Protokoll der Sitzung vom 21.01.2004

(Sigmar Gabriel [SPD]: Freiheit! - Ge- genruf von David McAllister [CDU]: Sicherheit! - Gegenruf von Sigmar Gabriel [SPD]: Freiheit!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute steht ein gewichtiges Gesetzesvorhaben der Landesregierung vor der Verabschiedung, das Gesetz über verfassungsund geheimschutzrechtliche Vorschriften, im Mittelpunkt die Novelle des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes. Gewichtig ist es vor allem deshalb - wir haben es schon gehört -, weil die im Gesetz enthaltenen Regelungen dem Verfassungsschutz weitreichende Kompetenzen im Bereich der Informationsbeschaffung einräumen, Kompetenzen, die durchaus die Grundrechte wie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die Unverletzlichkeit der Wohnung berühren.

Warum sah die Landesregierung nun Handlungsbedarf? - Der Grund, meine Damen und Herren, ist genau so simpel wie bedrohlich. Durch Organisationen wie Al Qaida und durch den Anschlag vom 11. September hat sich die Lage in der Welt geändert. Auch wenn New York oder Istanbul weit weg zu sein scheinen, ist die konkrete Gefahr spätestens seit der Bedrohungslage in Hamburg bei uns vor der Haustür angekommen. Auch die rot-grüne Bundesregierung sah sich aufgrund dieser Veränderungen veranlasst, mit dem so genannten Schily-I- und Schily-II-Sicherheitspaket zu reagieren. Ich sage noch einmal: Grün, Herr Briese. Die darin enthaltenen Maßnahmen werden jetzt in Niedersachsen als Schünemann I für den Verfassungsschutz nutzbar gemacht. Das tun wir in einer

Gründlichkeit, die dazu führt, dass in dieser Wahlperiode ein Schünemann II nicht erforderlich sein wird.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir tun dies nicht nur wegen der im Bundesverfassungsschutzgesetz vorgeschriebenen Verpflichtung zur Zusammenarbeit, die selbstverständlich nur bei vergleichbaren Gesetzesstandards funktioniert. Nein, wir tun dies, weil ein demokratisches Gemeinwesen wie das unsere verpflichtet ist, extremistischen Gewalttätern entschlossen mit allen rechtsstaatlichen Mitteln entgegenzutreten. Diesen Ansatz teilen die FDP-Fraktion und auch die überwiegende Mehrheit in diesem Hause. Bedauerlich ist nur, Herr Dr. Lennartz, dass die Partei der Grünen wieder einmal ihren realitätsfernen Fundamentalismus pflegt, anstatt die reale und greifbare Bedrohung zur Kenntnis zu nehmen.

Umso unverständlicher ist es, Herr Briese - das sage ich auch noch einmal -, dass Ihre Bundestagsfraktion diese Änderung und insbesondere auch die, die Herr Dr. Lennartz vorgetragen hat, mitgetragen hat, insbesondere die Änderung zu § 5 a.

(David McAllister [CDU]: Das ist ja al- lerhand!)

Aber ich verhehle nicht - Sie müssen im Innenausschuss einmal zuhören, Herr Dr. Lennartz; dort habe ich es auch gesagt -, dass es sich die FDPFraktion nicht leicht gemacht hat, ihre Zustimmung zu erteilen. Zur Voraussetzung für unsere Zustimmung haben wir gemacht, dass sämtliche Eingriffe unter dem Vorbehalt von optimalen rechtsstaatlichen Kontrollen, z. B. dem Richtervorbehalt, von hohen Anwendungshürden, einer parlamentarischen Kontrolle und einer Benachrichtigung der Betroffenen stehen.

Auch die im Gesetz enthaltene Überprüfung und die Befristung dieser Regelungen waren essenzielle Voraussetzungen dafür, dass die FDPFraktion dem Gesetz zustimmt. Ich möchte Innenminister Uwe Schünemann insbesondere dafür danken, dass er uns entgegengekommen ist und die Befristung in dieses Gesetz mit aufgenommen hat. Auch wird durch das vorliegende Gesetz die für uns Liberale grundlegende und wichtige Trennung zwischen den Aufgaben der Polizei und denen des Verfassungsschutzes festgeschrieben, sodass es eine klare Aufgabentrennung gibt. Herr Gabriel, insoweit empfehle ich Ihnen, das Gesetz

noch einmal genau zu lesen. Sie haben im letzten Plenarsitzungsabschnitt diesbezüglich etwas anderes gesagt, was nicht den Tatsachen entspricht.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Ich habe beim letzten Plenum zum Verfassungs- schutzgesetz gar nichts gesagt!)

Wir Liberale sind uns der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und der aus dem Bundesgesetz resultierenden Verpflichtungen des Landes Niedersachsen bewusst und werden dem Gesetz daher zustimmen, auch wenn uns dies in einigen Punkten nicht leicht fällt. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Schünemann das Wort. Ich erteile es ihm.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe eine sehr schöne Rede, die ich aber leider nicht zu Protokoll geben kann. Aber nachdem man sich hier bis auf die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen so einig ist, will ich mich auf ganz wenige Punkte beschränken.

Ich freue mich sehr, dass es der Regierungskoalition gelungen ist, schon im ersten Jahr ihrer Amtszeit erstens ein umfangreiches Polizeigesetz zu verabschieden und zweitens mit dem heutigen Beschluss Änderungen auch im Bereich des Verfassungsschutzes vorzunehmen. Dies ist notwendig. Die Gründe sind hier geschildert worden. Der entsetzliche Terroranschlag vom 11. September 2001, aber auch die anschließende weitere Bedrohung durch den Extremismus sind etwas, worauf wir reagieren müssen. Meine Damen und Herren, ich bin sehr froh, dass es in dieser Frage einen breiten Konsens in diesem Hause gibt.

Auf die einzelnen Punkte will ich nicht eingehen. Lassen Sie mich nur auf die abschließenden Artikel dieses Gesetzes eingehen. Der Gesetzentwurf der Landesregierung enthielt bereits eine Verpflichtung zur Überprüfung bestimmter aus dem Sicherheitspaket II übernommener Vorschriften. Mit dieser Regelung sollte nach Ablauf einer bestimmten Frist festgestellt werden, ob die vorgesehenen neuen Befugnisse auch den Praxistest be

stehen und tatsächlich dazu beitragen, die militanten Bestrebungen des verfassungsfeindlichen Extremismus und Terrorismus besser, als dies mit den bisherigen rechtlichen Möglichkeiten gelungen ist, aufzuklären.

Die Beratungen in den Ausschüssen haben zu einer sinnvollen Konkretisierung dieser Überprüfungsregelungen geführt, die ich ausdrücklich begrüße. Auch die Aufnahme der Befugnis zur Wohnraumüberwachung in den Katalog der zu überprüfenden Regelungen halte ich angesichts der Schwere dieses Grundrechtseingriffs für sachgerecht und auch für überzeugend. Zusätzlich hat sich im federführenden Ausschuss eine breite Mehrheit für eine Befristung bestimmter Regelungen gefunden. In dem Entwurf ist dies zwar nicht vorgesehen; da eine solche Befristung aber geeignet ist, die Ernsthaftigkeit der auch von der Landesregierung vorgesehenen Überprüfung nachdrücklich und wirkungsvoll zu unterstreichen, können die grundsätzlichen Bedenken gegen die Festlegung einer Befristung durchaus zurückgestellt werden.

Meine Damen und Herren, das Eine sind die gesetzlichen Regelungen; diese werden mit dem heutigen Beschluss erweitert. Das Andere aber ist, dass das Landesamt für Verfassungsschutz auch personell so ausgestattet sein muss, dass man diese Möglichkeiten auch nutzen kann. Wir haben in der letzten Legislaturperiode nach den Terrorangriffen für die Beobachtung des islamistischen Extremismus zehn zusätzliche Stellen bekommen.

Ich finde, dass die Ereignisse in den letzten Monaten und Jahren zeigen, dass wir in diesem Bereich auf jeden Fall noch etwas tun müssen. Aber weil wir uns in einer schwierigen finanziellen Situation befinden, werde ich im Zuge der Verwaltungsreform so schnell wie möglich kw-Stellen, die es bei den Bezirksregierungen gibt, zum Landesamt für Verfassungsschutz überführen, damit sich die Stelleninhaber dieser Aufgabe widmen können. Es wird eine gesonderte Arbeitsgruppe für diesen Bereich geben. Hierbei handelt es sich um etwa 20 kw-Stellen. Wichtig ist, dass wir dann, wenn wir Überhangpersonal haben, dieses sinnvoll einsetzen. Dies ist ein guter Weg. Das ist eine sinnvolle Beschäftigung zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger.

Meine Damen und Herren, ich darf mich für die breite Unterstützung bedanken. Die Landesregie

rung wird alles tun, damit dieses Land sicher bleibt. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir kommen nun zur Einzelberatung.

Ich rufe auf:

Artikel 1. - Dazu liegt eine Änderungsempfehlung des Ausschusses vor. Wer ihr zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Gibt es Stimmenthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Das Erste war die Mehrheit.

Artikel 2. – Auch dazu liegt eine Änderungsempfehlung des Ausschusses vor. Wer ihr zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Gibt es Stimmenthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Das Erste war die Mehrheit.

Artikel 3. – Dazu liegt ebenfalls eine Änderungsempfehlung des Ausschusses vor. Wer ihr zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthält sich jemand der Stimme? - Das ist nicht der Fall. Das Erste war die Mehrheit.

Artikel 4. Auch hierzu liegt eine Änderungsempfehlung des Ausschusses vor. Wer ihr zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Gibt es Stimmenthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Das Erste war die Mehrheit.

Artikel 5. - Unverändert.

Artikel 6. - Hierzu liegt eine Änderungsempfehlung des Ausschusses vor. Wer ihr zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Gibt es Stimmenthaltungen? - Das ist nicht der Fall.

Gesetzesüberschrift. - Unverändert.

Meine Damen und Herren, wir kommen zur Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer ist dagegen? - Gibt es Stimmenthaltungen? - Ich sehe, dass das nicht der Fall ist. Somit ist der Gesetzentwurf mit Mehrheit angenommen.

Meine Damen und Herren, wir treten nun in die Mittagspause ein und setzen die Sitzung nach der Mittagspause um 15.30 Uhr fort.

Unterbrechung: 13.27 Uhr.

Wiederbeginn: 15.31 Uhr.

Meine Damen und Herren, wir setzen unsere Tagesordnung fort. Wie man mir signalisiert hat, liegt eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung vor. Herr Hagenah, bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie haben es auch auf Ihren Tischen liegen: Unsere Fraktion bittet Sie um die Erweiterung der Tagesordnung um einen Dringlichkeitsantrag. Ich will Ihnen erläutern, warum dieser Dringlichkeitsantrag von uns - -

(Reinhold Coenen [CDU]: Er liegt nicht vor!)

- Mir wurde eben von der Verwaltung gesagt, dass er vorliege. Es handelt sich um einen Dringlichkeitsantrag unserer Fraktion zum Thema Ganztagsschulen.

(Zuruf von der CDU: Frau Präsidentin, er liegt nicht vor!)

Einen kleinen Moment bitte, Herr Hagenah. Das wird mit Sicherheit gleich geklärt. - Ich höre gerade, dass die Verteilung noch läuft, sodass wir mit Sicherheit dafür Sorge tragen können, dass alle Anwesenden den Antrag noch im Rahmen der Geschäftsordnungsdebatte vor sich liegen haben werden. - Sie können ihn also weiterhin begründen. Herr Hagenah, bitte!

Vielen Dank. - Wir haben den Antrag zu Beginn der Mittagspause bei der Verwaltung eingereicht. Es war abgestimmt, dass er jetzt vorliegt. Es tut mir Leid, wenn das nicht der Fall ist.

Die von Minister Busemann erst gestern den Medien vorgestellten hohen Bewerbungszahlen für Ganztagsschulen und seine Auskünfte zu den Plänen der Landesregierung, maximal 30 % der Anträge zu genehmigen, haben uns alarmiert und zu diesem Antrag veranlasst. Der Minister hat damit aus unserer Sicht nicht nur die derzeitigen Bewer

ber zutiefst verunsichert - die allermeisten meinen ja, sie seien die nicht genehmigten -, sondern auch den Wunsch vieler Lehrerkollegien und Eltern enttäuscht, die eine Bewerbung erst vorbereiten. Besonders hart erscheint die Entscheidung, trotz der Förderung vom Bund - immerhin werden 4 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt - keinen einzigen eigenen Cent für den Ausbau der Ganztagsschulen in Niedersachsen bereitzustellen.

Es geht uns bei der Erweiterung der Tagesordnung aber auch darum, die zunehmend einreißende Unsitte zu zügeln, dass die Landesregierung nach dem letzten Anmeldetermin für die Fraktionen in der Plenarwoche noch mit derart wichtigen Themen vor die Medien tritt und damit bewusst die Fraktionen ausbremst, diese Themen im Plenum zur Diskussion zu stellen.

(Beifall von Abgeordneten der SPD)

Wir meinen, dass wir dem Einhalt gebieten müssen. Das hätte genauso gut am Montagvormittag den Fraktionen zur Kenntnis gegeben werden können. Dann hätte die Aktuelle Stunde heute anders ausgesehen. Es gab keinen Grund, damit zu warten, bis wir hier im Plenum letztendlich - ohne die Möglichkeit der Dringlichkeitsanträge - unserer Instrumente beraubt waren. Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung - ähnlich wie Sie heute Morgen zugestimmt haben, die Tagesordnung um die aktuelle Frage im wirtschaftspolitischen Bereich zu erweitern -, diese wichtige Frage im schulpolitischen Bereich auf die Tagesordnung zu setzen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)