Protokoll der Sitzung vom 20.11.2003

Wenn wir dann noch ein paar Überhangmandate erhalten und wir dennoch insgesamt vielleicht ein paar weniger sind, sackt die Zahl Ihrer Abgeordneten womöglich auf unter 40 ab. Stellen Sie sich einmal vor: Jeder Dritte von Ihnen nimmt hinten auf der Besuchertribüne Platz. So sähe die Realität aus, wenn Ihrem Antrag entsprochen würde, Herr Bartling.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Was ist dar- an schlimm?)

Sie halten laut Landtagspressemitteilung vom 12. November ja nichts von einer Schonfrist, werter Kollege. Sie, Herr Bartling, und weitere 13 Kollegen würden zu denen gehören, die hier nicht mehr säßen, wenn wir nicht über 52 % der Erststimmen bei der Wahl zum Niedersächsischen Landtag bekommen hätten.

Ich sage Ihnen für die CDU-Fraktion eines: Ich kann es Ihnen hier und heute nicht versprechen, ob es der CDU in Niedersachsen noch einmal gelingt, 14 Kollegen so zu motivieren, dass sie am

Ende mit Herrn Plaue wiederum im Niedersächsischen Landtag sitzen. Wir wissen nicht, ob uns das gelingt, Herr Bartling. Meine Damen und Herren - Herr Schwarz, Herr Wulf und andere gehören auch dazu -, ich kann Sie aber beruhigen: Wir werden die rechtliche Frage in den Ausschussberatungen sehr genau überprüfen müssen, ob man mit der Ausgleichs- und Überhangmandatsregelung tatsächlich wird agieren müssen. Auf Bundesebene haben wir, wie Sie wissen, nur noch die Überhangmandatsregelung.

Wir haben 1996 mit Blick auf die drohende Anfechtung der Landtagswahl 1998 die sofortige Verkleinerung des Landtages gefordert. Wir haben damals gesagt: 135 Abgeordnete aus 80 Wahlkreisen. Dies hatte einen Grund: Die Größe der Wahlkreise war damals zu unterschiedlich. Die Größe der Wahlkreise lag teilweise 50 % über und 38 % unter dem Landesdurchschnitt von rund 77 500 Einwohnern.

Ihre Kollegin Frau Kruse, die von uns inzwischen in den Ruhestand geschickt wurde, hat am 13. Dezember 1996 hier im Landtag erklärt:

„Die Weihnachtszeit ist die Zeit des Lichtes, der Weihnachtsmänner und der Heiligenscheine. Dass im Gegensatz dazu Scheinheiligkeit an keine Jahreszeit gebunden ist, führt uns einmal mehr die CDU-Fraktion vor.“

(Zuruf von Dorothea Steiner [GRÜ- NE])

- Ich wusste, dass Sie das gut finden. Sie sind ja berechenbar. - Die gerade zitierte Passage hat mit Sicherheit nicht dazu geführt, dass wir Frau Kruse als Regierungspräsidentin in den Ruhestand geschickt haben. Ich sage Ihnen aber deutlich: Ihr Verhalten in der Vergangenheit hier in Bezug auf dieses Thema müsste zumindest eine Entschuldigung nach sich ziehen.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte in diesem Zusammenhang auch den Kollegen Oppermann ansprechen.

(Thomas Oppermann [SPD]: Kommen Sie endlich einmal zur Sache!)

Herr Oppermann erklärt zu diesem Thema - man höre und staune - aus vollster Überzeugung, es gebe für eine Mehrheit gute Gründe, nicht schon für die nächste Landtagswahl Wahlkreise so zu

rechtzuschneiden, wie es der Mehrheit genehm sei. Die Minderheit - so Thomas Oppermann weiter - solle sogar dankbar dafür sein, dass sich eine Mehrheit keinen Vorteil für die unmittelbar nächste Wahl dadurch verschaffe, dass sie Wahlkreise neu zuschneide und damit ihre Wahlchancen womöglich verbessere.

(Oh! bei der CDU)

Lieber Kollege Oppermann, ich könnte mir vorstellen, dass in Ihren Reihen einige sitzen, die hoffen, dass wir uns diese Argumentation zu Eigen machen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wenn Sie in geheimer Abstimmung hier im Landtag über dieses Thema votieren müssten, würden Sie alle in der SPDFraktion - auch die Jüngeren in Ihrer Fraktion ganz schön alt aussehen.

(Dorothea Steiner [GRÜNE]: Wann sagen sie endlich, was Sie eigentlich wollen?)

Eigentlich hätte jetzt Beifall von Ihnen kommen müssen, denn ich habe gerade noch einmal Frau Kruse zitiert.

Sowohl 1996 als auch im letzten Jahr haben die Damen und Herren von der SPD-Fraktion auf das Wahljahr 1947 hingewiesen und gesagt, damals habe Niedersachsen 6,8 Millionen Einwohner gehabt, und es habe 149 gewählte Abgeordnete bei 95 Direktwahlkreisen gegeben. Es wurde gesagt, das Parlament müsse bürgernah sein. Die Einwohnerzahl des Landes Niedersachsen habe zugenommen; sie betrage jetzt immerhin 8 Millionen Einwohner. Ich stelle fest: Das hat alles nichts genützt. Sie sind heute zu einer neuen Erkenntnis gekommen.

Mit Blick auf die Enquete-Kommission kann ich eigentlich nur eines feststellen. Die Experten, die in dieser Kommission saßen, Herr Oppermann und Herr Bartling, haben alle befürchtet, dass Sie mit dem Argument des Bevölkerungszuwachses am Ende fordern würden, den Niedersächsischen Landtag, womöglich noch in der letzten Wahlperiode, zu vergrößern. Diese Befürchtung hatten unsere Experten in der Enquete-Kommission. Die Grünen waren dort nicht besser. Herr Golibrzuch hat unter Bezugnahme auf den Flächenmaßstab erklärt, es mache keinen Sinn, den Niedersächsi

schen Landtag zu verkleinern. Ich will darauf gar nicht weiter eingehen.

Ich stelle fest: Weder die SPD-Fraktion noch die Fraktion der Grünen sind in dieser wichtigen Frage für das niedersächsische Landesparlament in der Vergangenheit glaubwürdig gewesen, und sie sind es heute umso weniger. Unsere Position zur Verkleinerung des Niedersächsischen Landtages hat sich seit damals nicht verändert. Wir werden mit unserem Koalitionspartner einen klaren Zeitrahmen abstimmen, um zur Umsetzung der Landtagsverkleinerung zu kommen. Wir werden mit der Koalitionsmehrheit das Landeswahlgesetz ändern und die Problematik, die ich aufgezeigt habe, anpacken. Wir werden eine Politik mit Augenmaß betreiben. Wir verfolgen dabei, wie ich glaube, ein gutes Ziel, das es mit Augenmaß und Leidenschaft umzusetzen gilt. Die Bretter sind gewissermaßen schon vorgebohrt. Das Schöne daran ist, dass Sie diesmal mit uns stimmen werden, weil Sie zuvor schon mitgebohrt haben. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Karl-Heinz Klare [CDU]: Ausgezeich- nete Rede!)

Für die FDP-Fraktion hat nun der Abgeordnete Lehmann das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte mir schon gewünscht, dass zu diesem Thema, das uns alle unmittelbar angeht, weniger emotional und etwas sachlicher gesprochen worden wäre. Das wird, wie ich glaube, in den künftigen Aussprachen sicherlich auch geschehen. Ich erfülle auch gern den Wunsch von Herrn Bartling, der von uns etwas mehr zur Sache hören wollte. Wir äußern unsere Meinung aber nicht schon vorher, sondern tragen unsere Meinungsäußerungen hier im Plenum vor.

Die FDP-Landtagsfraktion begrüßt den Vorschlag, den Landtag zu verkleinern. Das entspricht dem liberalen Selbstverständnis, mit den staatlichen Ressourcen so sparsam und effektiv wie möglich umzugehen, und zwar gerade jetzt, da wir den Bürgern viele Einsparungen zumuten müssen. Wir verfahren dabei getreu unserem Credo: So viel Staat wie nötig, so wenig Staat wie möglich. Dies muss auch für die Legislative gelten. Wir sehen

hier ein geeignetes Mittel zur Verschlankung der Strukturen der Legislative, denen wir uns insgesamt widmen müssen. Es geht hier nicht nur um eine rein zahlenmäßige Verringerung der Sitze im Plenum.

Eine Neuordnung der Wahlkreise stellt ebenso wie eine Verkleinerung des Landtages einen äußerst sensiblen Eingriff in den Kernbereich der Demokratie dar. Wir sehen deshalb keine Veranlassung, übereilt eine Entscheidung zu treffen. Die Entscheidung muss nicht zwingend zu Beginn dieser Legislaturperiode getroffen werden, sondern sie sollte nach intensiven Erörterungen und Diskussionen zu einem späteren Zeitpunkt getroffen werden. Unter dieser Voraussetzung kann ich Ihnen zusichern, dass wir zu einem Ergebnis und zu einer Entscheidung kommen werden. Die eingeschlagene Richtung ist sicherlich vernünftig; die Vorgaben sind richtig.

Die FDP-Fraktion legt ganz besonderen Wert auf einen einvernehmlichen Ansatz aller im Niedersächsischen Landtag vertretenen Fraktionen. Vor diesem Hintergrund fordern wir dazu auf, wirklich lange und ausführlich über dieses Thema zu sprechen. Wir brauchen hier eine demokratische Legitimation, die quer durch die Parteien geht. Dann werden wir, wie ich meine, auch auf den richtigen Weg kommen.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, eine Verkleinerung des Landtages kann aber nicht nur unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit beurteilt werden; vielmehr sind die Arbeitsfähigkeit des Landtages sowie die Chancengleichheit der Fraktionen im Landtag zumindest gleichrangige Ziele, die es bei einer Reform zu wahren gilt. Die Chancengleichheit wie auch die Arbeitsfähigkeit werden durch den Antrag der SPD-Fraktion aus meiner Sicht aber verletzt; ein Problempunkt ist die Verkleinerung des Landtages um 34 Abgeordnete. Wenn von 121 Abgeordneten zwei Drittel - also 80 Abgeordnete - direkt und nur noch ein Drittel über die Liste gewählt werden, sehen wir hierin eine Benachteiligung der kleineren Parteien. Herr Hagenah hat insofern richtigerweise darauf hingewiesen, dass wir dann über Überhangmandate zu einem Ausgleich kommen müssen, um das wahre Wahlergebnis widerzuspiegeln.

Ein weiterer kritischer Punkt ist in diesem Zusammenhang die Frage des künftigen Zuschnitts der dann automatisch größer werdenden Wahlkreise, wie wir eben auch schon gehört haben. Diese Fra

ge wird in der Begründung des Antrags der Fraktion der Grünen zutreffend thematisiert, die zu Recht den Erhalt überschaubarer Wahlkreisstrukturen anmahnt. Das ist auch aus unserer Sicht ein ganz wichtiger Aspekt.

Außerdem sollen sich die Wahlkreise an bestehenden Verwaltungs- bzw. historischen Einheiten orientieren. Auf diese Weise bewahren wir meiner Meinung nach eine gewisse Identität, die zwischen Abgeordneten und Wahlkreis unabdingbar ist.

Eine Vergrößerung der Wahlkreise bedeutet aber auch eine überproportional stärkere Belastung der Abgeordneten der kleineren Fraktionen, die in der Regel mehrere Wahlkreise zu betreuen haben. Die intensive Betreuung der Wahlkreise, die dem Bedürfnis der Wählerinnen und Wähler nach wählerund bürgernahen Entscheidungen Rechnung trägt, wird insofern noch weiter erschwert. Diesen Einwand hat die SPD-Fraktion schon in der letzten Legislaturperiode in der Enquete-Kommission erhoben. Von daher verwundert es einen schon, dass sie jetzt nicht nur 135 Abgeordnete vorschlagen, sondern noch weiter auf 121 heruntergehen wollen. Angesichts dessen muss man sagen, Herr Bartling: Seit der letzten Wahl ist in der Tat nichts mehr so wie früher. Das gilt für viele Bereiche. Warum Sie jetzt diesen Wandel vollzogen haben, kann ich nicht erkennen.

Auch die Arbeitsfähigkeit der einzelnen Abgeordneten darf nicht außer Acht gelassen werden. Ich habe schon erwähnt, dass die Arbeitsbelastung der Abgeordneten der kleineren Parteien durch die Betreuung der vergrößerten Wahlkreise äußerst problematisch sein wird. Auch der Kern der parlamentarischen Arbeit wäre bei einer Verkleinerung des Landtags betroffen. Die effektive Mitarbeit in einem Ausschuss, für die bei den kleineren Parteien in der Regel nur jeweils ein Abgeordneter zuständig ist, bedeutet einen enormen Zeitaufwand. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es wäre, wenn jeder Abgeordnete zwei oder noch mehr Fachbereiche betreuen müsste. Ich weiß nicht, ob die Arbeit dann noch so vernünftig wahrgenommen werden könnte, wie dies derzeit der Fall ist. Das mag aus meiner Sicht dann kaum noch zu vertreten sein.

Außer Acht lassen dürfen wir auch nicht die fachliche Komplexität der Landtagsarbeit, die immer mehr zunimmt. Wir müssen uns immer intensiver in fachlich spezielle Probleme einarbeiten. Auch hier kann man durch die Zuarbeit von Referenten

und wissenschaftlichen Mitarbeitern sicherlich nur begrenzt gegensteuern.

(Glocke des Präsidenten)

- Ich bin sofort fertig, Herr Präsident. - Ich denke, dadurch ist deutlich geworden, dass wir uns als Parlamentarier noch intensiver nicht nur über die Größe des Landtags, sondern auch über das parlamentarische Verfahren und seine Rahmenbedingungen austauschen müssen. Die FDP-Fraktion ist zu diesen Gesprächen sehr gern bereit. Zu diesem Zeitpunkt jedoch sehen wir noch keine Veranlassung, Ihren Anträgen zuzustimmen. Hier muss ein Rundumpaket geschnürt werden. Hieran werden wir konstruktiv mitarbeiten. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Harms das Wort. Sie haben noch drei Minuten.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon zu Recht angesprochen worden, dass wir als grüne Landtagsfraktion länger gebraucht haben, um uns auf eine Position zur Parlamentsverkleinerung zu verständigen. Das hat mit ähnlichen Abwägungen zu tun, wie sie eben gerade schon Herr Kollege Lehmann zu den mit der Arbeitsfähigkeit kleinerer Fraktionen verbundenen Schwierigkeiten vorgenommen hat. Das Problem ist nur: Herr Kollege Lehmann, man muss sich trotzdem entscheiden, ob der Landtag zu groß ist und kleiner werden könnte.

(Carsten Lehmann [FDP]: Wir werden das tun! Keine Sorge! Wir tun es!)

Ich glaube, dass die Meinungen hier in diesem Parlament schon oft genug - auch ohne dass Sie dabei gewesen sind - ausgetauscht worden sind. Ich jedenfalls bin froh darüber, dass diejenigen bei uns - zu denen gehöre auch ich -, die schon länger für eine Verkleinerung des Landtages eintreten, inzwischen mehrheitsfähig sind. Meine Erwartung vor dieser Debatte war, Herr Kollege Althusmann, dass wir bei Ihnen mit unserer Position zur Parlamentsverkleinerung jetzt eigentlich offene Scheunentore einrennen müssten. Das, was ich heute Ihrer Rede entnehmen konnte, ist eindeutig:

Sie befinden sich im Moment in einer Position der Besitzstandswahrung. Sie haben Angst davor, mit den Kollegen Ihrer Fraktion über die Frage zu diskutieren, wer denn in Zukunft auf einen Wahlkreis verzichten soll.

(Beifall bei den GRÜNEN)

So schlicht ist das. Es gehört aber auch einmal ausgesprochen. Ihre große Selbstsicherheit, dass Sie sich wegen der angeblichen Zerrüttung der SPD überhaupt keine Sorgen über Ihre Machtposition in Niedersachsen und im Bund machen müssten, kann ich nicht teilen, Herr Althusmann. Die CDU ist gerade erst seit einem Tag raus aus den Schlagzeilen. Die CDU streitet über Rente. Die CDU streitet über Gesundheit. Die CDU streitet über Steuern. Auch das Thema Hohmann hat letztendlich gezeigt, auf welch wackligen Füßen Frau Merkel steht und wie sehr Herr Koch darauf wartet, wieder nach vorn gehen zu können.

(Zurufe von der CDU - Glocke des Präsidenten)