Vermutlich ist dieser Kessel auch der Hintergrund für die Absicht der Regierung, den Unterbindungsgewahrsam in Niedersachsen auf zehn Tage auszuweiten. Oder ist das Teil der Gorleben-Strategie? Welches Klima soll mit einem solchen Unterbindungsgewahrsam eigentlich geschaffen werden? Verfassungskonform - aber die Verfassung spielt für die CDU-Innenpolitik keine große Rolle - sind bisher maximal 48 Stunden Gewahrsam. Die Ingewahrsamnahmen ohne richterliche Überprüfung in Gorleben in den letzten Jahren verstießen seit je gegen die Grundrechte. Aber wenn ein Staatssekretär berufen wird, der in den 80er-Jahren noch die Ausstattung der Bundeswehr mit Atombomben gefordert hat, der sich einen Dauerclinch mit Datenschützern liefert, der erst 2002 ein absolutes Demonstrationsverbot über München verhängt hat, dann zeigt eine Regierung damit meiner Meinung nach, dass Grund- und Bürgerrechte im Lande Niedersachsen keine wirklichen Anliegen mehr sein sollen.
Mit Liberalität, Herr Rösler und Kollegen von der FDP, hat diese Politik Münchner Prägung sicher nichts zu tun. Bei der Ankündigung, dass jetzt im Bereich Sicherheits- und Ordnungsgesetz etwas passieren soll, sollten Sie auch berücksichtigen, was auf dem Gebiet Sicherheit und Ordnung innerhalb der Münchner Polizei los war. Eine solche
Häufung von Skandalen innerhalb einer Polizei wie in München ist bundesweit einmalig. Ich hoffe, dass Ihnen die Entscheidung, Herrn Koller nach Niedersachsen zu holen, nicht noch Leid tun wird. Wenn man die Münchner Verhältnisse anguckt, muss man sich zum Teil schon Sorgen machen um die Sicherheit von einzelnen Beamtinnen bei der Münchner Polizei.
DNA-Analyse, geschlossene Heimunterbringung, das SOG, finaler Rettungsschuss - ein üblicher Kessel Buntes dieser konservativen Innenpolitik. Dabei waren wir jedenfalls mit einigen von Ihnen der Kollege Schünemann gehörte zeitweise jedenfalls dazu - ja schon längst überein gekommen, dass Repression allein kein Erfolgsrezept sein kann, dass Sozialpolitik, Integrationspolitik und eine Bildungspolitik, die allen eine Chance gibt, erst die Voraussetzung für mehr Sicherheit und weniger Kriminalität schaffen. Aber das wird von Ihnen derzeit überhaupt nicht wahrgenommen.
Meine Damen und Herren, den im Entwurf der Regierungserklärung enthaltenen armseligen Teil zur Ausländerpolitik haben Sie gestern nicht gehört, weil Herr Wulff diesen Baustein seiner Rede ausgelassen hat. Trotz des Bekenntnisses zu den Schlesiern fehlten in der Regierungserklärung von Herrn Wulff völlig die Akzeptanz und die Wertschätzung des Fremden. Eine niedersächsische CDU-Frau, nämlich Rita Süssmuth, hat ausgesprochen Recht. Herr Wulff hat in der Regierungserklärung sehr oft Bezug genommen auf die Kirche; ich würde mich freuen, wenn die CDU in Fragen der Ausländerpolitik tatsächlich auch einmal dazu übergehen könnte, auf die Bischöfe zu hören.
Nächstenliebe - für Flüchtlinge, die nach dreijährigem Arbeitsverbot in der Sozialhilfe landen, scheint dieses Gebot in der CDU bisher nicht zu gelten.
Nächstenliebe - für Frauen, die wegen ihres Geschlechts bedroht und verfolgt werden, scheint dieses Gebot auch nicht zu gelten.
Nächstenliebe - das ist offensichtlich ein Gebot, mit dem Sie sehr willkürlich und selektiv umgehen. Ich wünschte mir, Sie würden es anders handhaben.
Meine Damen und Herren, die Schulpolitik der CDU nimmt nicht Bezug auf die 80er-Jahre, sondern auf die 50er-Jahre.
Damals fing das ganze Elend Ihrer überhaupt nicht zukunftsfähigen ideologischen Schulpolitik an. Eine Schule für alle - man höre und staune, das war für eine ganz kurze Zeit einmal Beschlusslage in Westdeutschland, geriet aber - das stellt man fest, wenn man nachliest - hier im Westen sehr schnell unter Sozialismusverdacht.
Wenn die deutschen Schüler noch in hundert Jahren schlechter abschneiden als die Schüler, die bis zur neunten Klasse gemeinsam beschult werden: Sie werden die Illusion der „homogenen“ Lerngruppe hochhalten. Sie suggerieren damit, Frau Körtner, die Begabungen und Leistungen der Kinder seien in den Schulen des dreigliedrigen Systems homogen wiederzufinden. Tatsächlich - das ist das Bitterste an PISA, jedenfalls für mich; für Sie offensichtlich nicht - ist nur die soziale Herkunft der Kinder in den einzelnen Schulformen relativ homogen.
Das passt eben wirklich zu den Ideologien der 50er- und der 80er-Jahre. Wer eine Gesellschaft spalten oder Spaltung aufrecht erhalten will, der fängt damit am allerbesten in der Schule an.
Die Diskussion um PISA wurde meiner Meinung nach schon vom Vorgänger von Christian Wulff, von Sigmar Gabriel, falsch geführt. Nach der Wahl allerdings habe ich die Erwartung - da klang ja heute auch schon Einiges an -, dass sich die SPD in
„Die Deutschen lieben nichts so sehr wie ihre Strukturen. Und deshalb versuchen sie, alles auf Strukturen zurückzuführen. Und deshalb wird wieder einmal das Für und Wider von Gesamtschulen debattiert statt zu klären, was an den Schulen wirklich passiert und falsch läuft“.
Frau Süssmuth hat völlig Recht. Nach PISA ist doch klar, dass Selektion überhaupt keine Lernanreize schafft, dass Lernen in Gruppen, dass Lernen ausgehend von verschiedenen Talenten und Begabungen zentraler Baustein ist in all den Schulen, in denen PISA Erfolge abgebildet hat.
Diese Strukturen, über die ich gern diskutieren würde, würde ich ungern verwechselt sehen mit allen real existierenden Gesamtschulen oder Orientierungsstufen.
Ein Hinweis an dieser Stelle. Frau Körtner, vielleicht sollten Sie einmal eine kleine Reise unternehmen. Die deutschen Schüler, die im internationalen Vergleich wirklich mithalten können, kommen z. B. aus einer Schule in Wiesbaden, aus der Helene-Lange-Schule. Für solche Schulen sollten Sie sich interessieren. Leider machen Sie an der Stelle dicht. Sie ignorieren, was Sie sonst nie tun, die Ergebnisse von McKinsey, Sie ignorieren die Positionen des Baden-Württembergischen Handwerkstages, weil Sie von Ihren ideologischen vorgefassten Meinungen in der Schulpolitik einfach nicht herunter wollen.
Ich werde nicht aufhören, in den nächsten Jahren darauf hinzuweisen - ich kann Sie ja offensichtlich nicht bremsen -,
Jeder hier findet es gut - auch wenn Herr Wulff das anders behauptet -, wenn Kindern vorgelesen wird. Die Gute-Nacht-Geschichte ist etwas Wunderbares. Aber was wird aus den Kindern, denen niemand eine Geschichte vorliest, sondern die nur Fernsehen und Playstation kennen, die schon mit sechs Jahren motorisch gestört in die Schule kommen, weil das Sitzen ihre Hauptaktivität ist? Wenn Sie sich weiter weigern, gegen die soziale Spaltung anzuarbeiten, die offensichtlich von unserem Schulsystem verschärft wird, dann zeigen Sie damit, dass Sie PISA in die Tonne treten und einfach nichts lernen wollen.
Zusätzliche Lehrkräfte und die Stärkung des Bildungsauftrags des Kindergartens - gut und richtig, aber nicht mit dem Ziel, Kinder, wenn sie erst zehn Jahre alt sind, nach sozialer Herkunft zu trennen, und nicht mit dem Ziel, die Kindheit weiter zu beschleunigen. Auch beim Turboabitur vergessen Sie, - -
Auch beim Turboabitur vergessen Sie, dass die Ganztagsschulen in allen europäischen Ländern Voraussetzung für das Abitur nach zwölf Jahren sind. Zu Ihrer Haltung zur Ganztagsschule kann ich nur sagen: Ideologischer geht es doch gar nicht mehr.
Wir können Sie auf Ihrem Weg in die 50er-Jahre nicht stoppen, aber in Ruhe lassen werden wir Sie mit Ihren altbackenen und an den ständischen Interessen des konservativen Bürgertums orientierten Ideen ganz bestimmt nicht. Das kann ich Ihnen anlässlich dieser Aussprache über die Regierungserklärung versprechen.
Meine Damen und Herren, eine solche Aussprache über die Regierungserklärung und der Start eines neu gewählten Landtages sind immer auch so etwas wie ein Start in die Wirklichkeit. Im Wahlkampf haben Sie es ja sehr einfach gehabt.