Protokoll der Sitzung vom 19.11.2004

(Zuruf von der SPD: Das ist nicht in Ordnung!)

Das ist Bundesrecht. Dass das natürlich den einen oder anderen zu Steuerhinterziehung verführt, der sich fragt: „Warum muss ich denn hier 9 Prozentpunkte mehr an den Staat abführen, obwohl ich mehr Arbeit damit habe?“, ist das Problem.

Wir kontrollieren das. Wir können es aber nur kontrollieren, indem wir unsere Beamten neben das Lokal setzen und sie Striche machen lassen: Wie viel wird im Lokal verzehrt, und wie viel wird nach draußen getragen? Das machen wir, Frau Kollegin, und zwar mit großem Erfolg, es ist aber sehr arbeitsintensiv. Für die Prävention ist das jedoch erforderlich. Das machen wir natürlich nicht vor laufender Fernsehkamera, weil sonst selbst der Dümmste merkt, dass er überwacht wird.

Der nächste Punkt sind die Karussellgeschäfte. Das haben Sie richtig angesprochen. Karussellgeschäfte sind möglich, weil wir die Soll-SollBesteuerung haben. Das heißt: Wenn ein Unternehmer für 1 Million Euro Ware bestellt hat, dann sind darauf 160 000 Euro Mehrwertsteuer fällig. Er kann dann zu seinem Finanzamt gehen, die Rechnung über 1 160 000 Euro vorlegen und darum bitten, ihm die Mehrwertsteuer von 160 000 Euro zu erstatten. Sie wird ihm dann auch erstattet, und zwar ohne dass eine Prüfung stattzufinden hat, ob die Mehrwertsteuer überhaupt schon bezahlt worden ist; denn das Gesetz geht davon aus, dass derjenige, der die Rechnung gestellt hat, die 160 000 Euro bereits überwiesen hatte.

Bei den Ehrlichen ist das auch kein Problem. Ein Problem entsteht erst dann, wenn in dieser Kette ein Unehrlicher sitzt. Und wenn das Geschäft dann auch noch über nationale Grenzen hinaus organisiert ist, dann ist es schwer zurückzuverfolgen. Dann kann es passieren, dass Umsatzsteuer erstattet wird und der Unehrliche damit stiften geht, wie es Frau Peters richtig gesagt hat.

Dem kommen wir nur entweder mit einer Ist-IstBesteuerung oder mit den anderen Verfahren bei, die wir in der Finanzministerkonferenz gerade beschlossen haben zu prüfen.

Und jetzt trifft wieder das zu, was ich Ihnen zu Rosdorf gesagt habe. Im Regelfall ist es schöner zu regieren, als in der Opposition zu sitzen. Sie können das aber gar nicht beurteilen, weil Sie das noch nie erlebt haben und wahrscheinlich auch nicht erleben werden. Ich aber habe es erlebt. Es gibt nur in einem Fall, in dem man es als Opposition oder als Gewerkschaft leichter hat als die Regierung: Wenn man in der Opposition sitzt, dann hat man eine höhere Verleumdungskompetenz.

(Beifall bei der CDU - Stefan Wenzel [GRÜNE]: Darunter leiden Sie aber nicht!)

Herr Wenzel, als Opposition können Sie sagen, dass in Göttingen schwarzgearbeitet wird, ob es stimmt oder nicht. Sie können sagen, dass Steuern hinterzogen oder Karussellgeschäfte getätigt werden.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Sie wider- sprechen sogar dem Radio Vatikan!)

Aber wenn ich als Mitglied der Landesregierung sage, dass in der und der Firma ein Karussellgeschäft stattfindet, dann muss ich das beweisen können. Das ist das Problem.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Was haben Sie denn mit Herrn Bartling gemacht!)

Wir sind gerade wieder dabei, Karussellgeschäfte aufzudecken, Herr Wenzel. Aber wenn wir dann die Umsatzsteuer nicht erstatten, weil wir den begründeten Verdacht haben, dass Karussellgeschäfte stattfinden, und weil wir Schaden vom Fiskus abwenden wollen, dann erhalten wir Briefe aus verschiedenen Landtagsfraktionen - völlig uninteressant, aus welchen -, in denen gefragt wird: Warum stellt sich das Finanzamt da quer? Daran hängen 200 Arbeitsplätze. Das kann doch nicht sein!

Wenn unsere Mitarbeiter die Umsatzsteuer nicht erstatten und die Firma dabei pleite gehen kann, dann müssen wir beweisen können, dass ein strafbares Karussellgeschäft stattgefunden hat. Deshalb müssen wir sehr sorgfältig recherchieren und arbeiten.

Und deshalb können wir als Regierung uns eben nicht wie die Gewerkschaft oder die Opposition einfach hinstellen und sagen, dass da etwas passiert. Wir müssen es auch beweisen. Wenn wir es beweisen können, dann greifen wir hart durch. Wir haben auch schon erhebliche Umsätze erzielt. Wir sind gerade wieder dabei, ein Karussellgeschäft aufzudecken. Aber das unterliegt dem Steuergeheimnis, und deshalb werde ich Ihnen das hier nicht nennen.

Das, was in Ihrem Entschließungsantrag steht, ist zum Teil schön und richtig. Aber weil wir das bereits machen, braucht das nicht beschlossen zu werden. Allerdings: Die Bundessteuerverwaltung kann nicht besser sein als eine Landessteuerverwaltung. Deshalb möchte ich wirklich einmal fragen: Wie kommen Sie denn auf die Idee, dass Herr Eichel das besser organisieren kann als wir Landesfinanzminister?

(Starker, anhaltender Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nach § 71 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung um zusätzliche Redezeit gebeten. Ich gewähre ihr drei Minuten.

(Zuruf von der CDU: Stefan, das hätte ich nicht gemacht!)

Herr Minister Möllring, dass Sie hier von einer höheren Verleumdungskompetenz der Opposition sprechen, ist schon etwas merkwürdig. Sie sind aus dem Verfahren, das Herr Bartling wegen Beleidigung gegen Sie angestrengt hat, nur deshalb herausgekommen, weil die Staatsanwaltschaft nicht unterscheiden konnte, ob Sie hier als Abgeordneter oder als Minister das Wort ergriffen haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wo ist denn das Urteil gegen einen Bundestagsabgeordneten, der wegen Steuerbetrug verurteilt wurde? - Ich würde es gerne schwarz auf weiß sehen und wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir das heute noch zustellen könnten. Ich sehe mir das dann an.

Ich habe hier die Erfahrung gemacht, dass Sie solche Vorwürfe immer dann erheben, wenn es in der Debatte einmal etwas enger und kritischer wird. Dann bringen Sie immer die persönliche Komponente hinein, dann kommt es zur persönlichen Beleidigung von Abgeordneten, die im Plenum sitzen, oder zu irgendwelchen anderen Verleumdungen. Das kann man machen, Herr Möllring, das kann man auch gut finden, und vielleicht klatscht dann ja auch noch jemand auf der rechten Seite des Hauses. Aber ich glaube nicht, dass uns dieser Stil in der Sache weiterbringt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich weiß nicht, wer von Ihnen heute Morgen die Welt gelesen hat. Dort ist das Ergebnis einer Umfrage dazu veröffentlicht, wie groß das Vertrauen der Bevölkerung in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik ist. Wir müssen uns alle gemeinsam mit der Frage auseinander setzen, warum das Vertrauen in die Politik und in die Wirtschaft in Deutschland so niedrig ist.

Ich meine, es macht keinen Sinn und trägt nicht dazu bei, dass man in der Sache vorankommt, wenn man sich immer nur persönliche Beleidigungen um den Kopf haut.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Zustimmung bei der FDP - Zu- ruf von der CDU: Sie sollten sich ein- mal Ihre Rede durchlesen!)

Ich habe auch bei Ihnen vieles gehört, das dazu beiträgt, dass wir vorankommen. Herr DammannTamke hat in seiner Rede vieles gesagt, was ich so unterschreiben kann.

(Hans-Werner Schwarz [FDP]: Insbe- sondere bei Frau Peters!)

Herr Minister Möllring, abgesehen von dem Einstieg, den Sie gewählt haben, hat aber auch Ihre Rede eine ganze Reihe von nachdenklichen Tönen enthalten. Ich meine, dass wir auf der Ebene weitermachen sollten. Ich hoffe - das ist nämlich

unser aller Verpflichtung -, dass wir die Lücken im Steuerrecht schließen können.

Was Ihren letzten Satz angeht, Herr Möllring: Ich will keine zentrale Bundessteuerverwaltung. Das können Sie unserem Antrag entnehmen, und das habe ich auch in meiner Rede gesagt. Wir wollen eine Bund-Länder-Fahndungsgruppe beim Bundesamt für Finanzen einrichten, in der Landes- und Bundesbeamte zusammenarbeiten. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Althusmann das Wort. Für vier Minuten!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Wenzel, vielen Dank dafür, dass Sie uns heute Morgen darüber unterrichtet haben, dass die deutsche Wirtschaft im Moment wenig Vertrauen in die Zukunft Deutschlands hat. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Dafür hat die deutsche Wirtschaft auch einen Grund. Dieser Grund liegt in Berlin, und zwar in der tagtäglichen chaotischen Steuerpolitik dieser Bundesregierung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Stefan Wenzel [GRÜNE]: Ich habe von der Bevölkerung gesprochen!)

Meine Damen und Herren, Steuerbetrug und Steuervermeidung haben eine Ursache. Wer den Menschen in Deutschland tagtäglich mit Ökosteuer - 7,6 Milliarden Euro -, mit Tabaksteuer, mit erhöhter Versicherungssteuer - 7 % - und mit erhöhten Krankenkassenbeiträgen zusätzlich in die Tasche greift, der darf sich nicht darüber wundern, dass die Menschen darüber nachdenken, wie sie Ihnen irgendwie entkommen können, lieber Kollege Wenzel.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Briese?

Gerne doch!

Bitte!

Herr Althusmann, sagen Sie mir doch einmal genau: Wie hoch war der Spitzensteuersatz zuzeiten der Kohl-Regierung, und wie hoch ist er heute? Wie hoch war der Eingangssteuersatz zuzeiten der Kohl-Regierung, und wie hoch ist er heute? Wie hoch lag das steuerfreie Existenzminimum zuzeiten der Kohl-Regierung, und wie hoch liegt es heute? Sagen Sie das bitte dem Plenum ganz genau, und dann korrigieren Sie bitte die Aussagen, die Sie hier gerade gemacht haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Lieber Kollege Briese, keiner anderen Bundesregierung außer der von Helmut Kohl ist es gelungen, die deutsche Einheit nicht nur zustande zu bringen, sondern auch die notwendigen Finanzierungen nach vorne zu bringen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Lieber Kollege Briese, noch nie zuvor lag die Quote der volkswirtschaftlichen Einkommensbelastung in Deutschland bei 60 Cent pro Euro. Das haben Sie in Ihrer Regierungszeit zu verantworten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, Umsatzsteuerbetrug ist kein Kavaliersdelikt. Die dadurch verursachten Einnahmeausfälle von 2 Milliarden Euro gilt es sehr ernst zu nehmen. Ich will auf das hinweisen, was diese Landesregierung unternommen hat. Wir haben die Anzahl der Prüfer in diesem Bereich um 170 erhöht. Die Sonderprüfungen in Niedersachsen wurden inzwischen mehr als verdreifacht.

(Zuruf von der CDU: Hört, hört!)

Lieber Kollege Wenzel, lieber Kollege Aller, mir tränten ja fast die Augen, als ich Sie hier reden hörte. Sie beklagen den Stellenabbau in den Finanzämtern. Dabei waren Sie es, die seinerzeit gesagt haben, in den Finanzämtern werden 1 000 Stellen abgebaut. Die Zielvereinbarung 1, die wir in Höhe von 1 095 Stellen noch erbringen müssen, stammt doch aus Ihrer Regierungszeit. Heute jedoch vergießen Sie hier Krokodilstränen und wer

fen uns vor, es gebe nicht mehr genügend Leute in den Finanzämtern. Das ist schon etwas unglaubwürdig.