Protokoll der Sitzung vom 24.06.2004

(CDU) Vizepräsident Ulrich B i e l (SPD) Vizepräsidentin Ulrike K u h l o (FDP) Vizepräsidentin Silva S e e l e r (SPD) Vizepräsidentin Astrid V o c k e r t (CDU) Schriftführer Lothar K o c h (CDU) Schriftführerin Georgia L a n g h a n s (GRÜNE) Schriftführer Wolfgang O n t i j d (CDU) Schriftführerin Christina P h i l i p p s (CDU) Schriftführer Friedrich P ö r t n e r (CDU) Schriftführerin Isolde S a a l m a n n (SPD) Schriftführerin Bernadette S c h u s t e r - B a r k a u (SPD) Schriftführerin Brigitte S o m f l e t h (SPD) Schriftführerin Irmgard V o g e l s a n g (CDU) Schriftführerin Anneliese Z a c h o w (CDU)

Auf der Regierungsbank:

Ministerpräsident Staatssekretärin Dr. Gabriele W u r z e l , Christian W u l f f (CDU) Staatskanzlei

Minister für Inneres und Sport Uwe S c h ü n e m a n n (CDU) Staatssekretär Wolfgang M e y e r d i n g , Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport

Finanzminister Staatssekretär Dr. Lothar Hagebölling , Hartmut M ö l l r i n g (CDU) Niedersächsisches Finanzministerium

Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit Dr. Ursula von der L e y e n (CDU)

Kultusminister Staatssekretär Hartmut S a a g e r , Bernd B u s e m a n n (CDU) Niedersächsisches Kultusministerium

Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Staatssekretär Joachim W e r r e n , Walter H i r c h e (FDP) Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr

Minister für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Hans-Heinrich E h l e n (CDU)

Staatssekretär Gert L i n d e m a n n Niedersächsisches Ministerium für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

Justizministerin Elisabeth H e i s t e r - N e u m a n n

Minister für Wissenschaft und Kultur Lutz S t r a t m a n n (CDU)

Umweltminister Hans-Heinrich S a n d e r (FDP)

Beginn: 9.01 Uhr.

(Unruhe)

- Wenn Sie sich alle setzen würden, könnte ich schon jetzt die Beschlussfähigkeit feststellen.

Geburtstag haben heute die Abgeordneten Dr. Noack und Dr. Matthiesen.

(Beifall)

Ich gratuliere beiden ganz herzlich zum Geburtstag.

(Unruhe)

Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 26 - Dringliche Anfragen. Anschließend - ich bitte Sie, jetzt zuzuhören - behandeln wir die gestern zurückgestellten Tagesordnungspunkte 10 bis 17 und fahren dann in der Reihenfolge der Tagesordnung fort, wobei über die Tagesordnungspunkte 27 und 41 ohne Aussprache abgestimmt werden soll. Zu Tagesordnungspunkt 41 wird lediglich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ihr Abstimmungsverhalten kurz begründen. Die Tagesordnungspunkte 43 und 45 sollen ohne erste Beratung überwiesen und die Tagesordnungspunkte 44 und 50 sollen in der Reihenfolge gegeneinander ausgetauscht werden. Die heutige Sitzung wird somit gegen 20 Uhr enden.

Ich möchte Sie noch auf zwei Veranstaltungen hinweisen.

(Unruhe)

- Ich bitte Sie um etwas mehr Aufmerksamkeit. Bitte setzen Sie sich hin! Es ist hier im Saal einfach zu unruhig. - Im Repräsentationssaal findet zu Beginn der Mittagspause die Verleihung des Landespreises „Fahrradfreundliche Kommune“ durch den Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Herrn Hirche, statt. Zuvor haben Sie Gelegenheit, in der Portikushalle einer kurzen musikalischen Darbietung des „Norddeicher Shantychors 2000 e. V.“ zuzuhören. Ich empfehle beide Veranstaltungen Ihrer Aufmerksamkeit.

An die rechtzeitige Rückgabe der Reden an den Stenografischen Dienst bis spätestens morgen Mittag, 12 Uhr, wird erinnert.

Es folgen jetzt geschäftliche Mitteilungen durch den Schriftführer.

Für den heutigen Sitzungstag haben sich entschuldigt: Finanzminister Möllring ab 12 Uhr, von der CDU-Fraktion Frau Zachow, von der SPDFraktion Herr Bachmann, Frau Tinius und Frau Wörmer-Zimmermann.

Wir kommen jetzt zu

Tagesordnungspunkt 26: Dringliche Anfragen

Ich rufe auf:

a) Folgekostenanalyse des Innenministers bewusst unvollständig? - Was kostet die Verwaltungsreform wirklich? - Anfrage der Fraktion der SPD - Drs. 15/1114

Frau Leuschner, Sie haben das Wort.

(David McAllister [CDU]: Das ist doch gestern alles geklärt worden!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der CDU-Innenminister hat auf einer Pressekonferenz vom 15. Juni 2004 der Öffentlichkeit eine Folgekostenabschätzung zu der von der Landesregierung ohne vorherige Aufgabenkritik betriebenen Verwaltungsreform vorgestellt. Dabei hat er die Behauptung aufgestellt, das Land würde durch die Reform bereits im Jahr 2005 Einsparungen in Höhe von 3,5 Millionen Euro verzeichnen können. Wie die Braunschweiger Zeitung und die Nordwest-Zeitung vom 17. Juni 2004 berichteten, ist der Innenminister in der Pressekonferenz auch nach wiederholtem hartnäckigen Nachfragen bei seinen Zahlen geblieben.

(Reinhold Coenen [CDU]: Das hat er doch gestern schon erzählt!)

Aus der Kabinettsvorlage zu den Folgekosten der Verwaltungsreform geht jedoch hervor, dass die Landesregierung mit unterschiedlichen Zahlenwerken operiert. Der Öffentlichkeit präsentierte der Innenminister in seiner Pressekonferenz lediglich eine fiktive Kalkulation, in die u. a. Pensionslasten und Sachkostenpauschalen für Stellen eingerechnet worden sind, ohne dass diese überhaupt anfallen. Um seine Reform in einem besseren Licht präsentieren zu können, hat der Innenminister die um diese Verzerrungsfaktoren bereinigten, für ihn weit weniger vorteilhaften Berechnungen der Öffentlichkeit vorenthalten. Die während der Pressekonferenz verteilten Materialien des Innenministeriums enthalten nicht einmal einen Hinweis auf die Existenz abweichender Berechnungen.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

1. Wie erklärt die Landesregierung den Widerspruch zwischen den vom Innenminister der Öffentlichkeit präsentierten Berechnungen, nach denen die Verwaltungsreform bereits im Jahr 2005 zu Einsparungen in Höhe von 3,5 Millionen Euro führen wird, und den in der Kabinettsvorlage enthaltenen Berechnungen, nach denen es im Jahr 2005 lediglich zu Einsparungen von 523 080 Euro kommen soll?

2. Warum hat es der Innenminister unterlassen, in seiner Pressekonferenz auf die unterschiedlichen Berechnungsergebnisse zu verweisen, und sich ausschließlich darauf beschränkt, die Berechnung der Öffentlichkeit zu präsentieren, die seine Verwaltungsreformbemühungen in einem besseren Licht erscheinen lassen?

3. Der Innenminister hat bei der von ihm präsentierten Folgekostenabschätzung sämtliche Kosten ausgeblendet, die durch die Umorganisation der Polizei, des Brand- und Katastrophenschutzes, des Landesbetriebes für Straßenbau und Verkehr, der Hafenämter, der dem Umweltministerium nachgeordneten Bereiche und des Landesamts für Statistik sowie - z. B. infolge der weitgehenden Abschaffung des Widerspruchsverfahrens - für den Bereich des Justizministeriums entstehen werden. Wie stellen sich die finanziellen Auswirkungen der Verwaltungsreform auf den Landeshaushalt unter Einbeziehung dieser Bereiche dar?

Bevor wir zur Beantwortung der Frage kommen, stelle ich die Beschlussfähigkeit des Hauses fest.

Jetzt hat Herr Schünemann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Regierungserklärung „Verwaltungsmodernisierung in Niedersachsen“ und der sich anschließenden Debatte sind die meisten Fragen der Dringlichen Anfrage der Fraktion der SPD beantwortet worden. Uns verbindet seit gestern das gemeinsame Wissen, dass für die Finanzfolgenabschätzung von Gesetzen Berechnungen anzustellen sind. Es reicht allerdings nicht aus, nur die Folgewirkungen zu beschreiben, die in Form von Ausgaben im Haushalt sichtbar werden. Uns verbindet seit gestern das gemeinsame Wissen, dass die Verwaltung wie ein Wirtschaftsbetrieb gehalten ist, alle entstehenden Kosten und Mindereinnahmen aufzuzeigen. Erst durch diese betriebswirtschaftliche Sicht können Investitionen oder Gesetzesvorhaben abgeschätzt werden. Das bedeutet, neben den direkten Personalausgaben sind u. a. Beihilfen, personalbezogene Sachkosten, Personalgemeinkosten, Versorgungszuschläge, kalkulatorische Abschreibungen und Zinsen zu berücksichtigen. Erst damit werden der Ressourcenverbrauch und der finanzpolitische Handlungsspielraum des Landes ausgeleuchtet. Erst damit können die erforderlichen Entscheidungen getroffen werden. Mit seinem Beschluss vom 18. Juni 1997 hat der Landtag genau das eingefordert und damit meiner Ansicht nach Weitsicht bewiesen.

Ich bin gern bereit, erneut einige grundsätzliche Anmerkungen zu machen, bevor ich die drei Fragen beantworte. Zur Ermittlung der Folgekosten der Verwaltungsreform hat das Innenministerium eine Gesetzesfolgenabschätzung durchgeführt. Grundlage für die am 15. Juni 2004 im Kabinett vorgelegte GFA sind die Vorläufigen Grundsätze für die Durchführung von Gesetzesfolgenabschätzungen vom 15. April 1998. Für die Berechnungen wurden die aktualisierten Tabellen für standardisierte Kostengrößen für die Durchführung von Gesetzesfolgenabschätzungen angewandt. Ich frage mich, warum sich die SPD nicht an dieses ausgezeichnete Instrument erinnert, das sie in ihrer Regierungszeit verabschiedet hat.

(Beifall bei der CDU)

Die gestrige Debatte anlässlich meiner Regierungserklärung hat allerdings meine Zweifel bestärkt, dass die SPD-Fraktion bereit ist, die Unterschiede von Ausgaben und Kosten zu akzeptieren. Bei unserer Diskussion wird ein Problem deutlich, das im Rechnungswesen der Verwaltung, der Kameralistik, begründet ist. Im Haushaltsplan wird nur mit Einnahmen und Ausgaben gerechnet. Eine gesamtwirtschaftliche Betrachtung wie bei einer GFA verlangt dagegen eine Rechnung mit Kosten und Erlösen. Für jedes Unternehmen und jeden Betrieb ist die kaufmännische Buchführung eine Selbstverständlichkeit und Grundlage für wirtschaftliche Entscheidungen. Auch der Landesrechnungshof wendet bei den wirtschaftlichen Berechnungen diese Methodik an und geht von den standardisierten Personalkostenansätzen des MF aus.

Die damalige SPD-Landesregierung hat im Jahre 1999 eine Broschüre herausgegeben - Sie werden sie wahrscheinlich noch kennen -: „Staatsmodernisierung kommt voran - Niedersachsen auf Gegenseitigkeit“. Meine Damen und Herren, dort ist für jeden verständlich, wie ich finde, Folgendes gut formuliert. Ich zitiere deswegen daraus:

„Wie soll ein Finanzamt Gebäudekosten sparen, wenn es für sein Gebäude überhaupt nichts zu bezahlen braucht? Das bisherige Haushaltssystem gibt auf diese Fragen keine Antwort. Da seine Grundsätze noch aus einer Zeit stammen, da staatliche Gelder von oben zugeteilt wurden, verzeichnet es zwar Ausgaben, setzt sie aber in keinerlei Beziehung zu den Leistungen. Zudem bildet es von den echten Kosten nur rund 70 % ab: Abschreibungen, kalkulatorische Zinsen, Wertverlust, von anderen Behörden bezogene Leistungen - all diese Posten kennt der herkömmliche Haushalt nicht. Das Verhältnis von Kosten und Leistungen kann aber nur verbessern, wer die Kosten kennt. Und im Detail weiß, wo sie entstehen. Kern der neuen Steuerungsinstrumente ist es daher, die Kameralistik, das traditionelle Haushaltssystem, durch ein neues Rechnungswesen zu ergänzen.“

Ich hoffe, liebe SPD-Fraktion, dass Ihre eigenen Ausführungen Sie auch heute noch genauso kraftvoll überzeugen wie 1999.

(Dieter Möhrmann [SPD]: Das ist nie bestritten worden!)

Aus gutem Grund hat die Vorgängerregierung im Jahr 2000 das Projekt „Leistungsorientierte Haushaltswirtschaft Niedersachsen (LoHN)“ initiiert. Dadurch soll mehr betriebswirtschaftliches Denken in der Verwaltung verankert und das Rechnungswesen durch die Kosten- und Leistungsrechnung ergänzt werden.