Protokoll der Sitzung vom 18.02.2004

(Silva Seeler [SPD]: Das ist doch kei- ne persönliche Bemerkung!)

und daraufhin die Antwort bekommen hat, dass es zu dem Zeitpunkt keine verwertbaren Dienstleistungen oder entsprechenden Papiere gab.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Was ist denn das für eine Bemerkung? - Weitere Zurufe von der SPD)

Es wurde daraufhin mehrfach geprüft, ob irgendwo Gutachten existieren oder Beratungsdienstleistungen erbracht worden sind.

(Rebecca Harms [GRÜNE]: Haben wir die Debatte wieder eröffnet?)

Herr Gabriel, Sie müssen der Öffentlichkeit erklären,

(Silva Seeler [SPD]: Zur Geschäfts- ordnung!)

weshalb Sie als Ministerpräsident bereits im März 2000 eine Kabinettsvorlage beschlossen haben und erst später, im September/Oktober 2000, ein Auftrag an Roland Berger zur Untersuchung der Mittelinstanz erteilt wurde.

Herr Althusmann, es tut mir Leid, aber ich muss Sie auf die Geschäftsordnung hinweisen.

Ich weise Ihre Behauptung, ich hätte einen ehrenrührigen Vorwurf gegen Sie erhoben, hier mit aller Entschiedenheit zurück. Sie sollten sich in Bescheidenheit üben und irgendwann einmal prüfen, ob das, was da noch zutage tritt, das Land Niedersachsen überhaupt in irgendeiner Weise vorangebracht hat oder ob Sie nicht für die Verschwendung von Steuergeldern verantwortlich sind. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Harms hat sich zur Geschäftsordnung gemeldet. Ich erteile ihr das Wort.

(David McAllister [CDU]: Was will sie denn zurückweisen?)

Zur Geschäftsordnung habe ich mich gemeldet, Herr Kollege.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte für meine Fraktion darauf hinweisen, dass wir es für nicht sachdienlich halten, dass die persönlichen Erklärungen genutzt werden, um die abgeschlossene Debatte wieder zu eröffnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, meine Kollegen Vorredner, dass diese Stellvertreterdebatte uns überhaupt nicht weiterbringt. Solange sich der eigentlich verantwortliche Ministerpräsident hier nicht zu Wort meldet,

(Bernd Althusmann [CDU]: Reden Sie jetzt gerade zur Geschäftsordnung?)

sondern uns wahrscheinlich auf die nächste Talkshow mit Roland Berger oder anderen vertröstet, werden wir da nicht weiterkommen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich rufe nun vereinbarungsgemäß die Punkte 1 b und 1 c auf:

b) Gewalt in der Schule: Halt geben - Halt sagen! - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 15/813

und

c) Vor der Gewalt nicht kapitulieren - Hinsehen und konsequent handeln - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/814

Ich erteile dem Abgeordneten Klare das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die vor kurzem veröffentlichten Berichte über das Martyrium eines Schülers an einer berufsbildenden Schule in Hildesheim haben mich persönlich massiv betroffen gemacht. Ein ganzes Land ist aufgeschreckt worden. Nach diesen Berichten wurden in der Öffentlichkeit noch weitere Fälle von brutaler Gewalt an berufsbildenden Schulen und anderen Schulen bekannt.

Man muss sich die Situation einmal vorstellen: An einer Schule kommt es monatelang zu Quälereien, brutalen Schlägen mit Eisenstangen und massiven Körperverletzungen bis hin zu sexuellen Belästigungen, und dann werden solche Bilder auch noch ins Internet gestellt. Ich erinnere an die vielen aus der Vergangenheit schon bekannten und dokumentierten schweren Körperverletzungen an vielen anderen Schulen, z. B. in Stadthagen, die uns alle zu der jeweiligen Zeit massiv betroffen gemacht haben.

Meine Damen und Herren, wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil wir erreichen wollen, dass es jetzt nicht mehr bei allgemeinen Bekundungen von Betroffenheit und von Bestürzung

bleibt, sondern dass gehandelt wird. Es geht nämlich jetzt um eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern, von Jugendlichen und Kindern, bei denen es nicht nur aufgrund des schwierigen Umfelds einmal zu Verfehlungen gekommen ist, für die wir dann immer wieder Erklärungen finden und die auch noch entschuldigt werden, sondern hier handelt es sich, auch wenn es Einzelfälle sind, eindeutig um kriminelle Jugendliche und Kinder, die mit menschenverachtenden Straftaten andere Kinder und Jugendliche, Lehrkräfte und ganze Schulen in Angst und Schrecken versetzen, meine Damen und Herren.

Unsere gemeinsame Aufgabe muss es sein, jetzt die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass diese Gewalttäter daran gehindert werden, ihre Straftaten in Schulen und im Umfeld von Schulen durchzuführen. Ich möchte mich bei Kultusminister Busemann für sein sehr schnelles und konsequentes Eingreifen und Reagieren im Falle Hildesheim recht herzlich bedanken. Durch seine Intervention hat er ein richtiges Signal gesetzt, gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft. Weitere Schritte müssen und werden folgen.

Wir müssen die Eingriffsmöglichkeiten der Schulen gegenüber gewalttätigen und kriminellen Tätern deutlich erweitern, und zwar so schnell wie möglich. Insofern begrüße und fordere ich sogar die öffentliche Diskussion, weil nur so eine schonungslose Aufklärung solcher Fälle möglich ist.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich sage das deswegen so ausdrücklich, weil wir in der Vergangenheit immer wieder ähnlich brutale Übergriffe von Schülerinnen und Schülern erlebt haben, denen nicht konsequent nachgegangen wurde. Ich weiß von Schulleitern in Rinteln, in Neustadt, in Osnabrück über alle Fälle wurde in der Presse berichtet -, die sich damals verzweifelt als Hilferuf an die Öffentlichkeit gewandt haben. Trotzdem ist nichts geschehen. Anstatt ihnen zu helfen, wurden sie allein gelassen. Man hat ihnen sogar den Makel angeheftet, sie würden mit ihrer Schule nicht fertig, weil sie diese Dinge nicht in den Griff bekämen. Das ist zu einem Riesenproblem mit schwerwiegenden Folgen geworden, weil ähnliche Vorfälle nicht mehr gemeldet, sondern totgeschwiegen wurden und alle dann wohl oder übel mit dieser Schulangst umgehen mussten.

Im Zusammenhang mit dem jetzigen Verfahren habe ich verschiedene Anrufe erhalten. Beispielsweise hat mich ein Lehrer aus der Bezirksregierung Braunschweig angerufen und mir gesagt, er sei in einer Notsituation, weil die Schule in einem besonderen Fall nicht die Möglichkeit habe, einen Schüler von der Schule zu verweisen. Herr Minister, ich habe Ihnen den Vorgang bereits geschildert. Die Folge war leider, was ich in der heutigen Zeit und gerade in Anbetracht der aktuellen Ereignisse nicht mehr verstehe: Man hat dem Lehrer ein Disziplinarverfahren angedroht, weil er sich an einen Politiker gewandt hat. Ich bitte Sie, einmal prüfen zu lassen, ob da richtig gehandelt wird.

In der Geschichte von Schule hat es natürlich immer wieder Verstöße gegeben; das ist völlig klar. Aber was uns jetzt wirklich umtreiben muss, ist die Tatsache, dass sich diese Verstöße in dramatischer Weise verändert haben. Sie sind härter, brutaler und menschenverachtender geworden. Natürlich sind die Ursachen vielschichtig. Es gibt keine einfachen Antworten und auch keine pauschalen Antworten.

Eine Ursache ist natürlich die zunehmende Erziehungsunfähigkeit in den Familien, möglicherweise aufgrund belastender Familien- und Lebensverhältnisse. Es gibt keine Vertrauensverhältnisse mehr. Man wundert sich und stellt sich die Frage, warum betroffene Kinder eigentlich anonym bleiben wollen und selbst dann nicht mehr mit ihren Eltern reden, wenn sie Opfer von Gewalt sind. Computer und Fernseher sind heimliche Erzieher geworden.

Für mich liegt die Hauptursache jedoch im ungehinderten Zugang zu gewaltverherrlichenden Filmen und Computerspielen. Meine Damen und Herren, man muss sich das einmal vergegenwärtigen: Wer zehnmal am Tag zusieht und per Mausklick veranlassen kann, wie Menschen umgebracht oder zerstückelt werden, wer sich alle brutalen Dinge, die man sich nur vorstellen kann, am Bildschirm ansieht, der stumpft ab. Die Hemmschwelle bei Gewaltausübung gegen Mitschüler ist deutlich niedriger geworden.

Wir brauchen eine medienpädagogische Aufklärung und eine stärkere Selbstkontrolle von Medien. Es ist für mich unerträglich, meine Damen und Herren, schon in den Nachmittagsprogrammen zur besten Kinderfernsehzeit Gewalt in allen Variationen zu sehen und zu hören. Ich habe in den letzten Jahren Briefe an Verantwortliche in den Re

daktionen geschrieben. Die Selbstkontrolle hat versagt, sie ist an ihre Grenzen gestoßen, und sie reicht nicht mehr aus. Quoten und Gelder sind heute wichtiger als das Wohl unserer Jugendlichen. Und wenn etwas passiert, sind es dieselben Medien, die als Erste vor Ort sind und in allen Details, möglichst aufreißerisch und am besten noch blutig, berichten. Und das nennen sie dann „unverzichtbare Information“ für die Jugend und für die Öffentlichkeit.

Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Wir müssen den Schulen mehr Handlungsmöglichkeiten geben. Die jetzigen Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen reichen nicht aus. Sie sind zu verwaltungsaufwendig und zu bürokratisch. Von hier aus muss heute das Signal ausgehen: Schulen müssen in die Lage versetzt werden, gegenüber straffälligen oder kriminellen Gewalttätern an den Schulen zu handeln - sonst helfen wir den Schulen nicht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die SPD-Fraktion hat nun der Abgeordnete Voigtländer das Wort. Ich erteile es ihm.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Professor Heitmann von der Universität Bielefeld sind Schulen in Deutschland - und damit auch in Niedersachsen die sichersten Einrichtungen überhaupt. Herr Kollege Klare, das scheint in Niedersachsen nicht mehr der Fall zu sein. Ich möchte diese Gelegenheit nicht nutzen, um die Landesregierung bei diesem Thema anzuschießen. Aber Sie sind vor einem Jahr angetreten, um das Schulchaos - wie Sie es selbst bezeichnet haben - in Niedersachsen zu beseitigen. Was wir jetzt erleben, haben wir in Niedersachsen bis jetzt noch nicht erlebt. Ich bin seit neun Jahren in diesem Parlament. Herr Kollege Klare, ich habe nicht ein Mal eine Gewaltdebatte erlebt.

(Ursula Körtner [CDU]: Ja, leider! Das war ja das Problem! Schlimm ist es auch, dass bei diesem Thema, das die Jugend in Deutschland angeht, nicht alle dort sind, wohin sie zu diesem Tag und zu dieser Stun- de eigentlich gehören. Was ist in diesen Schulen passiert? - Herr Kollege Klare, man merkt, dass Sie einer Regierungsfrakti- on angehören. (Vizepräsidentin Silva Seeler über- nimmt den Vorsitz)

Ich habe versucht, mir vorzustellen, wie dieses Thema von Ihnen behandelt worden wäre, wenn Sie hier noch Ihre alte Rolle, die Sie 13 Jahre lang wahrgenommen haben, hätten spielen müssen. Ich hätte es mir vorstellen können. Was ist in Hannover passiert? Was ist in Hildesheim passiert? Schüler bzw. Schülerinnen sind offensichtlich mit Gummihämmern geschlagen, monatelang gequält und terrorisiert worden. Wenn es stimmt, was uns die veröffentlichte Meinung weitergibt, dann ist hier ein dringender Handlungsbedarf gegeben. Darin stimme ich mit Ihnen im Übrigen überein. Die SPDFraktion verurteilt jede Form von Gewalt an niedersächsischen Schulen und verlangt von dieser Landesregierung schnellstens Handlungskonzepte.

Sie haben sich beim Kultusminister Busemann für ein schnelles Handeln bedankt. Was hat dieser Kultusminister denn getan? - Er ist wohl mit einem Oberstaatsanwalt nach Hildesheim gefahren. Er hat dort versucht, mit den Schülern zu sprechen.

(Ursula Körtner [CDU]: War das falsch?)

Herr Busemann, ob Sie die Schüler dabei erreicht haben? - Wenn man liest, was die Medien dazu veröffentlichen, dann scheint das eher nicht der Fall gewesen zu sein.

(Heinz Rolfes [CDU]: Du erreichst noch nicht einmal deine Kollegen! - Bernd Althusmann [CDU]: Das war bitter!)

Aber das ist in einer solchen Klasse und mit solchen Schülern auch nicht ganz einfach. Der Kultusminister schlägt Folgendes vor: Er schlägt ein individuelles Sicherheitskonzept für jede Schule vor. Er schlägt vor, dass es Fernsehmonitore, Überwachungseinrichtungen geben darf oder sollte. Ansonsten streicht er jetzt die Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen, die wir bitterst nötig hätten, nämlich Beratungslehrer. Herr Kollege Busemann, eine falschere, eine schlechtere Entscheidung - gerade zu diesem Zeitpunkt - hätten Sie gar nicht treffen können.

(Beifall bei der SPD)