Protokoll der Sitzung vom 23.06.2004

(Reinhold Hilbers [CDU]: In meinem aber nicht!)

Die Zusammenarbeit von Sozialhilfeträger und Arbeitsagentur ist in Vorbereitung. Da wird vielleicht sehr viel konstruktiver gearbeitet, als Sie sich das vorstellen.

Die Spekulationen über die tatsächlichen Finanzwirkungen der jetzt beschlossenen Aufteilung der Finanzlasten zwischen Bund und kommunalen Trägern rühren zum einen aus den Unsicherheiten bei der Abschätzung der Anzahl der künftigen ALG II-Bezieher und zum anderen aus den Unsicherheiten über das Finanzvolumen, das von den Kommunen für Unterkunft und Heizung aufgebracht werden muss. Die Erhebungen aus den Ländern haben tatsächlich gezeigt, dass diese Belastungen vermutlich höher sein werden, als dies im Gesetzgebungsverfahren zunächst angenommen wurde. Diese Datenbasis muss aktualisiert werden und wird aktualisiert.

Sie zeigen aber auch, dass die Länder, z. B. Niedersachsen, mit ganz anderen Annahmen als der Bund hochgerechnet haben. Daraus resultieren logischerweise höhere Ausgabenbelastungen. Dieses Vorgehen wurde hier erst im Fachausschuss auf Nachfrage bekannt. Solch ein Vorgehen nenne ich intransparent und sollte wohl die Öffentlichkeit und die Opposition hinters Licht führen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die höchst differenten Zahlen über die Be- und Entlastungen, die Sie in den Protokollen über die Landtagssitzungen am 10. März und 30. April 2004 nachlesen können, geben einen Einblick sowohl in den spekulativen Charakter dieser Hochrechnungen als auch in den tendenziösen Zweck, mit dem sie von Ihnen verkündet wurden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Inzwischen haben wir Ihnen zugesagt, dass es 2,5 Milliarden Euro für die Kommunen gibt, wir haben Ihnen eine Revisionsklausel zugesagt, und wir haben Ihnen die höhere Beteiligung an den Unterbringungskosten vorgeschlagen. Außerdem müssen die Länder ihre Ersparnisse aus Hartz IV

vollständig weitergeben. Jetzt müssen Sie zu diesen Vorschlägen bis zum 30. Juni 2004 endlich einmal Stellung beziehen und nicht immer weiter verzögern und lähmen und die Unsicherheit für die Kommunen verlängern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Darüber hinaus sind umfassende Übergangsregelungen für die kommunalen Beschäftigungsprojekte vorgeschlagen worden. Die sind inzwischen bis zum 31. Dezember 2005 gesichert und können fortgeführt werden. Wer also heute noch sagt, dass die Träger Kündigungen für ihre Projekte aussprechen müssen, handelt grob fahrlässig und trägt immer weiter zur Verunsicherung bei.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Dr. Matthiesen, eines möchte ich Ihnen noch sagen: In den Vermittlungsverhandlungen sind von Ihrer Seite Zumutbarkeits- und Zuverdienstregelungen mit Forderungen durchgesetzt worden, die unserer Zielsetzung, nämlich möglichst hohe Anreize zur Arbeitsaufnahme zu bieten, diametral entgegenlaufen. Damit verschlechtern sich die Anreize zur erstmaligen Aufnahme von Arbeit im Bereich der geringen Einkommen. Es wäre angezeigt, dass Sie sich hierzu einmal äußern; denn die Sozialausschüsse der Union haben sich meines Wissens immer für eine geringere Anrechnung von Zuverdiensten ausgesprochen. Das wäre ein preiswerterer Weg zu Kombilohnmodellen als der, den Herr Koch vorgeschlagen hat.

Wenn Sie es auf ein Scheitern hinauslaufen lassen wollen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Das würde dann auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen. Deshalb kommt es jetzt wirklich auf Sie an, dass Sie wenigstens in der nächsten Sitzung des Vermittlungsausschusses endlich konstruktiv in diesem Prozess mitarbeiten. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Harden das Wort. Ich erteile es ihm.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe hat die Bundesregierung eines

der wichtigsten Projekte für den Arbeitsmarkt angepackt.

(Zuruf von der CDU: Angepackt und nicht fertig gemacht!)

Anders, als häufig suggeriert wird, geht es nicht darum, Betroffenen das Geld zu kürzen. Vielmehr ist es das Ziel, den verheerenden Trend umzukehren, dass immer mehr Langzeitarbeitslose nicht mehr zurück auf den Arbeitsmarkt finden. In dieser Reform stecken die richtigen Ideen.

Bei der Umsetzung haben sich jedoch Schwierigkeiten ergeben, die die zeitgerechte Umsetzung des Kerns der Arbeitsmarktreform infrage stellen. Dabei kann man zwischen objektiven Schwierigkeiten und unnötigen Problemen unterscheiden. Zu den objektiven Schwierigkeiten zählen die Datenerfassung, die Suche nach den Jobmanagern, die Zusammenarbeit der Arbeitsämter und der Sozialämter sowie die üblichen Einführungsprobleme, die sich mit neuen Gesetzen ergeben. Wenn es so umfangreich ist wie das Hartz-IV-Paket, dann ist es eben auch besonders schwierig. Die Pilotprojekte haben jedoch gezeigt, dass Hartz IV funktioniert, dass die Reform zu einer deutlichen Verbesserung der Betreuung und Vermittlung der Arbeitslosen führen wird und dass es dadurch zur einer Entspannung auf dem Arbeitsmarkt kommen wird.

Zu den unnötigen Problemen zählt der Streit um die Option. Union und FDP konnten sich bekanntlich nicht mit ihrer Idee durchsetzen, die Zuständigkeit für die Betreuung und Vermittlung von Arbeitslosen den Kommunen aufzubürden. Dafür wurde verabredet - Herr Dr. Matthiesen, Sie haben schon darauf hingewiesen -, dass die Kommunen die Trägerschaft auf Antrag übernehmen können. Dies wird im Optionsgesetz geregelt. Unserer Ansicht nach ist dies vernünftig und auch machbar. Sie von der Landtagsmehrheit sind damit nicht einverstanden. Herr Dr. Matthiesen, vielleicht haben Sie heute keine Zeitung gelesen.

(Hermann Dinkla [CDU]: Das ist die Hauptbeschäftigung von Herrn Mat- thiesen!)

Ich habe das jedenfalls so verstanden. Was das Optionsmodell angeht, scheint die Einigung auf eine Experimentierklausel hinauszulaufen. Ob es maximal 42 Kommunen sein dürfen

(David McAllister [CDU]: Projekt 18!)

oder 96, wie es die Union möchte, dürfte eigentlich keine unüberwindliche Hürde sein. Das interessiert die Betroffenen auch nicht wirklich.

Ein weiteres wesentliches Hindernis scheint beseitigt zu sein oder der Beseitigung zumindest nahe zu sein. Mit Hartz IV sollten die Kommunen - so ist immer gesagt worden - um insgesamt 2,5 Milliarden Euro entlastet werden. Die Berechnung des Bundesfinanzministeriums war nicht ganz stimmig. Das ist im Übrigen kein neues Phänomen. Das war schon zu Zeiten von Gerhard Stoltenberg und Theo Waigel so.

(Widerspruch bei der CDU)

Das ist leider jetzt auch noch so.

(Hermann Dinkla [CDU]: Die konnten wenigstens rechnen!)

- Wir haben schon einiges erlebt. Wenn Sie ein bisschen länger dabei sind, dann wissen Sie auch, dass die Zahlen des Bundesfinanzministeriums immer mit Vorsicht zu genießen sind. Das ist leider so. Ich beklage das. Aber das ist kein neues, sondern ein altes Phänomen.

(Zuruf von der CDU: Gilt das auch für den Bundeshaushalt?)

Der Landesregierung kann man allerdings den Vorwurf nicht ersparen, dass die völlig falschen Annahmen im Vermittlungsausschuss nicht bekannt waren. Jedenfalls kamen sie erst später auf den Tisch. Inzwischen sind wir weiter. Wir haben inzwischen ein halbes Dutzend Mal im Landtag darüber diskutiert. Daran kann man gut verfolgen, wie der Gang der Entwicklung ist. Inzwischen nähert man sich bei der Entlastung der Größenordnung von 3 Milliarden Euro. Es wird kolportiert, dass Kauder, der Verhandlungsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, gesagt hat, die erste Zahl müsse eine drei sein.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Sie verlangen immer, die Bundesregierung möge sich bewegen. Wenn sie sich bewegt, dann fallen Sie ihr jedoch in den Arm. Sie können doch nicht ständig mehr Geld von der Bundesregierung fordern, ihr aber gleichzeitig in den Arm fallen, wenn sie Steuervergünstigungen abbauen will. Das ist nicht glaubwürdig, sondern das ist durchsichtig.

(Beifall bei der SPD - Reinhold Hilbers [CDU]: Wer hat denn die Entlastung versprochen?)

Ein Weiteres muss auf den Tisch: Die Länder müssen selbstverständlich die Einsparungen im Wohngeldbereich an die Kommunen weitergeben, und zwar in vollem Umfang. In Niedersachsen liegen die Einsparungen zwischen 170 und 250 Millionen Euro. Nicht einmal das wollen Sie zugestehen.

(Bernd Althusmann [CDU]: Das haben wir Ihnen schon mehrfach vorgerech- net! - Unruhe)

- Was Sie rechnen, glauben wir schon lange nicht mehr.

Eigentlich könnten die Folgegesetze zu Hartz IV jetzt in Kraft treten.

(Anhaltende Unruhe - Glocke des Präsidenten - Zuruf von der CDU: Aufhören!)

Dann wäre zumindest Rechtsklarheit für alle Beteiligten geschaffen, für die Mitarbeiter, die Landkreise, die Städte und die Arbeitslosen allemal. Schwierig bleibt die Umsetzung in jedem Fall, selbst wenn CDU und CSU ihre Blockade aufheben würden. Wie Sie, Herr Dr. Matthiesen, darauf kommen, dass die Bundesregierung blockiert, weiß ich nicht.

Die Landesregierung ist mitverantwortlich für das Gelingen von Hartz IV. Sie ist mitverantwortlich für den Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens und dafür, dass niemand im Januar ohne Geldleistungen dasteht, der einen Rechtsanspruch darauf hat.

(Zuruf von der CDU: Erzählen Sie das bloß nicht den Geldempfängern, die im Januar kein Geld bekommen! - Anhaltende Unruhe)

Herr Harden, einen Moment bitte! - Meine Damen und Herren, ich bitte um ein bisschen mehr Ruhe. Man kann dem Redner ruhig zuhören. Herr Harden hat jetzt das Wort.

Es mag sein, dass Ihnen das, was ich hier sage, nicht gefällt. Das muss es auch nicht. Aber ich

kann zumindest verlangen, dass Sie so lange ruhig sind, bis ich zu Ende gesprochen habe.

Das Gesetzgebungsverfahren zu Hartz IV illustriert beispielhaft die Strategie der Unionsparteien. Einerseits fordern Sie grundlegende Reformen. Wenn sie kommen, verzögern Sie aber die Gesetzgebung mit allen Mitteln. Das geht bis hin zu Verabredungen im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat, die Gelegenheit zu weiteren Verzögerungen bieten. Auch diese nutzen Sie. Sie diskreditieren jedes Gesetzeswerk, für das Sie in hohem Maße mitverantwortlich sind. Was Sie hier spielen, ist politischer Catenaccio. Für diejenigen, die etwas länger dabei sind: Das war die elastische Mauertaktik im Fußball, die einen gewissen Helenio Herrera als Fußballtrainer berühmt gemacht hat. Die Folge waren unansehnlicher Fußball, keine Tore und pfeifende Zuschauer, die sich mit Grausen abwenden. Ihre Taktik ist ähnlich: Unansehnliche Politik, kein Erfolg auf dem Arbeitsmarkt und pfeifende Wähler.

Wir lehnen den Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP ab und stimmen dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und unserem eigenen Antrag zu.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Anhaltende Unruhe - Glo- cke des Präsidenten)