Protokoll der Sitzung vom 15.09.2004

auf sie zukommt. Und da gibt es natürlich Unterschiede zwischen denen, die einen gesicherten Job haben, und demonstrieren - die können das in einer größeren Gelassenheit tun, auch wenn sie finanzielle Schwierigkeiten haben -, und denen, die bei der derzeitigen wirtschaftlichen Lage überhaupt keine Aussicht mehr haben, Arbeit zu finden, weil sie spüren, dass ständig Arbeitsplätze aus Deutschland abwandern, oder die Angst haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren und dann keinen neuen zu finden.

(Beifall bei der CDU)

Die Angst ist unendlich groß, und auch die Verantwortung derer, die solche Gesetze wie das hier aus Berlin umzusetzen haben, ist unendlich groß. Es geht hier um ein unzuträgliches Gesetz, das wir so nicht gewollt haben. Jeder hier weiß, dass wir seit Monaten um Nachbesserungen gerungen und sie am Ende auch erreicht haben. Beispielsweise ist die Zusage der 2,5 Milliarden Euro einschließlich der Revisionsklausel erst aufgrund der Debatten der letzten Wochen und Monate, bis wir die Mehrheit im Vermittlungsausschuss hergestellt haben, erreicht worden. Das ist ein beachtliches Eintreten unsererseits gewesen. Wir sind insofern durchaus den Hinweisen von hier gefolgt - „bringt das Gesetz über die Hürde, seht zu, dass es beschlossen wird, seht zu, dass ihr Verbesserungen hinbekommt!“ - und haben gesagt, aus unserer staatspolitischen Verantwortung heraus nehmen wir diese Aufgabe wahr.

Ich finde es sehr wichtig, dass die Niedersächsische Landesregierung erklärt hat, dass sie alle drei Wege nach Kräften unterstützen wird: die Wahrnehmung durch die Bundesagentur für Arbeit, die Wahrnehmung durch die Arbeitsgemeinschaft und die Wahrnehmung durch die Landkreise aufgrund der Optionsmöglichkeit. Wir hätten uns im Übrigen gewünscht, dass auch die kreisfreien Städte eingebunden worden wären; denn immerhin ist mit Göttingen - aufgrund ihres Sonderstatus aus der Göttingen-Gesetzgebung innerhalb des Landkreises Göttingen eine große selbstständige Stadt dabei.

Uns geht es darum, im Wettbewerb Erfahrungen zu sammeln, wer die Aufgabe am Ende am besten und am wirkungsvollsten wahrnimmt: die Landkreise auf der einen Seite oder die Bundesagentur für Arbeit mit ihrer zentralistischen Struktur auf der anderen Seite. Der Kollege Matthiesen hat dazu schon kritische Anmerkungen gemacht.

Meine Damen und Herren, die Landkreise betreten damit Neuland. Das sind Pioniere, die sich auf den Weg machen. Wir sind froh darüber, dass wir eine 99,9-prozentige Garantie haben, dass jetzt alle 13 niedersächsischen Landkreise, die sich um die Option bemühen, sie auch bekommen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es gibt in zwei sozialdemokratischen Ländern Klageverfahren und einstweilige Anordnungen; in Mecklenburg-Vorpommern und in NordrheinWestfalen. Dort will man die Option den Landkreisen nicht zugestehen und wird sich vor Gericht wiedersehen. Aber selbst wenn alle Landkreise gewinnen würden, hätten wir zwölf. Wir sind eigentlich zuversichtlich, dass alle 13 Landkreise dabei sein werden.

Echte Probleme bereitet uns - das ist keine Frage die Form der Arbeitsgemeinschaft. Wir hoffen, dass wir hier in den nächsten Wochen mit dem Bund und den anderen Ländern zu einer Regelung gelangen. Es geht natürlich um die Rechtskraft der Bescheide. Es wird eine Reihe von Anfechtungen gegen Bescheide geben, die dann vor Gericht Bestand haben müssen. Es ist schließlich auch eine schwierige Angelegenheit, wenn man die Bundesagentur für Arbeit und Kommunen, die unterschiedlichen Parlamenten gegenüber verantwortlich sind, zu einer Arbeitsgemeinschaft verknüpft, die dann einheitliche Bescheide erlassen soll, die vor Gericht Bestand haben.

Ich glaube, es ist ein gutes Signal, dass es in diesem Lande noch Regierungen gibt, die Dinge dann machen, wenn sie sie verantworten können, bzw. die sich, wenn sie sie noch nicht verantworten können, um Lösungen bemühen, die also nicht ständig eine Politik mit Webfehlern machen, die dann immer wieder ausgebessert werden müssen. Davon haben die Leute in diesem Land die Nase gestrichen voll.

Zu der Frage der Entlastung des Landes infolge von Hartz IV gilt die Aussage der Landesregierung, dass sie 1 : 1 umgesetzt wird. Das ist mit den kommunalen Spitzenverbänden so besprochen worden. So verfahren leider nur wenige Bundesländer. Ob 95, 98, 88 Millionen Euro oder Ihre in den Raum gestellte Zahl von 156 Millionen Euro stimmt, kann im Moment noch niemand sagen. Die Bundesregierung hat es in den Verhandlungen abgelehnt, Belastungs- und Entlastungszahlen für die Bundesländer darzulegen. Deswegen hat sie

auch darauf bestanden, dass es für das Land bzw. für die Kommunen Revisionsklauseln gibt. Allerdings werden wir im Ausschuss die von unserer Finanzverwaltung errechnete Zahl von 90 Millionen Euro darlegen. Der Diskrepanz liegt ganz offenkundig in der Behandlung der ESF-Mittel, die die Bundesregierung fälschlicherweise in die Entlastung eingerechnet hatte, obwohl sie für diesen Zweck in Zukunft gar nicht mehr zur Verfügung stehen. - Wir werden darüber im Ausschuss vernünftig beraten.

Die Aussage, dass die Entlastung 1 : 1 weitergegeben wird, ist wichtig. Das hat unsere Finanzverwaltung schon deshalb sehr gestört, weil die Landesregierung in ihrer mittelfristigen Finanzplanung eine Entlastung durch bundesgesetzliche Änderungen in Höhe von 330 Millionen veranschlagt hatte, die jetzt nicht mehr realisiert werden kann. Eine wichtige Position der Entlastung, die wir uns versprochen hatten, war die Reform des Wohngeldes, die jetzt im Zuge von Hartz IV verfrühstückt ist und entsprechend den Kommunen zugute kommt.

Dies ist eine Aussage, die wir mit allen anderen 15 Ländern abgleichen. Das ist für uns ein wichtiger Punkt. Ansonsten hätten wir die Diskussion über den kommunalen Finanzausgleich auch nicht führen können. Wir geben 1 : 1 weiter und werden morgen die Debatte um Konnexität und Konsultation führen und Ihre Frage der Interessensquote im Falle der Region Hannover diskutieren.

Ich finde es schon ziemlich ungeheuerlich, Herr Gabriel, wie Sie hier auftreten. Wer die Kommunen so wie Sie in Ihrer Zeit mit Eingriffen in den kommunalen Finanzausgleich ruiniert hat, wer die Unternehmenssteuerreform 2000 mit all den Steuersätzen, die Sie heute als obszön bezeichnen, und mit der Körperschaftsteuerreform, die dieses Land und seine Kommunen Milliarden gekostet hat, verabschiedet hat, der sollte sich hier nicht hinstellen und sagen, er könnte in irgendeiner Form Retter kommunaler Finanzen sein.

(Starker, nicht enden wollender Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion hat nach § 71 Abs. 2 der Geschäftsordnung um zusätzliche Redezeit gebeten. Ich gewähre ihr zwei Minuten. Herr Gabriel, Sie haben das Wort.

(Reinhold Coenen [CDU]: Jetzt kommt die Entschuldigung!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, wir messen Sie nur an dem, was Sie gesagt haben, nämlich dass Sie die Entlastung weiterleiten wollen. Jetzt lese ich einmal vor, was Sie im Landtag zum Thema ESF-Mittel gesagt haben, und stelle dem gegenüber, was Sie tatsächlich tun. Sie haben am 23. Juni 2004 - ähnlich wie eben - behauptet:

„... 200 Millionen Euro Eingliederungshilfe, wo wir überhaupt nicht daran denken, diese Mittel nicht weiter für die Nichtsesshafte, für sozial Benachteiligte und andere Gruppen einzusetzen...“

Da geht es um solche ESF-Mittel.

In dem Haushaltsplanentwurf, den Sie uns vorgelegt haben, sind genau diese Mittel nun gestrichen worden. Was stimmt denn nun: dass Sie die Mittel weiter zur Verfügung stellen wollen oder dass Sie die Mittel im Haushalt streichen wollen? Was ist denn nun die Wahrheit?

(Zuruf von der CDU)

- Natürlich gibt es einen Haushaltsplanentwurf. Kennen Sie den nicht? Lesen Sie den nicht? Lesen Sie nicht, was aus dem Kabinett selbst veröffentlicht wird?

(Bernd Althusmann [CDU]: Wir lesen alles! - Weitere Zurufe von der CDU)

Lesen Sie nicht, was Ihr eigener Finanzminister auf Pressekonferenzen über die Beschlüsse des Kabinetts sagt? - Na ja. Ich bin davon ausgegangen, dass ein Kabinettsbeschluss bei Ihnen Gültigkeit hat. Aber da mag ich mich geirrt haben.

Herr Ministerpräsident, Sie haben eben gesagt, es gebe keine Aussagen des Bundes zu den Zahlen. Das Bundeswirtschaftsministerium hat auf unsere Anfrage hin - insofern könnten Sie da ja auch mal nachfragen - am 13. September 2004 Folgendes mitgeteilt:

„Im Rahmen des im Vermittlungsverfahren im Dezember 2003 vereinbarten Sonderausgleichs Ost an die neuen Bundesländer obliegt dem Land

eine Ausgleichsverpflichtung in Höhe von 94 Millionen Euro.“

Und jetzt kommt es:

„Das Land Niedersachsen wird durch die Reform daher nach hiesiger Schätzung netto um rund 150 Millionen Euro entlastet. Diese Entlastung wäre nach dem Sinn und Zweck des Vermittlungsergebnisses an die Kommunen weiterzureichen.“

Das kommt aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Also sagen Sie dem Landtag nicht, das Bundeswirtschaftsministerium sei nicht bereit, Zahlen vorzulegen. Das tut es, übrigens auch beim Wohngeld.

Ich mache Ihnen einmal folgenden Vorschlag: Wenn es stimmt, was Sie sagen, dann machen Sie doch einen entsprechenden Gesetzentwurf - oder regeln es im Haushaltsgesetz -, mit dem Sie das, was derzeit an positiven Schätzungen über die Entlastung des Landes vorliegt, an die Kommunen weiterreichen, und nutzen Sie die Revisionsklausel dazu, dann, wenn Ihre pessimistischen Schätzungen eintreten, rückabzuwickeln. Damit wären wir einverstanden. Aber handeln Sie doch einmal so, wie Sie im Wahlkampf geredet haben: im Zweifel für die Kommunen. Mehr erwarten wir von Ihnen nicht - nur dass Sie sich so verhalten, wie Sie früher immer geredet haben.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Herr Ministerpräsident Wulff, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Vor ein paar Tagen habe ich im Berliner Tagesspiegel lesen können, was Sie als das Schwierigste daran beschrieben haben, jetzt in der Opposition zu sein. Da wurden Sie zitiert mit: Das Schwierigste sei gewesen, wieder selber lesen zu müssen. - Dazu kann ich nur sagen: Im Amt hätten Sie manches Mal lesen sollen. Dann müssten wir manches, was uns heute im Weg liegt, nicht wegräumen.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Das ist mit Si- cherheit nicht wahr!)

Aber immerhin lesen Sie jetzt wieder.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wenn Sie wieder lesen - was wir erfreut zur Kenntnis nehmen -,

(Sigmar Gabriel [SPD]: Sie sind gera- de ziemlich billig!)

dann müssen Sie die gesamte Dokumentation des Zahlensalates aus Berlin, der uns dort ständig wechselnd und verändert präsentiert wurde - weswegen die Beträge des Bundes über die Entlastungswirkung immer mehr gesteigert wurden -, zur Kenntnis nehmen. Das wird sinnvollerweise im Ausschuss geschehen. Die Gesamtwürdigung der Zahlen wird am Ende bei der Haushaltsberatung hier zu debattieren sein.

Der Haushaltsplanentwurf des Landes Niedersachsen wird übernächstes Wochenende - da ist Wochenendarbeit ist angeordnet - im Finanzministerium eingegeben. Am Sonntag geht er dann in die Druckerei, und Anfang Oktober wird er dem Parlament zugestellt. Bis dahin können Sie niemandem im Haus vorwerfen, er hätte irgendetwas nicht zur Kenntnis genommen oder würde irgendetwas bestreiten.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Doch, Ihren Kabinettsbeschluss gibt es!)

Bisher sind keine Haushaltsstellen eingezeichnet, sondern gibt es nur Kabinettsbeschlüsse. Dann wird auch die Gesamtwürdigung von Hartz IV vorgenommen.

Zum Schluss komme ich auf Ihre Formulierung, doch im Zweifel zugunsten der Kommunen zu handeln und die Revisionsklausel zulasten des Bundes oder Landes zu nutzen. Genau diese Formulierung haben wir in Berlin erhoben, aber genau dazu hat sich die Bundesregierung nicht bereit erklärt.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Das ist Ihre Formulierung!)

Jetzt werden erst einmal vor allem die Kommunen in Vorleistung treten und müssen darauf vertrauen, dass das, was Ihr Herr Clement vorgetragen hat, verlässlich ist.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Machen Sie doch einmal das, was Sie sagen!)

Bisher ist überhaupt nicht klar, dass verlässlich ist, was Herr Clement zugesagt hat. Ob es das ist,

wird sich im Herbst nächsten Jahres zeigen. Dann werden wir sehen, ob sich der Bund an die Revisionsklausel hält. Sie ist aber zulasten und nicht zugunsten der Kommunen formuliert. Deswegen können wir dann sehr genau prüfen, welchen Bestand Ihre Ankündigungen haben.