Protokoll der Sitzung vom 16.09.2004

Ich habe am Dienstag in der Ministerpräsidentenkonferenz die Position vertreten, dass wir uns bei der Neuordnung der bundesstaatlichen Ordnung, also bei der Reform des Grundgesetzes, davon frei machen sollten, wer gerade die Mehrheit hat. Wir wissen in Bezug auf die Bundesebene ganz gewiss nicht, wer ab 2006 die Mehrheit hat. Dementsprechend sollten wir uns frei davon machen, die Dinge danach zu beurteilen, wer gerade die Mehrheit hat, sondern wir sollten so entscheiden, dass wir weg von organisierter Unverantwortlichkeit hin

zu leistungsfähigen staatlichen Strukturen kommen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Hier geht es immerhin um eine Verfassungsänderung, die sich über Jahrzehnte bewähren soll, die über einen langen Zeitraum leistungs- und tragfähig sein soll und die Handlungsfähigkeit von Kommunen und Land erhalten soll.

Was Ihren Beitrag angeht, Herr Bartling, so habe ich Sie als Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion erlebt, und ich habe Sie als Innenminister erlebt. Ich hätte Sie gern - das ist einfach nur ein Wunsch – in den nächsten Jahren in der Rolle vor Augen, die Sie als Innenminister ausgefüllt haben, und würde nicht gern erleben, dass Sie wieder in die Strukturen zurückfallen, wie Sie sie damals gehabt haben. Man muss nicht so Opposition machen, wie Sie es damals getan haben. Man kann auch konstruktiv mitwirken. Das wird von den Bürgern am Ende auch mehr gedankt, als wenn man in die Form zurückfällt, in der Sie eben gesprochen haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Im Übrigen stellen wir uns ja auf Sie ein. Wir haben erlebt, dass Frau Trauernicht dem Parlament entronnen ist. Herr Bartels ist auf dem Weg aus dem Parlament. Herr Oppermann ist - wie ich lese - auf dem Weg aus dem Parlament. Bei Ihnen rechnen wir damit, dass Sie uns erst einmal erhalten bleiben. Dementsprechend machen wir uns natürlich auch Gedanken darüber, wie wir mit Ihnen klarkommen.

(Heiterkeit bei der CDU und bei der FDP)

Um mit Ihnen klarzukommen, muss man sich allerdings vergegenwärtigen, dass Sie ganz offensichtlich der Meinung sind, nicht amnesty international sei die größte Organisation der Welt, sondern Amnesie International. Sie setzen also darauf, dass die Leute dem Gedächtnisschwund anheim gefallen sind, wenn Sie hier so vortragen, wie Sie es getan haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wer neun Jahre lang hier im Parlament die Möglichkeit hatte, als Mehrheit bzw. als Innenminister eine solche Reform auf den Weg zu bringen, und dabei jeden einzelnen Vorstoß von Abgeordneten auf Einführung der Konnexität und des Konsultati

onsprozesses abgelehnt hat mit der Begründung, das würde die Handlungsfähigkeit der Landesregierung erschüttern, das sei nicht zu verantworten und daher abzulehnen, der kann sich heute nicht hier hinstellen und fragen, warum wir nicht die Konnexität und das Konsultationsprinzip eingeführt haben, und so tun, dass wir es, wenn es nach der SPD ginge, längst hätten. Sie hatten 13 Jahre Gelegenheit dazu. Sie haben diese nicht einmal ansatzweise genutzt. Deswegen sollten Sie jetzt einfach ein bisschen kleinere Brötchen backen, damit Ihre Glaubwürdigkeit am Ende dieses Prozesses nicht völlig dahin ist.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich erkenne Ihre Kritik an, dass wir das nicht in den ersten 100 Tagen auf den Weg gebracht haben; so selbstkritisch bin ich. Allerdings hatten wir in den ersten 100 Tagen verdammt viel zu tun. Mit der Kritik, dass wir das, was wir in den ersten 100 Tagen Gutes tun wollten, vielleicht erst in den vergangenen 18 Monaten umgesetzt haben, kann ich noch am ehesten leben, solange wir uns darin einig sein, dass das, was wir wollen und zugesagt haben, etwas Gutes, Notwendiges und Richtiges ist, und dass letztendlich etwas kommt, was zu Ihrer Zeit nie möglich war.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir haben übrigens die ersten 100 Tage genutzt, um gemeinsam mit Bayern eine Bundesratsinitiative zu starten, die Erfolg gehabt hat. Durch die bayerisch-niedersächsische Initiative ist die Gewerbesteuerumlage auf die ursprüngliche Höhe abgesenkt worden. Das bringt den Kommunen in den kommenden Jahren Hunderte Millionen Euro. Daher konnten sie es verschmerzen, dass wir zunächst für eine finanzielle Entlastung gesorgt haben und jetzt die rechtlichen Grundlagen für die Zukunft schaffen.

(Zustimmung bei der CDU)

Der Wortlaut des Gesetzentwurfs wird - das ist wichtig für die Debatte - von den kommunalen Spitzenverbänden grundsätzlich akzeptiert. Wir haben mit den drei kommunalen Spitzenverbänden verhandelt. Alle haben gesagt, sie hätten sich in früheren Zeiten gewünscht, mit vier bis fünf Ministern und dem Ministerpräsidenten die Probleme der Kommunen vier Stunden lang intensiv diskutieren zu können. Am Ende haben wir grundsätzlich Übereinstimmung erzielt, was nicht heißt, dass sich einzelne Vertreter der kommunalen Spitzen

verbände nicht noch mehr vorstellen könnten. Aber es geht hier im Parlament nicht darum, jedem Wunsch im Detail nachzukommen, sondern am Ende sind wir dem Gemeinwohl verpflichtet und müssen in Bezug auf die Interessen des Landes und der Kommunen zu einem sinnvollen Ausgleich kommen.

Die Konsultationsvereinbarung ist Ausdruck einer neuen Partnerschaft zwischen Land und Kommunen. Damit wird das österreichische Modell umgesetzt, mit einer einzigen Ausnahme. Die diesbezügliche Situation ist in Österreich allerdings auch anders als bei uns. In Österreich haben die Kommunen kein Klagerecht. Also müssen es dort die verfassungsrechtlich verankerten kommunalen Spitzenverbände wahrnehmen. In Niedersachsen hingegen hat jede Kommune, egal, welcher Größe, jederzeit ein Klagerecht, soweit ihre eigenen Angelegenheiten betroffen sind. Wenn alle Kommunen einzeln klagen können, dann bedarf es keines Klagerechts der Verbände; denn wenn keine Kommune ihr Klagerecht wahrnimmt, dann macht es wirklich keinen Sinn, dass ein Verband Rechte für andere wahrnimmt, die gar nichts beklagt haben wollen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das deutsche öffentliche Recht ist eben auf Betroffenheit in eigenen subjektiven Rechten angelegt. Daran wollen wir festhalten. Deswegen legen wir Wert darauf, dass die Kommunen klagen können, sofern ihre eigenen Angelegenheiten betroffen sind, und nicht Verbände anonym für andere, die es gar nicht wollen, Klagerechte reklamieren.

Es wird ein Schiedsverfahren beantragt werden können. Es wird auch einen angemessenen Kostenausgleich geben, mit dem das Einigungsverfahren enden würde. Es werden also genau die Dinge vorgesehen, die den Kommunen immer wichtig gewesen sind.

Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen, der für die Landesregierung von Bedeutung ist. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen von CDU und FDP findet sich die Formulierung, dass die EU-Vertragsverletzungsverfahren, die gegen das Land ergehen, auch in Bezug auf die Kommunen einer Regelung bedürfen. So, wie wir für die bundesstaatliche Ordnung zu Recht darüber diskutieren, dass dann, wenn die Bundesrepublik Deutschland wegen rechtswidrigen Verhaltens von Bundesländern verurteilt wird, ein ge

nereller Rückgriff auf die Bundesländer zulässig sein muss, brauchen wir die Möglichkeit eines solchen generellen Rückgriffs auch für Anlastungen, die sich gegen das Land Niedersachsen richten, aber durch rechtswidriges Verhalten von Kommunen verursacht wurden. Wir wünschen uns, dass in den Gesetzesberatungen dazu eine Lösung gefunden wird; denn die Einführung der Konnexität und die Klärung solcher Haftungsfragen stehen in einem engen Zusammenhang und sollten gemeinsam abgearbeitet werden, damit wir unsere Verfassung nicht allzu häufig und wenn, dann klug ändern.

Mein Appell geht dahin, dass wir uns in den Ausschussberatungen im Rahmen einer sachlichen Diskussion verständigen und am Ende möglichst zu einer einstimmig getragenen Änderung unserer Verfassung kommen. Wenn alle das Prinzip der Konnexität und Konsultation einführen wollen, dann sollte dessen Einführung nicht blockiert werden, weil man sich davon irgendwelche parteitaktischen Vorteile verspricht. Das wäre mein Wunsch an das Parlament.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben um zusätzliche Redezeit gebeten. Nach § 71 Abs. 2 der Geschäftsordnung erteile ich der SPD-Fraktion drei Minuten und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zwei Minuten zusätzliche Redezeit.

Das Wort hat der Abgeordnete Gabriel für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, es stimmt: Die SPD-Fraktion hat ihre Haltung gegenüber der Haltung, die sie als Regierungsfraktion eingenommen hat, verändert.

(Zuruf von der CDU: Das ist aber neu!)

Ich glaube, dass die Haltung, die wir in den Jahren zuvor eingenommen haben, falsch gewesen ist.

(Oh! bei der CDU)

So, wie Sie - allerdings mit vier Jahren Verspätung - sich 1994 dazu bekannt haben, dass Niedersachsen doch ein Kindertagesstättengesetz

braucht, obwohl Sie es bis 1990 abgelehnt haben, so wie Sie in Ihrer Regierungszeit Kommunen belastet haben und es immer noch tun - dazu komme gleich noch -, haben wir unsere Haltung in dieser Frage geändert, weil wir glauben, dass alle Parteien, wenn sie in Bund und Land Verantwortung getragen haben, den Kommunen bei der Finanzverteilung Unrecht getan haben. Das gilt für die Grünen - darauf bezog sich der Zwischenruf vorhin - in ihrer Regierungszeit übrigens auch.

Wir wollen allerdings, Herr Ministerpräsident, dass Sie das, was Sie öffentlich versprochen und in der Regierungserklärung hier erklärt haben, endlich einhalten. Ich sage Ihnen: Nicht wir haben zuerst von einem Vetorecht gesprochen. Der Kollege Bartling hat das vorgelesen. Das ist Ihr Modell. Nicht wir haben ein Konnexitätsprinzip nach österreichischem Vorbild versprochen, sondern Sie haben das in Ihrer Regierungserklärung getan.

Nach dem, was mir gestern bzw. heute Morgen passiert ist, habe ich zur Vorsicht einmal selbst nachgelesen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Bernd Althusmann [CDU]: Das kann immer wieder passieren!)

- Sie dürfen sicher sein, ich verfüge über mehr Humor, als Sie aushalten können.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es gibt einen Vermerk des Städte- und Gemeindebundes, u. a. gerichtet an seine Mitglieder. Das ist ja einer der kommunalen Spitzenverbände, zu dem Sie gute Kontakte pflegen, auf die Ihr Fraktionsvorsitzender gerade hingewiesen hat. Dort heißt es zum Thema Konsultationsmechanismus, so wie Sie ihn vorschlagen - ich zitiere -:

„Nicht aufgegriffen wurde unsere Forderung nach Ausgestaltung des Konsultationsmechanismus nach österreichischem Vorbild. So fehlen in dem vorgeschlagenen Konsultationsmechanismus das Klagerecht der Spitzenverbände zur Geltendmachung der vermögensrechtlichen Ansprüche bei fehlgeschlagener Konsultation sowie die Miteinbeziehung bzw. Bindung des Niedersächsischen Landtages an die Konsultationsergebnisse. Die Ausgestaltung nach österreichi

schem Vorbild war jedoch sowohl in der Koalitionsvereinbarung wie in der Regierungserklärung zugesagt worden.“

Meine Damen und Herren, die Spitzenverbände erinnern Sie an Ihre Vorstellungen. Wir wollen nichts anderes als zustimmen zu einem guten Vorschlag, den Sie in der Regierungserklärung unterbreitet haben. Warum Sie davon abgehen, wissen wir nicht.

(Beifall bei der SPD)

Ich verstehe überhaupt nicht, warum Sie sich darüber beklagen, dass die SPD-Fraktion ihre Position aus der letzten Legislaturperiode verändert und eine Haltung einnimmt, die Sie in der Regierungserklärung hier vorgeschlagen haben. Warum ist das eigentlich ein Vorwurf, wenn wir etwas richtig finden, was Sie bis vor ein paar Monaten auch richtig gefunden haben, meine Damen und Herren? Das würde uns einmal interessieren.

Dann heißt es dort weiter:

„Wenn der niedersächsische Innenminister ausführt, dass ein Vetorecht sowie das Klagerecht der Kommunen bereits existiere, verkennt er den Umstand, dass das derzeitige Klagerecht der einzelnen Gemeinden auf eine unzureichende Festsetzung und Finanzzuweisung im Finanzverteilungsgesetz gerichtet werden müsste und es nur unter besonderen Umständen geltend gemacht werden kann. Ein Vetorecht der kommunalen Spitzenverbände ist bei der vorgeschlagenen Ausgestaltung des Konsultationsmechanismus ebenfalls nicht erkennbar.“

Also erklären Sie hier nicht, dass Sie mit den kommunalen Spitzenverbänden einig seien. Die kommunalen Spitzenverbände haben sich doch darauf verlassen, dass die so kommunalfreundliche CDU hierher kommt und das Wort des Ministerpräsidenten gilt. Ich habe das vor der Wahl nicht versprochen. Trotzdem ist es richtig. Wir hätten es tun sollen. Nur: Sie haben es versprochen und brechen Ihr Versprechen. Ich finde, dass wir darüber hier einmal reden dürfen.

(Starker Beifall bei der SPD)