Was ist in dieser Zeit nötig? - Herr Kollege Klare, es ist durchaus denkbar, dass wir in diesem Punkt zueinander finden. Man muss sich ansehen, aus welchen Bereichen diese Gewalt kommt. Gewalt an Schulen ist auch in der Vergangenheit immer da gewesen; das ist kein neues Thema. Aber dass Gewalt zur Zielsetzung wird, ist neu. Wenn junge Leute Gewalt um der Gewalt willen betreiben, wenn Quälen sozusagen Anerkennung bedeutet, dann befinden wir uns auf einem Weg, der für die Zukunft Niedersachsens nicht besonders hilfreich ist. Wir brauchen Prävention, Prävention und noch einmal Prävention, und zwar Präventionskonzepte für jede Schule in Niedersachsen und keine Sicherheitskonzepte. Die SPD-Landtagsfraktion möchte nicht, dass aus niedersächsischen Schulen Gefängnisse und Sicherheitsanstalten werden.
Es kommt nicht von ungefähr, dass sich bei Ihnen zu diesem Thema eher Juristen äußern als Pädagogen. Das Zweite, das wir tun müssen, ist, den Schulen zu helfen, darüber nachzudenken, wie die Anerkennung in niedersächsischen Schulen eine andere Kultur bekommt. Was haben Kinder und Jugendliche in ihrem Leben eigentlich vor sich, wenn sie wissen, dass sie keinen Schulabschluss haben, dass sie missachtet werden, dass bei Gleichaltrigen Gewalt die Zielsetzung ist
und dass sie keine Ausbildungsplätze haben? Gerade in diesen Tagen stellen Sie auch noch einen Entschließungsantrag, in dem Sie im Prinzip mehr Ausbildungsplätze, die über eine Ausbildungsplatzabgabe geschaffen würden, ablehnen. Das muss man sich einmal vorstellen.
Das heißt, in einer Zeit, in der Ausbildungsplätze geradezu gefordert sind, gehen Sie einen völlig falschen Weg.
Sie müssen für die jungen Menschen die Frage beantworten, welchen Sinn ihr weiteres Leben hat. Wenn das nicht gelingt, dann wird die Gewalt in Niedersachsen eher zu- als abnehmen. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Uns alle - und nicht nur Herrn Klare - haben die Meldungen über die Gewaltaktionen an niedersächsischen Berufsschulen betroffen gemacht. Ich gehe davon aus, dass mir dabei alle im Hause zustimmen. Wir sind darüber betroffen, dass über längere Zeit systematisch Schülerinnen und Schüler gequält und erniedrigt wurden. Wir sind auch darüber betroffen, dass in dieser ganzen Zeit offensichtlich niemand etwas gemerkt hat und sich niemand bemüßigt gefühlt hat einzugreifen. Bei all dieser Betroffenheit und dieser Problemlage - und die ist ja nicht neu - sollten wir aber trotzdem sehr besonnen und überlegt handeln und die Dinge nicht dramatisieren und nicht kurzfristig in Aktionismus verfallen. Denn wir brauchen für diese Problemlage durchdachte, ganzheitliche Konzepte, hinter denen das ganze Haus steht.
Meine Damen und Herren, positiv ist zunächst einmal zu sehen, dass sich durch die öffentliche Debatte immer mehr Schülerinnen und Schüler trauen, an die Öffentlichkeit zu gehen, und sich in ihrer Not jemandem anzuvertrauen. Positiv ist auch zu sehen, dass sich immer mehr Lehrkräfte Gedanken darüber machen, was sie an ihren Schulen zusätzlich tun können, um solche Dinge in Zukunft zu verhindern.
Positiv ist auch zu sehen, dass sich der Einsatz der Sozialarbeiterinnen an unseren Schulen offensichtlich bewährt hat, denn gerade diese sind es gewesen, denen sich die Opfer anvertraut und die die Fälle aufgedeckt haben.
Der Kultusminister hat im vergangenen Jahr mit einem Erlass reagiert, der die Anzeigepflicht der Lehrkräfte an den Schulen regeln sollte. Verhindern konnte dieser Erlass die jetzt zutage gekommenen Gewaltakte nicht. Herr Busemann hat es in Hildesheim als unglaublich bezeichnet, dass die Schüler dort die Videos von den Misshandlungen den Medien für Geld angeboten haben. Herr Minister, genauso unglaublich finde ich es, dass es so verantwortungslose Medienvertreter gibt, die Schülern für solche Aufnahmen Geld bieten und damit die Gewaltspirale noch anheizen.
Herr Klare hat sich vorhin darüber beschwert, wie schlimm es mit den Gewaltdarstellungen im Fernsehen ist. Herr Klare, ich möchte Sie in diesem Zusammenhang daran erinnern: Es ist die CDUBundesregierung gewesen, die so heiß darauf war, bei uns das Privatfernsehen einzuführen.
Der Kollege Voigtländer hat es schon angesprochen: Herr Busemann fordert jetzt ein Sicherheitskonzept für alle Schulen in Niedersachsen mit umfangreichen Datensammlungen über Schülersozialstruktur, verhaltensauffällige Schüler und Zusammenrottungen. Auch der Einsatz von Videokameras wird diskutiert. Wir haben nichts gegen Videokameras; in Einzelfällen können diese hilfreich sein. Aber man darf doch nicht glauben, dass man mit Videokameras das Problem der Gewalt löst.
Ministerpräsident Wulff hat sich ebenfalls in die Debatte eingemischt und jüngst beklagt, die vielfältigen Gründe für Gewalt seien viel zu lange tabuisiert worden. Herr Ministerpräsident, Sie verweisen gerne auf die Versäumnisse anderer. Sie reden aber nicht darüber, wo Ihre Versäumnisse liegen. Es ist doch gerade die CDU-Politik gewesen - das ist auch immer noch so -, die sich weigert anzuerkennen, dass Deutschland längst ein Einwanderungsland ist, welches über Generationen hinweg Migrantenfamilien und ihre Nachkom
Der Ministerpräsident spricht auch nicht über die Versäumnisse seiner konservativen Schulpolitik, die noch immer auf Aussortieren setzt und die es noch immer hinnimmt, dass 10 % unserer Schülerinnen und Schüler die Schule ohne richtigen Abschluss verlassen.
Wir werden ja sehen, was bei Ihrer Schulpolitik herauskommt und ob sich diese Zahlen verbessern. Es ist ja kein Zufall, dass gerade von denjenigen Schulen Gewalttaten gemeldet werden, in denen sich die Schülerinnen und Schüler sammeln, die aus allen anderen Schulsystemen aussortiert worden sind.
Meine Damen und Herren, seit Ende März 2003 liegen auch unserer Landesregierung die Ergebnisse der unter der Federführung Niedersachsens stehenden länderübergreifenden Arbeitsgruppe „Gewaltprävention“ vor. Sie wurden nämlich bei der Konferenz der Ministerpräsidenten vorgestellt. Hier finden sich zahlreiche, ganzheitliche vernünftige Vorschläge zur Gewaltprävention in allen Bereichen der Gesellschaft und nicht nur in der Schule. Das reicht von der Ächtung der Gewalt in den Familien über Präventionskonzepte für Kindertagesstätten und Schulen bis hin zu Integrationsprogrammen für Jugendliche mit Migrationshintergrund, die bislang sehr benachteiligt sind. Außerdem finden sich dort auch Handlungsvorschläge gegen die Gewaltverherrlichung in den Medien.
Trotzdem kommt von der Landesregierung, wie ich finde, noch nicht viel mehr als nur kurzatmiger Aktionismus. Wir möchten ein nachhaltig wirkendes durchdachtes Gesamtkonzept. Wir brauchen einen Aktionsplan gegen Gewalt für alle Bereiche unserer Gesellschaft. Für uns gilt dabei der Leitsatz: Prävention steht vor Repression.
Aber auch damit, meine Damen und Herren, werden wir nicht ausschließen können, dass es an Schulen immer wieder Gewaltaktionen geben wird, und zwar vor allem dort, wo Schule weiterhin zu
lässt, dass Jugendliche ausgegrenzt werden und keine Chance haben. Vor allem dort, wo Sie weiterhin Ihr gegliedertes Schulsystem vorantreiben, werden Sie meiner Meinung nach Verantwortung mit dafür übernehmen müssen, dass der Konflikt zwischen den Verlierern und Verliererinnen in der Gesellschaft und den Gewinnerinnen und Gewinnern in diesem System immer größer wird.
Mein letzter Satz. - Herr Ministerpräsident, Herr Busemann, wenn die Kameras in den Schulen aufgehängt werden, ist es bereits zu spät.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meiner Meinung nach sind wir uns einig darin, dass die Ursachen für Gewalt von Schülern nicht allein in den Schulen zu suchen sind, sondern vielmehr außerhalb.
Fehlende Erziehung durch die Eltern führt letztlich auch zu einem gewissen Maß an Orientierungslosigkeit. Auch fehlende sprachliche Fähigkeiten führen zu einem Mangel an Integration. Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch fehlende Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt, auch - das ist nicht ganz unwichtig - eine gewisse Distanzlosigkeit gegenüber der Gewalt und auch eine fehlende Achtung vor der Persönlichkeit des Anderen führen letztendlich zu Gewaltausbrüchen in den Schulen.
Auch wenn die Gründe für die Gewalt an Schulen nicht allein bei den Schulen liegen, so entbindet uns das nicht der Verantwortung, für Gewaltfreiheit an Schulen einzutreten. Als Erstes - das haben wir alle als Politiker, aber auch der Kultusminister, gemeinsam getan - sollten wir denjenigen, die in einer schwierigen Situation mit einer schwierigen
Klientel umgehen müssen, nämlich unseren Lehrern, den Rücken stärken. Es macht keinen Sinn, sie zu beschimpfen.
An dieser Stelle haben sie unsere volle politische Unterstützung verdient. Mehr noch muss es aber darum gehen, Gewalt in den Schulen zu bekämpfen. Ich sage Ihnen: Wer eine Kultur des Hinsehens haben will, der muss den Begriff „Zivilcourage“ im Unterricht, aber auch in der Lehrerfortbildung wieder mehr als bisher betonen, meine sehr verehrten Damen und Herren.