Rot-Grün und Gewerkschaften sehen den Staat nämlich nach wie vor als Problemlöser Nummer eins an. Ein ganz aktuelles Beispiel ist Ihre Diskussion über die Ausbildungsplatzabgabe.
Denn gegen jede wirtschaftliche Vernunft werden diejenigen belastet, die heutzutage kaum noch ausbilden können. Diejenigen, die ausbilden könnten, werden sich künftig freikaufen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Es ist also nicht nur so, dass Sie die Wirtschaft in Niedersachsen lähmen. Zusätzlich belasten Sie alle Kommunen in unserem Lande. Deswegen fordere ich - insbesondere angesichts dessen, dass Sie gestern Ihr Herz für die Kommunalpolitik wieder neu entdeckt haben alle Kommunalpolitiker und alle Landespolitiker auf, den 1. Mai dafür zu nutzen, gegen diesen bundespolitischen Unsinn gemeinsam zu demonstrieren, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Der 1. Mai hat eine gute Tradition in der Verteidigung von Arbeitnehmerrechten. Ich will das hier ausdrücklich festhalten. Er darf aber nicht nur denjenigen zum Feiern dienen, die Arbeit haben, sondern er muss auch denjenigen helfen, die weiter nach Arbeit suchen. Deswegen sage ich Ihnen, dass alle, die an einer Erneuerung unseres Wirtschaftssystems mitarbeiten, die weitaus besseren Arbeitnehmervertreter sind als diejenigen, die sich Gewerkschaft nennen, sich aber am roten Faden der Blockade und Verhinderung orientieren.
Wenn es unsere gemeinsame Aufgabe sein muss, für Wachstum und Wohlstand zu sorgen, muss der Maifeiertag auch als Feiertag erhalten bleiben. Ich will das hier ausdrücklich sagen. Er darf aber nicht dazu dienen, gegen Veränderungen, die wir dringend brauchen, zu demonstrieren und diese zu blockieren. Wir brauchen vielmehr eine neue Geisteshaltung: weg von der Neidgesellschaft, hin zur Leistungsgesellschaft. Machen wir deshalb den 1. Mai, den Tag der Arbeit, geistig und inhaltlich zum Tag für Arbeit. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst hatten wir uns angesichts des von der FDP-Fraktion beantragten Themas für die Aktuelle Stunde sogar ein wenig gefreut. Wir hatten mit einer Wende hin zur Öffnung der Arbeiterbewegung gerechnet, damit, dass Herr Hirche und Herr Rösler hier heute auftreten würden, um dann vielleicht auch als Überraschungsredner auf der Kundgebung am 1. Mai auf dem Klagesmarkt noch auftreten zu können oder gemeinsam mit ver.di und IG Metall Hand in Hand durch die Straßen zu ziehen. Ein Blick ins Internet, Herr Rösler, ein Blick auf die Seiten der FDP in BadenWürttemberg hat uns dann aber ernüchtert. Wir konnten dort schon vor zwei Tagen lesen, dass die FDP offensichtlich bundesweit vorhat, den 1. Mai, den Tag der Arbeit, zum Tag des Neoliberalismus umzuformen und umzudefinieren. Schönen Dank!
Nun ein Wort dazu, wie Sie hier mit dem 1. Mai umgegangen sind und wie Sie damit umgegangen sind, wie er historisch entstanden ist. Im 19. Jahrhundert - das ist völlig richtig -, vor rund 110 Jahren, im Jahre 1890 ging es in den USA wirklich um die Einführung des Achtstundentages. Damals hat die Gewerkschaftsbewegung es geschafft, die Ar
beit zu reduzieren, aber nicht deshalb, weil es zu viel Arbeit gab. Die Gewerkschaftsbewegung hat damals vielmehr international den Anfang damit gemacht, sich auf einheitliche Standards in den damals industrialisierten Ländern zu einigen. Der Achtstundentag schuf so etwas wie das erste soziale Grundgleichgewicht im globalen Wettbewerb. Das war ein Verdienst der Gewerkschaftsbewegung. Dies ist es, was uns heute fehlt. Wegen des Auseinanderbrechens der sozialen Standards, des Lohndumpings, des Preisdumpings, des Arbeitsrechtsdumpings, das Sie predigen, haben wir die Probleme der Globalisierung. Deswegen haben wir zu wenig Abstimmung auf internationaler Ebene. Deswegen ist der 1. Mai wichtiger denn je.
Die Politik erweist sich nämlich als unfähig, eine ähnliche Wettbewerbsgerechtigkeit für den freien Welthandel sicherzustellen, wie dies die Arbeiterbewegung in ihrer Hochzeit damals geschafft hat. OTIS würde nicht verlagert werden, wenn zwischen den Staaten der EU oder gar in der Welthandelsorganisation Mindeststeuersätze, Mindestlöhne und Mindestsozialstandards bereits festgelegt wären. Das ist die Aufgabe der Stunde, statt einer pauschalen Diskreditierung der Gewerkschaftsbewegung im Sinne von Reformverhinderern, Betonköpfen und Besitzstandswahrern hier das Wort zu reden.
Den 1. Mai als gesetzlichen Feiertag gab es in Deutschland erstmals nach dem Ersten Weltkrieg. Schon damals haben die bürgerlichen Parteien versucht, dies wegzudrücken. Im Lande Braunschweig ist das nicht gelungen. Das ist eine gute Tradition. Die Nationalsozialisten versuchten ab 1933, den 1. Mai in ihrem Sinne umzudefinieren. Die Nationalsozialisten machten den 1. Mai mit großen Aufmärschen und Inszenierungen in ihrem Sinne zu einem demagogischen Tag. Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde der 1. Mai von den dann wieder freien Gewerkschaften mit viel Erfolg - das konnten wir am Wirtschaftswachstum und an der guten Entwicklung in den 50er- und 60er-Jahren sehen - wieder zum Tag der Arbeit hier in diesem Land gemacht. Ich meine, an diese Tradition, an diese Mitwirkung der Gewerkschaften im Sinne von Verhandlungspartnern der
Arbeitgeber mit dem Ziel eines echten, fairen Ausgleichs und einer gerechten Marktwirtschaft müssen wir in diesem Jahr anknüpfen. Es geht nicht um ungezügelte Freiheit, die sowieso denen, die in unserer Marktwirtschaft schon die größte Freiheit genießen, die meisten Vorteile bringt. Es geht in der aktuellen Zeit der Globalisierung vielmehr darum, wieder mehr Gerechtigkeit und mehr sozialen Ausgleich - auch zwischen den verschiedenen Staaten - zu erreichen.
Nach der Wiedervereinigung knüpfte auch die deutsche Gewerkschaftsbewegung 1990 wieder an die gemeinsame Tradition an. Es wäre gut gewesen, wenn die Wirtschaftsminister der verschiedenen Bundesländer es ihr nachgetan hätten. Die Helmfabrik Schubert und die Käserei Loose könnten in Niedersachsen noch weiter produzieren, wenn wir uns nicht den absurden Luxus geleistet hätten, mit Steuergeldern subventionierte Verlagerungen von A nach B in der eigenen Republik zu finanzieren; dafür wurden auch Steuergelder aus Niedersachsen bereitgestellt. Diesbezüglich hätten sich die Wirtschaftsminister der Länder schon längst absprechen müssen. Sie hätten nicht warten dürfen, bis die Bundesregierung Anfang dieses Jahres durch eine entsprechende Einvernehmensregelung für Verlagerungsinvestitionen dieses unsinnige Treiben endlich verboten hat. Ich hoffe, Herr Hirche, dass die Wirtschaftsminister diese neuen Regelungen jetzt endlich auch in Abstimmung untereinander umsetzen und nicht bei den anstehenden Verlagerungen weiter, wie Sie es bisher getan haben, tatenlos zusehen.
Ich danke Ihnen. - Herr Rösler, nicht uneingeschränkte Freiheit, sondern mehr soziale Verantwortung und Gerechtigkeit der Marktwirtschaft sichern Arbeitsplätze und sind die richtigen Forderungen für den 1. Mai 2004. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der 1. Mai muss in Niedersachsen zum Tag für Arbeit werden. Ihr Antrag, dieses Thema in der Aktuellen Stunde zu behandeln, hat mich mit Erstaunen und Freude erfüllt. Herr Rösler, es hat mich erstaunt, wie schnell Sie dem Auftrag Ihres Chefs Guido Westerwelle vom Landesparteitag, die Gewerkschaften ein Stück weit stärker anzugreifen, ohne Nachdenken und ohne Sensibilität im Hinblick auf die Geschichte des 1. Mai hier nachkommen.
Die von Ihnen beantragte Aktuelle Stunde erfüllt mich zum anderen mit Freude, weil Sie mir als Gewerkschafter damit die Gelegenheit geben, sozusagen zur besten Sendezeit auf Ihre Einlassungen zu erwidern. Zunächst einmal muss ich Ihnen sagen, dass wir in Niedersachsen die Chance, den 1. Mai zu einem Tag für Arbeit zu machen, bereits am 2. Februar 2003 leider verpasst haben;
denn seit dem 4. März, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, tragen Sie ja die Verantwortung für das Thema Wirtschaft und Arbeit. Man kann heute sagen: Bisher haben Sie sich wirklich nicht mit Ruhm bekleckert.
Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, die seit dem Guido-Mobil möglicherweise zum Markenzeichen der FDP geworden ist, dass sich ausgerechnet die Spaßpartei der Besserverdienenden um Arbeitsplätze sorgt und sich zum Anwalt der von Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen aufspielt.
Was für ein Sinneswandel! Denn bisher hat die FDP nach der Melodie „Der Markt wird es schon richten“ und „Wirtschaft wird von der Wirtschaft gemacht“ eine Politik betrieben, die dem Arbeitsplatzabbau in Deutschland eher Vorschub geleistet hat, meine Damen und Herren.
Und schlimmer noch: Immer dann, wenn es konkret wurde, immer dann, wenn eine engagierte Politik für mehr Beschäftigung gefordert wurde, war von der FDP nichts zu sehen. Man kann sagen: Die FDP drückt sich vor der Arbeit.
Erstes Beispiel: Ihre Generalsekretärin Frau Cornelia Pieper ist in Sachsen-Anhalt forsch angetreten mit dem flotten Spruch: Höppner geht, die Arbeit kommt. Als es dann ernst wurde, ward Frau Pieper nicht mehr gesehen, weil sie inzwischen nach Berlin gegangen ist.
Zweites Beispiel: Als im letzten Jahr die Mitwirkung der FDP an der Reformagenda 2010 noch gefordert war, was tat da die FDP? - In Interviews und Talkshows konnte es den FDP-Spitzen bei den Reformen gar nicht radikal genug vorangehen: Jeder müsse dazu einen Beitrag leisten, ob Arbeitnehmer, Patienten oder Versicherte. Aber hinter den Kulissen? Meine Herren und Damen von der FDP, wo, bitte schön, ist denn der Beitrag der Ärzte und der Apotheker zur Gesundheitsreform geblieben? Wo, bitte schön, ist denn der Beitrag der Rechtsanwälte und der Freiberufler zur Reform der Steuerpolitik geblieben? - Was Sie betreiben, ist reine Klientelpolitik, und das werfen wir Ihnen hier vor.
So höre ich schon Ihre Einwände: Ja, hier in Hannover ist aber alles besser. - Wie sieht es also hier im Lande aus? Was macht denn der Minister, der nicht nur für Wirtschaft, sondern auch für Arbeit zuständig ist? - Meine Damen und Herren, wir sollten einmal zur Kenntnis nehmen, dass in Niedersachsen bei der Zahl der Insolvenzen seit dem letzten Jahr ein drastischer Anstieg um 16,1 % zu verzeichnen ist. Im Klartext heißt dies: Während Ihrer Regierungszeit sind im letzten Jahr 20 014 Arbeitsplätze verloren gegangen. Sie können jetzt ruhig auf den Bund verweisen. Dort stieg die Zahl der Insolvenzen um nur 4,6 % an, nicht aber um 16,1 %.
Bisher ist der Wirtschafts- und Arbeitsminister nicht durch bemerkenswerte Initiativen für mehr Arbeitsplätze aufgefallen, sondern die größte Resonanz - so stellte vor wenigen Wochen die Hannoversche Allgemeine Zeitung fest - hat Herr Hirche mit Stehhilfen für Bäckereien, mit der freien Farbwahl des Taxigewerbes und jüngst mit dem Führerschein ab 17 erzielt. Alle Achtung, es handelt sich hierbei zumindest zu einem gewissen Teil um Antworten auf nicht gestellte Fragen.
Ob damit in Niedersachsen auch nur ein einziger zusätzlicher Arbeitsplatz geschaffen worden ist, überliefert die Hannoversche Allgemeine Zeitung leider nicht.