Protokoll der Sitzung vom 26.05.2004

Ich hatte gestern die Gelegenheit, mit dem früheren Landtagspräsidenten Wernstedt vor 400 Schülerinnen und Schülern darüber zu diskutieren. Das war übrigens sehr erhellend, Herr Kollege Bartling. Ich weise darauf hin, weil wesentliches Primat des Grundgesetzes die repräsentative Demokratie ist. Damit unterscheiden wir uns von den Verhältnissen in der Schweiz und auch in den USA.

(Zuruf von den GRÜNEN: Und Bay- ern?)

- Sie hätten zu Bayern die ganze Wahrheit sagen müssen. Die Zustimmung zum Grundgesetz ist in Bayern durch einen Volksentscheid erfolgt und nicht durch politische Willensbildung im Parlament.

Ich möchte es jetzt einmal so machen wie die anerkannte Wochenzeitschrift Focus, die sich ja verpflichtet fühlt, Fakten zu nennen. Ich rufe die Fakten für Niedersachsen in Erinnerung, damit wir wissen, worüber wir reden.

Das erste Bürgerbegehren ist 1997 in Niedersachsen eingereicht worden. Seitdem hat es insgesamt 70 Bürgerbegehren gegeben. Von diesen 70 Bürgerbegehren sind nur 28 so weit gekommen, dass über sie ein Bürgerentscheid hat stattfinden können. Das hatte formale Gründe; das war nicht die Schuld des Gesetzgebers.

Von diesen 28 Bürgerbegehren haben nur 19 das im Gesetz vorgeschriebene Quorum für einen Bürgerentscheid erreicht. Das spricht eigentlich gegen das, was Sie in Ihrer Begründung ausführen. Von diesen 19 Bürgerentscheiden waren 13 im Sinne der Begehrenden erfolgreich und sechs nicht.

Und jetzt kommt es: Von den insgesamt 70 Bürgerbegehren war nur in neun Fällen das nicht ausreichende Quorum die Ursache dafür, dass nicht über das Begehren der Antragsteller abgestimmt werden konnte und nicht in ihrem Sinne entschieden wurde.

Diese Fakten zeigen, dass es keinen Regelungsbedarf gibt. Insofern: Die SPD hat zwar vieles falsch gemacht

(Oh! von der SPD)

- Herr Bartling, das wissen Sie auch; wir sind auch bereit, Ihnen das immer wieder in Erinnerung zu rufen -, aber über diese Regelung kann man durchaus sagen, dass sie sich in angemessener Weise, bisher jedenfalls, bewährt hat.

Sie haben angesprochen, dass es auch in der Oldenburger CDU ein solches Ansinnen gebe. Das ist richtig. Aber was denken Sie wohl, was die CDU-Kreisverbände Celle oder Braunschweig dazu denken?

(Andreas Meihsies [GRÜNE]: Die müssen Sie noch überzeugen!)

- Wissen Sie, was der Unterschied zwischen den Grünen und der CDU ist? - Sie sind eine Klientelpartei,

(Oh! bei den GRÜNEN)

und wir sind eine Volkspartei. So einfach ist das!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Heiterkeit bei der SPD und bei den GRÜNEN - Dieter Möhrmann [SPD]: Und das soll staatstragend sein?)

Sie machen Politik für Ihre Klientel, und wir machen Politik für das Volk, und das bisher sehr erfolgreich.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es gibt in der CDU neben denen, die sagen, wir müssten das ausweiten, auch viele, die sagen, wir müssten das deutlich zurückfahren. Für eine Volkspartei ist es immer gut, wenn sie den Kurs in der Mitte hält. Wir nehmen also die Mitte, und deswegen neigen wir dazu, diese Regelung in der Niedersächsischen Gemeindeordnung im Unterschied zu vielen anderen Dingen nicht zu ändern.

Aber weil wir eine offene Volkspartei sind, sind wir selbstverständlich bereit, eine Anhörung durchzu

führen. Darin werden wir uns sicherlich aufklären lassen. Aber ich stelle jetzt schon in Aussicht, dass dabei, jedenfalls was Ihr Ansinnen angeht, nicht sehr viel herauskommen wird.

(Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

Es kommt ja auch darauf an, wen man anhört. Wenn man nur die Initiative „Mehr Demokratie jetzt“ bestellt, dann hat man zu 100 % Erfolg. Aber ich glaube, dass die kommunalen Spitzenverbände das eine oder andere anders sehen.

Nun möchte ich noch einmal etwas zu dem Stichwort Klientelpolitik sagen, auch hinsichtlich der Quoren, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorsehen. Nehmen wir an, Sie wollen in der Landeshauptstadt Hannover ein Bürgerbegehren einleiten. Die Landeshauptstadt Hannover hat über 500 000 Einwohner. In Ihrem Gesetzentwurf sagen Sie, dort soll ein Quorum von 10 % ausreichen. Das heißt, wenn sich 90 % der Einwohner gar nicht für die Frage interessieren, würden bei 500 000 Wahlberechtigten lediglich 50 000 Menschen über das Wohl und Wehe entscheiden.

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Bravo!)

- Ich weiß ja, dass Sie sehr genau darauf achten, ob sich meine mathematischen Kenntnisse verbessern. Ich wollte Ihnen das einfach einmal unter Beweis stellen.

(Heiterkeit - Dieter Möhrmann [SPD]: Der Kandidat macht das nicht schlecht!)

Für mich sieht das ein bisschen so aus, als hätten Sie die Quoren so eingeteilt, dass es immer gerade mit Ihrer grünen Wählerschaft hinkommt.

(Heiterkeit bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie setzen das Quorum so fest, dass Sie dann erfolgreich sein können, wenn alle Ihre Wähler kommen. Das ist der Unterschied zwischen Klientelpolitik und der Politik einer großen Volkspartei. Kleine Parteien neigen immer ein bisschen zur Klientelpolitik, wobei die einzige Ausnahme in Deutschland die FDP ist.

(Heiterkeit bei der SPD und bei den GRÜNEN - Sigmar Gabriel [SPD]: Wir sind hier doch nicht beim Karneval! Das ist doch keine Büttenrede hier!)

Ich möchte Ihnen noch ein Beispiel für Klientelpolitik nennen. Sie sehen in Ihrem Gesetzentwurf vor, Bürgerbegehren auch bei Bauleitplanungen und Planfeststellungsverfahren zuzulassen. Aber wozu führt das? Wir hören ja auch, was Sie in Berlin dazu äußern, über den Gesetzentwurf hinaus. Wir hören von Ihnen z. B., dass Sie wegen der demografischen Entwicklung etwas dagegen haben, dass sich die Bürgerinnen und Bürger in verstärktem Maße noch ihr eigenes Häuschen bauen. Also hört man landauf, landab, die Grünen wollen in jedem Ortsrat, in jedem Stadtrat, in jedem Kommunalparlament dafür sorgen, dass keine neuen Bebauungsgebiete ausgewiesen werden.

Die rot-grüne Bundesregierung ist ja dafür, die Eigenheimzulage zu streichen. Auf der anderen Seite sorgt sie sehr genau für ihre Klientel. Meine Damen und Herren, es ist statistisch erwiesen, dass die Wählerschaft der Grünen vornehmlich in größeren Städten und dort wiederum in den Altstadtvierteln wohnt. Und was passiert nun bei RotGrün? - Da hat sich die Klientel durchgesetzt. Alles ist gestrichen worden, aber die Renovierungsmittel für Altbauten in Städten sind angehoben worden.

(Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN - Sigmar Gabriel [SPD]: Was habt ihr dem denn ins Wasser gekippt?)

Das ist doch Klientelpolitik, und die wollen Sie in diesem Gesetzentwurf sozusagen hinten herum noch legitimieren.

(Heiterkeit bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das ist so was von durchsichtig!

Das ist der Unterschied zwischen einer Klientelpartei und einer Volkspartei. Ich bin stolz, in einer Volkspartei zu sein und dafür sorgen zu können, dass hier vernünftig verfahren wird. - Vielen Dank.

(Beifall und Heiterkeit bei der CDU und bei der FDP)

Danke schön, Herr Biallas. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich noch einmal Herr Kollege Meihsies zu Wort gemeldet. Sie haben noch eine Redezeit von 3:52 Minuten.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Soll ich noch etwas zu Herrn Biallas sagen? Würde ich seine Logik auf Bayern anwenden, dann hätten wir dort bei den Bürgerbegehren 50 %.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Biallas, Sie haben ein innerparteiliches Problem und auch ein Generationenproblem. Sie haben ein Problem mit Lutz Stratmann, der mit dem Antrag, den er beim CDU-Kreisparteitag in Oldenburg eingebracht hat und der genau das wiedergibt, was die Grünen fordern, ein anderes Denken widerspiegelt. Sie haben ein Problem mit der alten Starrsinnigkeit nach dem Motto: „Ich bin ins Kommunalparlament gewählt, ich entscheide, und der Bürger hat sich nach fünf Jahren wieder bei der Wahl zu melden.“ Das aber ist ein altes Denken, und Sie sind in dieser Frage reformbedürftig. Sie müssen sich da verändern, sonst geht demnächst ein Aufschrei durch das Land, und es wird mehr Volksbegehren geben, die Ihnen wahrscheinlich nicht so lieb sind wie das, was heute diskutiert wird, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich sage es noch einmal für die Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Rängen: Dieser Gesetzentwurf bedeutet natürlich auch ein Stück Machtverlust für Kommunalpolitiker.

(Bernd Althusmann [CDU]: Mich stört dieser Alleinvertretungsanspruch et- was!)

Vor dem Hintergrund, dass die Bürger künftig gegen Bebauungspläne und Bauleitverfahren Einspruch erheben können, müssen die Kommunalpolitiker der Bürgerschaft künftig mit besseren Argumenten gegenübertreten und für ihre Vorstellung, die sie für den Bebauungsplan einer Gemeinde, für ein Bauleitverfahren oder für einen Flächenutzungsplan entwickelt haben, Überzeugungsarbeit leisten.

(Bernd Althusmann [CDU]: Andreas, hier spielt die Musik!)

Damit haben viele ein Problem; denn früher konnte man das im stillen Kämmerlein abhandeln. Gibt es hingegen das Instrument des Bürgerbegehrens bzw. des Bürgerentscheids, muss man seine Entscheidungsprozesse transparenter gestalten. Das Instrument des Bürgerbegehrens wird zu mehr

Entscheidungstransparenz, mehr Beteiligung und damit auch dazu führen, dass sich Entscheidungen in der Kommune zukünftig größerer Zustimmung erfreuen.

(Beifall bei den GRÜNEN)