Protokoll der Sitzung vom 15.09.2004

denn wenn wir alles so weiter laufen lassen und nichts an der gegenwärtigen Situation ändern, muss man letztendlich feststellen: Verzögerte Justiz ist verweigerte Justiz. Eine verweigerte Justiz aber ist genau das, was wir uns als Rechtsstaat nicht leisten können und auch nicht leisten wollen.

(Beifall bei der FDP)

Insbesondere dürfen wir nicht die Judikative als eigenständige dritte Säule unseres Staatsaufbaus aufs Spiel setzen, sondern wir müssen sehen, wo wir an dieser Stelle handeln können. Wenn wir an diese Aufgabe herangehen, müssen wir alle Berufsgruppen und alle Berufsstände betrachten. Ich sage das als ein Organ der Rechtspflege, nämlich als Rechtsanwalt. Wir müssen gucken, wo wir gegebenenfalls etwas verändern können. Wo können wir rangehen? Wo müssen wir die Sache anpacken? Wo müssen wir gegebenenfalls auch an Tabus herangehen, die sich über Jahrzehnte, vielleicht aber auch schon über Jahrhunderte hinweg entwickelt haben, weil wir sagen, das ist nicht mehr notwendig, hier geht der Rechtsstaat vielleicht doch etwas zu weit, ohne dass wir den Rechtsstaat als solchen infrage stellen?

(Beifall bei der FDP)

Deshalb nur einige kurze Anregungen zu dem, was in den letzten Tagen zum Teil auch in der Presse schon diskutiert worden ist und worüber man sich Gedanken machen sollte. Zum einen

muss man sich überlegen: Welche Aufgaben soll die Justiz noch wahrnehmen? Wo gibt es Privatisierungsmöglichkeiten? - Wir haben vor gut einem Jahr Privatisierungsmöglichkeiten etwa im Bereich der Justizvollzugsanstalten vorgeschlagen. Erste Prüfergebnisse liegen vor. Eine Anhörung hierzu wird demnächst stattfinden. Zum anderen werden wir auch die Frage stellen müssen: Müssen wir weiterhin öffentlich-rechtliche Gerichtsvollzieher einsetzen, oder können wir möglicherweise auch diesen Bereich privatisieren? Müssen wir auch weiterhin einen fünfstufigen Gerichtsaufbau mit fünf verschiedenen Gerichtszweigen haben, oder können wir eine Zusammenfassung auf zwei Gerichtszweige vornehmen?

Ich sage ausdrücklich: All das sind nur Überlegungen. Darüber muss noch einmal gründlich nachgedacht werden. Zum Thema Arbeitsgerichtsbarkeit haben wir bereits eine Anhörung durchgeführt. Dort wurde gesagt: Das kann man aus Sicht der Fachleute durchaus ein bisschen kritisch sehen, andererseits muss man aber auch beachten, dass man das Ganze möglicherweise auch den spezialisierten Spruchkörpern in Gerichtszweigen zuordnen kann. Man kann überlegen: Müssen wir weiterhin Rechtsschutzmöglichkeiten auch bei geringsten Geldbußen haben? Müssen wir das Ganze gegebenenfalls im Hinblick auf Bagatelldelikte eingrenzen? In welchem Umfang - darüber haben wir auch beim letzten Tagungsabschnitt schon diskutiert - müssen wir bestimmte Sachen zunächst einmal zu Schiedsfrauen bzw. -männern geben und sagen: „Wenn ihr klagen wollt, müsst ihr zunächst einmal versuchen, euch außergerichtlich zu einigen.“?

Auf keinen Fall genügt es zu sagen: Na ja, wir stellen einfach ein paar mehr Leute ein und stocken das Personal wieder auf den Stand auf, den wir vor ein paar Jahren schon einmal hatten. - Das reicht nicht. Das wäre nur ein Kurieren an Symptomen. Wir müssen stattdessen an die Wurzel gehen und fragen: Welches sind die Ursachen, und wie können wir für die Justiz Verbesserungen erzielen? Was das Personal betrifft, unterbreiten wir folgenden Vorschlag: Wenn im Rahmen der Verwaltungsreform Verwaltungsjuristen, Verwaltungsmitarbeiter, Beamte oder Angestellte frei werden, dann können diese ohne Probleme in der Justiz eingesetzt werden; die Verwaltungsjuristen etwa im Bereich der Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit, die Verwaltungsbeamten möglicherweise im allgemeinen Justizdienst, aber auch im

Justizvollzugsdienst. Wir müssen hier zu kreativen Lösungen kommen.

Weil meine Redezeit so weit abgelaufen ist, an dieser Stelle mein Appell an Sie alle: Arbeiten Sie an diesem Thema intensiv mit. Diskutieren Sie über dieses Thema quer über alle Parteigrenzen hinweg auch vor Ort. Wir müssen diese Reform endlich auf den Weg bringen. Ansonsten können wir der Justiz nicht weiterhelfen. Das kann nicht in unserem Sinne sein. Ich bitte Sie alle darum, dieses Thema offensiv anzugehen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Nächster Redner ist Herr Briese von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die große Justizreform ist wieder einmal ein Thema. Dieses Thema ist aber nicht neu. Ich habe in der Zeitung nachgelesen. Schon Helmut Schmidt hatte im Jahr 1974 in seiner Regierungserklärung gesagt, er wolle eine ganz große Justizreform durchführen. Insofern ist das Thema, das uns heute beschäftigt, nicht unbedingt neu.

Tabuloses Denken fordert die FDP-Fraktion in ihrem Antrag zur heutigen Aktuellen Stunde. Eine Jahrhundertreform nannte im Übrigen eine ExFDP-Justizministerin in Baden-Württemberg, die von ihr mitinitiierte Debatte. Die gute Frau musste dann leider zurücktreten, weil sie Amtsgeheimnisse an ihren Kollegen Döring weitergegeben hatte. Wir hoffen also, dass die Debatte über eine große Justizreform etwas länger dauert als die Karriere der beiden Ex-FDP-Minister im Ländle, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Jens Nacke [CDU]: Zur Sache!)

- Zur Sache komme ich jetzt, Herr Nacke. - Worum geht es bei all den großen Ankündigungen? Worum geht es bei dieser großen Justizreform? - In erster Linie geht es schlicht um Organisations- und Managementfragen. Es geht um Strukturfragen. Nichts Unwichtiges. Das will ich nicht verhehlen. Es ist aber auch nichts Revolutionäres. Wir diskutieren über eine ganze Reihe von Vorschlägen oder auch Veränderungen, die schon seit 20 Jahren debattiert werden. Bezeichnend sind ja auch die Kommentare dazu in den Zeitungen. Die Welt

z. B. nannte diese Vorschläge schlicht unspektakulär.

Es gibt eine große Einigkeit in der Diagnose: Die Justiz ist in vielen Bereichen zu unübersichtlich. Die Verfahren dauern zu lange. Die Gebührenordnungen sind für die Bürger nur schwer erkennbar. Insofern gibt es hier eine gewisse Einigkeit und auch einen gewissen Nachbesserungsbedarf. Man kann vielleicht sagen: Die Justiz in Deutschland ist typisch deutsch. Sie ist ein bisschen zu perfektionistisch. Das Justizpersonal klagt über eine hohe Arbeitsbelastung, und viele Bürgerinnen und Bürger - der Kollege Lehmann hat dies in meinen Augen richtig gesagt - klagen darüber, dass die Prozesse zu lange dauern und die Entscheidungen oftmals sehr unverständlich sind.

Die Forderung, dass die Justiz einfacher, überschaubarer und auch bürgernäher werden muss, teilen wir. Das gilt zu einem guten Teil für den Gerichtsaufbau; das gilt auch für die Verfahrensordnung. Was wir allerdings nicht mitmachen werden, ist eine gänzliche Entbürokratisierung der Justiz oder auch eine Beschneidung der Rechtsmittel für die Bürgerinnen und Bürger.

Zwei Sachen sollten die Protagonisten meiner Meinung nach in dieser Debatte aber beachten. Davon kann bis jetzt eigentlich keine Rede sein. Die Vorschläge sollten erstens nicht allein fiskalpolitischen Charakter haben. Das führt nur zu Widerständen bei den einzelnen Leuten und lähmt sie. Das wird der ganzen Sache auch nicht gerecht. Zweitens sollten die Vorschläge frei von Widersprüchen sein. Aber auch davon, meine Damen und Herren, kann überhaupt noch keine Rede sein; denn die bisher betriebene niedersächsische Rechtspolitik ist alles andere als die viel beschworene Politik aus einem Guss. Sie ist in großen Teilen nur ein Aufguss. Darüber hinaus ist sie auch nur wenig abgestimmt, Frau Ministerin. Ein großer Teil der CDU-Bundestagsfraktion hat all das, was sie jetzt vorgeschlagen hat, schon wieder abgelehnt. Die Abstimmung ist unserer Meinung nach noch sehr verbesserungswürdig.

Es gibt noch eine weitere Sache, die sehr kritikwürdig ist. Sie fordern eine Entlastung der Justiz. Sie wollen also, dass die Gerichte entlastet werden. Sie tun aber nichts dafür, dass die Justiz wirklich entlastet wird. Wir reden darüber, dass Sie das Widerspruchsverfahren abschaffen wollen. Wir reden darüber, dass viele kleine Initiativen, die den Täter/Opfer-Ausgleich durchführen, Kürzungsbe

scheide erhalten. Wir reden darüber, dass die ambulanten sozialen Maßnahmen mit Kürzungen bedacht werden. All das ist außergerichtliche Schlichtung. All denen machen Sie momentan aber nur wenig Mut, diese Arbeit fortzuführen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Gleichzeitig haben Sie - das muss ich Ihnen noch einmal sagen; denn das ist der größte Unsinn, den die neue Landesregierung bisher betrieben hat - in Niedersachsen mehr Polizei eingestellt. Gleichzeitig haben Sie beim Gerichtspersonal gekürzt. Sie haben Stellen für Staatsanwälte und Richter gekürzt. Es führt aber zu Mehrarbeit, wenn sie das so genannte Dunkelfeld aufhellen, wie Ihnen jeder Kriminologe bestätigen wird. Gegen eine Aufhellung des Dunkelfeldes ist nichts einzuwenden. Man muss die Justiz aber auch so ausstatten, dass sie diese Aufgabe bewältigen kann. Das haben Sie bis jetzt aber nicht gemacht, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Faktisch also wird die geforderte Entlastung der Justiz in Niedersachsen bisher konterkariert. Nichts von dem, was Sie wirklich tun, steht in Einklang mit dem, was Sie wollen. Wir sind sehr gespannt darauf, wie das weitergeht. Ich habe es schon mehrfach gesagt. Wir von den Grünen werden das nicht reflexhaft oder machtpolitisch ablehnen, sondern wir werden uns den Verlauf der weiteren Debatte anschauen. Wir werden es nicht so machen wie etwa die CDU-Fraktion in der letzten Legislaturperiode auf Bundesebene, die die große ZPO-Reform sehr stark bekämpft hat. Allerdings müsste alles, was Sie hier auf den Weg bringen, schon etwas widerspruchsfreier, etwas durchdachter und etwas abgestimmter sein. Sonst wird nämlich die große Diskussion um die Justizreform nicht viel länger dauern als die Karriere der Justizministerin Werwigk-Hertneck in BadenWürttemberg. Und das wäre eigentlich schade. Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Als nächstem Redner erteile ich Herrn Dr. Biester von der CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, dass wir gehalten sind, in Niedersachsen nicht nur eine Reformdebatte zu führen, sondern

wir haben zwei Problembereiche zu behandeln, die ich der Reihe nach benennen möchte. Der erste Bereich ist etwas kurzfristiger. Wir müssen uns Gedanken über die Frage machen: Wie organisieren wir die Justiz in Niedersachsen in Zeichen immer wiederkehrender Sparhaushalte, wissend, dass wir keine Möglichkeit haben, weiteres Geld in das System hineinzugeben. Das führt natürlich dazu, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Justiz eine ganze Zeit lang überbelastet sein werden. Wir nehmen deshalb auch all die Hinweise aus dem Richterbund sowie aus den Reihen der OLG-Präsidenten, Amtsgerichtsdirektoren und Landgerichtspräsidenten sehr ernst, mit denen sie uns auf die Belastungssituation in ihren jeweiligen Gerichten aufmerksam machen.

Aber wir sagen auch: Wir haben ein großes Zutrauen in die Leistungsfähigkeit und die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justiz, und wir glauben, dass sie motiviert bleiben und auch bereit sein werden, diese Überbelastung hinzunehmen, wenn wir ihnen sagen, dass sie nur für eine begrenzte Zeit gilt. Aber wir müssen ihnen einen Perspektive geben. Wir müssen ihnen sagen, wie wir uns das politisch vorstellen und dass wir diese Belastung mittelfristig beseitigen können. Darum geht es in der zweiten Reformdebatte, die Frau Justizministerin HeisterNeumann dankenswerterweise für Niedersachsen angeschoben hat. Wir müssen den Menschen die Perspektive geben, dass die Veränderungen, die wir herbeiführen wollen, dazu führen werden, dass ihre Belastung geringer wird.

Das ist eine Aufgabe, die eigentlich auf Bundesebene gelöst werden müsste. Wir sind in diesem Bereich ja alleine teilweise gar nicht handlungsfähig. Die Debatten werden teilweise punktuell auf Bundesebene geführt, und zwar mit großem Stimmen-Wirrwarr - Herr Briese, das muss man auch einmal sagen - quer durch die Fraktionen. Die Stellungnahmen widersprechen sich häufig. Eine Diskussion aus einem Guss hat es bisher eigentlich noch nicht gegeben. Ich will in dem Zusammenhang auch einmal ein bisschen polemisch werden. Mir ist gesagt worden, dass die Diskussionen immer dann besonders schwierig werden, wenn Herr Ströbele als Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen in die Diskussionen eingreift.

(Beifall bei der CDU)

Wir wollen die Diskussionen, in denen es um mehr als nur eine organisatorische Frage geht, unter drei

Gesichtspunkten führen, die wir für besonders effizient halten. Die erste Diskussion betrifft die Straffung der Gerichtsorganisation. Wir können uns in der Tat für die Zukunft drei Instanzen vorstellen, also ein Eingangsgericht, ein Berufungsgericht und ein Revisionsgericht. Die derzeitige Situation in Niedersachsen ist eher zufällig und historisch bedingt. Sie ist nicht gottgegeben und nicht für alle Zeit zwingend festgeschrieben. Hier können wir zu einer nachhaltigen Veränderung kommen, die gleichzeitig Einsparungen mit sich bringt. Herr Briese, selbstverständlich können wir all diese Diskussionen sehr rechtstheoretisch führen, aber natürlich hat jede Diskussion in der heutigen Zeit - das muss man einräumen, wenn man offen miteinander spricht auch einen finanzpolitischen Hintergrund. Wir haben sogar die Pflicht, die finanzpolitischen Auswirkungen unserer Diskussion in unsere Überlegungen mit einzubeziehen.

Beim zweiten Punkt geht es um die Straffung der Verfahrensordnungen und damit ebenfalls um ein Problem, das wir auf Bundesebene zu diskutieren haben. Ich halte es für auf Dauer unerträglich, zusehen zu müssen, wie ganze Strafkammern Opfer neuer Verteidigungsstrategien, nämlich der so genannten Konfliktverteidigung, werden. Unsere Verfahrensordnung ist nicht mehr in der Lage, das zu verhindern, wodurch ungeheure Kräfte gebunden werden; Richterinnen und Richter, können an anderer Stelle die Arbeit nicht leisten, weil sie sich dieser Auseinandersetzung ausgesetzt sehen.

Es geht in der Diskussion, Herr Briese, nicht darum, dass wir den Rechtsschutz aufweichen, aber es muss die Frage erlaubt sein, ob wir in allen Bagatellverfahren und bei kleineren Bußgeldbescheiden Rechtsschutz möglicherweise in zweifacher Hinsicht haben müssen, nämlich mit einem Einspruch und dann noch mit einem Rechtsbeschwerdeverfahren, oder ob der Bürger nicht auch dann zu seinem Recht kommt, wenn wir in solchen Fällen nur eine Rechtsmittelinstanz schaffen. Ich meine, darüber muss und kann man offen und ehrlich diskutieren.

(Ralf Briese [GRÜNE]: Ich stimme Ih- nen zu!)

Die Probleme bei allen diesen Fragen werden wieder einmal im Detail liegen, darüber müssen wir uns einig sein. Die Rechtspolitik ist gefordert, sich hier reformfähig zu zeigen, weil wir das System in der jetzigen Form nicht mehr werden halten kön

nen. Frau Ministerin Heister-Neumann hat die Diskussion für Niedersachsen aufgegriffen und angeregt. Wir danken ihr dafür. Wir laden alle ein, sich an dieser Diskussion zu beteiligen. Diese Einladung gilt für Vertreter von Verbänden und Vereinigungen wie den Richterbund und ähnliche, sie gilt aber auch für alle Privatpersonen, die innerhalb der Justiz tätig sind oder als Kunden der Justiz ihr Wissen in diesen Reformprozess einbringen wollen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nächste Rednerin ist Frau Bockmann von der SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was lange gut war, wird von allein nicht besser. In diesem Sinne interpretieren wir das Expertengutachten, das uns fünf unabhängige Sachverständige zur Justizreform vorgelegt haben. Mit den Inhalten haben wir zum Teil überhaupt keine Probleme, denn es geht um Themenbereiche, die bereits von einem Landesjustizminister Pfeiffer, von einer Landesjustizministerin Merk oder auch von einer Bundesjustizministerin Hertha Däubler-Gmelin angesprochen worden sind und die auch hier im Landtag schon Thema waren.

Bei Lichte besehen ist dieses Sachverständigengutachten also alter Wein in neuen Schläuchen. Allerdings freuen wir uns sehr über die 180-GradDrehung der CDU, denn wir sind aus der letzten Legislaturperiode eigentlich nur eine Blockadehaltung gewohnt. Neben dem, was bereits in der Presse stand - wir werden heute nicht in der Lage sein, ein 56-seitiges Gutachten en detail zu diskutieren -, möchte ich mich auf ein Kardinalthema beschränken, das seit langem in der Diskussion ist und das auch die Experten vorschlagen.

Der momentane vierstufige Gerichtsaufbau in der Bundesrepublik Deutschland ist historisch bedingt durch die Auflösung des Deutschen Reiches im Jahres 1806. Nun wird seitens der Expertenkommission vorgeschlagen, diesen Instanzenzug, bestehend aus Amtsgericht, Landgericht, Oberlandesgericht und Bundesgerichtshof, um eine Instanz zu verschlanken. Amtsgericht und Landgericht sollen zu einem Eingangsgericht zusammengefasst werden, sodass wir eine Instanz weniger

hätten. In der letzten Legislaturperiode war diese Diskussion leider aufgrund parteipolitischer Scheuklappen nicht zu führen. Ich erinnere noch daran, dass der Kollege Stratmann mir hier vorgeworfen hat, der Konsens zwischen den großen Fraktionen sei beendet, wenn wir die Dreistufigkeit weiter diskutieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, eines ist jedoch neu - das möchte ich ergänzend zu den niedersächsischen Presseberichte auch einmal thematisieren -: Wir können diese Reform nicht nur auf Berlin schieben,

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

weil im Bundesgesetz eine so genannte Experimentierklausel enthalten ist. Wir können also als Land tätig werden, indem wir eine Modellregion im Land Niedersachsen ausweisen und in dieser Modellregion die Dreistufigkeit erproben. Wir haben in der letzten Legislaturperiode - es war unmittelbar vor der Wahl - davon Abstand genommen, weil wir die Auffassung vertreten, dass eine solche grundlegende Reform nur im Konsens miteinander durchgeführt werden kann. Sonst werden wir in der Bevölkerung kein Verständnis dafür ernten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte die Justizministerin, auch in diesem Punkt Farbe zu bekennen. Das Motto „Weiterleiten nach Berlin macht frei, Entscheidungskompetenz in Berlin ab 2006“ wird uns hier in Niedersachsen kein Stück weiter bringen. Die SPD-Fraktion ist zu Verhandlungen bereit unter dem Motto „Die Justiz muss in ihrer Qualität erhalten bleiben, es müssen aber auch wirtschaftspolitische und sozialpolitische Aspekte berücksichtigt werden.“

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Unter diesen drei genannten Vorgaben wird die SPD-Fraktion selbstverständlich gern mitdiskutieren, mitentscheiden und unterstützen, im Sinne einer funktionsfähigen Justiz. - Danke schön.