Protokoll der Sitzung vom 12.12.2007

Selbst Ihr Parteifreund Gabriel geht wider Erwarten sachgerechter und sensibler mit dem Thema um.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, es mag uns schwer fallen, weiterforschen zu müssen, weil es offenbar nicht die eine Ursache gibt. Wahrscheinlich muss eine Vielzahl von Ursachen hinzukommen, sodass Kinder unter fünf Jahren an Leukämie erkranken. Trotzdem dürfen wir die Anstrengungen nicht aufgeben, um am Ende zu einem wirklich verwertbaren Ergebnis über die Ursachen zu kommen. Deshalb ist es ein gutes Signal gewesen, dass CDU und FDP gemeinsam im Landtag beschlossen haben, die Anhörung wissenschaftlich aufarbeiten zu lassen.

Herr Wenzel, zum Schluss noch eine Bemerkung zu Ihnen. Sie haben gesagt: „Die Bedrohung der Gesundheit oder gar des Lebens von Kindern ist durch die Betriebserlaubnis von AKWs nicht gedeckt.“ Ich finde das nicht in Ordnung! Anstatt bei einer - zugegebenermaßen schwierigen - Aufklärung zu helfen, wollen Sie die Ängste der Menschen noch weiter schüren. Lassen Sie uns stattdessen lieber gemeinsam nach den bisher nicht entdeckten Wegen suchen, die Sie zu Recht angesprochen haben! Ich erinnere an Fragen der Genomforschung und des Screenings auch in der Elbmarsch. Lassen Sie uns bitte die ideologischen Grabenkämpfe in dieser Sache unterlassen! Sie helfen niemandem. Das wissen im Übrigen auch die Menschen in der Elbmarsch sehr genau. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das Wort hat Herr Kollege Jüttner. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Althusmann, Sie fordern Sachlichkeit ein.

(Zuruf von der CDU: Ja!)

Ich kann nur sagen: Ihr Beitrag war gerade kein Beitrag zur Sachlichkeit, sondern eine ideologische Aufarbeitung im wahrsten Sinne des Wortes.

(Beifall bei der SPD)

Es war Ihr Ministerpräsident, der im letzten Jahr auf dem Neujahrsempfang der IHK in Hannover gesagt hat, das Abschalten eines Atomkraftwerkes sei Wahnsinn. - Ich sage das, damit hier einmal Klarheit herrscht.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme jetzt zu der vorgelegten Untersuchung. Sie ist 2003 in Auftrag gegeben worden, um den Nachweis zu führen, dass es keinen Zusammenhang zwischen einem Atomkraftwerk und der Wohnortnähe gibt. Genau diese Ausgangsthese ist zentral und von allen unbestritten widerlegt worden. Es gibt diesen engen Zusammenhang: Je näher ein kleines Kind am Atomkraftwerk wohnt, umso größer ist die Gefahr, dass es Leukämie bekommt. Das ist Ergebnis dieser Untersuchung, Herr Althusmann.

In dieser Untersuchung ist - das ist richtig - nicht geprüft worden, ob es einen Zusammenhang zwischen Strahlung und Leukämieanfälligkeit gibt.

(Bernd Althusmann [CDU]: Das ist ausdrücklich ausgeschlossen!)

- Das wird nicht ausdrücklich ausgeschlossen, sondern das steht da nicht drin.

(Bernd Althusmann [CDU]: Doch!)

Deshalb sagt der Bundesumweltminister zu Recht: „Nach gegenwärtigem wissenschaftlichen Kenntnisstand kann man diesen Zusammenhang nicht konstruieren.“ Das ist nachvollziehbar, meine Damen und Herren.

(Zuruf von Frau Ursula Helmhold [GRÜNE])

Wir stellen aber fest: Je näher ein Kind an einem Atomkraftwerk wohnt, umso wahrscheinlicher ist der Krankheitsfall. Dass dies zur Verunsicherung führt, darf nicht wundern.

Ich sage Ihnen, was mir in den letzten Tagen durch den Kopf gegangen ist: Wir haben in den letzten Wochen eine Aufarbeitung der Conterganfälle erlebt. Damals hat die Einnahme von Medikamenten zu schweren Missbildungen geführt. Weil es zum Teil auch unterdrückt worden ist, ist es damals nicht gelungen, den Zusammenhang zwischen der Einnahme des Medikamentes und den dramatischen Folgen herzustellen. Ich bin nicht mehr ganz sicher, ob wir uns beim Umgang mit Risiken, bei denen der wissenschaftliche Nachweis noch nicht herbeigeführt worden ist, nicht trotzdem auf die sichere Seite begeben müssen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Deshalb habe ich überhaupt kein Verständnis für die Abwiegelei, die in den letzten Tagen deutlich wurde. Auch bei Ihnen ist sie verschleiert gegeben, Herr Althusmann, und Herr Sander macht aus seiner Meinung üblicherweise keinen Hehl.

Ich will noch einmal an den Kern des Atomkonsenses von 2000 erinnern. Wir sind schon lange gegen die Atomenergie, weil erstens die offenen Fragen der Endlagerung nicht geklärt sind und weil zweitens ein GAU dramatische Konsequenzen nach sich zieht. Wir haben diesen Atomkonsens allerdings unter der Maßgabe mitgetragen, dass

der laufende Normalbetrieb eines Atomkraftwerkes gesundheitlich nicht schädlich ist, meine Damen und Herren. Wenn sich jetzt aber herausstellt, dass der Normalbetrieb belastet ist und zu Problemen führt, dann sind für mich die rechtlichen und politischen Voraussetzungen des Atomkonsenses nicht mehr gegeben. Dann müssen wir über ein früheres Abschalten von Kernkraftwerken diskutieren. Das ist die politische Konsequenz aus diesem Gutachten.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Frau Kollegin Meißner hat das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ein Kind an Leukämie erkrankt, dann ist das eine schwere Belastung für die Familien. Es ist absolut verständlich, dass man die Ursache wissen möchte, die die Krankheit ausgelöst oder die sogar zum Tod geführt hat.

Es ist Aufgabe der Politik, über die Gesundheit der Bevölkerung zu wachen und gesundheitliche Belastungen abzustellen.

Nun gibt es aber gerade zur Entstehung von Kinderleukämie bereits zahlreiche Studien, sie gab es auch schon vor dieser KiKK-Studie: Euroclus, die Norddeutsche Leukämieund Lymphomstudie oder die sogenannte Michaelis-Studie des Kinderkrebsregisters.

Es ist bis jetzt immer diskutiert worden, dass die Entstehung von Leukämie unterschiedliche Ursachen hat. Zum Beispiel kann es sein, dass chemische Noxen, ionisierende Strahlen in hoher Dosis oder auch virale Infektionen dafür verantwortlich sind. Eine eindeutige Klärung der Ursachen ist in den meisten Fällen, nämlich in 85 % der Fälle, bis jetzt nicht möglich gewesen.

Herr Althusmann hat schon die Untersuchung zu den Leukämieclustern angesprochen, die europaweit 17 Länder umfasst hat.

(Bernd Althusmann [CDU]: Weltweit!)

Darin hat man festgestellt, dass in Deutschland nur ein einziger Cluster in der direkten Nähe eines KKW lag. Allerdings der Cluster mit den weltweit höchsten Werten, der in der Elbmarsch; alle ande

ren Cluster lagen an anderen Standorten. - Auch das müssen wir bei unseren Überlegungen mit einbeziehen.

Die aktuelle KiKK-Studie hat nicht nach Clustern und räumlichen Differenzierungen gesucht, sondern betrachtet statistische Mittelwerte.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Relatio- nen!)

Ich will das nicht relativieren, aber wenn man die Elbmarsch herausrechnen würde, wäre der Mittelwert zwar immer noch etwas höher, aber wesentlich niedriger als vorher.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Aber immer noch signifikant!)

Es gibt auch eine geringe Fallzahl, was natürlich zu Unsicherheiten führen kann.

Ich trage das so genau vor, weil ich zu Beginn der Diskussion über Leukämie in der Elbmarsch auch gedacht habe, die Sache ist klar, da müssen wir etwas tun. Inzwischen wissen aber wir alle, die wir uns damit im Sozialausschuss befasst haben, dass es sehr viele mögliche Ursachen gibt, die man berücksichtigen muss, und dass man nicht leichtfertig einen Schluss ziehen darf, nur weil man meint, einen Ansatzpunkt gefunden zu haben.

Die KiKK-Studie stellt in ihrer Schlussfolgerung im Gegensatz zu dem, was Sie, Herr Jüttner, gesagt haben, fest, dass der Normalbetrieb eines Kernkraftwerks für Leukämieerkrankungen nachweislich nicht verantwortlich ist.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Dass das nicht ausgeschlossen werden kann!)

Dort heißt es:

„Obwohl frühere Ergebnisse mit der aktuellen Studie reproduziert werden konnten, kann aufgrund des aktuellen strahlenbiologischen und -epidemiologischen Wissens die von deutschen Kernkraftwerken im Normalbetrieb emittierte ionisierende Strahlung grundsätzlich nicht als Ursache interpretiert werden.“

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Da steht: „nicht ausgeschlossen werden“!)

- Da steht: „nicht als Ursache interpretiert werden“. Ich habe das Zitat hier vor mir liegen.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Ich habe es auch vor mir liegen!)

Herr Gabriel hat es meiner Meinung nach richtig gemacht. Er hat gesagt: Wir brauchen weitere Ursachenforschung. Wir brauchen keine Hysterie nach dem Motto: Wir müssen sofort alle Kernkraftwerke abschalten.

Die Gesundheit von Kindern ist von vielerlei Gefahren bedroht. Viele davon kennen wir. Aber deswegen schaffen wir doch noch lange nicht alle die Ursachen, die diesen Gefahren zugrunde liegen, ab. Das ginge doch auch gar nicht. Wir müssen selbstverständlich abwägen, wie wir die Gesundheit der Kinder besser schützen können. Wir müssen auch sehen, welche Fakten auf dem Tisch liegen und wie wir mehr für den Schutz der Bevölkerung tun können. Aber wir dürfen doch nicht sagen, dass, nur weil wir eine mögliche Ursache gefunden haben, diese jetzt sofort behoben werden soll. Hier gibt es ein ganzes Bündel von Dingen, das berücksichtigt werden muss.

Herr Wenzel, wenn Sie von tödlichen Risiken und entleerten Landkreisen sprechen, dann malen Sie wirklich ein Horrorszenario an die Wand. Da hat Herr Althusmann völlig recht: Das hilft den Menschen, die in Niedersachsen wohnen, überhaupt nicht weiter.