Protokoll der Sitzung vom 25.06.2004

Es ist zur Geschäftsordnung gesprochen worden. Wir stimmen jetzt ab. Wer dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Zitierung des Ministerpräsidenten folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Das Vorletzte war die Mehrheit.

Wir fahren in der Tagesordnung fort. Frau Janssen-Kucz, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit es in Niedersachsen ein Kindertagesstättengesetz gibt, kämpfen die Innenpolitiker der CDU Seite an Seite mit den kommunalen Spitzenverbänden dafür, die in diesem Gesetz festgelegten Mindeststandards für die Ausstattung der Kindergärten irgendwie auszuhebeln. Es gab eine einmalige Ausnahme. Das war in den Jahren 1999 bis 2001, als die Eltern mit einem Volksbegehren gegen die SPD-Landesregierung, die auch versuchte, das Kita-Gesetz abzuschaffen, sehr erfolgreich waren. Damals wurde richtig schön an dieses Volksbegehren angedockt. Aber das war reine Taktik, das war Populismus. Ich habe es Ihnen damals schon nicht abgekauft. Die vielfachen Wiederholungen Ihrer Innenpolitiker, immer wieder am Kindertagesstättengesetz bzw. an den Mindeststandards zu kratzen, machen das deutlich. Das war populistisch. Sie haben mit diesem Populismus sogar die Wahl gewonnen. Sie konnten den Eltern damals glatt verdeutlichen, dass Sie für die Interessen von Kindern und Familien kämpfen und dass Sie für den Erhalt der Mindeststandards kämpfen, und heute wird es von hinten herum einkassiert. So ist das, wenn man an der Regierung ist.

(Hermann Eppers [CDU]: Ja?)

- Ja, da stimmen Sie mir doch zu, oder?

Aber ich bin der Meinung, dass diese elendige Debatte, die seit zehn Jahren immer wieder von den jeweiligen Regierungsfraktionen geführt wird, einmal ein Ende haben sollte. Es muss auch einmal ein Ende haben, dass hier ewig über Kleiderhaken geredet wird. Herr Schünemann machte das Anfang Juni. Irgendwann im Juli war der FDP-Kollege

Jörg Bode auch noch dabei und sprach von Kleiderhaken, die unbedingt abgeschafft werden müssten. Herr Bode, ich sage es Ihnen und sage es allen: Die Bestimmung über die Kleiderhaken ist so was von out! Dazu hat es im Kindertagesstättengesetz niemals irgendeine Vorschrift gegeben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Deshalb möchte ich es heute mit einer kleinen Aufklärungsstunde versuchen

(Zuruf von der CDU: Oh!)

- wir können es auch „Volkshochschullehrgang“ nennen -, damit alle hier im Saal einmal wissen, worum es bei diesen vielzitierten Kindergartenstandards/Mindeststandards geht. Es geht um die Qualifikation der Erzieherinnen, es geht um die Gruppengröße, es geht um die Mindestgröße der Räume. Es geht aber nicht um das, was Sie immer herzitieren, weil Sie keine Argumente haben, nämlich um Ihre beliebten Kleiderhaken. Das Kindertagesstättengesetz schreibt vor, dass die Leiterin einer Kita-Gruppe eine sozialpädagogische Fachkraft, eine ausgebildete Erzieherin sein soll. Das heißt, sie braucht eine abgeschlossene Fachschulausbildung. Für so genannte Zweitkräfte können und werden schon heute Ausnahmen gemacht, damit auch das einmal klar ist.

Damit bleibt Niedersachsen weit hinter den europäischen Standards zurück. In fast allen Ländern gibt es mittlerweile eine Fachhochschulausbildung, in vielen Ländern sogar eine Hochschulausbildung. Zweitens verlangt das Kita-Gesetz pro Gruppe eine Vorbereitungszeit von 7,5 Stunden in der Woche. Das ist ein Minimum. Sie müssen sich vorstellen, dass die Erzieherin in 7,5 Stunden die pädagogische Arbeit vorbereiten muss. Sie muss den Eltern als Beratungsperson zur Verfügung stehen und die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen, und zwar auch mit den Schulen und Grundschulen - das ist die viel zitierte Kooperation, die Sie wollten -, in die Wege leiten. Dafür stehen ihr nur 7,5 Stunden zur Verfügung. Das ist arg wenig. Sie haben es eigentlich ganz anders gefordert, und deshalb ärgert es mich, wenn immer wieder diese alten Zitate kommen und wenn Sie sogar diese Mindeststandards infrage stellen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn Sie diese Mindeststandards weiter infrage stellen, dann ist alles Makulatur. Auch das, wor

über Sie reden, nämlich die Kooperation zwischen Kindertagesstätten und Grundschulen, kann ja gar nicht stattfinden, wenn es keine ausreichende Vorbereitungszeit gibt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dann haben wir noch eine Durchführungsverordnung zum Kita-Gesetz. Demnach darf eine Gruppe nicht mehr als 25 Kinder umfassen, bei Hortkindern 20, bei unter Dreijährigen 15 Kinder. Ich werde Ihnen noch einmal die Empfehlung der EUKommission zitieren: zwei ausgebildete Erzieherinnen pro Gruppe, mindestens 30 % der Arbeitszeit für Vor- und Nachbereitung, für Elterngespräche, Teamkoordination und Fortbildung. Eine Gruppe soll laut EU-Kommission aus 15 Kindern bestehen. Das ist die Empfehlung. Wir sind bei 25. Das sind letztendlich zehn zu viel. Wenn wir etwas von den PISA-Ländern lernen wollen, dann sollten wir dort anfangen und versuchen, Teile der Empfehlung der EU-Kommission zu übernehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Karl-Heinz Klare [CDU]: Wollen wir das mal in Zahlen, in Geld ausdrücken?)

Meine Damen und Herren, wenn Sie jetzt aber planen, diese Mindestgrößen für einzelne Kommunen aufzuheben, dann müssen Sie den Eltern und den Kindern dort erklären, warum diese Kinder unter schlechteren Bedingungen aufwachsen sollen als in anderen Bundesländern. Von europäischer Chancengleichheit will ich gar nicht erst reden.

Wenn Sie den Bildungsauftrag ernst nehmen, Herr Klare - Sie können hinterher gerne noch etwas sagen -,

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das werde ich gerne tun!)

dann verbieten Sie Ihren Innenpolitikern im Interesse der Kinder, weiter an diesen Mindeststandards herumzuzerren und monatlich bzw. vierzehntägig zu einer weiteren Verunsicherung bei den Eltern, bei den Erzieherinnen und bei den Kindern beizutragen. Das kann es nicht sein.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich denke, Ihnen allen ist deutlich geworden, dass das Kindertagesstättengesetz lediglich die Grenze ist, die nach unten nicht unterschritten werden darf.

Deshalb heißt es Mindeststandards und nicht Höchststandards.

(Zustimmung von Ina Korter [GRÜ- NE])

Spätestens seit PISA wissen wir, dass wir unsere Kinder wesentlich besser fördern müssen. Wenn ich mit anderen Bildungspolitikern spreche, dann sind wir uns eigentlich einig, dass die bessere Förderung im Kindergarten anfängt. Dort muss sie auch anfangen. Ich erwarte heute von Ihnen, dass Sie als Regierung und als Fraktion eine ganz klare Zusage machen, aufzuhören, an diesen Mindeststandards zu rütteln, und dass Sie Ihre Innenpolitiker zurückrufen. Wenn das nicht reicht, dann fordere ich den Ministerpräsidenten auf, dem Innenminister vielleicht einmal zu sagen, dass er in der Sache den Mund halten oder sich schlau machen soll.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ansonsten höre ich schon die nächste Volksinitiative in Richtung CDU und FDP trapsen. Da sind wir flott. Da werden Sie Muffensausen bekommen. - Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Zurufe von der CDU)

Der nächste Redner ist Herr Voigtländer von der SPD-Fraktion.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Wenn du jetzt noch sagen würdest „nicht 15 Kinder, sondern 10“, das wäre was!)

Herr Klare, Sie können sich gerne zu Wort melden, wenn Sie etwas zu sagen haben. Aber bitte rufen Sie hier nicht dazwischen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal freue ich mich, dass der Ministerpräsident bei dieser für das ganze Haus wichtigen Veranstaltung dabei ist.

(Beifall bei der SPD)

Das ist auch deshalb wichtig, weil er zu diesem Bereich sehr bedeutsame Ausführungen gemacht hat. Ich habe den Eindruck, dass es ansonsten im

Wesentlichen eigentlich nur darum geht, dass wir bei einem Thema, bei dem wir uns eigentlich einig sind, offensichtlich tricksen, falsche Aussagen machen oder aber nicht mehr daran denken, was wir in der Vergangenheit gesagt haben. Ich sage in die Richtung meiner eigenen Fraktion: Wir haben zumindest daraus gelernt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir wollen keine Verknappung der Mittel für die kleinen Kinder, für diejenigen, die sich nicht wehren können, für diejenigen, die die Zukunft dieser Gesellschaft bilden. In diesem Bereich wollen wir keine Kürzungen hinnehmen. Das wird natürlich nur an den Standards deutlich.

In den vergangenen Monaten - und teilweise auch zuvor - haben von dieser Landesregierung bei diesem Thema im Grunde genommen drei Personen herausragende Rollen gespielt. Ich zitiere, was der damalige Oppositionsführer Wulff am 8. Mai 1996 im Landtag gesagt hat:

„Wir haben schon im Jahr 1993 gefordert, auf sämtliche Standards und Maßregelungen für die Kommunen zu verzichten.“

Ich frage Sie, Herr Ministerpräsident, gilt das in der Zukunft auch für die Mindeststandards in den Kindertagesstätten? Bekennen Sie sich heute dazu? - Sie haben die Gelegenheit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich unterstelle, dass auch der ehemalige Oppositionsführer als Ministerpräsident etwas dazu gelernt hat. Wir alle haben ja dazu gelernt, auch was die Verkleinerung des Landtages angeht. Der Kultusminister jedenfalls hat offensichtlich eine eindeutige Position. Am 28. April sagte er - so zumindest der Weser-Kurier -:

„Kinder im Alter von drei bis sieben Jahren sind bereit und fähig, unendlich viel zu lernen. Verpasste Lernchancen sind nicht mehr aufzuholen.

Recht hat er! Herr Busemann, machen Sie an dieser Stelle so weiter!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wie sich das allerdings - diesen Seitenhieb müssen Sie zulassen - damit verbinden lässt, dass Sie gleichzeitig Mittel für Sprachförderung in den Kindertagesstätten kürzen, wie aktuell geschehen, verstehe ich nicht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Nun ist über die veröffentlichte Meinung nachzulesen, dass Sie offensichtlich vorhaben, - ob wir, Frau Meißner, da genug Vertrauen in Sie haben, müssen wir abwarten - diese Mittel peu à peu - nicht kenntlich gemacht, aber doch für die Kommunen hilfreich - zu kürzen, indem Sie sie in den kommunalen Finanzausgleich geben wollen. Ich warne davor. Frau Vockert, ich muss Sie nicht daran erinnern, was Sie in den letzten Jahren dazu gesagt haben, auch dazu, wo das Geld bleibt, wenn es bei den Kommunen landet. Denn die Kommunen müssen überlegen, wofür sie diese Mittel einsetzen. Da gibt es in den einzelnen Fraktionen, die die Mehrheit bilden, durchaus unterschiedliche Meinungen. Ich sage noch einmal deutlich: Wir von der SPD-Fraktion wollen das nicht. Die Fraktion der Grünen will das nicht. Herr Busemann, stellen Sie sicher, dass die Mittel da landen, wo sie hingehören.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)