In § 1 Abs. 1 soll durch die vorgeschlagene Änderung klargestellt werden, dass allein die formellen Voraussetzungen des § 66 StGB tatbestandliche Voraussetzung der nachträglichen Unterbringung sind. Damit kommt es auch bei Personen, die Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 2 und 3 StGB begangen haben, nicht auf die materiellen Unterbringungsvoraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB an.
Der mit „insbesondere“ eingeleitete Halbsatz des § 1 Abs. 1 soll nach § 4 Abs. 1 Satz 3/1 verlagert werden, um zu verdeutlichen, dass eine Therapieverweigerung oder ein Therapieabbruch in erster Linie indizielle Bedeutung für die Entscheidung der Justizvollzugsanstalt über die Stellung eines Unterbringungsantrages hat.
Die Empfehlungen in § 1 Abs. 2 haben sämtlich zum Ziel, dem aus Kompetenzgründen geforderten Vorrang der tatrichterlichen, also auf der Grundlage des Strafgesetzbuches getroffenen Entscheidung über die Unterbringung Rechnung zu tragen. Dementsprechend sind ergänzend zum Entwurf vor allem die Fälle zu berücksichtigen, in denen das Gericht nach § 66 a StGB die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten hat. Auch ist für eine landesrechtliche Unterbringungsanordnung dann kein Raum, wenn die Unterbringung in einem strafgerichtlichen Verfahren gegen eine bereits inhaftierte Person noch angeordnet oder eine solche Anordnung vorbehalten werden kann.
Die in § 3 vorgeschlagenen Ergänzungen sollen Probleme verhindern, die in den Ländern mit vergleichbaren Vorschriften dann aufgetreten sind, wenn vor einer rechtskräftigen Entscheidung über die Unterbringung die Haftzeit der betroffenen Person endete. In Absatz 5 wird klargestellt, dass die Anordnung auch in diesen Fällen noch erfolgen kann, wenn die Justizvollzugsanstalt bereits vor Ende der Haftzeit den Unterbringungsantrag gestellt hat. In Absatz 6 soll in Ergänzung dazu eine
eindeutige Rechtsgrundlage dafür geschaffen werden, die betroffene Person, die wegen des Endes der Haftzeit freizulassen wäre, bis zur rechtskräftigen Entscheidung einstweilen unterzubringen, wenn dies zur Abwehr der in § 1 Abs. 1 genannten erheblichen Gefahren erforderlich ist. Um hier auch den grundrechtlich geschützten Interessen der betroffenen Person gerecht zu werden, soll die Dauer dieser einstweiligen Unterbringung jedoch höchstens drei Monate betragen dürfen.
Meine Damen und Herren, damit möchte ich meinen Bericht abschließen. Ich bitte namens des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen, entsprechend der Empfehlung in der Drucksache 452 zu beschließen. - Schönen Dank.
Meine Damen und Herren, die allgemeine Aussprache ist eröffnet. Zu Wort gemeldet hat sich der Abgeordnete Dr. Noack. Herr Dr. Noack, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieses Gesetz über die Unterbringung besonders gefährlicher Personen zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit berührt Kernaufgaben der staatlichen Ordnung und elementare Sicherheitsbedürfnisse unserer Bevölkerung. Es ist für unser Land notwendig. Wir reden nicht über abstrakte Gefährdungspotenziale. Anlass und Grundlage für die Sicherungsverwahrung sind in ihrer individuellen Ausprägung scheußliche Verbrechen, Morde, Tötungen und schwere Misshandlungen von Kindern, Vergewaltigungen.
In Göttingen verhandelt derzeit das Landgericht die Anklage gegen einen 42-jährigen Mann, der nach seinem Entweichen aus dem Landeskrankenhaus in Moringen eine 21-jährige Frau ermordete - ein Angeklagter, der unter schweren narzisstisch-paranoiden Persönlichkeitsstörungen leidet, der nicht in der Lage ist, Konflikte auszuhalten und seine aggressiven Impulse zu kontrollieren. Die Kammer wird die Sicherungsverwahrung bei der Urteilsfindung in Betracht ziehen.
Wer seine sozial gebundene Freiheit missbraucht und voraussichtlich wieder missbrauchen wird, wird in seiner Menschenwürde nicht verletzt, wenn die staatliche Gemeinschaft ihm die Freiheit entzieht und damit Sozialverteidigung ausübt.
Bei manchem, der hier sein Unbehagen äußert, herrscht zumindest unterschwellig die Vorstellung, ein Verbrechen sei eine Niederlage der Gesellschaft, deren Vorbild- und Erziehungsfunktionen versagt hätten. Dieses Bild einer sozial induzierten Kriminalität bei grundsätzlich guten Ausgangsfaktoren jeder menschlichen Persönlichkeit ist weder empirisch zu halten noch philosophisch zu untermauern. Diese verquere Sichtweise, fokussiert auf einen angeblich bedauernswerten Täter, generiert Nachsicht aus einem als unbefriedigend empfundenen schlechten Gewissen und verstellt sich völlig dem notwendigen Mitgefühl mit dem Opfer. Nein, nicht der Täter braucht unser Mitgefühl; es sind die Opfer.
Wer durch seine berufliche Tätigkeit das Leiden von Verbrechensopfern nur im Ansatz durch Schilderungen, Bilder, Gutachten, Autopsieprotokolle erfahren konnte, ja musste, der muss die mentale Kraft haben, dieses professionell zu verarbeiten. Bei den Verbrechensopfern, so sie denn überhaupt überlebt haben, bleiben schwerste psychische Traumata, der Verlust an Sicherheitsgefühl, an Lebenskraft.
Die Sicherungsverwahrung beruht deshalb zu Recht auf der Idee des zweispurigen Systems, für das sich schon Franz von Liszt in seinem Marburger Programm einsetzte. Sie ist in der Verfassungsrechtsprechung und in der wissenschaftlichen Literatur nicht mehr ernsthaft umstritten. Derzeit sitzen etwa 300 Häftlinge in Sicherungsverwahrung.
Aber die Sicherungsverwahrung ist - § 66 des Strafgesetzbuches - nur im Erkenntnisverfahren anzuordnen, nach § 66 a des Strafgesetzbuches nachträglich nur dann, wenn das Gericht sich die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten hat - das ist übrigens Gegenstand einer Gesetzesnovelle vom 21. August 2002 -, was aber in den Fällen nicht greift, in denen die Verurteilung vor InKraft-Treten des § 66 a StGB erfolgte oder im Erkenntnisverfahren noch keine ausreichenden Anzeichen für den Hang des Täters bestanden.
Muss es wirklich so sein, wie der bayerische Innenminister Beckstein berichtet hat, dass potenziell gefährliche Täter nach ihrer Entlassung durch die Polizei rund um die Uhr bewacht werden, um schwerwiegende Verbrechen zu verhindern?
Nein, die Sicherheitslücke muss geschlossen werden; je schneller, desto besser. Man muss fragen können: Müssen wir in Niedersachsen das? Gibt es eine Rechtsgrundlage dafür? - In den Beratungen haben wir das Problem des Artikels 74 Abs. 1 Nr. 1 des Grundsgesetzes diskutiert, nämlich die Zuordnung des Strafrechts zum Gebiet der konkurrierenden Gesetzgebung. Konkurrierende Gesetzgebung, so Artikel 72 des Grundgesetzes, bedeutet, dass zunächst die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung haben, solange nicht der Bund von seiner Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch macht. Von dieser Gesetzgebungsbefugnis hat der Bund allerdings trotz mehrerer Initiativen von verschiedenen Ländern keinen Gebrauch gemacht. Aber die SPD-Ministerin Herta Däubler-Gmelin hat zu verstehen gegeben, dass sie durchaus Initiativen der Länder zur eigenen Gesetzgebung begrüße. Die Länder - das bedeutet Bayern, SachsenAnhalt, Baden-Württemberg und Thüringen - haben sich auf die den Ländern allgemein zugänglichen Polizeigesetzgebungsbefugnisse gestützt.
Das Bundesverfassungsgericht hat nun am 22. Oktober über Verfassungsbeschwerden verhandelt, die ähnliche Tatbestände umfassen. Wie das Verfassungsgericht entscheiden wird, ist offen. Wann es entscheiden wird, ist ebenfalls offen.
Wir sind der niedersächsische Landesgesetzgeber. Wir halten die Verabschiedung dieses Gesetzes für erforderlich. Deswegen bitte ich Sie, diesem Gesetzentwurf hier und heute zum Wohle unserer Bevölkerung zuzustimmen. - Vielen Dank.
Als Nächster hat sich der Abgeordnete Helberg zu Wort gemeldet. Herr Helberg, ich erteile Ihnen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wollen der Bevölkerung das höchstmögliche Maß an Sicherheit garantieren, und zwar mit allen zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mitteln. In Niedersachsen ist uns das in den letzten Jahren vorzüglich gelungen. Das zeigen die Kriminalstatistiken im Vergleich der Zahl der Sexualstraftaten der letzten Jahrzehnte.
schützen. Dafür hat der Bundesgesetzgeber im August letzten Jahres wahrlich im notwendigen Maße gesorgt, und zwar auf rechtsstaatlich unbedenkliche Weise. Das Strafrecht erlaubt die Anordnung der Sicherungsverwahrung nur, wenn im Erkenntnisverfahren deren Voraussetzungen festgestellt werden oder das Urteil einen entsprechenden Vorbehalt enthält. Nur dies rechtfertigt, dass rückfallgefährdete Sexual- oder gefährliche Gewalttäter auch noch in Gewahrsam gehalten werden, nachdem sie ihre Strafen abgesessen haben.
Vor dem Bundesverfassungsgericht ist jetzt sorgfältig erörtert worden, ob nicht der Bund bereits das Recht der Sicherungsverwahrung abschließend geregelt hat, sodass den Ländern für eigenständige, in der Wirkung gleiche Gesetze außerhalb des Strafrechts kein Raum mehr bleibt. Verkürzt gesagt: Der Bund hat den von der Verfassung gezogenen Regelungsrahmen vollständig ausgeschöpft. Darauf zielte die vom Verfassungsgericht gestellte Frage ab, ob nicht die Sicherungsverwahrung ihre inhaltliche Legitimation aus der Verurteilung beziehe.
Die Kompetenzfrage ist aber nicht die einzige verfassungsrechtliche Frage - bzw. das einzige Problem Ihres Gesetzentwurfs -, mit der sich das Bundesverfassungsgericht zurzeit im Zusammenhang mit einem inhaltsgleichen Gesetz Bayerns befasst. Die Europäische Menschenrechtskonvention bestimmt in Artikel 5, dass eine Freiheitsentziehung nur dann zulässig ist, wenn sie an ein Strafurteil anknüpft. Diese Bindung geben Sie auf, weil Sie die nachträgliche Unterbringung von einem Verhalten nach erfolgter Verurteilung abhängig machen. Auch dem Vorwurf einer Doppelbestrafung - Artikel 103 des Grundgesetzes - entgeht man nur, wenn eine spätere Sanktionsentscheidung noch zum Erkenntnisverfahren gehört. Sie aber koppeln die Sicherungsverwahrung vom Prozess ab.
Angesichts dieser Bedenken hätte es nahe gelegen, die baldige Entscheidung des Verfassungsgerichtes abzuwarten. Was aber machen Sie stattdessen? – Sie wollen Ihr Gesetz sogar sofort in Kraft treten lassen. Zur Begründung reicht Ihnen dafür bereits die Weigerung eines Straftäters, sich bei der Therapie kooperativ zu verhalten. Meine Damen und Herren, das rechtfertigt einen weiteren Freiheitsentzug sicherlich nicht. Wollen Sie etwa Angepasstheit zum Kriterium für die Sicherungsverwahrung machen?
Wir habe im Rechtsausschuss eine Expertenanhörung beantragt. Gegen guten parlamentarischen Brauch haben Sie diesen Antrag abgelehnt.
Die Anhörung hätte ergeben, dass gerade bei Sexualstraftätern das Verhalten im Vollzug für Prognosen zwar eine Rolle spielt, aber eine eher geringe, modifizierende, so Professor Rudolf Egg aus Wiesbaden.
Sie gaukeln den Bürgern vor, mit Hilfe Ihres Gesetzes werde Rückfällen gefährlicher Straftäter wirksam vorgebeugt. Ihre Haltung spiegelt einen rechtspolitischen Zeitgeist wider, dem Abschreckung zur Not auch vor Gerechtigkeit im Einzelfall geht. Wer, wie Sie, offenbar Härte als Leistungsnachweis des Rechtssystems betrachtet, riskiert, dass Unschuldige zum Objekt staatlichen Handelns gemacht werden.
Dass die CDU-Fraktion den Antrag aus der letzten Legislaturperiode wieder hochziehen würde, haben wir nicht anders erwartet. Dass die FDP, die sich doch immer in der Tradition von Dehler sieht, da mitmacht, stimmt schon nachdenklich, meine Damen und Herren.
Ich fasse zusammen: Ihr Gesetzentwurf ist verfassungsrechtlich bedenklich. Sie verweigern Einzelnen den vollen Schutz der Verfahrensrechte. Es gibt keinen Bedarf für Ihren Entwurf, weil es keine Sicherheitslücken gibt. Es ist der wahre Populismus. - Danke schön.
Als nächster Redner hat sich der Abgeordnete Briese von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Wort gemeldet. Herr Briese, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Argumente Für und Wider dieses Gesetz sind weitgehend ausgetauscht worden. Wir haben die Sicherungsverwahrung mehrfach hier im Plenum behandelt, weil Strafverschärfung ein Lieblingsthema der CDU-Fraktion ist. Man fragt
sich manchmal, ob Strafverschärfung überhaupt ein christlicher Grundwert ist. Im Neuen Testament jedenfalls lese ich davon nichts.
- Das werde ich machen. Daraus können auch Sie noch etwas lernen. - Obwohl der Bundestag die Bestimmungen zur Sicherungsverwahrung in den letzten Jahren mehrfach nachgebessert hat, reicht es Ihnen nicht. Sie brauchen ein äußerst fragwürdiges Landesgesetz. Diejenigen, die sich für Opferschutz und Opferbelange einsetzen - Herr Noack hat das hier ausführlich, in epischer Breite dargestellt -, wollen Ihr Gesetz gar nicht, sie lehnen es ab.
- Sie müssen sich einmal die Stellungnahmen durchlesen. Sie betreiben hier also eine Art Gesetzespaternalismus. So viel Fürsorge würde man sich von Ihnen auch gerne einmal in anderen Bereichen wünschen.
Die viel beschworene Sicherheitslücke besteht jedenfalls für Niedersachsen nicht. Das merkt man schon daran, dass es Ihnen kaum gelungen ist, konkrete Notwendigkeiten anhand von Beispielen zu belegen. Mit Mühe und nach heftigem Insistieren im Ausschuss haben Sie dann ein paar Fälle präsentiert - aber auf welcher Grundlage und auf der Basis welchen gutachterlichen Sachverstandes bleibt völlig offen.
Die Vorstellung einer risikofreien Gesellschaft und die Entsorgung von Menschen mit Gefährlichkeitsprognose sind absolut absurd, unredlich und in letzter Konsequenz auch inhuman. Absolute Sicherheit kann es in einer freien und offenen Gesellschaft niemals geben. Die findet man höchstens in einem totalitären Staat.
Meine Damen und Herren, in der Sozialpolitik fordern Sie immer mehr Risiken, mehr Eigenvorsorge und weniger Staat. Im Gegensatz dazu stehen Ihre Forderungen nach dem mächtigen Staat, dem repressiven Staat, dem omnipräsenten Staat, der jedes Verbrechen präventiv verhindert. Mehr Polizei, mehr Verfassungsschutz, mehr verdachtsunabhängige Kontrollen und jetzt ein fragwürdiges Gesetz, bei dem die Law-and-Order-Partei CDU wieder einmal ihre Probleme mit dem Grundgesetz
Meine Damen und Herren, in Niedersachsen findet auch kein Abbau staatlicher Aufgaben statt, sondern es findet allein eine Verschiebung statt: Abbau im sozialen Bereich und im Hochschulbereich und massives Aufrüsten bei der inneren Sicherheit.
Ich will die schwerwiegenden juristischen Einwände gegen dieses Gesetz nicht wiederholen; das hat Herr Helberg ausführlich gemacht. Die Auseinandersetzung wird demnächst vom Bundesverfassungsgericht entschieden. Dort sind in der Anhörung neben juristischen Argumenten allerdings schwerwiegende verfahrensrechtliche Argumente geltend gemacht worden. In diesem Thema führende Sachverständige gehen davon aus, dass bis zu 66 % der Sicherungsverwahrten aufgrund von falschen Prognosen einsitzen.
Meine Damen und Herren, bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung geht es auch noch um etwas anderes. Es geht um die Zukunft des Schuldprinzips und damit um das Strafrecht überhaupt. Wenn den Wegsperrgesetzen keine Grenzen gesetzt werden, wird Strafrecht zu einem uferlosen Recht der inneren Sicherheit, das nicht mehr Täter, sondern nur noch Risikofaktoren kennt. Ein von Misstrauen gekennzeichnetes Menschenbild steckt dahinter. Der Mensch mutiert zum Sicherheitsrisiko. Ich frage mich auch kriminologisch, Herr Noack: Haben wir bald wieder den genetisch disponierten Kriminellen, wie Sie es hier dargestellt haben?