Heike Bockmann

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Streit um den Bauauftrag für den Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven hat seit Monaten in diesem Landtag für Wirbel gesorgt. Die Kosten für dieses Jahrhundertprojekt der Länder Bremen und Niedersachsen belaufen sich immerhin auf 1 Milliarde Euro.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang eine Vorbemerkung: Im 20. Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum JadeWeserPort hat kein Zeuge und kein Ausschussmitglied diesen Hafen jemals infrage gestellt.
Ganz im Gegenteil! Politik und Fachwelt waren sich einig, dass dies ein Stück Zukunft für unser Land Niedersachsen ist. Diese Zukunft muss möglichst schnell kommen.
Wenn wir die Historie des JadeWeserPorts chronologisch kurz skizzieren, ergibt sich folgendes Bild: Anfang April berichten die Medien über die fristlose Entlassung des Technischen Leiters des JadeWeserPorts. Er soll zu enge Kontakte zu einem der Bewerber um den Bauauftrag gehabt haben.
Am 27. April vergibt die Realisierungsgesellschaft den Auftrag von rund 480 Millionen Euro an ein Konsortium um den Essener Baukonzern Hochtief. Die unterlegene Bietergemeinschaft mit dem Papenburger Bauunternehmen Bunte kündigt rechtliche Schritte gegen diese Entscheidung an. Schon zwölf Tage später, also am 9. Mai, beantragen Bunte und Partner die Überprüfung dieser Entscheidung bei der Vergabekammer in Lüneburg. Einen Monat später gibt die Vergabekammer den Klägern in Teilen recht und verlangt eine erneute Prüfung des Bunte-Angebotes. Außerdem soll die Realisierungsgesellschaft prüfen, ob im HochtiefAngebot alle Kosten enthalten sind.
Am 29. Juni 2007 teilt die JadeWeserPort-Realisierungsgesellschaft mit, dass nach erneuter Prüfung das Konsortium um Hochtief das wirtschaftlichste Angebot vorgelegt habe und den Auftrag erhalten solle. Noch am selben Tag wird es Bunte zu bunt, und Bunte reicht beim Oberlandesgericht Celle eine Klage ein, um eine endgültige Entscheidung zu erhalten, um diesen Streit zu beenden. Und das mit Erfolg! Am 5. September schließt das Gericht in Celle das Konsortium um Hochtief vom Vergabeverfahren für den JadeWeserPort aus.
Nachdem sich am 11. September 2007 der Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr sowie der Ausschuss für Haushalt und Finanzen dieses Landtages mit den Vorgängen befasst hatten, beantragten die Mitglieder der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen unter dem 14. September 2007 die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Auf der Grundlage einer modifizierten und ergänzten Fassung wurde der 20. Parlamentarische Untersuchungsausschuss dann mit einstimmigem Landtagsbeschluss vom 17. Oktober, also von allen Fraktionen getragen, eingesetzt.
Bereits zwei Tage später, am 19. Oktober 2007, fand die erste, die konstituierende Sitzung dieses Ausschusses statt. Startschuss für die Sachaufklärung war der 29. Oktober vor Ort in Wilhelmshaven. In der Folgezeit fanden 21 Sitzungen - meist ganztägig; zum Teil dauerten sie bis zu elf Stunden - statt. In diesen Sitzungen vernahm der Untersuchungsausschuss 27 Zeugen und - die Bemerkung sei mir erlaubt Herrn Dr. Henning
Scherf.
- Diejenigen, die dabei gewesen sind, werden mich verstehen.
Vier Zeugen - unter ihnen Herr Holtermann - erschienen mehrfach.
Der Ausschuss fasste 19 Beweisbeschlüsse. Die jeweiligen Beweiserhebungen fanden, wie in Artikel 27 Abs. 3 Satz 1 der Niedersächsischen Verfassung vorgesehen, grundsätzlich in öffentlicher Sitzung statt. In zwei Fällen wurde ein Zeuge zusätzlich noch in einer nicht öffentlichen Sitzung vernommen, weil dabei auf Unterlagen Bezug ge
nommen wurde, die als Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse eingestuft worden waren.
Zur Aufklärung der Vorgänge sind 400 Aktenordner sowie diverse DVDs ausgewertet worden. So wurden Akten nicht nur von den beteiligten Ministerien und sonstigen Stellen der Niedersächsischen Landesregierung beigezogen, sondern auch von der bremischen Landesregierung, den privatrechtlich organisierten JadeWeserPort- und den bremenports-Gesellschaften, der Vergabekammer in Lüneburg, dem Vergabesenat des Oberlandesgerichts Celle und dem Niedersächsischen Landesrechnungshof. Der Umfang der Akten stellte dabei große Anforderungen an alle Beteiligten. Deshalb danke ich an dieser Stelle den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Ministerien und vor allem allen Ausschussmitgliedern für die geleistete Arbeit.
Auf einen Aspekt möchte ich im Zusammenhang mit der Aktenauswertung besonders eingehen, nämlich auf die besonderen Schwierigkeiten damit, dass tatsächliche oder zumindest behauptete Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der betroffenen Firmen zu berücksichtigen waren. Insbesondere die Bremer Landesregierung verlangte, weite Teile der von ihr übersandten Akten wegen Betriebsoder Geschäftsgeheimnissen nur in vertraulicher Sitzung zu behandeln. Eine überzeugende Begründung haben wir trotz Nachfrage niemals erhalten. Auch eine Auflistung der eventuell betroffenen Schriftstücke war aus Bremen nicht zu bekommen. Dieses Verhalten, das quasi einen Ausschluss der Öffentlichkeit bedeutet hätte, wurde vom Untersuchungsausschuss einhellig kritisiert und als spürbar erschwerend für seine Arbeit angesehen.
In vielen Fällen konnte der Ausschuss wichtige Schriftstücke, z. B. beim Vorhalten bei Zeugenvernehmungen, nur verwenden, wenn ein Doppel in niedersächsischen Akten vorhanden war. Dies erforderte aber zusätzlichen Arbeitsaufwand für die Mitglieder des Untersuchungsausschusses und deren Zuarbeiter. Hinzu kommt, dass die Aus
schussmitglieder einer erheblichen Unsicherheit in strafrechtlicher Hinsicht ausgesetzt sind, wenn sie die Bremer Kriterien falsch anwenden. Dies ist - erlauben Sie mir diese Wertung - nicht akzeptabel.
Die demokratische Streitkultur in dem Untersuchungsausschuss ist aber durch diese Bremer Besonderheit besonders gefördert worden. Auf Vorschlag des Kollegen Hagenah, mit besonderer Unterstützung der Kollegen Dinkla und Will, hat sich der gesamte Ausschuss einmütig vor den Kollegen Bode gestellt. Die Bremer Senatskanzlei hatte mit Datum vom 6. Dezember das angebliche Zitieren vertraulicher Unterlagen durch Herrn Bode gerügt. Herr Bode hatte aber diese Unterlagen aus den freigegebenen - damit wird das Problem deutlich - niedersächsischen Akten zitiert. Das ist der Senatskanzlei in Bremen in einem Schreiben der Vorsitzenden ausdrücklich klargemacht worden.
Ich erwähne dies aus drei Gründen, erstens weil alle Ausschussmitglieder die Auffassung vertreten haben, dass dieses Problem einer grundsätzlichen Klärung in der nächsten Legislaturperiode bedarf, zweitens weil laut aktueller Presseveröffentlichungen Bremen sich gegen eine angebliche Buhmannrolle wehrt der 20. Untersuchungsaus
schuss hat lediglich Wert auf ein höchstes Maß an Öffentlichkeit gelegt - und drittens weil - hier muss ich leider sehr deutlich werden - sich kein Ausschussmitglied verholtern lassen wollte.
Wie erwähnt, hat sich der Untersuchungsausschuss inhaltlich mit den Umständen befasst, wie das Vergabeverfahren für einen wesentlichen Teil der Bauleistungen für den in Wilhelmshaven geplanten JadeWeserPort abgelaufen ist. Im Einzelnen ergeben sich die dem Untersuchungsausschuss gestellten Aufgaben aus dem Einsetzungsbeschluss vom 17. Oktober 2007 und finden sich auch in den Ihnen vorliegenden Berichten wieder. Deshalb mag ich hier nur eine kurze Darstellung der Schwerpunkte der Ausschussarbeit geben.
Zunächst hat der Ausschuss die Frage untersucht, unter welchen Umständen die beteiligten privatrechtlichen JadeWeserPort-Gesellschaften gegründet worden sind und wie es zu der inhaltlichen Ausgestaltung der Gesellschaftsverträge gekommen ist.
Hierzu wurden insbesondere Mitglieder der damals amtierenden Landesregierungen in Niedersachsen und in Bremen als Zeugen vernommen. Wesentlicher Schwerpunkt der Beweiserhebungen durch
den Untersuchungsausschuss war die Frage, wie es in den JadeWeserPort-Gesellschaften zu der Entscheidung gekommen ist, den Bauauftrag an die Bietergemeinschaft unter der Führung der Firma Hochtief Construction AG vergeben zu wollen. Besonderes Augenmerk widmete der Ausschuss dabei den Fragen, welcher Kenntnisstand jeweils bei der Niedersächsischen Landesregierung vorgelegen hat und ob von dort Einflussnahmen auf das Vergabeverfahren erfolgt sind. Hierzu wurde eine Vielzahl von Zeugen vernommen, deren Aussagen zu einem erheblichen Teil voneinander abwichen. Einige Zeugen schienen besonders fantasievoll zu sein.
Über diese Widersprüche haben die Ausschussmitglieder größtenteils keine Einigung erzielt. Die Einzelheiten der unterschiedlichen Bewertungen finden sich jeweils in dem Abschlussbericht und in dem Minderheitsbericht und werden auch Gegenstand der sich anschließenden Redebeiträge hier im Plenum sein.
Die Vereidigung von Zeugen war deshalb auch Thema im Ausschuss. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Meineid beinhaltet immerhin eine Strafandrohung von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Diese relativ hohe Strafe wird im Strafgesetzbuch auch für gefährliche Körperverletzung oder Aufstachelung zu Angriffskriegen angedroht - nur um einmal aufzuzeigen, in welchem strafrechtlichen Bereich wir uns hier bewegen. Bis auf wenige Ausnahmen haben andere Bundesländer die
Kompetenzen ihrer Untersuchungsausschüsse per Gesetz geregelt - Niedersachsen nicht. Das ist ein Fehler, der in der nächsten Legislaturperiode korrigiert werden sollte. Denn unabhängig davon, ob Vereidigung möglich sein sollte oder nicht, ist es bei dieser hohen Strafandrohung eines Rechtsstaates unwürdig, auf klare gesetzliche Regeln zu verzichten.
Jetzt komme ich wieder zu Gemeinsamkeiten. Übereinstimmung besteht bei den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses in der Einschätzung, dass die Bremer Seite mit Nachdruck versucht hat, eine Auftragsvergabe an die Bietergemeinschaft Hochtief durchzusetzen. Weiter haben Aus
schussmehrheit wie Ausschussminderheit erklärt, die Vernehmung weiterer Zeugen oder die erneute Vernehmung bereits vernommener Zeugen wäre in
Betracht gekommen, wenn weitere Zeit zur Verfügung gestanden hätte. Aufgrund der bevorstehenden Neuwahlen und der auf den heutigen Tag terminierten Plenarsitzung hat man von solchen weiteren Beweiserhebungen aber Abstand ge
nommen. Wesentliche Ergebnisse lassen sich
nach Auffassung aller Fraktionen auch jetzt schon feststellen. Insoweit kann die Aufgabe des 20. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses als
erfüllt angesehen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser 20. Parlamentarische Untersuchungsausschuss
hat in dieser kurzen Zeit nur deshalb so erfolgreich arbeiten können, weil so viele Menschen professionell und engagiert mitgearbeitet haben.
Deshalb danke ich zum Schluss meiner Ausführungen dem Stenografischen Dienst.
Die Protokolle vom Vormittag zum Teil schon abends auf dem Rechner zu haben, das war eine organisatorische Meisterleistung. Herzlichen Dank dafür!
Der Dank des Ausschusses und mein persönlicher Dank gelten ebenso den anderen Mitarbeitern der Landtagsverwaltung.
Die Vorbereitung, Betreuung und Nachbereitung der Ausschusssitzungen sind von Frau Lütjering und Herrn Dr. Enste optimal umgesetzt worden. Besser hätte es gar nicht sein können.
Auch ihnen gebührt von daher herzlicher Dank.
Viele Problemlösungen sind - ich habe es vorhin ausgeführt in einem Untersuchungsausschuss
schwierig, weil es hierfür keine Gesetze gibt. Mit guter parlamentarischer Praxis, Urteilen von Gerichten, der Niedersächsischen Verfassung und anderen Entscheidungsgrundlagen hat uns der Gesetzgebungsund Beratungsdienst hilfreich
unter die Arme gegriffen. Ich danke Herrn Winkelmann und Herrn Dr. Kannengießer ganz herzlich dafür, dass sie den Ausschussmitgliedern bis in die späten Abendstunden hinein juristisch mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben.
Ohne öffentliche Resonanz wäre ein Untersuchungsausschuss sinnlos. Presse, Funk und Fernsehen haben sehr ausführlich über die Aus
schussarbeit berichtet. Ich danke den Journalistinnen und Journalisten für die ausführliche Berichterstattung. Die Sitzungen waren zum Teil sehr lang. Sie mussten uns nehmen, wie wir sind. Das haben wir mit ihnen auch getan.
Der 20. Parlamentarische Untersuchungsaus
schuss legt Ihnen mit der Drucksache 15/4370 gemäß Artikel 27 Abs. 5 Satz 1 der Verfassung seinen Abschlussbericht vor. Der Abschlussbericht der Ausschussmitglieder der Oppositionsfraktionen ist in dieser Drucksache ebenfalls enthalten. Ich denke, die unterschiedliche Bewertung liegt in der Natur der Sache.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, seit 60 Jahren gibt es in Niedersachsen Parlamentarische Untersuchungsausschüsse. Zum ersten Mal hat eine Frau einen solchen Ausschuss geleitet.
Diese Ausnahme sollte für die Zukunft kein Regelfall sein. Ich fand die Arbeit interessant, spannend und notwendig zugleich, und ich danke allen, die mich dabei unterstützt haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, viele Kolleginnen und Kollegen haben sich in der letzten Plenarsitzung verabschiedet. Ich hatte die Möglichkeit, bis zum Schluss durchzuarbeiten. Deshalb sage ich, wie es bei uns im Norden üblich ist, zwei Worte: Tschüß allerseits!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Haushaltsberatungen funktionieren
eigentlich immer nach demselben Schema. Ich zitiere Herrn McAllister vom gestrigen Tage: „Es ist Aufgabe der Opposition, die Regierung zu kritisieren.“ Dann kommen aber die Regierung oder die sie tragenden Fraktionen und behaupten, die Opposition rede das Land schlecht, in Wahrheit sei alles gut.
Ich werde heute dieses übliche Schema durchbrechen und nicht nur kritisieren, sondern gleich zu Anfang etwas Positives sagen. Auf die Rechtspolitik von CDU und FDP sind wir nicht neidisch, wir haben nur etwas gegen Ungerechtigkeit.
Ein Beispiel gefällig? - Oft vergessen, aber dramatisch überbelastet sind die niedersächsischen
Amtsanwälte. In diversen Gesprächen mit Vertretern dieser Berufsgruppe haben die Amtsanwälte stets ihre enorm hohe Arbeitsbelastung hervorgehoben.
Es geht immerhin um eine Mehrbelastung von 40 %. Ihr Arbeitsbereich erstreckt sich auf die Strafverfolgung in dem Bereich bis zur mittleren Kriminalität.
Die Gründe des Belastungszuwachses sind vielfältiger Natur. Mit einem politischen Versprechen wurden 1 000 Polizisten angekündigt, 500 sind es tatsächlich geworden. Resultat ist, dass die Polizei mehr Straftaten gerade im Arbeitsbereich der
Amtsanwälte aufgeklärt hat. Ich nenne hier beispielhaft die Internetkriminalität und die häusliche Gewalt im sozialen Nahbereich. In den üblicherweise von Amtsanwälten geführten Sonderdezernaten ist ein deutlicher Zuwachs dieser aufgeklärten Straftaten zu verzeichnen. Das liegt auch daran, dass Amtsanwälte sich bereit erklärt haben, an runden Tischen Netzorganisationen herzustellen, und so zur Aufklärung beigetragen haben.
Die Bekämpfung von häuslicher Gewalt und Internetkriminalität ist politischer Wille von uns allen. Aber so etwas bedarf natürlich auch einer anständigen Personalausstattung. Deshalb haben wir im Gegensatz zur Landesregierung 30 zusätzliche
Stellen für Amtsanwälte geschaffen, vier davon in Braunschweig, 17 im Bereich der Generalstaatsanwaltschaft Celle und neun im Bereich Oldenburg. Darüber hinaus werden wir die überlasteten Strafgerichte mit insgesamt 80 zusätzlichen Stellen ausstatten, um damit auf die zwar von der Justizministerin verleugnete, aber von den Menschen im Land mit großem Unverständnis wahrgenommene Überlastung der Justiz zu reagieren. Bezieht man die Sozialgerichte ein, sind es insgesamt zwar nicht die vom Richterbund geforderten 300, aber immerhin 145 Stellen. Das ist deutlich mehr als von der Landesregierung in Aussicht gestellt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer nimmt denn die Hilfe der Sozialgerichte in Anspruch? Wir reden hier von Elterngeld, von Renten, von Hartz IV, von Hinterbliebenenversorgung und von der Feststellung des Grades einer Behinderung. Diese Aufzählung macht deutlich, dass Kläger und Klägerin ihren Rechtsschutz aufgrund von existenziellen Notlagen und nicht aus Streitlust oder aus Langeweile in Anspruch nehmen. Insoweit sind die Verfahrensdauern bei den sozialgerichtlichen Verfahren schlichtweg skandalös.
Deshalb wollen wir im Haushalt 2008 deutlich aufstocken. Unser Haushaltsantrag sieht 35 zusätzliche Stellen für die niedersächsischen Sozialgerichte vor,
davon 30 für die acht Sozialgerichte in Aurich, Braunschweig, Hannover, Hildesheim, Lüneburg, Oldenburg, Osnabrück und Stade sowie fünf zusätzliche Stellen für das Landessozialgericht.
- Schauen Sie einfach in unseren Antrag hinein, Frau Kollegin, dann wissen auch Sie das.
Vor zwei Monaten haben wir hier über eine Petition geredet, in der bei einer Rentenstreitigkeit die einzige Handlung des Gerichts in mehreren Jahren darin bestand, eine Aktenanforderung vorzunehmen. Der Bund Niedersächsischer Sozialrichterin
nen und Sozialrichter sieht „die Klägerinnen und Kläger vor den Sozialgerichten gegenüber denen, die die Hilfe anderer Gerichte in Anspruch nehmen, deutlich benachteiligt“. Deshalb stocken wir hier bedarfsgerecht auf. Alles andere wäre bürgerfeindlich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, genau dies verstehen wir unter sozialer Gerechtigkeit, auf die Sie mitunter etwas neidvoll schauen.
Mehr Schutz für Opfer von Straftaten - mit dieser Headline sind Sie, Frau Ministerin, Anfang Oktober wieder in die Öffentlichkeit gegangen. Alles, was in Ihrem Haushaltsentwurf zu diesem Thema steht, bietet sich zur Beobachtung an. In Niedersachsen wird fünfmal besonders erfolgreich der Täter-Opfer-Ausgleich durchgeführt: in Emden, Wittmund, Lingen und Hannover. Vor kurzer Zeit haben wir in Ihrem Beisein, Frau Ministerin, das 20-jährige Bestehen des Konfliktschlichtungsvereins in Oldenburg gefeiert. Alle Fachleute inklusive Ihrer Person waren sich darin einig, dass durch die Arbeit dieser Vereine neue Straftaten vermieden werden. Strafvermeidung ist nun einmal der allerbeste Opferschutz.
Deshalb macht es auch keinen Sinn, den Haushaltsansatz für diese Vereine erneut mit mageren Zahlen zu unterlegen. Wichtig ist es vielmehr, den Opferschutz aktiv zu fördern. Auch deshalb haben wir den Haushaltsansatz in entsprechender Höhe vorgeschlagen; denn was in Hannover bei der „Waage“ und in Oldenburg bei der Konfliktschlichtung funktioniert, könnten Bürgerinnen und Bürger anderer Städte auch gut gebrauchen. Opferschutz darf nicht von haushaltspolitischen Zufälligkeiten abhängen.
Aber genau an diesem Beispiel zeigt sich der messerscharfe Unterschied zwischen einer rot-grünen und einer schwarz-gelben Rechtspolitik. Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, wollen die Justiz auf einen Kernbereich zusammenschrumpfen lassen. Wir wollen Strukturen, die bürgerfreundlich und kostengünstig sind, ausbauen.
Ich bin mit meiner Liste der Alleinstellungsmerkmale sozialdemokratischer Rechtspolitik noch lange nicht am Ende.
Wir werden nicht nur bessere Gesetze machen, wir werden auch gerechtere Gesetze machen. Konkret heißt dies: Wir werden uns dafür einsetzen, dass es Rechtsschutz nicht nur für Reiche gibt. Absprachen im Strafprozess dürfen nicht dazu führen, dass diejenigen, die sich teure Anwälte leisten können, mit symbolischen Strafen davonkommen, während andere, die sich eine teuere Rechtsberatung nicht leisten können, die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen. So etwas, meine sehr verehrten Damen und Herren, fördert den sozialen Unfrieden.
Ein wichtiges Anliegen für uns ist es auch, den Zugang zu den Gerichten auch für wirtschaftlich Schwächere offenzuhalten. Anders als die Regierung sind wir der Meinung, dass auch sie sich qualifizierten Rechtsschutz durch staatliche Gerichte müssen leisten können. Bestrebungen zum weitgehenden Abbau der Prozesskostenhilfe werden wir daher entgegentreten. Gerechtigkeit, meine sehr verehrten Damen und Herren, darf nicht vom Geldbeutel abhängen.
Wir werden darüber hinaus Streitschlichtung und Mediation stärken. Mittlerweile besteht auch Konsens, dass nicht jede gerichtliche Auseinandersetzung im Streit enden muss. Ich frage mich, warum die Landesregierung die Chancen der Streit
schlichtung immer noch als justizpolitisches Stiefkind behandelt. Durch die gerichtsnahe Mediation können Gerichtskosten gespart und es kann, was wir für noch viel wichtiger halten, ein dauerhafter Rechtsfrieden hergestellt werden, sodass künftige Prozesse vermieden werden. Aber auch die außergerichtliche Streitschlichtung muss gestärkt
werden. Die Landesregierung hatte ja ein Mediationsgesetz angekündigt, und das Konzept war in der Tat gar nicht so schlecht, Frau Ministerin. Es wird aber das Geheimnis von CDU und FDP bleiben, warum sie dieses Gesetz nicht zu Ende beraten wollen. So ist es aber mit der Justizpolitik in Niedersachsen: Erst kommt eine lautstarke Ankündigung, dann kommt ganz viel heiße Luft, und dann kommt gar nichts mehr.
Im Bereich des Justizvollzuges gibt es, was den Haushalt anbelangt, relativ wenige Veränderungen. Der Grund dafür sind die voll budgetierten JVAs und die immer irgendwie deckungsfähigen Haushaltstitel. Frei nach dem Motto „Nun seht mal zu, wie ihr damit auskommt“ müssen die Justizvollzugsanstalten agieren. So kann man zwar eine finanzpolitisch bequeme, aber keine sicherheitsrelevante Haushaltspolitik für die Vollzugsanstalten machen. Ganz nebenbei sei gesagt: Kostenerhöhungen für Energie scheinen in Ihrem Haushalt nicht vorzukommen. Es wäre mir neu, dass die Stromkonzerne Rücksicht auf irgendjemanden
nehmen würden; mit Sicherheit werden sie es aber nicht bei irgendwelchen Knästen tun.
Mit Entsetzen haben wir festgestellt, dass der Ansatz für die Anlaufstelle für Entlassene immer weiter gesenkt wurde. Im Haushaltsjahr 2003 betrug der Ansatz noch 1,3 Millionen Euro. Inzwischen ist er auf 1 Million Euro heruntergefahren worden. Die bisherigen Mittel waren mehr als knapp bemessen. Wir haben gestern Abend hier in diesem Hohen Hause zu später Stunde über das Justizvollzugsgesetz beraten. Dieses neue Gesetz beinhaltet eine durchgehende Betreuung. Alle sind stolz, dass die durchgehende Betreuung als Aufgabe in diesem Gesetz neu definiert wurde. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Wir
begrüßen das, weil die Rückfallwahrscheinlichkeit durch solche politischen Maßnahmen gesenkt
werden kann. Eines muss aber auch klar sein: Für nichts gibt es nichts. Durchgehende Betreuung zum Nulltarif ist eine Luftnummer, der wir so nicht zustimmen können. Deshalb haben wir den Ansatz um 0,5 Millionen Euro für das kommende Jahr aufgestockt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, „Privatisierungswahn“ ist eines der Schlagwörter in der 15. Legislaturperiode des Niedersächsischen
Landtages. Die Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 270 Millionen Euro für eine teilprivatisierte Anstalt mit 300 Plätzen in Bremervörde kann natürlich nicht unsere Zustimmung finden. Im Justizvollzug ist der Staat gefragt, nicht aber private Sparmodelle.
Man konnte der Presse entnehmen, dass viele kleinere Anstalten gefährdet sind und ihnen in Niedersachsen das Aus droht. Als Beispiele seien hier Emden, Delmenhorst, Gifhorn und Stade genannt. Die entsprechenden Mittel könnten dezentralisiert für heimatnahe Entlassung verwendet
werden. Das wäre eine Betreuung in Reinkultur, die sozialverträglich und sinnvoll ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man diesen Haushaltsentwurf unter ein sozialdemokratisches Brennglas legt, kann man nur eines tun: ihn ablehnen und Verbesserungsvorschläge machen. Nur so können wir eine rechtspolitische Sackgasse verhindern. Mit sozialpolitischen Ideen hätten wir in der Tat ein Stück mehr gerechte Rechtspolitik in Niedersachsen. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der amtierende Ministerpräsident hat bei Amtsantritt in seiner Regierungserklärung ein vollmundiges Versprechen abgegeben. Es lautete:
„Unser Ziel ist es, die Überlastung der Justiz zu beenden.“
Das sagte Herr Wulff am 4. März 2003.
Im Wahlprogramm der CDU zur letzten Landtagswahl konnte man unter der Überschrift „Die Gerichte entlasten“ sogar folgendes Versprechen lesen:
„Überlastete Gerichte, lange Prozesse, hohe Kosten - diese Entwicklung wollen wir beenden. Darum setzen wir uns vorrangig dafür ein, die sachliche und personelle Funktionsfähigkeit unserer Gerichte sicherzustellen.“
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich stelle fest: Auf die Einhaltung dieses Versprechens des
Ministerpräsidenten warten die Menschen und
nicht zuletzt die vielen Tausend Beschäftigten in der Justiz bis heute.
Die zuständige Fachministerin hatte sich bekanntlich unmittelbar nach Amtsantritt - dieser Ausdruck wird Herrn Dr. Biester wieder freuen - über eine angebliche Opulenz der Justiz mokiert. Später ist sie auch noch mit der Aussage aufgefallen, dass sie sich nicht in erster Linie als Interessenvertreterin der Justiz sehe. Frau Heister-Neumann, da haben Sie allerdings recht. Vermutlich gibt es in ganz Niedersachsen niemanden mehr, der ernsthaft glaubt, Sie seien auch nur ansatzweise eine Interessenvertreterin dieser Justiz.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie ernst die Lage der niedersächsischen Justiz mittlerweile ist, zeigt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. September. Das
höchste deutsche Gericht hat festgestellt, dass es den Angeklagten nicht anzulasten sei, wenn sich ihr Prozess in die Länge ziehe, nur weil der Staat die Justiz nicht mit dem erforderlichen richterlichen Personal ausstattet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, vermutlich kennen Sie alle die oft etwas verklausulierte Sprache der Juristen und Juristinnen. Wenn also das Bundesverfassungsgericht einer Landesregierung das Versagen bei der Personalausstattung in derartig unverblümter Deutlichkeit ins Stammbuch schreibt, dann müssten eigentlich bei der Fachministerin, aber auch beim Ministerpräsidenten die Alarmglocken läuten.
Das ist jedenfalls die einzige vernünftige Reaktion auf solche höchstrichterliche Schelte.
Doch was macht die Landesregierung? - Ich habe meinen Augen nicht getraut, als ich in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 5. Oktober die Behauptung der Justizministerin lesen durfte, die niedersächsische Justiz sei nicht überlastet. Bei dem Bundesverfassungsgerichtsurteil handele es sich um einen hannoverspezifischen Einzelfall, aus dem keine Rückschlüsse auf das ganze Land gezogen werden dürften.
Frau Heister-Neumann, was machen Sie eigentlich den ganzen Tag? Wenn sich die Überlastung der
niedersächsischen Justiz tatsächlich noch nicht bis ins Justizministerium herumgesprochen hat, dann hätten Sie doch einfach zum Telefonhörer greifen und sich bei den Gerichten im Lande erkundigen können. Stattdessen behaupten Sie ungeprüft,
Niedersachsens Justiz sei nicht überlastet.
Es wundert mich vor diesem Hintergrund nicht, dass der Niedersächsische Richterbund mit einer ungewöhnlich deutlichen Presseerklärung reagiert hat, ja reagieren musste. Die Überschrift lautet in aller Deutlichkeit:
„Justizministerium verleugnet die landesweite Überlastung der Gerichte
und Staatsanwaltschaften“
In der Presseerklärung heißt es wortwörtlich:
„Der Niedersächsische Richterbund … nimmt die … Auffassung der Justizministerin Elisabeth Heister-Neu
mann, die Justiz in Niedersachsen sei nicht überlastet, mit großem Befremden zur Kenntnis. Der NRB hat erst im Mai dieses Jahres in seiner Landesvertreterversammlung aufgrund der
auch dem Justizministerium vorlie
genden, belastbaren Statistiken festgestellt, dass in Niedersachsen allein in der ordentlichen Gerichtsbarkeit
300 (dreihundert) Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, Richterinnen und Richter fehlen.“
Frau Ministerin, wenn die Zahlen schon im Ministerium vorliegen, warum ignorieren Sie sie dann?
Wenn Ihnen die Belastungszahlen zu abstrakt sind, dann werfen Sie doch einfach einen Blick in die Presse. Am 25. Oktober schreibt das Stader Tageblatt:
„Stader Justiz vor dem Infarkt
Prozesse satt - Die drei Strafkammern des Landgerichts arbeiten im roten Bereich“
Oder schauen Sie in die Braunschweiger Zeitung vom 6. November! Dort heißt es:
„Die Richter des Amtsgerichts Wolfenbüttel sind überlastet. ‚Die Folge
ist, dass sie zunehmend anfällig und krank werden’,“
sagt die dortige Amtsgerichtsdirektorin. Trotz allem lehnen Sie eine Personalaufstockung ab. In dieser Ausgabe der Braunschweiger Zeitung steht auch, dass Sie versprochen haben, keine Stellen abzubauen.
Frau Heister-Neumann, wenn Sie wirklich meinen, Sie könnten dem eklatanten Personalmangel in der Justiz durch den Verzicht auf weitere Stellenkürzungen abhelfen, dann sind Sie in der Tat auf dem Holzweg.
Die Wahrheit ist vielmehr, dass 300 Stellen gestrichen wurden, weil die Justizministerin einmal angekündigt hatte, die Handelsregister an die IHKs zu verlagern und das Gerichtsvollzieherwesen zu privatisieren. Bei dieser Ankündigung ist es dann auch geblieben. Doch die Stellen sind weg, leichtfertig geopfert von der Ministerin, die sich bekanntlich nicht für die Justiz interessiert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie dramatisch die Lage in der niedersächsischen Justiz mittlerweile ist, ging gestern bundesweit durch die Medien. Ich zitiere aus Spiegel online:
„Unglaubliche Panne in der Staatsanwaltschaft Osnabrück: Ein verurteilter Kinderschänder durfte seine Sozialstunden im Kindergarten ableisten. Die zuständige Mitarbeiterin war zu gestresst, um in die Akte zu gucken.“
Auf eines möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich hinweisen: Für die derzeitigen desolaten Zustände in der niedersächsischen Justiz, die bereits zur Freilassung von Sexualstraftätern und zur Entlassung von mutmaßlichen Drogentätern aus der Untersuchungshaft geführt haben, tragen keineswegs die überlasteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Staatsanwaltschaften und der Gerichte Verantwortung. Die Verantwortung für den eklatanten Personalmangel in der niedersächsischen Justiz trägt niemand anders als der Niedersächsische Ministerpräsident, der, gemessen an dem Anspruch, den er selbst formuliert hat, die Hände in den Schoß legt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit unserem Entschließungsantrag wollen wir einen dringend notwendigen Kurswechsel in der niedersächsischen Justizpolitik anmahnen. Selbstverständlich werden wir diesen Antrag durch einen entsprechenden Änderungsantrag zum Haushalt untermauern. Wir beantragen insgesamt 145 zusätzliche Stellen für die niedersächsische Justiz,
die wir entsprechend aufteilen werden.
Oft vergessen, aber dramatisch überlastet sind die niedersächsischen Amtsanwälte. Sie haben sich jüngst mit einem Hilferuf in Form einer Petition an uns, an den Rechtsausschuss gewandt. Diese Amtsanwälte sind bei den Staatsanwaltschaften angesiedelt und klagen immerhin Delikte bis zur mittleren Kriminalität an. Hier wollen wir aufstocken.
Schließlich möchte ich auf einen Bereich in der Justiz zu sprechen kommen, der hoch überlastet ist und geradezu sträflich vernachlässigt wird. Ich spreche von den Sozialgerichten. Vor einem Monat haben wir hier über eine Petition geredet, in der bei einer Rentenstreitigkeit die einzige Handlung des Gerichtes in mehreren Jahren war, eine Aktenanforderung durchzuführen. Der Bund Niedersächsischer Sozialrichter spricht davon, dass Kläger an den Sozialgerichten im Vergleich zu anderen Gerichten in der Tat benachteiligt seien.
Wer nimmt die Hilfe der Sozialgerichte in Anspruch? - Wir reden von Hartz IV, wir reden von Renten, wir reden von Kindergeld, wir reden von Elterngeld, von der Beschädigtenrente, von Berufsschadensausgleich, von Hinterbliebenenver
sorgung; es geht um die Feststellung des Grades einer Behinderung und um die Fragen der gesetzlichen Rentenversicherung. Ich könnte diese Aufzählung fortsetzen. Aber ich denke, es ist deutlich geworden, dass die Klägerinnen und Kläger vor den Sozialgerichten diesen Rechtsschutz doch wohl eher aufgrund existenzieller Notlagen und nicht aus Streitlust in Anspruch nehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die SPD-Fraktion hält jahrelange Verfahrensdauern in diesen für die Betroffenen so wichtigen sozialgerichtlichen Verfahren für schlichtweg skandalös.
Deshalb werden wir im Haushalt 2008 deutlich aufstocken. Unser Haushaltsantrag wird 35 neue Stellen für die niedersächsische Sozialgerichtsbarkeit - davon 30 für die acht Sozialgerichte in Aurich, Braunschweig, Hannover, Hildesheim, Lüneburg, Oldenburg, Osnabrück und Stade sowie fünf für das Landessozialgericht - beinhalten.
Rein vorsorglich weise ich schon an dieser Stelle darauf hin, dass ich gleich weder von der Landesregierung noch von den Regierungsfraktionen
hören möchte, wie viele zusätzliche Stellen in den vergangenen Jahren in der Sozialgerichtsbarkeit geschaffen wurden.
Wir können gerne über den Unterschied zwischen einer nominellen und einer tatsächlichen Verstärkung der niedersächsischen Sozialgerichte diskutieren.
In der Vergangenheit wurden die angeblich zusätzlichen Stellen bekanntlich dafür genutzt, Planstellen für die Kollegen zu schaffen, die schon längst da waren. Wenn wir also heute von zusätzlichen Stellen sprechen, dann meinen wir auch in der Tat zusätzliche Stellen. Die Menschen in Niedersachsen haben einen Anspruch auf eine funktionierende Sozialgerichtsbarkeit, und dieser Anspruch
sollte auch erfüllt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist an der Zeit, für eine Justizpolitik zu kämpfen, die diesen Namen auch verdient. Wir fordern deshalb, dass diesen Worten auch Taten folgen. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Juristin Bockmann meldet sich zu Wort und muss zunächst einen Widerspruch aufzeigen, Herr Dr. Noack, der hier entstanden ist. Wir brauchen eine vernünftige Juristenausbildung. Wir brauchen auch eine Reform dieser Ausbildung. Darüber wird schon mehr als 100 Jahre diskutiert, aber im Wesentlichen hat sich nichts geändert. Da sind wir d’accord. Aber eine Spartenausbildung, wie sie in diesem Antrag bezeichnet wird, lehnen wir ab.
Der Kollege Herr Dr. Zielke hat vorhin ausgeführt, es gibt Anträge, die, wenn sie gestellt sind, nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind. So qualifizieren wir diesen Antrag; denn die Bundesrechtsanwaltskammer geht von dem Spartenmodell ab. Mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, darf ich aus der neuesten Presseerklärung der Bundesrechtsanwaltskammer zitieren:
„Die Bundesrechtsanwaltskammer
spricht sich daher für eine Integration der beiden Staatsexamina in ein Modell nach den Vorgaben von Bologna aus.“
Das entspricht ja nicht der Spartenausbildung, wie Sie sie in Ihrem Antrag favorisieren. Und ich zitiere weiter:
„Dabei soll die universitäre Ausbildung in einen dreijährigen Bachelorab
schnitt und in ein zweijähriges Masterstudium aufgeteilt werden.“
Das heißt, die gewünschte Reform, die Sie mit diesem Antrag anschieben wollen, geht in die falsche Richtung.
Richtig ist, dass wir mit der jetzigen Ausbildung eine mangelnde Vorbereitung auf die Herausforderungen der Praxis haben: Lange Gesamtstudiendauer, alles oder nichts in den Examina, geringe Bedeutung und daher Vernachlässigung der Leistungen an der Uni gegenüber der Examensvorbereitung beim Repetitor und, last, but not least, Tauchstation im Referendariat, weil die Vorbereitung auf das zweite Staatsexamen wichtiger ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, so etwas kann man ohne Frage effektiver gestalten.
Der Entschließungsantrag der Regierungsfraktionen favorisiert jedoch die Spartenausbildung. Das aber wäre eine Reform mit Schlaglöchern. Schließlich ist die Spartenausbildung auch eine knallharte Konkurrenzvermeidung für die Anwaltschaft; denn die Juristenschwemme, die eigentlich eine Anwaltsschwemme ist, wird durch eine überschaubare Zahl an Anwaltsausbildungsplätzen einge
dämmt. Da sich dies aber erst im nachuniversitären Bereich, also nach einem vollendeten Jurastudium, abspielt, halten wir dies in persönlicher und volkswirtschaftlicher Hinsicht für eine Vergeudung von Lebensarbeitszeit.
In Spanien, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist dies bereits so. Dort erhalten Nachwuchsjuristen einen Ausbildungsplatz in den Kanzleien dann, wenn sie einen Anwalt kennen, wenn sie bereit sind, Geld dafür zu bezahlen, oder wenn sie bereit sind, ohne Geld zu arbeiten. Genau das wollen wir hier aber nicht einführen. Junge Menschen mit einem Studium ohne einen Abschluss im Regen stehen zu lassen, das können und wollen wir nicht verantworten.
Lassen Sie uns über den Bologna-Prozess diskutieren, lassen Sie uns ein maßgeschneidertes Jurastudium einführen! Aber das Motto des Deutschen Anwaltsvereins „Klasse statt Masse“ ist uns zu kurzfristig gedacht. Wer studiert, muss auch die Möglichkeit für einen berufstauglichen Abschluss haben. Das Scheitern darf durch eine Reform nicht vorprogrammiert sein. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab. - Danke schön.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Mit aller Macht zum Justizzentrum“ - so titelte die HAZ mit Datum vom 3. September 2007. Und weiter: Die Zusammenlegung von Fachgerichten im Bredero-Hochhaus stößt nicht ohne Grund auf den Widerstand der Betroffenen. - Doch das Justizministerium stellt sich stur, und diese Sturheit dauert immerhin schon eineinhalb Jahre an. Weder die betroffenen Beschäftigten noch der sich zu Wort meldende Richterrat, noch die Gerichtspräsidenten, noch der Steuerzahlerbund, noch die SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag können diese Beratungsresistenz nachvollziehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dabei hätte doch alles so schön sein können. Fünf Gerichte unter einem Dach, kostengünstig, kurze Wege, gemeinsame Nutzung von Wachpersonal - um nur einige Vorteile einer solchen Unterbringung zu nennen. Mit einer geeigneten Immobilie hätten alle Beteiligten - ob Beschäftigte oder Politik - den Umzug als intelligenten Schachzug für die Hannoveraner Justiz bezeichnet, und das auch noch zugunsten des Landeshaushalts.
Ein desolater Büroturm mit einer Mietbindung von 20 Jahren und 35 Millionen Euro Miete sowie Raumproblemen - das bedeutet für uns in der Tat, mutwillig die schlechteste aller Lösungen erzwingen zu wollen. Es macht keinen Sinn, diesen Ladenhüter auf dem Immobilienmarkt namens Bredero zu favorisieren und alle anderen Alternativen ohne Prüfung vom Tisch zu wischen. Denn wie heißt es so schön im Volksmund? Drum prüfe, wer sich ewig binde, ob sich nicht was Bessres finde.
Ungeprüfte Alternativen gibt es reichlich. Die Allianz Versicherungs AG bietet den sogenannten TriTower am Schiffgraben an. Die momentane Mieterin, die Landestreuhandstelle, wird wohl in andere Räume umziehen. Hier könnten kurzfristig vier Fachgerichte einziehen. Konsequenz: Das Land könnte aus einer Anmietung Vorteile ziehen, wenn die Landestreuhandstelle eigene Belastungen vorzeitig reduzieren könnte.
Eine weitere Alternative offeriert der Hannoveraner Großinvestor David Grojnowski. Er bietet den Kauf der ehemaligen PH in der Bismarckstraße an und garantiert gleichzeitig einen niedrigeren Mietzins als beim Bredero-Turm. Deshalb schlagen wir vor, dieses Angebot zumindest einmal zu prüfen. Geld zu sparen ist doch für den Landeshaushalt kein Nachteil.
Schließlich hat der Finanzminister in diesem Plenum eindrucksvoll geschildert, auf welchem Schuldenberg wir in Niedersachsen nach wie vor sitzen.
Zwecks Bereicherung des Diskussionsprozesses hatte die SPD-Fraktion vorgeschlagen, die Behördenleiter der betroffenen Fachgerichte in den Rechtsausschuss einzuladen. Transparenz in Sachen Bredero ist aber seitens der Landesregierung nicht erwünscht. Die Anhörung wurde verweigert, und die Behördenleiter wurden statt dessen am Tage der Rechtsausschusssitzung in das Justizministerium zitiert. Ein Schelm, der Böses dabei denkt!
Mit dem heutigen Entschließungsantrag fordern wir die Landesregierung auf, mit einer ernsthaften Prüfung anderer Standorte für das Fachgerichtszentrum zu beginnen. Und da drängt sich nun einmal die landeseigene Universitätsliegenschaft Bismarckstraße auf. Überzeugende Gegenargumente haben wir jedenfalls nicht gehört. Die angeblichen Umbaukosten in Höhe von 40 Millionen Euro sind geradezu lachhaft. Zwar haben wir im
Rechtsausschuss gehört, dass das Land einen energetisch so aufwendigen Umbau eines denkmalgeschützten Hauses nicht leisten könne. Schuld daran - so hörten wir - sei die Obere Denkmalschutzbehörde, die - so hörten wir auch oftmals „ziemlich gnadenlos“ sei. Im Gegensatz zu privaten Bauherren würden bei Landesliegenschaften die wirtschaftlichen Zumutbarkeiten hier überhaupt nicht berücksichtigt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Obere Denkmalschutzbehörde ist im MWK angesiedelt. Nach dem Niedersächsischen Denkmalschutzgesetz muss hier kein Luxusdenkmal entstehen, und nach § 7 Denkmalschutzgesetz muss das Land auch nur nach seiner finanziellen Leistungsfähigkeit bauen. Bloß kann, wenn man das Gesetz im Hinblick auf den Bau eines Fachgerichtszentrums nicht kennt, auch nichts Vernünftiges herauskommen. Die angeblich erforderlichen 40 Millionen Euro beziehen sich auf den gesamten Gebäudekomplex, der aus fünf Teilen besteht. Es werden auch nicht alle Gebäudeteile für ein Fachgerichtszentrum benötigt. Zur Zeit werden der Festsaal, die beiden Sporthallen, das Lehrschwimmbecken, die beiden großen Hörsäle sowie der Kindergarten entgeltlich durch Dritte genutzt. Nutzer sind insbesondere die umliegenden Schulen. Im Festsaal finden Konzerte statt. Das soll auch nach Auffassung der SPD-Fraktion so bleiben. Mit einem Augenzwinkern versichere ich Ihnen, dass wir das Lehrschwimmbecken für die Fachgerichte nicht mehr benötigen.
Wir stellen hier nicht nur einfach Behauptungen auf, sondern haben diese Liegenschaft von Architekten sehr detailliert prüfen lassen. Das Ergebnis ist eindeutig: 7 Millionen Euro Umbaukosten statt 35 Millionen Euro Mietkosten für die nächsten 20 Jahre. Deshalb fordert die SPD-Fraktion eine seriöse Prüfung der Liegenschaft Bismarckstraße 2. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bisher ist die öffentliche Sicherheit in Niedersachsen durch die Landeskrankenhäuser mit gewährleistet worden, und zwar in den gesetzlich vorgeschriebenen Fällen des § 126 a StPO. Das Gericht kann eine einstweilige Unterbringung in einem Landeskrankenhaus anordnen, wenn der Täter, der Patient, im Zeitpunkt der Straftat vermutlich schuldunfähig war und zu vermuten ist, dass er später auch in einem solchen Landeskrankenhaus untergebracht wird. Das heißt, die Landeskrankenhäuser haben sich auch um den sogenannten Schwebezustand gekümmert. Nun ist uns zu Ohren gekommen, dass die Neueigentümer, die Käufer sich weigern, solche Patienten aufzunehmen. Deshalb fragen wir Sie: Wie wollen Sie die öffentliche Sicherheit weiter gewährleisten, und wo wollen Sie solche Patienten in Zukunft in Niedersachsen unterbringen? - Danke schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, noch einmal auf meine Eingangsfrage zurückzukommen. Ich möchte wissen, ob der Informationslevel von Landesregierung und Personalräten der gleiche ist. Nach unseren Informationen ist es nämlich so, dass die sogenannten 126-a-StPO-Patienten zentral in Moringen untergebracht werden sollen. In Moringen haben wir meiner Meinung nach aber schon mehr als genug Patienten und zu wenig Platz. Deshalb frage ich Sie noch einmal: Trifft es zu, dass die Patienten, die bisher im Lande verteilt worden sind, in Zukunft zentral in Moringen untergebracht werden sollen?
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Anbetracht der Tatsache, dass wir
zeitlich ca. eine Stunde gegenüber der Planung zurückhängen, verspreche ich Ihnen, unseren Antrag kurz und knackig zu begründen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf dem Antrag „Elektronisches Handelsregister im Interesse der niedersächsischen Wirtschaft verbessern“ steht SPD drauf, darin steckt aber auch viel Praxis.
Denn die SPD-Fraktion hat mit diesem Antrag eine Anregung aus Wirtschaft und aus der Anwaltschaft aufgegriffen, Registerführungen mehrsprachig oder zumindest auch in englischer Sprache anzulegen. Anwaltskanzleien, insbesondere die, die in London und Berlin tätig sind, haben uns diese Anregung gegeben. Ich meine, dass wir dann, wenn wir Registeranmeldungen in deutscher Sprache veröffentlichen, eine Veränderung herbeiführen sollten, weil alles andere provinziell bzw. wirtschaftshemmend oder auch kleinkariert für das Land Niedersachsen wirkt.
Der Gesetzgeber hat mit Datum vom 1. Januar 2007 die Bundesländer in die Pflicht genommen. Gesetzgeberische Vorgabe war, das Register weg von der Papierform hin zur elektronischen Ausführung zu gestalten. Gleichzeitig sieht dieses Gesetz aber auch die Möglichkeit einer länderübergreifenden Zusammenarbeit im Bereich des Internetabrufverfahrens vor. Genau in dieser Hinsicht verlangen wir politische Aktivität von der Landesregierung; denn immerhin hat sich diese Niedersächsische Landesregierung in einem Staatsvertrag mit Nordrhein-Westfalen verpflichtet - ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin aus der Drucksache 3437 dieses Landtages - :
„Durch die Einrichtung eines zentralen Registerportals der Länder wird damit eine Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland erreicht, da die zersplittert liegenden Register der Länder auf einer zentralen Beauskunftungsplattform zusammengefasst werden..., um Registerinformationen aus erster Hand zu erhalten. Niedersachsen muss sich an dem Portal beteiligen, um von dieser Entwicklung nicht abgekoppelt zu werden.“
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn dieses Portal eine Information insbesondere auch für das europäische Ausland sein soll, dann mei
nen wir, dass Sprachbarrieren abgebaut werden sollten und wir am wirkungsvollsten und am wirtschaftsfreundlichsten zu dem gemeinsamen Ziel kommen sollten, das Ganze mehrsprachig zu gestalten. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich halte es für richtig, dass wir als SPD-Fraktion diesen Antrag gestellt haben, auch wenn ich sehe, welches Interesse und welche Streitkultur er hervorruft.
Gestatten Sie mir, noch ein Wort zu dem zu sagen, was Herr Kollege Wiese von der CDU-Fraktion ausgeführt hat. Er hat moniert, dass wir nicht schon vorher dafür votiert haben, dass das Handelsregister international salonfähig wird. Das ist ja das, worauf dieser Antrag abzielt. Herr Kollege Wiese, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass im Rechtsausschuss Staatsverträge im Regelfall nicht mehr veränderbar sind. Staatsverträge sind das Ergebnis der Verhandlungen zwischen zwei Landesregierungen, die wir zwar zur Kenntnis nehmen, bei denen wir aber leider keine Einwirkungsmöglichkeiten mehr haben. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist, dass auch in diesem Verfahren keine Verbände oder beruflichen Interessengruppen angehört werden, die uns diese Auskunft schon damals hätten geben können. Dies ist jetzt passiert. Nur weil eine gute Idee von der SPDOpposition kommt, müssen Sie sie doch nicht automatisch für schlecht erklären. Das nützt doch niemandem. Denken Sie noch einmal darüber
nach! Es geht hier um die Wirtschaftsfähigkeit unseres Landes Niedersachsen und um nichts anderes. - Danke schön.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der viel zitierte Bericht besagt auch, dass körperliche Auseinandersetzungen und andere Unterdrückungshandlungen seit 2004 kontinu
ierlich zurückgegangen sind. Das ist richtig. Für Gewalt - so war es jedenfalls vor einigen Jahren in Hameln - war aber auch die Gruppe der sogenannten Russlanddeutschen mitverantwortlich. Deshalb hat damals Justizminister Christian Pfeiffer ein sogenanntes Opferhaus in Hameln bauen lassen. Diese Gruppe ist, wie wir wissen, inzwischen zum Teil - so traurig das auch ist; es ist aber eine Realität - im Erwachsenenvollzug gelandet, also in Oldenburg oder in anderen JVAs. Ist ein Grund dafür, dass die Gewalt zurückgegangen ist, nicht auch der, dass quasi die Klientel gewechselt hat? Ist die Ursache vielleicht gar nicht so sehr in den begleitenden Maßnahmen zu suchen, sondern darin, dass sich der Täterkreis verändert hat? - Danke schön.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat, Herr Kollege Dr. Biester, das Thema Widerspruchsverfahren ist hier mehrfach diskutiert worden, die Argumente sind ausgetauscht. Das ist richtig. Auch ich habe nicht vor, nach der Art tibetanischer Gebetesmühlen alles wieder von vorn aufzurollen.
Aber nichtsdestotrotz bleiben wir der Auffassung, dass die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens reparaturbedürftig ist.
Wenn Sie Ihr Verfahren so preisen, dann möchte ich einmal zu bedenken geben, dass die Landesregierung schon zurückgerudert ist und die Regelung zu den Rundfunkgebühren zurückgenommen hat, weil sie sich als sinnlos erwiesen hat. Das ist ein Beweis dafür, dass dieses Widerspruchsverfahren schon seine Berechtigung hat: Es findet eine Selbstkontrolle der Verwaltung statt, der Rechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger ist gewährleistet, und die Justiz wird nicht ohne Not belastet.
Der Kollege Lennartz hat zu Recht auf Bayern hingewiesen. Man muss feststellen - das hat auch Herr Dr. Nieuwland in seinem Bericht ausgeführt -, dass kaum ein anderes Bundesland diesen niedersächsischen Sonderweg gegangen ist, eben weil die Ergebnisse doch relativ negativ waren. Bayern hat das lediglich in einem ganz kleinen Bezirk, nämlich dem Verwaltungsgerichtsbezirk Ansbach, ausprobiert. Dieser Modellversuch ist, wie Herr Kollege Professor Dr. Lennartz eben ausgeführt hat, total danebengegangen. Bayern ist heilfroh, das nicht im ganzen Bundesland gemacht
zu haben und nicht alle bayerischen Bürgerinnen und Bürger zu Versuchskaninchen gemacht zu haben, sondern das nur in diesem kleinen Bereich ausprobiert zu haben. Das Ergebnis ist, dass das auf keinen Fall weitergeführt wird.
Lassen Sie mich noch einen anderen Aspekt hinzufügen. Wir haben gestern in diesem Plenum das Mediationsgesetz beraten. Wir haben die positiven Aspekte hervorgehoben. Parteiübergreifend sind wir alle von der Mediation begeistert. Aber was gestern gesagt wurde, scheint für den Verwaltungsgerichtsprozess nicht zu gelten. Denn ein gestaltetes, mediatives Widerspruchsverfahren würde dazu dienen, einen respektvollen Umgang mit den Bürgern zu gewährleisten und die Gerichte zu entlasten. Genau das ist gestern alles ausgeführt worden und gilt natürlich auch für diesen Gerichtszweig.
Herr Kollege Dr. Biester, Sie haben gesagt, dass es keine Belastung der Verwaltungsgerichte gebe und dass die Kurve nur kurzfristig nach oben gegangen sei. Sie haben sich aber lediglich auf die Abfallgebühren und einen anderen Part bezogen. Richtig ist, dass Herr Dr. Nieuwland das in seinem Artikel erwähnt hat. Aber bei den anderen Gebieten, z. B. im landwirtschaftlichen Bereich, gehen die Zahlen nach wie vor nach oben. Deshalb weist der Geschäftsbericht für das Jahr 2006 eine Mehrbelastung der Richterinnen und Richter an den Verwaltungsgerichten in Niedersachsen gegenüber dem vom Ministerium veranschlagten Normalpensum von 40 bis 50 % aus. Ich will Sie jetzt nicht mit Verteilungsschlüsseln, Pebbsy etc. langweilen. Aber die Richterinnen und Richter arbeiten zwischen 40 und 50 % mehr, als das Ministerium veranschlagt hat. Ein Teil davon liegt auch an der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb fordert die SPD-Fraktion die Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP auf: Beenden Sie endlich den Spuk um die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens! Denn im Kern geht es bei diesem Thema um den Schutz und um den Erhalt von Bürgerrechten, also um ein Stück Gerechtigkeit. Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ohne Frage gehören Sexualstraftaten an Kindern zu den schrecklichsten Verbrechen, die wir überhaupt kennen. Darin sind wir uns einig. Während die Bevölkerung schätzt, dass es im Durchschnitt einhundert solcher Straftaten an Kindern pro Jahr gebe, sind es in der Realität allerdings nur vier solcher Straftaten. Das ist zwar immer noch zu viel. Trotz allem bleibt zu sagen, dass die öffentliche Wahrnehmung nicht der Realität entspricht.
Gestatten Sie mir, zum Landesrecht zurückzukommen. Die Frau Ministerin hat in erster Linie über Bundesrecht berichtet. Ich nenne das Stichwort „nachträgliche Sicherungsverwahrung“ und das Stichwort „Opferschutz in den Prozessen“. Das alles sind Bundesangelegenheiten. Ich möchte gerne wissen, wie es im Land Niedersachsen mit den sogenannten Nachsorgeprogrammen aussieht. Fachleute sind sich einig, dass Sexualstraftäter, die aus der Haft entlassen werden, ein Besuch beim Therapeuten ermöglicht werden sollte und dass sie mit ihren Problemen nicht allein gelassen werden sollten. Dies wäre ein Part der Kriminalitätsvermeidung pur und würde die Rückfallquote erheblich senken. Deshalb frage ich: Was tut die Landesregierung in Bezug auf diese wirksamen Maßnahmen, und welche Haushaltsmittel sind dafür eingestellt?
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, ich bin trotz allem der Auffassung, dass wir die Wahrheit hier nicht zu fantasievoll auslegen sollten. Ich weise darauf hin, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung keine alleinige Idee des Landes Niedersachsen ist. Vielmehr hatten seinerzeit die Länder Hessen, Baden-Württemberg, Bayern etc. zeitgleich ebenfalls Landesgesetze zu diesem Thema in der Mache. Dies war also eine bundesrepublikanische Angelegenheit.
Bitte gestatten Sie mir, noch einmal auf die Nachsorgeprogramme zurückzukommen. Diese haben nichts mit Führungsaufsicht und Bundesrecht zu tun, sondern sie haben etwas mit Kriminalitätsvermeidung durch Therapie, die anerkanntermaßen großartige Erfolge aufweisen könnte, zu tun. Deshalb noch einmal die Frage: Sind Landesprogramme in dieser Hinsicht geplant, um Opferschutz pur zu realisieren?
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir bitte zunächst, die Frage meiner Kollegin Wiegel zu wiederholen, die nach meinem Dafürhalten nicht beantwortet wurde. Frau Kollegin Wiegel hat ausgeführt, dass in dieser viel gescholtenen USK auch ein Ländervertreter sitzt, und hat demzufolge gefragt: Was hat denn der Ländervertreter in diesem Gremium unternommen? Welche Aktivitäten gab es von seiner Seite? - Das ist die erste Frage.
Zum Zweiten haben wir bei Ihren Ausführungen, Frau Ministerin, einen Widerspruch erkannt. Auf der einen Seite heißt es, dass bis Ende 2007 eine Evaluation stattfinden soll, und auf der anderen Seite entnehmen wir der Presse, dass diese Landesregierung schon im Januar oder Februar eine Bundesratsinitiative in Form eines Gesetzes starten will. Wollen Sie diese Untersuchung gar nicht abwarten? Das ist nach unserem Dafürhalten ein Widerspruch. Bei den Widerspruchsverfahren verfahren Sie jedenfalls anders. - Danke schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Große Enttäuschung machte sich im Land Niedersachsen breit, als sich die Justizministerin im September dieses Jahres endgültig aus der Verantwortung für die Justiz in diesem Land verabschieden wollte. In einem Gespräch mit der Hildesheimer Zeitung hat sie zugegeben, nicht vorrangig die Interessen der Justiz zu vertreten. Sie sehe sich nicht in erster Linie als Interessenvertreterin der Justiz, sondern als Interessenvertreterin der Bürger, wird Frau Heister-Neumann zitiert. Das ist doch absurd, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Als Nächstes leistet der Finanzminister den Offenbarungseid, dass er sich nicht als Hüter der Finanzen sieht, und dann kommt womöglich auch noch der Niedersächsische Ministerpräsident und räumt ein, dass er sich in Wahrheit gar nicht für Niedersachsen interessiert.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Rahmen der Föderalismusreform ist nun der Vollzug gegen den geballten Sachverstand der gesamten Republik in die Länderhoheit übergegangen. Das bedeutet: Niedersachsen ist jetzt zuständig für den Erwachsenenvollzug, für die Untersuchungshaft und für den Jugendstrafvollzug. Die Suppe, die sich die Länder eingebrockt haben, müssen sie nun auch auslöffeln.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung bereits 1972 festgestellt, dass Eingriffe in die Grundrechte von Gefangenen einer gesetzlichen Regelung bedürfen. Für Erwachsene wurde dies bereits vor 30 Jahren verwirklicht. Für die Jugendlichen gibt es bis zum heutigen Tage nur eine Verwaltungsvorschrift auf Bundesebene aus dem Jahre 1977. Niedersachsen lebt also in einem verfassungswidrigen Zustand.
Auch deshalb hat das höchste Verfassungsgericht der Bundesrepublik Deutschland in seinem neuen Urteil vom Mai 2006 von einer Verwahrlosung des Rechts im Jugendstrafvollzug gesprochen. Bislang
ist der Strafvollzug für Jugendliche und Heranwachsende also ein gesetzesfreier Raum.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat herausgefunden, dass nur 30 % der inhaftierten Jugendlichen eine fachgerechte Betreuung in der Haft erhalten und 78 % aller, die nicht auf Bewährung freikommen, wieder hinter Gittern landen. Diese Quote ist deutlich höher als bei Erwachsenen. Im Durchschnitt verlassen die Jugendlichen den Vollzug nach elf Monaten und sollen dann im Alltag klarkommen. Wenn sie in den Vollzug kommen, haben nur ca. 5 % einen Berufsabschluss und das, obwohl die Jungen - es sind in der Tat meistens Jungen; nur 2 bis 3 % der inhaftierten Jugendlichen sind Mädchen - im Durchschnitt 19 Jahre alt sind. Bei diesem gesellschaftspolitischen Trauerspiel ist dem Bundesverfassungsgericht quasi die Hutschnur geplatzt. Das Gericht setzte ein Ultimatum bis Ende 2007. Bis dahin haben die Länder ein Jugendstrafvollzugsgesetz zu schaffen. Dabei machen die Richter aus Karlsruhe nicht nur juristische Vorgaben, sondern geben auch gesellschaftliche Wegweisungen. Dazu gehören besondere Regelungen für die Zahl der Familienbesuche, für die körperliche Bewegung und vor allen Dingen auch für die Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten. Mit anderen Worten: Wir brauchen ein Resozialisierungskonzept, weil wirksame Resozialisierung eben Straffreiheit bedeutet. Das ist die beste Sicherheit für die Bevölkerung, also Opferschutz in Reinkultur.