Protokoll der Sitzung vom 29.10.2003

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass die elektronische Erfassung der Maut bisher misslungen ist, ist zweifellos kein Meisterstück politischadministrativer Regierungskunst.

(Reinhold Coenen [CDU]: Da sind wir uns einig!)

- Da sind wir uns einig. Aber Kritik daran kann nur ernst genommen werden, wenn sie auch wirklich logisch ist. Ihre Kritik aber ist total widersprüchlich.

(Vizepräsident Ulrich Biel über- nimmt den Vorsitz)

Zum einen kritisieren Sie die Maut und sagen, 3 Milliarden Euro Maut für die sehr intensive Nutzung unserer Autobahnen durch Lkw ruinieren das Verkehrsgewerbe. Zum anderen sagen Sie, die fehlenden Einnahmen aus der Maut aufgrund der bisher gescheiterten Einführung gefährden die Finanzierung von Straßenbauprojekten. - Das jedoch

ist eine Argumentation nach dem Motto: Ich bin gegen Atomkraftwerke, aber mein Strom kommt aus der Steckdose.

(Hermann Eppers [CDU]: Dann haben Sie mich nicht verstanden!)

- Aber genauso ist es, Herr Eppers. Das ist keine seriöse Kritik.

Ich meine, dass der Bundesverkehrsminister - welcher auch immer - bei der Auswahl der Partner nicht fahrlässig war.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Da wissen Sie mehr!)

- Sie wissen ja viel besser, wie die Entwicklungsabteilungen von DaimlerChrysler und Telekom und ihrem Tochterunternehmen Toll Collect das in den nächsten Monaten schaffen oder nicht. Sie sind darüber ja besser informiert als wir alle. Sie können uns ja einmal in die Geheimnisse Ihrer besonderen Informationen einweisen. - Wir werden sehen, was diese beiden Unternehmen zustande bringen.

Die Maut ist jedenfalls richtig, weil sie die einzige Maßnahme ist, mit der wir die Benutzung deutscher Straßen durch ausländische Lkw systematisch abschöpfen können.

Ich will Ihnen einmal zeigen, was noch auf uns zukommt. Dazu habe ich einen Pressebericht mit der Überschrift „CSU will Pkw-Maut auf allen Straßen“ mitgebracht. Also nicht nur für Lkw, sondern auch für Pkw.

„Der bayerische Umweltminister erklärte, die CSU wolle, dass die Millionen Autofahrer aus dem Ausland die deutschen Straßen mitbezahlen. Wenn ab September in Deutschland die elektronisch erfasste Lkw-Maut funktioniere, solle mittelfristig die Fahrleistung aller Fahrzeuge erfasst und mit einer Nutzungsgebühr belegt werden. Vielfahrer zahlen mehr als Wenigfahrer, erklärte der bayerische CSU-Fraktionschef Alois Glück.“

„Glück auf!“, kann ich nur sagen, was da noch auf uns zukommt.

(Hermann Eppers [CDU]: Auch die CSU hat nicht immer Recht!)

Wenn Sie den gesamten Pkw-Verkehr durch schlichte Mautstationen abkassieren wollen, statt ein intelligentes, technisch anspruchsvolles System elektronischer Mauterfassung zu installieren, dann bin ich gespannt auf das, was nach Ihren Plänen da kommen soll. Glücklicherweise hat das auf absehbare Zeit keine Chance auf Verwirklichung.

(Beifall bei der SPD)

Als Nächster hat sich für die Landesregierung Herr Minister Hirche zu Wort gemeldet. Herr Minister, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein Stück aus dem Tollhaus, was mit der Maut in Deutschland passiert. Es macht im Augenblick wenig Sinn, hier groß und breit über die personelle Verantwortung zu reden, Herr Oppermann. Es macht aber auch keinen Sinn, einfach auf irgendwelche anderen Beschlüsse abzulenken.

Diese Bundesregierung trägt die Verantwortung für das Stück aus dem Tollhaus, das hier in Deutschland gespielt wird, und für den Imageschaden, der für die deutsche Wirtschaft weltweit entstanden ist.

(Thomas Oppermann [SPD]: Da hat doch die Wirtschaft selbst Schuld, Herr Hirche!)

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist an dem einen der Partner, nämlich der Telekom, zu 43 % beteiligt.

(Heinrich Aller [SPD]: Was hat das denn damit zu tun? - Thomas Opper- mann [SPD]: Dann haften Sie ab so- fort für jeden nicht verkauften Golf!)

Das hat im Zusammenhang mit der Ausschreibung ganz sicher eine besondere Bedeutung gehabt. Nun soll mir niemand weismachen, dass der Bundesfinanzminister, der der größte Anteilseigner der Telekom ist, nicht mit Blick auf die rechtzeitige Bereitstellung von entsprechenden technischen Lösungen Einfluss auf das Unternehmen nehmen kann. Nein, meine Damen und Herren, das ist ein Dilettantismus sondergleichen, der insbesondere im Verkehrsministerium dadurch entstanden ist,

dass man sich mit dem Thema offenbar nicht ausreichend beschäftigt hat.

Als ich im Mai dieses Jahres, also vor etwa einem halben Jahr, gesagt habe, das wird zum 1. September nicht klappen, hat das Bundesverkehrsministerium heilige Eide geschworen, dass es zum 1. September klappen würde. Als ich dann gesagt habe, der 1. Januar ist fragwürdig, hat das Bundesverkehrsministerium - da kommen wir der Sache schon näher - gesagt, der 1. April wird es sein. - Das allerdings halte ich für ein interessantes Datum, das hier von der Bundesregierung in die Welt gesetzt worden ist.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Nachdem man gemerkt hat, dass man dadurch noch tiefer in die Bredouille kommt, sagt man jetzt: Weihnachten ist mautfrei, Ostern vielleicht, aber das wissen wir noch nicht genau, vielleicht aber auch das nächste Weihnachten.

Meine Damen und Herren, das eigentlich Entscheidende in dieser Geschichte ist, dass durch das Zusammenspiel von Auftragnehmer und Auftraggeber - wie gesagt, der Bund spielt auf beiden Seiten mit - ein erheblicher Schaden für das Ansehen Deutschlands in der Welt und ein Schaden für die deutsche Wirtschaft entstanden ist.

Meine Damen und Herren, ich will noch einmal hervorheben: Im Straßenbau fehlen uns durch den Verlust der Einnahmen aus der Vignette im Jahr 450 Millionen Euro. Das muss man in diesem Jahr natürlich anteilig rechnen. In Niedersachsen sind Projekte von mehr als 300 Millionen Euro betroffen, verteilt auf alle Verkehrsträger. Insbesondere betroffen sind die A 1 Osnabrück-Nord - Kreuz Lotte, die A 7 Hannover-Nord - Großburgwedel, der Umbau des Kreuzes Hannover-Ost, die A 7 Göttingen - Friedland, das dritte Gleis Stelle - Lüneburg, und die Schleuse Lauenburg - meine Damen und Herren, alles Verkehrsprojekte, die wegen des Dilettantismus der Bundesregierung teilweise auf der Strecke bleiben. Das ist der Schaden für die deutsche Volkswirtschaft.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ganz offenkundig hat man sich für das sehr viel kompliziertere und gegen das einfache System entschieden, das in Österreich längst funktioniert und das übrigens von Bosch in Hildesheim angeboten und von dort auch installiert worden ist. Insofern gibt es hier ein zusätzliches niedersächsi

sches Interesse, da nachzufragen. Man hat sich für dieses komplizierte System ausgesprochen und den beteiligten Unternehmen möglicherweise viel zu kurze Fristen zugemutet, weil man gehofft hat, auf diese Weise den Wettbewerber, der billiger war, aus dem Felde zu schlagen. Man hat gesagt: Wir bekommen in der gleichen Zeit ein System, das wir dann europaweit vertreiben können. Meine Damen und Herren, das war ein Trugschluss.

Ich verlange auch von diesem Pult aus: Wenn die Dinge in diesem Jahr nicht endgültig geklärt sind - das ist jetzt eine sehr großherzige Zeitbemerkung -, dann muss der Bund die Ausschreibung aufheben und neu ausschreiben. Es kann nicht so weitergehen, dass sich dieses Trauerspiel in Deutschland ad infinitum fortsetzt.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.

Bevor ich nun den Tagesordnungspunkt 3 aufrufe, möchte ich darauf aufmerksam machen, dass sich die Fraktionen geeinigt haben, die Tagesordnungspunkte 9 und 10 vor dem Tagesordnungspunkt 5 zu behandeln.

Ich rufe nun auf

Tagesordnungspunkt 3: 5. Übersicht über Beschlussempfehlungen der ständigen Ausschüsse zu Eingaben Drs. 15/490 - Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/506 und 15/507

Im Ältestenrat haben die Fraktionen vereinbart, die Eingaben, zu denen Änderungsanträge vorliegen, erst am Freitag, dem 31. Oktober 2003 zu beraten. Ich halte das Haus damit einverstanden, dass wir heute nur über die Eingaben beraten, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen.

Ich rufe zunächst die Eingaben aus der 5. Eingabenübersicht in der Drucksache 490 auf, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen. Gibt es dazu Wortmeldungen? - Ich sehe, das ist nicht der Fall.

Ich lasse jetzt über die Beschlussempfehlungen der Ausschüsse abstimmen, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen. Wer ihnen zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Stimmenthaltungen? - Gibt es Gegenstimmen? - Dann ist das einstimmig so beschlossen.

Ich rufe nun auf

Tagesordnungspunkt 4: Zweite Beratung: Entwurf eines Gesetzes über die Unterbringung besonders gefährlicher Personen zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit (NUBG) - Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und der FDP Drs. 15/231 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen Drs. 15/452

Die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen lautet auf Annahme mit Änderungen.

Berichterstatter ist der Abgeordnete Ontijd. Herr Ontijd, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Drucksache 452 empfiehlt Ihnen der federführende Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen mit den Stimmen der Fraktionen der CDU und der FDP gegen die Stimmen der Fraktionen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen, den Gesetzentwurf mit den aus der Beschlussempfehlung ersichtlichen Änderungen anzunehmen. Dieses Votum wird vom mitberatenden Ausschuss für Inneres und Sport und vom mitberatenden Unterausschuss „Justizvollzug und Straffälligenhilfe“ geteilt.

Die Vertreter der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhoben im federführenden Ausschuss verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Gesetzentwurf. Sie sahen im Übrigen auch keinen unmittelbaren Handlungsbedarf, der es rechtfertigen würde, die nach Auskunft des Bundesverfassungsgerichts noch in diesem Jahr anstehende Entscheidung zu den Parallelgesetzen anderer Länder nicht abzuwarten.

Demgegenüber vertraten die Mitglieder der Fraktionen von CDU und FDP die Auffassung, das Gesetz sei erforderlich, um eine Sicherheitslücke zu schließen. Dies müsse möglichst umgehend geschehen, sodass es weder des Abwartens der verfassungsgerichtlichen Entscheidung noch der von der SPD-Fraktion beantragten Anhörung bedürfe.

Die wesentlichen Änderungsempfehlungen möchte ich nun kurz darstellen: