Protokoll der Sitzung vom 10.12.2003

Der letzte Satz, meine Präsidentin!

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Oh! Charmant, charmant!)

Wir haben im Rahmen unserer Möglichkeiten einmal das durchgespielt, was Sie sich von Ihrem Antrag erhoffen. Wir könnten - um die Haftanstalten zu entlasten - auf Grundlage unseres Strafvollzugsgesetzes mindestens 300 Gefangene und damit auch weniger Kosten haben, wenn Sie das Strafvollzugsgesetz positiver auslegen würden. Wir meinen, dass Ihre 50 bis 60 Personen, auf deren Abschiebung Sie hoffen können, maximal 10 bis 20 ausmachen. Ich meine, dass wir keine Möglichkeit haben, diese Personenzahl nennenswert zu steigern.

Herr Kollege Meihsies, trotz der charmanten Anrede: Kommen Sie bitte zum Ende.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Aber eine Minute hat es gebracht!)

- Nicht ganz, 30 Sekunden hat es gebracht. - Meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, Sie haben im Bundesrat Ihre eigenen Anträge abgelehnt. Das müssen Sie einmal nachvollziehen. 1997 haben Sie im Bundesrat gegen eine entsprechende Entschließung votiert. Ich möchte Sie auffordern, dieser Entschließung zukünftig zuzustimmen. Dann wird aus Ihrem Antrag ein vernünftiger Schuh. - Frau Präsidentin, ich bedanke mich für die Überziehungsmöglichkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Müller.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Nerlich, Sie haben ganz richtig angefangen. Wir haben uns in den 90er-Jahren schon öfter mit diesem Thema beschäftigt. Auch in diesem Jahr ist es, wenn ich das richtig sehe, schon das zweite Mal, dass die Regierungskoalitionen einen solchen Antrag stellen.

(Zuruf von der CDU: Das letzte Mal, Frau Müller!)

- Das weiß man bei Ihnen nicht immer so genau.

In dem Ziel, dass Ausländer, die bei uns straffällig und verurteilt werden, die fällige Haftstrafe auch im Herkunftsland verbüßen können müssen, sind wir uns gar nicht so uneinig. Uneins sind wir über den Weg. Soll das pauschal für alle gelten, oder soll es Differenzierungsmöglichkeiten geben?

Ich will noch einmal kurz skizzieren - auch Sie haben es angedeutet -, welche Möglichkeiten es zurzeit überhaupt gibt. Einerseits ist es möglich, auch ohne völkerrechtlichen Vertrag einen ausländischen Staat zu ersuchen, einen Straftäter, der bei uns einsitzt, zur Strafvollstreckung wieder in das Land zurückzunehmen. Allerdings muss das jeweils einzeln verhandelt werden. Es ist sehr aufwändig, sehr bürokratisch und wird daher so gut wie überhaupt nicht genutzt.

Der zweite Weg ist ein Europaratsabkommen, das es seit 1983 gibt. Da geht es darum, dass der Verurteilte seine Einwilligung geben muss. Wir wissen genau, dass das nicht immer erfolgt. Die Ratifizierung dieses Abkommens unter der Regierung Kohl ist damals mit einem Ausführungsgesetz zustande gekommen. Im Übrigen hat die Regierung Kohl für die Ratifizierung des ersten Europaratsabkommens damals acht Jahre gebraucht.

(Bernd Althusmann [CDU]: Das waren noch gute Zeiten! - Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Wir sind schneller!)

- Warten wir es ab. - Das ist der Sachstand der 90er-Jahre.

Der dritte Weg, den man jetzt beschreiten könnte, ist folgender: Sie wissen, dass es seit 1997 ein Zusatzprotokoll zu diesem Europaratsabkommen gibt. In diesem Zusatzprotokoll wird festgestellt, dass auf die Zustimmung eines Verurteilten verzichtet werden kann, wenn gegen ihn eine vollziehbare Ausweisungs- oder Abschiebungsanordnung vorliegt. Dieses Europaratsabkommen ist 1997, also noch unter Ihrer Bundesregierung, zustande gekommen. Es wurde gezeichnet, aber nicht ratifiziert. Auch das notwendige Ausführungsgesetz wurde unter der Regierung Kohl nicht mehr vorgelegt. In dieser Zeit gab es bei der damaligen Opposition in diesem Haus keinen Wunsch, irgendetwas zu beschleunigen. Heute

hingegen fordern Sie unverzügliches Handeln. Klar ist, dass Sie mit diesem Antrag und Ihrem Wunsch nach unverzüglichem Handeln eine Ratifizierung ohne Ausführungsgesetz erreichen wollen. Damit stehen Sie übrigens im Gegensatz zu Ihrer Bundestagsfraktion.

Ebenso klar ist, dass die SPD ein Ausführungsgesetz für erforderlich hält, um zwischen Tätern, die hier geboren und aufgewachsen sind, aber keinen deutschen Pass haben, und anderen differenzieren zu können.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Ein neuer Gesetzentwurf für ein Ausführungsgesetz wird in Berlin zurzeit erarbeitet.

Um wie viele Fälle geht es eigentlich, Kolleginnen und Kollegen? Die Landesregierung konnte auf unsere Kleine Anfrage hin nicht einmal dafür Zahlen vorlegen, gegen wie viele Straftäter im Vollzug die notwendigen bestandskräftigen Ausweisungsverfügungen vorliegen; denn nur in solchen Fällen kann das Europaratsabkommen genutzt werden. Es ist nicht einmal genau bekannt, wie viele Verurteilte ihre Strafe im Herkunftsland – mit Zustimmung - verbüßen wollen. Bekannt ist nur, dass 1998 im Zusammenhang mit dem Überstellungsverfahren mit Zustimmung der Gefangenen 119 Anträge bearbeitet worden sind, dass es aber nur in 58 Fällen tatsächlich zu einer Überstellung gekommen ist.

Sie, meine Damen und Herren, insbesondere von der CDU-Fraktion, behaupten nun, dass man den niedersächsischen Vollzug ohne dieses Ausführungsgesetz sofort um 50 bis 60 Gefangene erleichtern könnte. Woher haben Sie eigentlich diese Zahlen? Haben Sie sie aus dem Daumen gelutscht, oder hat die Landesregierung unsere Kleine Anfrage nicht korrekt beantwortet?

(Beifall bei der SPD)

Beides wäre im Übrigen sehr fatal. Außerdem wären bei rund 7 000 Gefangenen in diesem Lande 50 Zurückgeführte nun wirklich keine gravierende Entlastung für unseren Vollzug. Aber dass Sie ohne ein Ausführungsgesetz zu dem Abkommen von 1997 den Rechtsschutz für die Betroffenen erschweren bzw. faktisch abschaffen, scheint Sie überhaupt nicht zu stören. Die SPD-Fraktion wird Ihrem Antrag nicht zustimmen. Für uns sind Rechtsstaatlichkeit und Rechtsschutz hohe Güter, die wir Ihrem Populismus nicht opfern werden.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat der Abgeordnete Lehmann.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon beschämend, dass wir uns mit einem Sachverhalt beschäftigen müssen, der bereits vor mehr als fünf Jahren dem Grunde nach geregelt wurde, aber immer noch nicht abgeschlossen ist. Zu diesem Zeitpunkt, nämlich genau am 18. Dezember 1997, hat die Bundesregierung das Zusatzprotokoll zum Überstellungsübereinkommen des Europarates unterzeichnet, mittels dessen die Rückführung ausländischer Straftäter auch ohne deren Einverständnis in die Heimatstaaten erfolgen kann. Beschämend ist das allerdings ausschließlich für die Bundesregierung, die es bis heute nicht vermochte, dieses Zusatzprotokoll zu ratifizieren, und das, obwohl sie es unterzeichnet hat.

Außer der Bundesrepublik haben 20 weitere Staaten dieses Zusatzprotokoll unterzeichnet. Warum die Bundesrepublik das immer noch nicht ratifiziert hat, ist, wie gesagt, nicht nachvollziehbar. Es ist in höchstem Maße widersprüchlich, wenn die Bundesregierung erst ein Protokoll unterzeichnet, dann aber die In-Kraft-Setzung verzögert. Nachvollziehbare Gründe hat die Bundesregierung dafür bisher nicht genannt. Jedoch hat die Bundesregierung auch keine Versuche unternommen, das Abkommen zu kündigen oder anderweitig Rechtsklarheit zu schaffen. Vielmehr sitzt sie das Problem durch Unterlassen einfach aus.

Leider zeichnet sich die rot-grüne Bundesregierung nicht nur in diesem Bereich durch Handlungsunfähigkeit aus. Der Reformstau ist praktisch schon legendär.

Des Weiteren ist festzustellen, dass hiervon ausschließlich die Bundesländer betroffen sind und somit der Bund keinen unmittelbaren Handlungsdruck verspürt. Das ist ein weiteres Beispiel dafür, wie die Bundesregierung mit den Ländern verfährt. Darüber haben wir in anderem Zusammenhang heute schon gesprochen.

Der tatsächliche Grund aber ist in dem aktiven Tatbeitrag der Grünen zu sehen, die sich einer aus fachlicher Sicht unerlässlichen Regelung - nach unserer Einschätzung ausschließlich aus ideologi

schen Gründen - widersetzen, zum Schaden der Länder und zum Schaden des Strafvollzuges und der dort befindlichen Menschen, welche die Folgen dieser Blockadementalität auszuhalten haben. Wir haben von den Grünen schon etwas dazu gehört, ob es eine Entlastung im Strafvollzug geben würde oder nicht. Wir halten es für problematisch, sich weiterhin einer Lösung zu verweigern. Immerhin ist rund ein Viertel der Gefangenen ausländischer Nationalität, mit allen damit verbundenen Problemen, wie ethnisch motivierten Konflikten, räumlichen Engpässen und den sprachlichen und versorgungstechnischen Schwierigkeiten.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Damit wird die Dimension des Problems deutlich. Dieses lässt sich in Euro und Cent beziffern. Jährlich kostet dies den Landeshaushalt rund 300 000 Euro, die eingespart und anderen Verwendungen zugeführt werden könnten.

Lassen Sie uns deshalb gemeinsam ein Zeichen in Richtung Bund senden, und stimmen Sie dem vorliegenden Antrag zu. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Das Wort hat die Ministerin Heister-Neumann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den Justizvollzugsanstalten aller Bundesländer verbüßen zahlreiche ausländische Straftäter ihre Freiheitsstrafen. Allein in Niedersachsen - darauf weist der vorliegende Entschließungsantrag zutreffend hin - verfügt mehr als ein Viertel der Täter nicht über die deutsche Staatsangehörigkeit. Zum Stichtag 1. März 2003 waren es mehr als 1 600 Strafgefangene, die natürlich nicht alle unter die zur Diskussion stehende Regelung fallen.

Dies führt zu Schwierigkeiten in den Anstalten und verursacht erhebliche Kosten. Allein deshalb ist es geboten, dass zumindest diejenigen ausländischen Gefangenen die Strafe in ihren Heimatstaaten verbüßen, die Deutschland nach ihrer Haftzeit aus zwingenden Gründen des Ausländerrechts ohnehin verlassen müssen. Dies liegt nicht zuletzt auch in ihrem eigenen Interesse; denn Resozialisierung kann nur dann gelingen, wenn sie auf die Gesell

schaft ausgerichtet ist, in der ein Verurteilter später tatsächlich leben wird.

Das Überstellungsübereinkommen des Europarates vom 21. März 1983 erlaubt uns nicht, ausländische Straftäter gegen ihren Willen in ihren Heimatstaat zu überstellen. Diese Möglichkeit sieht erst das hierzu ergangene Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997 vor, das bis heute immerhin 20 Staaten nicht nur gezeichnet, sondern auch ratifiziert haben. Die Bundesrepublik Deutschland indes gehört zwar zu den Unterzeichnerstaaten, hat das Zusatzprotokoll jedoch bis heute noch nicht ratifiziert.

Für mich war dies Anlass, alsbald nach dem Amtsantritt im März dieses Jahres an die Bundesministerin der Justiz ein Schreiben zu richten und darin noch einmal auf die baldige Ratifizierung des Zusatzprotokolls zu dringen. Mit derselben Intention sind zuvor bereits der Bundesrat, die Justizministerkonferenz, die Innenministerkonferenz und der Hessische Justizminister bei der Bundesregierung vorstellig geworden. Geschehen ist bis heute nichts. Gründe dafür werden nicht genannt. Dem Vernehmen nach sollen koalitionsinterne Unstimmigkeiten dahinter stecken. Die Überstellung ausländischer Straftäter zur Strafverbüßung in ihre Heimatstaaten ist aber ein zu wichtiges Anliegen, um die Untätigkeit der Bundesregierung hinzunehmen, die sonst wegen der übervollen Gefängnisse immer auf die Länder zeigt.

Auf Initiative Niedersachsens hat sich deshalb die Herbstkonferenz der Justizministerinnen und minister erneut mit dem Zusatzprotokoll beschäftigt und die Bundesregierung, Frau Müller, mit den Stimmen der von der SPD regierten Länder bei nur einer einzigen Stimmenthaltung aufgefordert, endlich das Ratifikationsverfahren mit der Hinterlegung der Urkunde abzuschließen.

Erfreut bin ich über die Unterstützung, welche die Niedersächsische Landesregierung durch den vorliegenden Entschließungsantrag erfährt. Ich bitte Sie deshalb, diesem Antrag zuzustimmen, und fordere auch die Damen und Herren von der Opposition auf, dies im Interesse des Landes und der betroffenen Gefangenen zu tun.

Ich möchte noch darauf hinweisen, Frau Müller: Bei über 1 600 ausländischen Strafgefangenen kommen auch nach der Ratifizierung nicht die ansonsten möglichen 300 Gefangenen in Betracht. Vielmehr werden es sehr viel weniger sein, weil wir

nämlich genau die Differenzierung, die von Ihnen und auch von Herrn Meihsies angesprochen wurde - wer kann tatsächlich in die Heimatstaaten überstellt werden? -, bereits in unsere Überlegungen einbezogen haben.

Sie können also davon ausgehen, dass wir damit sehr verantwortungsbewusst umgehen. Aber diese 50 würden uns schon zu einem gewissen Teil entlasten. Sie wissen, welche Probleme wir mit der Finanzierung des Justizvollzugs haben.

Bitte unterstützen Sie das. Sie würden uns wirklich helfen. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die CDU-Fraktion hat um zusätzliche Redezeit nach § 71 unserer Geschäftsordnung gebeten. Ich gewähre den Fraktionen von CDU und SPD jeweils zwei Minuten und den beiden kleineren Fraktionen jeweils eine Minute.