Lockerungen gibt es keine Entlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe. Das bedeutet zugleich höhere Belegungszahlen und höhere Kosten. Strafgefangene werden zudem immer häufiger am Ende der Haftzeit ohne vorherige Erprobung entlassen. Das bedeutet ein Sicherheitsrisiko, das Sie ganz allein zu verantworten haben.

(Beifall bei der SPD)

Als nächstes Stichwort nenne ich das Recht auf Einzelzelle. Hier ist es genauso wie im Jugendvollzug. Am Anfang von § 20 gewähren Sie das Recht auf eine Einzelzelle, am Ende des Paragrafen

schränken Sie es aus fiskalischen Gründen wieder ein. Das ist und bleibt verfassungsrechtlich bedenklich.

(Beifall bei der SPD)

Das fünfte Stichwort ist die Teilprivatisierung des Strafvollzuges. Hinter der scheinbar so harmlosen Überschrift „Beauftragung“ verbirgt sich in § 171 die Teilprivatisierung des Strafvollzugs. Das ist nicht verfassungskonform. Justizvollzug ist der Kernbereich hoheitlicher Aufgaben. Ein Eingriff in die Freiheit steht allein dem Staat zu, der das Gewaltmonopol hat. Eine Änderung dieses Verfassungsgrundsatzes ist mit uns Sozialdemokraten nicht zu machen.

(Beifall bei der SPD)

Die Zusammenarbeit einer JVA mit anderen Organisationen ist in Ordnung, eine Übertragung und Abschiebung von Verantwortung aus Kostengründen aber nicht.

(Zustimmung bei der SPD)

Als sechstes Stichwort sind soziale Hilfen und durchgängige Betreuung zu nennen. Positiv an diesem Gesetz wären die §§ 67 und 68. Eine durchgängige Betreuung bis hin zu einer gewissen Nachsorge bei der Entlassung hilft Rückfälligkeit zu verhindern, schafft also Sicherheit. Instrumente dafür sind vorhanden. Ich nenne hier nur zwei, die Bewährungshilfe und Anlaufstellen für Entlassene. Sie früher mit einzubinden und Netzwerke zu anderen Stellen zu knüpfen ist aber nicht zum Nulltarif zu haben. Bewährungshilfe und Anlaufstellen müssen entsprechend den zusätzlichen Aufgaben besser mit Personal und Finanzmitteln ausgestattet werden. Daran hapert es bei Ihnen aber ganz gewaltig. Solange sich in dieser Hinsicht nichts ändert, bleiben Ihre scheinbar positiven Ansätze reine Gesetzeslyrik und Augenwischerei.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, mir fehlt leider die Zeit für weitere kritische Anmerkungen. Beim U-HaftGesetz betreten wir alle miteinander Neuland. Man muss sehen, wie sich dieses Gesetz bewährt.

Zum Schluss will ich sagen, dass die SPDFraktion, was Sie nicht wundern wird, diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen wird. Frau Ministerin, um mit Ihren Worten zu sprechen: Chancen haben Sie und die Koalitionsfraktionen in den letzten fünf Jahren genug gehabt. Sie haben sie nicht genutzt.

Mitarbeitsbereitschaft war kaum zu erkennen. Deshalb zurück an die Basis und zur Grundversorgung!

(Starker Beifall bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion hat nun der Abgeordnete Dr. Biester das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU-Fraktion ist stolz darauf und zufrieden, heute dieses niedersächsische Vollzugsgesetz zur Abstimmung stellen zu können.

(Beifall bei der CDU)

Dieses Gesetz, liebe Frau Müller, ist kein Machwerk, sondern ein praxistaugliches Gesetz, an dem sehr, sehr viele Praktiker mitgearbeitet haben.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb sind wir auch davon überzeugt, dass sich dieses Gesetz in der Praxis bewähren wird. Unser Dank gilt all denjenigen, die an dem Gesetz mitgearbeitet haben. Da sich die Ministerin nicht selbst loben konnte, als sie den Gesetzentwurf hier in den Landtag eingebracht hat, möchte ich dies an dieser Stelle ausdrücklich tun. Die Ministerin hat sich in dieses Gesetzgebungsvorhaben sehr persönlich mit eingebracht. Das gilt gleichermaßen für die Mitarbeiter des Hauses, des Justizministeriums. Das gilt auch für den GBD und - wie vorhin schon gesagt - auch für die Praktiker. Mein Dank geht insbesondere auch an die FDP-Fraktion. Ich weiß natürlich, dass auf dieser Seite immer wieder einmal geguckt worden ist: Na, kriegen sie das hin? Gibt es da vielleicht Konfliktpotenzial? - Dort, wo wir uns zu unterhalten hatten, haben wir uns in sehr konstruktiver und sachlicher Atmosphäre unterhalten. Frau Peters hat hier ausgeführt, wo die FDP meint, dass sie ihren besonderen Einfluss eingebracht hat. Insgesamt haben wir jetzt ein Gesetz, hinter dem sowohl die FDP als auch die CDU steht, sodass wir das Gesetz heute mit großer Mehrheit verabschieden werden.

(Zustimmung von Jörg Bode [FDP])

Frau Müller, ich weiß nicht genau, wie ich mit Ihrem Redebeitrag umgehen soll. Sie haben sich um den Strafvollzug verdient gemacht. Ihre heutige Rede wird eine Ihrer letzten Reden gewesen sein.

Deshalb habe ich so eine gewisse Beißhemmung. Einige Sachen muss ich aber vielleicht doch noch richtigrücken: Ich scheue überhaupt nicht die politische Auseinandersetzung im Hinblick auf die Frage, wie das Verhältnis zwischen Resozialisierung und Schutz der Allgemeinheit ist. Wir sagen - das ist eine politische Aussage, zu der wir stehen -: Beides steht gleichwertig nebeneinander. Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, dass der Vollzug auch dem Schutz der Allgemeinheit vor den Straftätern dienen soll. Daraus dürfen Sie jetzt aber bitte nicht den Umkehrschluss ziehen: Damit wird die Resozialisierung in den Hintergrund gedrängt. Das ist überhaupt nicht der Fall. Im gesamten Gesetzentwurf findet sich kein Ansatzpunkt dafür, dass dem so ist. Nein, beides - Resozialisierung auf der einen Seite und Sicherheit der Öffentlichkeit auf der anderen Seite - gehört zusammen.

Zur Resozialisierung nutzen wir den Chancenvollzug. Es kann überhaupt nicht bestritten werden, dass man immer nur dann resozialisieren kann, wenn der betreffende Gefangene es auch wenigstens im Ansatz will. Jemandem, der überhaupt nicht mitarbeitet, dem können wir Therapien angedeihen lassen, dem können wir Arbeitsangebote machen. Wer nicht will, der will nicht. Deshalb ist es richtig, dass das Gesetz jetzt Regelungen darüber enthält. Wir machen ihm dieses Angebot. Nimmt er es nicht an, wird er zurückgestuft. Wir machen ihm das Angebot immer wieder neu. Wenn er sich dauerhaft verweigert, wird ihm das Angebot nicht mehr unterbreitet, und er wird auf die Basisversorgung zurückgesetzt.

Dankbar bin ich der Opposition auch dafür, dass sie sagt: Die durchgängige Betreuung der Gefangenen im Vollzug und nach dem Zeitpunkt der Entlassung ist ein echter Fortschritt. - Das sehen wir genauso. Das ist ein echter Fortschritt. Es steht jetzt als Aufgabe im Gesetz, dass diese durchgängige Betreuung gewährleistet sein muss. Damit wird die besondere Gefahrensituation, die die Entlassung eines Strafgefangenen bisher dargestellt hat, deutlich abgemildert, indem die Betreuungseinrichtungen miteinander vernetzt werden und miteinander arbeiten, sodass der Übergang des Strafgefangenen in die Freiheit mit den gleichen Personen erfolgen kann, die ihn auch bisher betreut haben.

Ich fasse für meinen Teil zusammen - ich habe meinem Kollegen Nacke als unserem Experten für den Justizvollzug versprochen, ihm noch Redezeit

zu überlassen -: Wir sind froh, dass dieses Gesetz geschaffen wird.

Herr Briese, auch Ihnen möchte ich einfach nur noch einmal sagen: Wir halten es nach wie vor für richtig, dass wir die Gesetzgebungskompetenz für diesen Bereich bekommen haben. Für diesen Bereich liegt die politische Verantwortung beim Land Niedersachsen. Für diesen Bereich liegt auch die finanzielle Verantwortung beim Land Niedersachsen. Von daher ist es konsequent, wenn auch die gesetzgeberische Verantwortung für dieses Sachgebiet beim Land Niedersachsen liegt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die CDU-Fraktion hat nun der Abgeordnete Nacke das Wort. Er hat noch sechs Minuten Redezeit.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ministerin hat gesagt, heute ist ein großer Tag für Niedersachsen. Ich möchte in Ergänzung zu den Ausführungen des Kollegen Biester sagen: Heute ist auch ein großer Tag für die Justizministerin des Landes Niedersachsen. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Gesetz.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben damit den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts erfüllt, den es ursprünglich an den damals noch zuständigen Bundesgesetzgeber gerichtet hat. Dieser ist seiner Verantwortung über Jahre hinweg nicht nachgekommen. Ich bin deshalb ausdrücklich anderer Meinung als der Kollege Briese und finde, dass der heutige Tag, dass dieses Gesetz ein beeindruckendes Symbol für einen aktiven und funktionierenden Föderalismus ist.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte mich ausdrücklich bei den Mitarbeiterinnen und den Mitarbeitern des Justizvollzugs in Niedersachsen bedanken.

(Beifall bei der CDU)

Dies gilt insbesondere für die Interessenvertretung des Verbandes Niedersächsischer Strafvollzugsbediensteter (VNSB), der das Gesetzgebungsverfahren sehr aktiv und engagiert begleitet hat. Ich bedanke mich auch bei den Anstaltsleitern für ihre

kritische, aber auch konstruktive Begleitung. Insbesondere danke ich den Seelsorgern in unseren Haftanstalten; denn ich räume ein: Eine der allerschwierigsten Debatten haben wir mit den Seelsorgern über die eine oder andere Frage geführt. Abschließend darf ich in meinem Dank auch die Verbände und die Interessengruppen einschließen.

Meine Damen und Herren, ich bin der Auffassung, dass sich die SPD-Fraktion an diesem Gesetz zu wenig beteiligt hat. Ich finde, dass dies aus der Rede von Frau Müller sehr deutlich herausgeklungen ist. Aus Ihren Worten, liebe Frau Kollegin Müller, sprach schon ein bisschen Neid, dass es Ihnen nicht mehr vergönnt war, ein solches Gesetz zu begleiten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Fraktionen der CDU und der FDP, ich möchte Ihnen jetzt gern etwas vortragen. Sie dürfen klatschen; das ist kein Problem. Ich darf kurz die folgenden Sätze zitieren, Herr Präsident. Dort heißt es:

„Für uns steht die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger an erster Stelle. Dazu gehört eine konsequente Verfolgung von Straftaten, eine schnelle Verurteilung und sichere Gefängnisse.

Das sicherste Gefängnis nützt aber nichts, wenn die Gefangenen nach ihrer Entlassung rückfällig werden. Deshalb legen wir auch Wert auf Resozialisierung im Strafvollzug, also auf Ermöglichung eines Lebens ohne Rückfälle nach der Entlassung aus dem Gefängnis.“

Gute richtige Worte. Sie stammen aus dem, was Sie „Regierungsprogramm“ nennen, aber aus dem, was das Wahlprogramm der SPD ist. Das begreife ich nicht, Frau Müller. Das, was in diesem Programm steht, ist ausdrücklich nicht vereinbar mit dem, was Sie hier gesagt haben, nicht vereinbar mit dem, was Sie durch den ganzen Prozess begleitet haben, und nicht vereinbar mit dem, was Sie in Ihrer ersten Rede gesagt haben, in der Sie zum Ausdruck gebracht haben, dass Sie es ausdrücklich bedauerten, dass die Sicherheit als Ziel des Strafvollzugs Eingang in dieses Gesetz gefunden hat.

Insbesondere bedauere ich, dass Sie sich am Bereich des Jugendvollzugs so ausgesprochen wenig

beteiligt haben. Das Verfassungsgericht hat ausdrücklich gesagt: Dies ist eine Materie, die der Regelung bedarf. - Nur für den Jugendbereich galt dieses Urteil, und nur für den Jugendbereich hieß es: Bis zum 1. Januar 2008 wünschen wir hier eine gesetzliche Regelung.

Wenn Sie den schriftlichen Bericht zur Hand nehmen, der sehr umfangreich zusammenfasst, was alles beraten wurde, dann werden Sie feststellen, dass es dort an einer Stelle heißt: Die SPD hat vorgeschlagen, über den Jugendvollzug überhaupt nicht mehr zu sprechen, sondern ein eigenes Gesetz zu entwickeln. - Das ist natürlich abgelehnt worden, weil es so herum klüger ist. Damit hatte es sich dann. Kein weiterer Paragraf aus dem Bereich des Jugendvollzuges wurde von der SPD begleitet. Das finde ich ausgesprochen schwach.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, zu Beginn der Debatte haben viele Verbände die Befürchtung geäußert, am Ende könnte im Föderalismus im Austausch zwischen den unterschiedlichen Möglichkeiten ein Wettbewerb der Schäbigkeiten herauskommen. Eine der wohltuendsten Erfahrungen ist für mich aber gewesen, dass dieser Vorwurf schon wenige Wochen nach Beginn der Beratungen von niemandem mehr erhoben worden ist und auch jetzt, da wir die Beratungen abgeschlossen haben, von niemandem mehr erhoben wird. Niemand behauptet mehr, dass wir besonders schäbig umgegangen sind. Ein solcher Vorwurf wäre auch nicht gerechtfertigt; denn man kann sehen, welche Mittel wir einsetzen, um einen guten Vollzug zu gewährleisten. Die aktuelle Berichterstattung zur Vollbeschäftigung, die man im Justizvollzug bei 75 % annehmen darf, bestätigt das eindrucksvoll.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat in den vergangenen fünf Jahren nachgewiesen, dass man auch mit einem unmodernen und verbesserungsbedürftigen Gesetz einen guten Vollzug machen kann. Wir müssen aber auch einräumen, dass ein gutes Gesetz, wie wir es vom 1. Januar an haben werden, nicht automatisch einen guten Vollzug nach sich zieht. Nein, der muss von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durch gelebtes Leben gewährleistet werden. Dies wird dieses praxisbezogene, gute und vorbildliche Gesetz, das Neider finden wird, ermöglichen. Darauf freuen wir uns schon. Wir freuen uns auch