Protokoll der Sitzung vom 11.12.2003

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Abgeordnete Briese das Wort. Ich erteile es ihm.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was ist dieser Regierung ein funktionierender Rechtstaat wert? - Erschreckend wenig. Wider allen Versprechungen im Wahlprogramm und in der Koalitionsvereinbarung wird zusammengestrichen und weggekürzt.

Die Justizministerin - Herr Biester hat es gerade schon gemacht - wird gleich wieder betonen, es gebe keine Alternative zu diesem Sparkurs. Aber das ist schlicht falsch, denn Geld für mehr Polizei haben Sie ja. Für leichtsinnige Wahlversprechen müssen nun andere bluten: Hochschulprofessoren und Richter werden in die Pampa geschickt, damit der Innenminister mehr Polizei bekommt. Mich würde doch sehr interessieren, wie dieses Land vorankommen soll, wenn mehr Polizei auf den Straßen ist, aber Hochschulprofessoren entlassen werden sollen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Mehr Polizei wird im Übrigen mehr Arbeit für die Justiz bedeuten; das liegt in der Natur der Sache. Wie diese Mehrarbeit mit weniger Personal erledigt werden soll, bleibt hoffentlich nicht das Geheimnis der Justizministerin. Darauf wollen wir gleich Antworten hören, Frau Ministerin.

Meine Damen und Herren, Rechtsgewährung ist eine Kernaufgabe des Staates. Kernaufgaben des Staates erkennt man daran, dass sie in der Verfassung niedergelegt sind. Man fragt sich allerdings, was diese Niedersächsische Verfassung angesichts der permanenten Verstöße gegen sie noch wert ist.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustim- mung bei der SPD)

Rund 4 % - das sind rund 960 Millionen Euro macht der Justizhaushalt am Gesamthaushalt aus. Zu über 50 % arbeitet die Justiz kostendeckend. Einsparungen in der Justiz bringen fiskalpolitisch fast nichts, bewirken aber großen rechtspolitischen Schaden. Aber verteidigt die Justizministerin ihren Haushalt gegenüber dem Finanzminister? - Nein. Möllring hat doch die Axt an die Justiz angelegt.

(Beifall bei den GRÜNEN - Dr. Harald Noack [CDU] lacht)

- Herr Vorsitzender des Rechtsausschusses, ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt.

(Dr. Harald Noack [CDU]: Allein das Bild ist schon bemerkenswert!)

Meine Damen und Herren, wo sind die politischen Akzente der neuen Justizministerin? Hat diese Regierung eines rechtspolitische Vision? - Bei aller Wertschätzung, Frau Ministerin, die politischen Akzente, die Sie bisher gesetzt haben, sind bescheiden: neben ein wenig Privatisierungsrhetorik nur Repressionen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Kurz nach dem Amtsantritt lancierten Sie über den Bundesrat eine ganze Batterie von Strafverschärfungen im Jugendstrafrecht. Der Deutsche Juristentag - nicht gerade eine 68er-Veranstaltung, Herr Rösler, sondern eher ein bedächtiges, abwägendes, man könnte fast sagen, konservatives Gremium - hat diese Vorschläge in Bausch und Bogen verworfen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustim- mung bei der SPD)

Auch hier ist Niedersachsen mit Volldampf auf dem Weg zurück ins 20. Jahrhundert. Diese Regierung ist erschreckend beratungsresistent, egal ob die Minister Busemann, Stratmann oder Neumann heißen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wie können wir die Justiz effizienter machen und von Aufgaben entlasten? - Die Grünen verschließen sich dieser Diskussion nicht. Die Zusammenlegung von Gerichtsbarkeiten findet unsere Zustimmung, wenn da

durch tatsächlich Synergien zum Tragen kommen. Das muss allerdings erst noch bewiesen werden.

Die gegenwärtige Reform des Betreuungsrechts wird von uns mitgetragen. Das Land muss tatsächlich die Betreuungskosten in den Griff bekommen. Dafür muss das Ehrenamt gestärkt werden. Das Schreiben von Pressemitteilungen aus dem MJ allein reicht hierfür längst nicht aus.

(Beifall bei den GRÜNEN)

(Präsident Jürgen Gansäuer über- nimmt den Vorsitz)

Herr Dr. Biester, dann ist natürlich die Frage zu stellen, ob wir einfach nur eine Kostenverlagerung von dem Justiz- in den Sozialhaushalt haben wollen. Das brächte für den Landeshaushalt letztendlich nichts. Man muss sich wirklich fragen, wie man diese Kosten in den Griff bekommt, und die Ansätze nicht einfach nur verschieben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, einige Worte zum Vollzug. Frau Ministerin, Sie wissen, dass das Land nur knapp an einer Kostenlawine vorbeigeschrammt ist. Das letzte Wort in Sachen menschenunwürdiger Unterbringung ist noch nicht gesprochen. Der BGH wird hierzu wahrscheinlich ein Urteil sprechen. Die Überbelegung in niedersächsischen Haftanstalten ist katastrophal. Aber was tut diese Regierung, und was tut diese Justizministerin dagegen? - Sie verschlimmert leider mit ihrem Handeln und ihren Vorschlägen die Lage. Die Aufhebung des Vollstreckungsaufschubs nach § 455a StPO für den Frauenvollzug war ein fataler Fehler. Der jetzige Bundesratsvorstoß zur Mehrfachbelegung in Hafträumen wird wahrscheinlich auch die Resozialisierung erschweren. Jetzt polemisieren Sie leider auch gegen die vernünftigen neuen Vorschläge zum Sanktionenrecht.

Wir erwarten von dieser Ministerin ein bisschen mehr in Sachen Rechtspolitik als Strafverschärfung und Verlagerung von Handelsregistern auf Vertreter wirtschaftlicher Interessen. Wir erwarten umfängliche Vorschläge für mehr Selbstverwaltung und Demokratie in der Justiz. Die Diskussion darüber wird gegenwärtig in der Bundesrepublik leidenschaftlich geführt. Der Einfluss der Exekutive auf die dritte Gewalt muss zurückgedrängt werden. Aber leider dröhnt die Stille zu diesem Thema laut aus dem MJ.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir erwarten endlich ein Akteneinsichtsrecht für die Bevölkerung. Der Innenminister kann hier zusammen mit der Justizministerin ein paar Pluspunkte in punkto Bürgerrechte sammeln. Dieses Konto ist leider völlig in den Miesen.

Wir fordern den Ausbau der außergerichtlichen Strafschlichtung in Form von Täter-Opfer-Ausgleich und Mediation.

Wir erwarten letztendlich eine Justizpolitik, die sich an den Grundwerten Rationalität und Humanität orientiert und nicht ständig das alttestamentarische Lied der Vergeltung anstimmt. Meine Damen und Herren, moderne Konservative sind zumindest schon im Neuen Testament angekommen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustim- mung bei der SPD)

Herr Lehmann, bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Dr. Biester hat ja schon auf einige Widersprüche hingewiesen, die Frau Bockmann in ihren Ausführungen gemacht hat. Deshalb erspare ich es mir, darauf noch einmal gesondert einzugehen, sondern komme zu einigen grundsätzlichen Ausführungen zur Justizpolitik aus Sicht der FDP-Landtagsfraktion.

Die FDP-Landtagsfraktion will in Niedersachsen eine noch leistungsstärkere und schlankere Justiz schaffen. Wie für alle Bereiche des öffentlichen Lebens gilt auch hier die liberale Tugend, dass sich der Staat nur so weit wie nötig, Private sich jedoch so weit wie möglich engagieren sollten. Ideologisch normierte Denkblockaden, die ein weitergehendes Privatengagement ausschließen, werden wir nicht gelten lassen.

Als Erstes möchte ich auf das Rückgrat der Justiz zu sprechen kommen, nämlich deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ihnen wird, wie im gesamten öffentlichen Dienst, viel an persönlichen Belastungen abverlangt. Nicht nur die fiskalischen Einschnitte bei den Sonderzuwendungen, sondern auch die besondere Arbeitsbelastung sind kennzeichnend für ihre Situation. Das ist heute schon

angesprochen worden und aus unserer Sicht zurzeit leider auch nicht zu verbessern. Ich werde im Rahmen meiner Ausführungen zu den Haushaltsbelastungen noch etwas dazu sagen.

Wir verstehen, dass es unter diesen Bedingungen nicht immer leicht ist, auch weiterhin motiviert seiner Arbeit nachzugehen. Umso mehr danke ich im Namen meiner Fraktion den Bediensteten in der Justiz für die geleistete Arbeit und ihre Bereitschaft, auch in Zukunft konstruktiv an der Weiterentwicklung der niedersächsischen Justiz mitzuarbeiten.

(Beifall bei der FDP)

Das ist ein ganz wichtiger Punkt. In den Gesprächen mit den Gewerkschaftsvertretern und den Mitarbeitern und Personalräten vor Ort merkt man, dass bei aller Kritik auch durchaus die Bereitschaft besteht, weiterhin mitzumachen. Es wird keine Verweigerungshaltung an den Tag gelegt, sondern es wird gesagt: Wir wollen konstruktiv zusammen etwas erreichen.

Doch in den Gerichten und im Strafvollzug sind die Grenzen der Belastbarkeit fast erreicht. Das ist heute bereits angesprochen worden. Auch wir meinen, dass es so sicherlich nicht weitergehen kann. Die Belastung ist wirklich sehr hoch.

Hier gilt es, durch eine vorausschauende Finanzpolitik die Basis für eine gezielte Verstärkung der belasteten Bereiche zu schaffen. Leider haben wir von der Vorgängerregierung ein Haushaltschaos sondergleichen übernommen.

(Ralf Briese [GRÜNE]: Das haben wir oft genug gehört!)

- Das muss immer wieder betont werden. Es hilft zwar nichts, aber es passt auch in diesem Moment.

Nach dem diesjährigen Sparauftakt in Höhe von fast 2 Milliarden Euro bin ich mir jedoch sicher, dass für Niedersachsen auch finanziell bald bessere Zeiten kommen werden.

Noch eine Anmerkung: Immer nur zu sagen, wir hätten ja auf zusätzliche Polizisten verzichten können und müssten ansonsten nur noch den Reformen auf Bundesebene zustimmen, dann wären wir aus dem Schneider, ist ein bisschen einfach. Ein Verzicht auf die zusätzlichen Polizisten könnte die Einsparungen in den anderen Bereichen, auch in der Justiz und bei den Hochschulen, nicht ausglei

chen. Dazu bedürfte es schon ein bisschen mehr. Aber von Ihnen ist dazu bis zum heutigen Tage überhaupt nichts gekommen.

(Beifall bei der FDP)

Bei allen Einsparungen ist es uns besonders wichtig, die Position der Justiz als dritter Säule des Staates zu stärken. Wir werden dafür Sorge tragen, dass die Justiz auch weiterhin ihre Aufgaben in vollem Umfang erfüllen kann, dann allerdings unter verbesserten Rahmenbedingungen technischer und personeller Art. Dazu müssen wir uns aber erst einmal diesen Handlungsspielraum schaffen. Dazu hat diese Landesregierung entscheidende Akzente gesetzt.

Vorrangig müssen wir in der Justiz eine Aufgabenkritik vornehmen. Diese Aufgabenkritik verstehen wir Liberale als dauerhaften Prozess. Ziel dieses Prozesses ist es, die Justiz zu optimieren. Das gilt natürlich auch für die anderen Verwaltungsbereiche.

Wir müssen uns auf unsere hoheitlichen Kernaufgaben konzentrieren. So bieten gerade die elektronischen Medien neue Möglichkeiten der Aufgabenwahrnehmung bzw. Aufgabenverlagerung. Diese müssen wir nutzen. Ich nenne als Beispiele die Einführung eines zentralen elektronischen Schuldnerverzeichnisses, das Einstellen von Daten aus Insolvenzverfahren in das Internet und die Übertragung der Registerführung von Grundbuch und Handelsregistern auf private Dritte, z. B. die Kammern; Herr Dr. Biester hat das schon angesprochen. Auch die Zusammenlegung von Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit sowie Arbeitsund Zivilgerichtsbarkeit - ich freue mich über die Zustimmung des Kollegen Briese - gehören dazu. Wir stehen erst am Beginn einer Entwicklung, diese Methoden zu nutzen. Die FDP-Fraktion wird sich konsequent auf diesen Weg begeben und ihn verfolgen.