Protokoll der Sitzung vom 18.11.2004

Dieses Wissen entbindet uns allerdings nicht der Verpflichtung, im Sinne des Verbraucherschutzes auf die Einhaltung anerkannter Standards zu achten. Dabei können Zertifizierungen ohne Zweifel hilfreich sein. Sie sichern eine möglichst gleich bleibende Qualität der Strukturen und Prozesse und können bei wohlverstandenem Umgang auch einer ständigen Reflexion der eigenen Leistungen im Hinblick auf die Kundenzufriedenheit - sprich: Ergebnisqualität - und der kontinuierlichen Verbesserung der Angebote der Einrichtungen dienen.

Allerdings ist klar, dass externe Prüfungen trotzdem notwendig sind. Bei aller guten Arbeit, die geleistet wird, gibt es immer wieder erhebliche Mängel, die durch Überprüfungen aufgedeckt werden.

Bei Zertifizierungen - das erwähnen die Antragsteller ja auch - gibt es mehr als ein Dutzend unterschiedliche Zertifikate für Pflegeeinrichtungen im ambulanten und stationären Bereich mit höchst unterschiedlichen Anforderungen. Wo sich jedoch Einrichtungsträger mit selbst erfundenen Qualitätssiegeln auszeichnen können, kann von Transparenz im Sinne des Verbraucherschutzes keine Rede mehr sein. Es ist dann auch für die Kunden wirklich nicht mehr nachvollziehbar, unter welches Siegel sie sich begeben. Deshalb muss mindestens auf nationaler Ebene eine Verständigung über Anforderungen an solche Zertifikate erfolgen. Diese Anforderungen müssen nachvollziehbar, standardisiert und möglichst europaweit anerkannt sein.

(Glocke der Präsidentin)

Ich möchte hier nur am Rande auf die Diskussion über die Dienstleistungsrichtlinie der EU eingehen, nach der es künftig jedem Dienstleister möglich sein kann, seine Dienstleistungen innerhalb der EU an jedem Ort zu den Bedingungen seines Heimatlandes anzubieten. Meine Damen und Herren, ich möchte nun wirklich nicht erleben, dass das eintritt. In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die notwendige Verständigung auf nationale Standards in der Pflege verweisen. Einen guten Ansatz zu mehr Qualität hat meines Erachtens die IKK Niedersachsen mit dem jetzt abgeschlossenen Modellversuch für mehr Qualität in der ambulanten Pflege vorgelegt.

(Glocke der Präsidentin)

Dort lohnt es sich nämlich für die Leistungserbringer, mehr Qualität zu leisten, weil sie dafür mehr Geld bekommen. Leider leisten die Pflegekassen eine Refinanzierung der Zertifizierung nicht - auch übrigens nicht der Fachkräfte für Qualitätssicherung in den Einrichtungen, weswegen der Rahmenvertrag bekanntlich der Schiedsstelle vorliegt. Auch wenn die Landesregierung in dieses Verfahren nicht eingreifen darf, so würde ich mir doch wünschen, dass sie versuchte, dahin gehend einzuwirken, dass dieser Rahmenvertrag bei der Schiedsstelle endlich zu einem guten Abschluss gebracht würde.

Und ich wünsche jetzt, Frau Helmhold, dass Sie zum Abschluss kommen.

Ein letzter Satz! - Qualität zum Nulltarif werden wir nicht bekommen, meine Damen und Herren. Dieses Thema wird uns noch sehr lange beschäftigen. Wir werden diskutieren müssen, wie viel Geld uns eine vernünftige Pflege alter Menschen wert ist. Der Antrag der SPD kann ein Baustein dazu sein, aber nur unter den von mir geschilderten Bedingungen. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Kollegin Helmhold. - Ich weiß, es ist sehr, sehr schwierig. Wir sind fast am Ende der Tagesordnung, und die Kolleginnen und Kollegen sind zum Teil etwas ungeduldig und möchten mit Sicherheit noch die eine oder andere Verabredung treffen. Aber es liegen noch zwei Wortmeldungen vor, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dann, falls Sie sich unterhalten möchten, hinausgingen. Ich meine, dass das Thema für uns alle zu wichtig ist. - Jetzt hat Frau Kollegin Meißner von der FDP-Fraktion das Wort.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Vor allem kommt jetzt eine gute Rede!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema ist sehr wichtig. Es ist wichtig, sich über Pflegequalität Gedanken zu machen. Trotzdem versuche ich, weil es so spät ist, meinen Beitrag kurz zu machen.

Sie wollen mit Ihrem Antrag Zertifizierung unterstützen und möglichst flächendeckend einführen. Das steht zwar so nicht in Ihrem Antrag geschrieben, das möchten Sie aber gerne.

Ich stelle jetzt einmal ein paar Fragen. Erstens. Ist die Zertifizierung wirklich geeignet, um Qualität sicherzustellen? - Wenn man zertifiziert, dann prüft man die vorhandene, die gerade vorgefundene Qualität. Das ist dann die Zertifizierung, es ist also eine Momentaufnahme. Die Frage ist, ob das immer der Qualität entspricht und welche Aussage die Zertifizierung vor diesem Hintergrund hat.

Zweitens könnte man darüber nachdenken, ob das nicht ein Eingriff in Gewerbefreiheit wäre. Drittens kostet es ja auch, zu zertifizieren. Das haben Sie in Ihrer Begründung angeführt. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, woher wir die Mittel nehmen. Zertifizierung kann sinnvoll sein, sollte aber nicht verpflichtend eingeführt werden.

Sie haben gesagt, dass MDK und Heimaufsicht nur dort prüfen sollten, wo nicht zertifiziert ist. Das ist zwar eine gute Idee, aber die Prüfaufträge sind doch verschieden. Es ist doch de facto so, dass die Heimaufsicht ein Ordnungsrecht ist. Die Heimaufsicht dient auch der Gefahrenabwehr - so ist es formuliert. Deshalb kann sie durch die Zertifizierung nicht komplett ersetzt werden. Das geht nicht. Der MDK bezieht sich auf das SGB XI und muss auch weiter prüfen. Ich meine, dass wir uns dafür einsetzen sollten, dass diese Prüfungen koordiniert werden und dass möglichst nur anlassbezogen - in Absprache miteinander - geprüft wird. Das könnte der richtige Weg sein.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung von Gabriele Jakob [CDU])

Ein Wort zu den Mindeststandards. Soweit ich weiß, sind diese im Heimgesetz schon festgeschrieben. Eine Prüfungsverordnung hatte die Bundesregierung zwar vorgelegt, sie ist aber im Bundesrat gescheitert. Ich meine, dass sie auch deshalb gescheitert ist, weil sie zu dick war. 250 Seiten sind eine Menge. Vielleicht kann man sie verkürzen und dann noch einmal darüber nachdenken.

Mein Vorschlag lautet: Wir sollten auch überlegen, ob wir die MDK-Prüfungsberichte dahin ändern könnten, dass nicht nur Mängel, sondern auch positive Sachverhalte berichtet werden. Die MDKMängelliste in der bestehenden Form ist immer nur dazu geeignet, das Image der Pflege in der Öffentlichkeit zu verschlechtern. Wir wollen es aber doch verbessern. Also sollten wir uns dafür einsetzen, dass auch positive Sachverhalte erwähnt werden.

Als letzten Punkt sage ich etwas zum IKKModellprojekt. Ich halte das Projekt für sehr gut.

(Unruhe)

- Jetzt warte ich doch einmal. - Bei der IKK haben sich alle freiwillig Qualitätskriterien unterworfen und sich gegenseitig geprüft, was sich bei geringer Mehrvergütung unter dem Strich gelohnt hat. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Auch wenn

wir nicht direkt eingreifen können, sollten wir das Projekt vonseiten der Politik unterstützen und dafür werben, damit die Pflege in Niedersachsen qualitativ noch besser werden kann.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herzlichen Dank. - Von der Landesregierung hat sich Frau Ministerin Frau Dr. von der Leyen zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Erkenntnis, dass Qualität nicht in Pflegeeinrichtungen hineingeprüft werden kann, sondern sich aus den Einrichtungen heraus entwickeln muss, ist mittlerweile schon eine fachliche Binsenweisheit. In diesem Zusammenhang sind Zertifizierungen sicherlich von großem Nutzen. Sie zwingen die Einrichtungen gewissermaßen zu einer systematischen Selbstreflexion ihres Handelns und ihrer Ergebnisse. Aber sie nutzen nur dann etwas, wenn der erreichte Status sowohl intern als auch extern eine kontinuierliche Überprüfung erfährt. Das wiederum bedeutet für die Einrichtungen einen erheblichen Aufwand, und allzu leicht droht hier dann auch Überforderung. Ich will damit nicht das Menetekel einer weiteren Bürokratisierung durch ausufernde Voraussetzungen für Zertifizierungen an die Wand malen. Dennoch möchte ich in diesem Zusammenhang auf die Gründe hinweisen, die im Jahre 2002 die CDU/CSU-regierten Bundesländer veranlasst haben, die so genannte Pflegeprüfverordnung der Bundesregierung zu verhindern. Das war damals schlicht und einfach ein groß angelegtes Sachverständigenförderungsprogramm, finanziell zulasten der Menschen in den Heimen und der öffentlichen Kostenträger - ein weiteres gigantisches Bürokratiemonster.

Ich teile die Auffassung der SPD-Fraktion, die sie in ihrem Antrag formuliert: Wir müssen uns das zunutze machen, was an qualifizierten Verfahren schon vorhanden ist, und hierüber einen Konsens finden. Aber, meine Damen und Herren, wir müssen uns auch über Folgendes im Klaren sein, das hier heute schon mehrfach angeklungen ist: die Verantwortung für die Verständigung über die Zertifizierungsverfahren als Grundlage allgemein akzeptierter Qualitätsmanagement- und Prüfverfahren. Die Verantwortung für die Konsensfindung

liegt bei den Vertragsparteien im Pflegegeschehen. Dies ist auch richtig so. Das ist das Prinzip der Selbstverwaltung. Jede staatliche Intervention würde auf diesem Feld zu einem weiteren Mehr an Regelungen und Bürokratie führen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die bundesrechtlichen Regelungen des SGB XI reichen dazu meines Erachtens bereits aus. Der § 80, der als neuer Paragraf das enthält, was Sie in der Nr. 3 Ihres Antrags jetzt fordern, ist angesprochen worden. Die in § 80 genannten Verbände und Sachverständigen müssten einfach ihre Arbeit tun. Dafür hätte aber die Bundesregierung zu sorgen. Sie haben hier offensichtlich den Adressaten verwechselt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Ich habe grundsätzlich nichts gegen den Impuls, den Sie mit Ihrem Antrag geben wollen. Ich sehe es aber auch als meine Pflicht an, die SPD-Fraktion auf ihre eigenen Erfahrungen hinzuweisen. Die frühere Landesregierung hat versucht, nach dem Vorbild Bayerns ein einheitliches niedersächsisches Qualitätssiegel zu entwickeln. Sie ist dabei bei den Verbänden der Leistungsanbieter, insbesondere bei der freien Wohlfahrtspflege, auf völlige Ablehnung gestoßen.

Auch der Vorschlag, im Wege eines Vergleichs der auf dem Markt befindlichen Zertifizierungsverfahren einschließlich der verbandseigenen Verfahren zu einem Konsens über allseitig akzeptierte Mindestanforderungen zu kommen, wurde zurückhaltend aufgenommen.

Entsprechende Versuche im Rahmen des Dialogs Soziales Niedersachsen sind in ihren Anfängen stecken geblieben. Vielleicht wäre es daher im Zuge der Beratungen des Entschließungsantrags vernünftig, die aktuelle Meinung der Beteiligten zu erfahren. Mir sind zwar keine anderen Positionierungen bekannt. Aber vielleicht gibt es auf diesem Feld inzwischen Bewegung. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustimmung von Ursula Helmhold [GRÜNE])

Danke schön, Frau Ministerin. - Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Beratung.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung. Der Antrag soll zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit und zur Mitberatung an den Ausschuss für Inneres und Sport sowie an den Ausschuss für Haushalt und Finanzen überwiesen werden. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Stimmenthaltungen? Die sehe ich nicht. Dann ist einstimmig so beschlossen worden.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. Egal, ob Sie ihn beim Vortragsabend der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen oder sonst wo verbringen: Morgen früh um 9 Uhr sehen wir uns hier wieder. Guten Abend!

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss der Sitzung: 19.22 Uhr.