Seit Anfang der 90er-Jahre ist die direkte Demokratie in den Bundesländern auf dem Vormarsch und heute in allen 16 Bundesländern verankert. Aber die direktdemokratischen Verfahren sind reformbedürftig. Bürger, die sich des Verfahrens bedienen, werden oft durch zu hohe Quoren und bürokratische Hindernisse ernüchtert. Der schweizerische Nationalrat Andreas Groß - ich betone ausdrücklich: schweizerischer - hat die Situation in Deutschland mit folgendem Vergleich kommentiert:
„Wer einen Fußballplatz an einem Berghang baut, brauch sich nicht wundern, wenn die Menschen die Lust am Spiel verlieren.“
die Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung stehen, um die Politik in ihrer Gemeinde oder ihrem Landkreis direkt zu beeinflussen. Denn was die Bevölkerung im Bürgerentscheid beschließt, muss wie ein Ratsbeschluss umgesetzt werden.
Die Niedersächsische Gemeindeordnung und die Niedersächsische Landkreisordnung schreiben detailliert vor, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ein Bürgerbegehren zulässig ist. Die Themenauswahl wird durch einen Negativkatalog beschränkt, es sind Fristen und formale Regeln zu beachten, Quoren zu überwinden, und es muss ein durchführbarer Vorschlag zur Deckung der mit der Ausführung verbundenen Kosten oder Einnahmeausfälle enthalten sein. Das alles sind Faktoren, die die Durchführung eines Bürgerbegehrens erschweren.
Diese Hürden sind auf Vorschlag der EnqueteKommission aber nicht ohne Grund eingeführt worden; denn die verfassungsrechtliche Vorgabe, das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden und damit die Funktionsfähigkeit der verfassungsmäßigen Organe, muss erhalten bleiben. Darin sind wir uns hoffentlich alle, also auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, einig.
Die Häufigkeit und Wirksamkeit von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden hängen in erster Linie von folgenden Fragen ab:
Erstens. Welche Themen sind für Bürgerbegehren zulässig? Es geht also um so genannten Negativoder Positivkataloge.
Zweitens. Wie hoch sind die Unterschriftenquoren, und wie sind die Bedingungen für die Sammlung? Stichwort: Fristen und aufschiebende Wirkung.
Drittens. Entscheidet beim Bürgerentscheid die Mehrheit, oder sind weitere Hürden wie Zustimmungsquoren zu überwinden, und wie hoch sind diese Zusatzhürden?
Die Themenbereiche, die beim Bürgerbegehren zugelassen bzw. vom Bürgerbegehren ausgeschlossen sind, stellen allerdings für die Praxis ein Kernelement mit enormer Bedeutung dar. Ein zentraler Ausschlusspunkt und damit auch Kritikpunkt hier in Niedersachsen ist z. B. die Bauleitplanung. Nachweislich ist die Anzahl der eingeleiteten Bür
Meine Damen und Herren, der uns vorliegende Gesetzentwurf geht auf all diese Punkte ein. Aber er sieht natürlich noch weitere Änderungen vor, z. B. die Beratung durch die Verwaltung über das Verfahren. Zukünftig soll der Rat und nicht mehr der Verwaltungsausschuss über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens entscheiden, also mehr Öffentlichkeit und Transparenz. Die bislang in Absatz 9 verankerte ausdrückliche Erlaubnis der Verwaltung, Maßnahmen ergreifen zu können, die sich gegen ein laufendes oder eingereichtes Bürgerbegehren wenden, soll entfallen, und es soll eine Sperrwirkung für Bürgerbegehren eingeführt werden. Nicht zuletzt ist die Möglichkeit der brieflichen Abstimmung vorgesehen.
Meine Damen und Herren, Demokratie lebt von der Möglichkeit der Bürger, sich an politischen Entscheidungen unmittelbar zu beteiligen. Was aber machen wir, und vor allem, wie reagieren wir auf solche Begehren? Seien wir doch einmal ganz ehrlich, insbesondere die Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker unter uns: Im allgemeinen sind wir eher ablehnend. Wir befürchten die Aushöhlung der kommunalen Mandate und die Schmälerung der Handlungsfähigkeit der Verwaltung. Der Standardsatz enttäuschter Bürger „Die da oben machen ja doch, was sie wollen“ ärgert uns, und die um sich greifende Politikverdrossenheit macht uns machtlos. Haben wir mit unserer Politik aber nicht auch selber eine Art Zuschauerdemokratie entwickelt, in der sich die Entscheidungsmacht der Bürger auf ein Kreuzchen auf dem Stimmzettel alle vier oder fünf Jahre beschränkt?
Meine Damen und Herren, inwieweit allerdings die in dem Gesetzentwurf eingebrachten Änderungen hier den gewünschten Erfolg bringen können, möchte meine Fraktion in einer großen Anhörung mit Fachleuten und den kommunalen Spitzenverbänden erörtern.
Wie ich in dem eingangs erwähnten Volksentscheid-Ranking lesen konnte, rühren sich auch in der CDU Stimmen für eine Reform der Bürgerbegehrens-Regelung. An die Spitze der Bewegung hat sich wohl Herr Minister Stratmann gesetzt.
Danke schön, Frau Modder. - Für die FDP-Fraktion erteile ich nunmehr Herrn Bode das Wort. Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die parlamentarische Demokratie in Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten bewährt. Sie zeichnet sich auch dadurch aus, dass wir den Menschen die Möglichkeit einräumen, über Volksoder Bürgerentscheide bei wichtigen Fragen direkt zu entscheiden, also außerhalb des Parlaments. Diese wichtige Ergänzung brauchen wir, um auch zwischen den Wahlen eine Meinungsbildung im Volk zu ermöglichen.
Der heute vorliegende Gesetzentwurf ist für die Grünen sicherlich ein schöner Anlass, um sich mit dem Image einer scheinbar basisdemokratischen und bürgerfreundlichen Partei zu schmücken.
- Ich sage „scheinbar“, weil es scheinbar ist. Man muss das nämlich auch wirklich durchgängig leben, Frau Steiner. Sie können nicht hier in Niedersachsen für die Erweiterung der Möglichkeiten für einen Bürgerentscheid eintreten, aber sich auf anderen Ebenen, beispielsweise im Bund bzw. im Bundestag, dem verweigern.
Ich finde es schon sehr seltsam, dass Sie hier einen Gesetzentwurf einbringen, der den Bürgern mehr und bessere Möglichkeiten einräumen soll, um beispielsweise über die Schaffung von Krötentunneln abzustimmen, dass Sie aber die Frage, die die Menschen eigentlich bewegt und die wahrscheinlich auch die zukunftswichtigste für Deutschland und Europa ist - nämlich die EU-Verfassung -, außen vor lassen: Im Bundestag sagen Sie Nein zu der Möglichkeit, dass die Deutschen über die EU-Verfassung abstimmen.
(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Wir sind für eine EU-weite Volksabstimmung! Was Sie sagen, stimmt überhaupt nicht!)
Die FDP hat im Bundestag durchgängig einen Volksentscheid zur EU-Verfassung gefordert, die Grünen hingegen haben dies abgelehnt. Deshalb sage ich Ihnen: Was Ihre Partei hier treibt, ist Heuchelei.
Liebe Freunde von den Grünen, ich finde es ja sehr schön, dass Sie gewisse Dinge außen vor lassen wollen. Ich frage Sie aber - man hat Ihnen gegenüber ja auch eine Fürsorgepflicht -,
ob Sie sich wirklich genau überlegt haben, dass Sie die Regelungen des Baurechts nicht mehr außen vor lassen wollen. Wollen Sie, liebe Freunde von den Grünen, wirklich, dass die Menschen in Niedersachsen künftig über die Standorte von Windrädern abstimmen dürfen? Das kann doch nicht im Sinne Ihrer Parteiideologie sein. Ich kann Ihnen aber sagen: Unter diesem Gesichtspunkt hat Ihr Gesetzentwurf für uns durchaus Charme.
Liebe Kollegen von den Grünen, wir sind der Meinung, dass Volks- und Bürgerentscheide eine wichtige Ergänzung unserer parlamentarischen Demokratie sind. Deshalb sind wir auch gern bereit, über die Frage nachzudenken, ob die derzeitigen Regeln in der Niedersächsischen Gemeindeordnung noch der Realität gerecht werden oder ob sie angepasst werden müssen. Das geht allerdings nicht mit einem Schnellschuss. Sie hätten erst eine Anhörung durchführen sollen - durchaus in der großen Form, wie sie die SPD heute vorgeschlagen hat; wir stimmen dem im Übrigen gerne zu -, in der genau analysiert werden kann, ob das, was Sie gesagt haben, stimmt, ob die Verfahrenshürden also tatsächlich so hoch sind, dass sie schon die Einleitung einer Bürgerinitiative bzw. eines Bürgerentscheids letztlich unmöglich machen. Hier muss man zuerst überlegen, prüfen und diskutie
Ebenfalls sollten Sie genau überlegen, ob stimmt, was Sie immer gesagt haben, nämlich dass der Erfolg von Bürgerentscheiden verhindert wird, weil das Quorum häufig nicht erreicht wird. Ich komme aus einem Gebiet, in dem ein Bürgerentscheid gerade das Quorum nicht erreicht hat. Ich kann Ihnen sagen: Für viele Menschen war bereits das Fernbleiben von der Wahl eine politische Willensäußerung. Sie wussten, dass dadurch das Quorum nicht erreicht wird und der Bürgerentscheid ins Leere läuft. Schließlich wollten sie die Öffnung der Innenstadt in Celle für den Autoverkehr.
Ich meine also, wir sollten gemeinsam die Anhörung beschließen und schauen, ob es Erneuerungsbedarf gibt. Ich bin da nicht so optimistisch wie Sie. Ich appelliere an Sie: Machen Sie wirklich ernst, setzen Sie sich wirklich für die Menschen in Niedersachsen und in Deutschland ein. Ermöglichen Sie die Volksabstimmung zur EU-Verfassung, denn sonst sind die Deutschen EU-Bürger zweiter Klasse. In England und Frankreich ist man da weiter. - Vielen Dank.
Danke schön, Herr Kollege Bode. Für den Gebrauch des unparlamentarischen Ausdrucks „Heuchelei“ erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf. Ich möchte von vornherein klarstellen, dass so etwas nicht weiter einreißen darf.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu diesem Gesetzentwurf ist schon viel Richtiges, aber auch viel weniger Richtiges gesagt worden. Ich habe mir vorgenommen, das Richtige einmal zuzuspitzen.
Ich möchte, Herr Kollege Meihsies, nun nicht ausgerechnet mit Herrn Wassermann beginnen, den Sie aus seiner frühen Sturm- und Drangzeit, nämlich aus dem Jahr 1986, zitiert haben. Ihnen würden die Augen aufgehen, wenn Sie einmal nach
schauen würden, was er in den 90er-Jahren gesagt hat. Dann hätten Sie wahrscheinlich davon abgesehen, Herrn Wassermann als Ihren Zeugen aufzuführen.
- Sie wissen doch noch gar nicht, was Staatstragendes ich sagen möchte -, dass wir vor drei Tagen den 55. Geburtstag unseres Grundgesetzes gefeiert haben.
Ich hatte gestern die Gelegenheit, mit dem früheren Landtagspräsidenten Wernstedt vor 400 Schülerinnen und Schülern darüber zu diskutieren. Das war übrigens sehr erhellend, Herr Kollege Bartling. Ich weise darauf hin, weil wesentliches Primat des Grundgesetzes die repräsentative Demokratie ist. Damit unterscheiden wir uns von den Verhältnissen in der Schweiz und auch in den USA.