Protokoll der Sitzung vom 23.06.2004

(Beifall bei den GRÜNEN)

Investieren Sie endlich tatsächlich in Köpfe, vor allen Dingen - das würde ich Ihnen schon einmal raten - in einen Kopf: in eine qualifizierte und glaubwürdige Kultusministerin. - Danke schön.

Herr Jüttner, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Berlin investiert in Beton“ - das stimmt. „Niedersachsen investiert in Köpfe“ - das zu behaupten, ist schon dreist. Niedersachsen - jedenfalls diese

Landesregierung - investiert in nichts. Das ist die Tatsache, mit der wir uns auseinander zu setzen haben.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich finde es schon reichlich unverschämt, wie hier vorgegangen wird. Was wird denn in Berlin gerade gemacht?

(Bernd Althusmann [CDU]: Nichts! Das ist ja das Problem!)

Dort werden 4 Milliarden Euro für die Bundesländer bereitgestellt. Parallel dazu wird eine Informationskampagne organisiert, zudem ein Ideenwettbewerb und, um das Ganze voranzubringen, ein Begleitprogramm „Ganztägiges Lernen“, organisiert von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. Ferner werden Fortbildungsbausteine für das pädagogische Personal zur Verfügung gestellt, und es wird eine Begleitforschung gemacht.

Und warum das Ganze? - Weil nach den internationalen Untersuchungen klar ist, dass Deutschland als Schlusslicht aufholen muss und dass es darauf ankommt, die Rahmenbedingungen zu verbessern, unter denen Lernen in Zukunft sinnvoller organisiert werden kann. Es ist völlig klar, dass für gewichtige Teile der Bevölkerung ein Ganztagsangebot die einzige Chance ist, im internationalen Vergleich aufzuholen. Dabei geht es auch um qualitative Seiten.

Ich weiß nicht, ob Sie es zur Kenntnis genommen haben: Die EKD hat in dieser Woche ein umfangreiches Papier zur Qualität von Ganztagsbildung vorgelegt. Darin wird deutlich, dass es nicht darum geht, den Pflichtunterricht am Vormittag zu verlängern, sondern darum, neue Elemente einzubauen, beispielsweise eine Rhythmisierung des Schulalltags, eine Erweiterung des Unterrichtsangebots, eine Umstellung der Unterrichtsorganisation, eine individuelle Förderung und Begleitung sowie eine Erweiterung des Personalspektrums. Wer über Ganztag redet, der sollte über Qualität reden, meine Damen und Herren, und das ist das Programm, das von Berlin auf den Weg gebracht wird.

(Beifall bei der SPD)

Und jetzt kommen Sie hierher und fangen an rumzunölen. Aber was macht denn die Niedersächsische Landesregierung? Sie haben doch folgendes Problem: Aus familienpolitischen und ideologi

schen Gründen halten Sie diese Ganztagskomponente für abgrundtief falsch.

(Ursula Körtner [CDU]: Weil die Eltern das nicht wollen!)

- Sie haben hier doch noch im letzten Jahr eine Grundsatzrede dazu gehalten, dass das alles Unfug ist. „Kinder gehören nach Hause“, haben Sie hier erzählt.

(Ursula Körtner [CDU]: Was? - Karl- Heinz Klare [CDU]: Das stimmt doch gar nicht! Wir haben es doch ins Ge- setz geschrieben!)

Und jetzt stellen Sie plötzlich fest, Sie halten dem Druck nicht stand. Der Druck besteht in: Zwei Drittel der Eltern wollen Ganztagsangebote.

(Ursula Körtner [CDU]: Aber freiwillig!)

Viele Kollegien merken, dass Ganztag für sie eine pädagogische Herausforderung ist, die sehr hilfreich ist, um sich weiterzuentwickeln. Und die Schulträger merken, in Berlin liegt Geld herum, auf das man zurückgreifen kann.

(Bernd Althusmann [CDU]: 22 Milliarden Euro Neuverschuldung! Da liegt keine Geld herum!)

- Entschuldigung, Sie nutzen das doch auch. Wo ist denn Ihr Antrag, darauf zu verzichten?

Dort steht Geld zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für den schulischen Alltag zur Verfügung.

(Bernd Althusmann [CDU]: Wo liegt denn da Geld herum?)

Das ist der Grund, warum Herr Busemann - dafür könnte man ihn ja auch loben - eingeknickt ist. Aber Sie sollten jetzt nicht den Eindruck erwecken, als seien Sie die Erfinder des Ganztagsunterrichts, Herr Klare. Solch einen Unfug habe ich lange nicht gehört, jetzt mal im Ernst.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie können nicht mehr anders, und jetzt müssen Sie auf den Zug aufspringen. Und was entwickeln Sie? Sie entwickeln ein EtikettenschwindelProgramm. Das ist doch die Situation.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Reinhold Coenen [CDU]: Ach, Herr Jüttner!)

Der Pflichtunterricht ist unabdingbar und bleibt, Mittagessen ist Vorschrift - das muss man einbauen, sonst geht das Ganze nicht -, und dann kommen Sie mit der Komponente der absoluten Freiwilligkeit. Das können Sie nur, weil Sie die gesamte bildungspolitische Diskussion zu diesem Punkt ignorieren. Sie wissen doch genau, dass eine pädagogische Entwicklung nur möglich ist, wenn man mindestens gebundene Formen entwickelt. Aber genau das schließen Sie mit dem neuen Erlass aus. Und gleichzeitig sorgen Sie durch eine Veränderung der Lehrerstundenzuweisung dafür, dass ambitionierter Ganztagsunterricht praktisch kaum noch stattfinden kann. Das heißt, Sie fangen das durch die kalte Küche wieder ein. Sie machen das - Frau Korter hat darauf hingewiesen -, indem Sie die 51 in diesem Jahr genehmigten Ganztagsschulen nehmen und die bestehenden dafür bluten lassen.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert übernimmt den Vorsitz)

Diese Landesregierung hat keinen einzigen Cent zusätzlich für Ganztagsbetreuung zur Verfügung gestellt. Im Gegenteil: Sie haben die Stellen, die wir dafür in der Mittelfristplanung vorgesehen hatten, gestrichen. Das ist die Situation.

Es ist richtig peinlich, dass Sie den letzten 34, die Sie genehmigt haben, gesagt haben, sie könnten zwar einen Antrag stellen, aber es sei klar, dass sie überhaupt nichts dafür kriegen. Meine Damen und Herren, damit produziert man ein pädagogisch höchst zweifelhaftes Konzept. Das wissen Sie auch.

Ich sage Ihnen zum Abschluss:

(Jörg Bode [FDP]: Gott sei Dank!)

- Sie werden mich hier auch weiter erleben müssen.

Bei alledem, was Sie dem Ganztagsgedanken entgegenbringen: Sie werden keine Chance haben, die Ideen und die Praxis von Ganztag in Niedersachsen zu verhindern. Das Engagement der Kolleginnen und Kollegen und der Eltern wird dazu beitragen, dass dieser Gedanken sich durchsetzt. Die Ganztagsschule hat Zukunft, und zwar als

pädagogisches Konzept, trotz Ihrer Regierungstätigkeit. Darauf können Sie sich verlassen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Kollege Jüttner. - Zu Wort gemeldet hat sich Herr Kollege Schwarz von der FDP-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege Schwarz!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss zunächst noch einmal auf Frau Korter eingehen. Ich meine, ganz aufmerksam zugehört zu haben. Sie haben gesagt: Das Land verteilt auch Mittel an Schulen, die gar keine Ganztagsschulen werden. - Habe ich das richtig verstanden?

(Ina Korter [GRÜNE]: Nein! Ich habe gesagt: „die keine neuen Ganztags- angebote schaffen“!)

- Die keine neuen Ganztagsangebote schaffen, an die verteilt das Land Mittel. Das ist korrekt. Ich hätte ansonsten gesagt, dass Sie wissentlich die Unwahrheit erzählen. So ist das aber nicht.

(Zurufe von der SPD)

Im Übrigen schimpfe ich nicht auf die Mittel, die uns jetzt vom Bund zur Verfügung gestellt werden. Ganztagsschulen brauchen wir. Ich finde es gut, dass wir in der Aktuellen Stunde noch einmal die Gelegenheit haben, das eine und das andere auch aus unserer Sicht klarzustellen.

Wir haben hier immer wieder betont, dass wir es für richtig halten, Ganztagsschulen einzurichten. Wir brauchen sie, weil wir der Überzeugung sind, dass man damit das Berufsleben gerade auch für Frauen ganz anders planen kann. Wir glauben weiterhin, dass gut konzipierte Berufsschulen die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Kinder ganz besonders fördern können. Nur: Diese Schulen kosten eben auch Geld - vor allem dann, wenn Lehrkräfte diese Schulen betreuen sollen und Unterricht dort auch am Nachmittag stattfinden soll.

Ich erinnere Sie daran, dass wir von Ihnen den Auftrag übertragen bekommen haben, Arbeitszeitkonten auszugleichen, die reguläre Unterrichtsversorgung zu erhöhen und das Problem der von Ihnen in den letzten 13 Jahren ganz besonders

stark vernachlässigten Altersstruktur zu lösen. Daneben haben wir mit einer ganz massiven Neuverschuldung zu kämpfen. Das alles sind die Gründe, weshalb wir im Ganztagsschulbereich nicht so viel tun können, wie wir es eigentlich wollen.

Wenn Frau Bulmahn uns Gelder zur Verfügung stellt, heißt das in letzter Konsequenz natürlich, dass man damit ganz bestimmte Erwartungen weckt. Diese Erwartungen haben Sie in der Vergangenheit auch nicht erfüllt. Das muss man in aller Klarheit sagen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Denn diejenigen, die jetzt diese Anschubfinanzierung in Anspruch nehmen, d. h. die Kommunen, müssen sich darüber im Klaren sein, mit welchen Folgekosten sie insgesamt zu kämpfen haben werden. Die Länder haben letztendlich auch Kosten zu tragen, wenn sie anschließend das Personal bezahlen müssen. Insofern ist das, was Frau Bulmahn tut, gut, aber es ist letztendlich - Herr Voigtländer hat es vorhin angesprochen - nicht die Umsetzung des Konnexitätsprinzips. Ganz im Gegenteil: Wir werden in dieser Angelegenheit alleine gelassen. Denn das, was da gemacht wird, bedeutet, dass in der Folge alle anderen die Kosten tragen müssen.