Protokoll der Sitzung vom 28.04.2004

(Zuruf von der FDP: Den haben Sie teilweise heute schon!)

wie sie ihn vorher nur in Zeiten des Wirtschaftswunders zu verzeichnen hatte. Das heißt, der Mangel an Fachkräften - -

Herr Oppermann, bitte kommen Sie zum Ende.

Ich komme zum Schluss, ich werde den Gedanken zu Ende bringen. - Der Mangel an Fachkräften ist eine Wachstumsbremse. Wir leisten uns im Augenblick den Luxus, darauf nicht zu reagieren. Wir müssen die Frauenerwerbsquote erhöhen, wir müssen nachqualifizieren, wir müssen Zuwanderung zulassen, und wir müssen vermutlich auch länger arbeiten.

Die Frauenerwerbsquote können Sie nur erhöhen, wenn Sie die Situation der Kinderbetreuung nachhaltig verändern. Da sind wir nicht gut, da sind wir Entwicklungsland. Sie sind gegen Zuwanderung, und Nachqualifizieren wird sehr teuer, meine Damen und Herren. Ihre einzige Antwort auf den Fachkräftemangel ist: Länger arbeiten! - Aber die richtige Antwort wäre, alles zu tun, um die jungen Menschen, die jetzt ausgebildet werden müssen, so gut wie möglich zu qualifizieren.

(Beifall bei der SPD - Christian Dürr [FDP]: Aber doch nicht mit der Ausbil- dungsplatzabgabe!)

Ich erteile das Wort noch einmal der Landesregierung, Herrn Minister Hirche.

Wirklich nur zwei Sätze, meine Damen und Herren! Erstens. Herr Oppermann, zu der Aussage, dass wir uns nicht auseinanderdividieren, halte ich fest: Wir sind alle einig in der Anstrengung, mehr Ausbildungsplätze und ausreichend Ausbildungsplätze zu erreichen.

Zweitens. Da es darum geht - auch darin sind wir uns einig -, betriebliche Ausbildungsplätze zu erhalten, müssen alle Anstrengungen darauf abgeklopft werden, ob sie zu mehr betrieblichen Ausbildungsplätzen führen. In diesem Zusammenhang sage ich, dass die Abgabe ein äußerst untaugliches Mittel ist.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wir kommen damit zur Abstimmung.

(Thomas Oppermann [SPD]: Ich habe mich noch mal gemeldet!)

- Nein, Herr Oppermann. Sie haben Ihre zwei Minuten vorhin weit überzogen, es waren bald drei Minuten.

(Zurufe von der SPD)

- In aller Kürze, Herr Oppermann!

Herr Hirche, wir sind uns darin einig, dass die Ausbildungsquote von ver.di beschämend ist. Ich glaube, wir müssen tatsächlich auch über Übernahmegarantien reden. Wir sind uns auch darin einig, dass gute Ausbildungsplätze betriebliche Ausbildungsplätze sind. Aber das Beispiel der Bauindustrie, das Herr Lenz vorhin angeführt hat und das auf tariflicher Basis wunderbar und schon seit Jahrzehnten mit einem Minimum an Bürokratie funktioniert, zeigt, dass wir gerade dort - mit diesem Umlagesystem jedenfalls - auf betrieblicher Ebene Ausbildungsplätze absichern. Genau das soll mit dieser Ausbildungsplatzabgabe auch geschehen.

(Beifall bei der SPD)

Ebenfalls nach § 71 Abs. 2 erteile ich Herrn Hermann das Wort.

Herr Oppermann, Sie reden über die Bauindustrie oder das Baugewerbe. - Herr Oppermann, vielleicht hören Sie zu -. Wir wissen, dass Sie zwar Streifenfundamente bauen können. Darauf stehen Häuser. Das können Sie alles ohne Meisterbrief. Aber eines können Sie nicht: Sie können nicht mit den Bauunternehmen reden. Denn wenn Sie mit diesen seit Jahren reden würden, dann wüssten Sie, dass sie sagen: Um Gottes Willen, wir haben Ausbildungsplätze aufgrund dieser Abgabe verloren.

(Zuruf von der SPD: Das ist doch nicht wahr! - Thomas Oppermann [SPD]: Wegen der Konjunktur!)

- Ja, wegen der Konjunktur. Klar! Sie kennen ja das Lied „Die Konjunktur...“. - Nur ich sage Ihnen eines: Das, was Sie hier an den Tag legen, ist reine Theorie. Machen Sie doch mal Folgendes: Reden Sie mal mit den Baugeschäften vor Ort, mit den Maurermeistern! Die sagen: Wir können nicht ausbilden, weil wir gar keine finanziellen Mittel mehr haben.

(Beifall bei der FDP)

Die sind am Ende. Sie wissen, dass das Eigenkapital 1,5 % im Bundesdurchschnitt der Bauindustrie und des Baugewerbes beträgt.

(Thomas Oppermann [SPD]: Bei der Investitionsquote dieses Landeshaus- halts ist das auch kein Wunder!)

Die können noch nicht einmal Praktikanten einstellen. Wissen Sie warum? - Weil Sie das Licht dazu nicht mehr haben, weil Sie durch die unglaublichen Fehlentscheidungen der letzten Jahre dafür gesorgt haben, dass wir gegenüber Europa, wo es gut vorangeht, in diesem Lande überhaupt kein Wachstum mehr haben.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ebenso nach § 71 Abs. 2 hat Herr Hagenah jetzt für zwei Minuten das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Hirche, Sie haben mein Zitat „Freiwilligkeit hat ihre Zeit gehabt“ in einen ganz besonderen Zusammenhang gestellt, der nicht meinem Redetext und dem, was ich ausdrücken wollte, entspricht. Es ist nicht so, dass mit dem Beschließen eines Gesetzes über die Ausbildungsplatzabgabe die Freiwilligkeit am Ende sei. Aber Freiwilligkeit ohne eine politische Vorgabe durch Gesetz hat eben kein befriedigendes Ergebnis gebracht, Herr Hirche. Das beweist, dass das von Ihnen gepredigte Rezept, es müsse nur noch mehr Freiheit und noch mehr Freiwilligkeit geben, nicht gewirkt hat. Es gilt die Aussage von Rot-Grün: Jedes freiwillige Bündnis, das zwischen den Tarifpartnern in den Branchen ausgehandelt wird, soll Vorrang vor jeder gesetzlichen Regelung erhalten. Das ist die Freiwilligkeit, die funktionieren wird. Ihre Einstellung zur freiwilligen Schaffung neuer Arbeitsplätze ist aus unserer Sicht ebenfalls enttäu

schend gewesen. Das, was Sie sonst predigen, erfüllen Sie in keiner Weise.

Auf die Initiative meiner Kollegin Ina Korter im Zusammenhang mit dem Wegfall der Ausbildungsplätze beim Flugzeugwerk ASL in Lemwerder durch eine Telefonaktion Ausbildungsplätze in der Region bei anderen Betrieben neu einzuwerben - sie hat selbst auch einige beigebracht, hat um Unterstützung aus ihrem Hause gebeten, hat sie angeschrieben - liegt bis heute, nach Monaten, noch immer keine Antwort vor. Herr Minister, so unterstützen Sie Freiwilligkeit. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung.

(Zustimmung von Heinz Rolfes [CDU])

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses - sie lautet auf Annahme - zustimmen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen! Stimmenthaltungen? - Bei wenigen Enthaltungen war das Erste die Mehrheit.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 11: Einzige (abschließende) Beratung: a) AIDS-Prävention und AIDS-Hilfe in Niedersachsen flächendeckend erhalten - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/552 b) Zukunft der Arbeit gegen AIDS - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/556 Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit - Drs. 15/928

Die Beschlussempfehlung lautet auf Annahme in veränderter Fassung.

Das Wort erhält der Abgeordnete Herr Dr. Winn.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gemäß einer Verlautbarung des Robert-Koch-Institutes sieht dieses angesichts der epidemologischen Entwicklung der HIV-Infektionen und der Krankheit Aids Anlass zur Sorge, und zwar

obwohl man weiß, dass diese Zahlen in den letzten Jahren stagnieren. Wir hatten im Jahr 2003 etwa 1 700 Neuinfektionen, 2002 waren es 2 000 Neuinfektionen. Auch die Zahlen der Vorjahre bewegen sich in diesem Bereich.

Alarmierend ist aber - deshalb sind wir darüber auch so betroffen - die Bewusstseinslage in der Bevölkerung für diese Infektion. Seit 1987 werden halbjährlich Umfragen gestartet, um zu klären, wie das Bewusstsein in der Bevölkerung ist und wie die Bevölkerung damit umgeht. Das sind Zahlen, die relativ erschreckend sind, weil man vor allen Dingen in den letzten Jahren merkt, dass diese Krankheit doch sehr verharmlost wird. Sie ist jedenfalls vor allem bei jüngeren Menschen nicht mehr so stark im Bewusstsein. Das sieht man auch an gewissen Indices, z. B. der rückläufigen Zahl der verbrauchten Kondome, die in etwa um 9 % zurückgegangen ist. Man muss also alles unternehmen, um diese Bewusstseinslage wieder zu verändern.

Sie alle wissen - ich nehme an, ich renne da offene Türen ein -, dass diese Erkrankung eine besondere ist, dass der Erreger nicht vergleichbar mit einem Grippevirus oder Ähnlichem ist. Dieses Virus befällt eine bestimmte Zellart, die so genannten T-Helferzellen in unserem Blut. Sie macht etwas, das keine andere Virusinfektion macht. Das Virus schreibt die genetische Information in dieser Zelle in die eigene, die virusgenetische Information um. Das heißt, die Viren zerstören alle diese Zellen. Damit ist unser Immunsystem im Grunde genommen lahm gelegt. Das ist auch das Tückische an dieser Krankheit. An dieser Krankheit selbst stirbt ja niemand, sondern an den Infekten, die der Körper nicht mehr auffangen, denen er nicht mehr begegnen kann. Er kann keine Antikörper mehr gegen solche Infektionen bilden. Daran versterben leider diese Menschen.

Die Übertragungswege sind Ihnen natürlich bekannt. Das sind in erster Linie Blut, Sperma und Scheidensekret. Das sind die drei Punkte, bei denen es absolut nachgewiesen worden ist. Wenn ich noch einmal die Zahl herbeiführen darf. 1984 sind in Deutschland die ersten HIV-Infektionen gemeldet worden. Wir haben seit dieser Zeit 65 000 Infizierte, und bei etwa 27 000 ist die Krankheit Aids ausgebrochen.

Zurzeit haben wir etwa 45 000 Infizierte. In der Therapie haben wir keine allzu großen Erfolge. Bei vielen wird es zu einer gewissen chronischen

Krankheit. Bei der Inkubation, d. h. bis zum Ausbrechen dieser Erkrankung, bis zum ersten Nachweis, haben wir bis zu drei Monate, bis die HIVInfektion über den Antikörper nachweisbar ist. Die Aids-Erkrankung kann danach, nach sechs Monaten oder sogar 15 Jahren, ausbrechen, d. h. es prolongiert sich doch sehr weit nach hinten. Aber deshalb ist die Krankheit nicht ungefährlicher.

Die Prognose bei dieser Krankheit ist: Die HIVInfektion führt zu Aids, und Aids, also die Krankheit, führt zum Tode, selbst wenn therapeutische Versuche, die Krankheit so weit prolongieren, dass sie fast zu einem chronischen Leiden werden kann. Das kann also durchaus lange sein, hängt aber von vielen Umständen ab. Es gibt keinen eindeutigen Therapieweg. Seit 1984 haben wir in Deutschland immerhin 22 000 Tote zu beklagen. Von daher gesehen ist es wirklich den Schweiß der Edlen wert, dass wir uns vermehrt darum kümmern.

Ich bin ausgesprochen froh darüber, dass wir im Ausschuss eine gemeinsam getragene Beschlussempfehlung hinbekommen haben, obwohl wir uns - das gebe ich gerne zu - auf einen gewissen minimalen Konsens haben verständigen können. Das ist so auch in Ordnung. Wir haben aber von den früheren Regierungsfraktionen die desolate Haushaltslage übernommen. Wir können den Hahn leider nicht aufdrehen. Wir können keine Euros drucken. Von daher gesehen müssen wir im Rahmen des Möglichen mit solch einem appellatorischen Wortlaut, wie er in der Beschlussempfehlung vorliegt, diejenigen, die sich schon jetzt um Aufklärung bemühen, in ihrem Bestreben noch verstärken, indem wir sie ermuntern, alles dafür zu tun, dass junge Menschen Vorsichtsmaßnahmen nicht vernachlässigen, um einer Infektion zu entgehen.

Korrekterweise hätten wir natürlich bei dem Präventionsgedanken von Prävention gegen HIV sprechen müssen und nicht gegen Aids; denn wer infiziert ist, bekommt ja auch irgendwann einmal Aids. So gesehen ist das eine gewisse Unschärfe. Im Sprachgebrauch draußen ist es aber durchaus so, dass man nur von Aids und weniger von HIV spricht.

Nichtsdestotrotz geht dieser Antrag alle an; denn wir alle sind aufgefordert, in unserem Umfeld, in den Bereichen, in denen wir unsere Wirkungsstätten haben, alle noch einmal darauf anzusprechen, damit tatsächlich das Bewusstsein wieder verstärkt wird und die Neuinfektionsrate möglichst sinkt. Wir

sollten uns nicht nur vor Auslandsreisen in gefährdete Gebiete daran erinnern, sondern ganz bewusst hier und heute in unserem Land. Ich meine, wir sollten alles unternehmen, damit wir für unsere jungen Menschen diese Infektionsrate möglichst niedrig halten; denn derjenige, der infiziert ist, kann diese Infektion auch jederzeit weitergeben. Deshalb sollte man alles tun, um das zu verhindern. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)