Und es wird Zeit, dass wir endlich ein Schulsystem schaffen, in dem alle Begabungsreserven jedes einzelnen Kindes ausgeschöpft werden. Sie plappern ja neuerdings so gern das finnische Motto nach: Keiner darf verloren gehen! - Dann handeln Sie auch endlich danach: Lassen Sie keine Kinder auf der Strecke, vor allem nicht die schwächsten, und fördern Sie die stärksten genauso.
Herr Schwarz hat vorhin ein nettes Zitat zur SPD gebracht. Zur FDP ist mir auch etwas eingefallen, Herr Schwarz: „F“ wie „frei von jeder Verantwortung für die Schwächsten“, „D“ wie „demokratisch bedenklich“ und „P“ wie „pädagogisch ahnungsund fantasielos“.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin der FDP-Fraktion außerordentlich dankbar, dass sie das Thema PISA-Missbrauch auf die heutige Tagesordnung gesetzt hat. Es war in den letzten Wochen - als die PISA-II-Studie noch gar nicht auf dem Markt war - schon wundersam, wer sich da alles geäußert hat. Man kann auch mit Wilhelm Busch sprechen: „Wo gerade, wenn man nichts versteht, der Schnabel um so leichter geht.“ - So war es dann auch.
Lassen Sie mich in diesem Kontext einige Feststellungen treffen. Die erste Feststellung: Wenn wir über Niedersachsen reden, Herr Kollege Jüttner, so waren die Ergebnisse aus PISA 2003 die Ergebnisse von 13 Jahren roter oder rot-grüner Regierung.
Um es noch einmal klarzustellen - das ist mein Hauptanliegen -: PISA taugt nicht für irgendwelche Systemdebatten. Das haben Professor Baumert und all die anderen immer und immer wiederholt. Ich verstehe nicht, warum sich Herr Schleicher und Frau Bulmahn das nicht zu Eigen machen. Ich zitiere noch einmal aus der jüngsten Studie. Darin steht ausdrücklich:
„Kein Zusammenhang besteht zwischen dem Differenzierungsgrad des Schulwesens und dem Kompetenzniveau.“
In diesem Zusammenhang kann ich auch nur davor warnen, immer solche tollen Vergleiche zu Ländern anzustellen, wo das alles so wunderbar ist. Wenn ich auf die skandinavischen Systeme
schaue: Finnland ist wirklich absolut Spitze, aber Schweden und Norwegen sind kaum besser, zum Teil sogar schlechter als Deutschland. Wenn ich nach Hongkong und in die Schweiz sehe: Dort sind die Ergebnisse deutlich besser als in Deutschland, beide Länder befinden sich in der Spitzengruppe; und das bei einem extrem gegliederten Schulwesen. Wenn ich nach Japan und Korea schaue: Beide Länder haben, mit Verlaub, fast paramilitärische Schulsysteme. Dort gibt es die höchsten Selbstmordraten unter den Schülerinnen und Schülern. Sollen wir von dort etwas kopieren? - Ich warne also davor, immer nur in die Ferne zu gucken und zu sagen, wir müssten hier unsere Hausarbeiten machen.
Noch einmal zu Finnland, Herr Kollege, und das ist hoch interessant: In Deutschland beträgt die Jugendarbeitslosigkeit 9,7 %. Das sind sicherlich 9,7 % zu viel. In Finnland müsste das nun ja alles ganz anders sein. Aber ich habe gehört, dass die Jugendarbeitslosigkeit dort 21 % beträgt. Wie geht das denn zusammen? Das verstehe ich dann nämlich nicht.
Und nun zu dieser Wunderwaffe, die bei Ihnen „Gesamtschule“ und bei anderen „Einheitsschule“ heißt. Dazu kann ich nur Folgendes sagen: Wenn wir PISA betrachten, dann haben dort die Integrierten Gesamtschulen im Gesamtniveau zwischen den Haupt- und Realschulen gelegen. Ist das Ihr Ziel, meine Damen und Herren von SPD und Grünen?
Oder schauen wir uns einmal die Längsschnittuntersuchung betreffend Hamburg an. Dort haben die Gymnasiasten gegenüber den Gesamtschülern der 11. Klasse einen Lernvorsprung von zwei Schuljahren. Woran liegt das denn wohl? - Ich kann nur davor warnen, immer zu sagen, die Gesamtschule müsse her.
Sollen wir jetzt etwa, wie es in Schleswig-Holstein gefordert wird und wie ich Sie immer erlebe - Sie sind da ja etwas diffuser -, die Einheitsschulen einführen? - Herr Jüttner, die Neue Presse hat dazu neulich geschrieben: „Mit alten Hüten in neuen Tüten kommt man jedenfalls nicht weiter. Setzen, 6, Herr Jüttner!“ Jetzt weiß ich auch, warum Sie die Noten abschaffen wollen.
Ich erinnere mich noch daran, wie mich die linke Seite des Hauses vor drei oder vier Monaten gefragt hat, wie ich es wohl mit dem Elternwillen halte oder ob wir etwas infrage stellten, wie auch immer. Dazu kann ich nur sagen: Machen Sie Ihre Einheitsschule, und dann findet der Elternwille in Niedersachsen gar nicht mehr statt.
Wir werden uns dem entgegenstellen. Niedersachsen ist das Land des freien Elternwillens. Wir haben darin eine Kultur wie kein anderes Bundesland und etwas zu verteidigen.
Nun noch einige Sätze zu Frau Bulmahn und zur Bundespolitik. Ich halte das, was auf Bundesebene gemacht wird, für verantwortungslos.
Der Bund ist nicht zuständig, aber zweieinhalb Wochen, bevor PISA überhaupt auf den Markt kommt, werden schon wieder die großen Strukturmodelle, abgesprochen zwischen Frau Bulmahn, Herrn Schleicher und wer sich sonst noch beteiligt - auch hier im Lande -, verkündet. Das ist nicht in Ordnung, denn das bringt die Schulen durcheinander. Das ist nicht redlich. Ich halte das für eine Gaukelei.
In diesem Zusammenhang ist mir eine alte Zigarettenwerbung aus den 50er- oder 60er-Jahren eingefallen: Sie erinnern sich sicherlich noch an dieses Karikaturmännchen. Es hatte ein Problem, ging an die Decke, und dann kam die Stimme aus dem Hintergrund - heute kommt sie von Frau Bulmahn -: Wer wird denn gleich in die Luft gehen? Greife lieber zur Einheitsschule, dann geht alles wie von selbst: Keine Anstrengung mehr, keine Leistung mehr, keine Noten mehr, kein Sitzenbleiben mehr, kein Stress mehr, ein Superabschluss für alle.
(Bernd Althusmann [CDU]: Einheits- schule verleiht Flügel! - Wolfgang Jüttner [SPD]: So einen Unfug habe ich schon lange nicht mehr gehört!)
Herr Jüttner, Sie meinen es sicherlich nicht so einfach, wie es suggeriert wird. Es ist ein Bündel von Einzelmaßnahmen erforderlich. Einiges ist schon angesprochen worden, z. B. die Sprachförderung, die wir neuerdings schon in den Kinderta
gesstätten beginnen lassen, verbunden mit einem wahnsinnigen Finanzaufwand: allein 14 Millionen Euro für zusätzliche Stellen. Das Geld ist aber gut angelegt.
(Wolfgang Jüttner [SPD]: Und dann kürzen Sie gerade aus unseren Pro- grammen, lieber Herr Minister!)
- Was ist denn Ihr Programm? Sie haben die Sprachförderung ins Gesetz geschrieben, aber vergessen, die Stellen bereitzustellen. Das dürfen wir doch, bitte sehr, erledigen. Deswegen machen Sie mal halblang!
(Beifall bei der CDU - Zuruf von der SPD: Das ist doch wohl nicht wahr! Das ist eine Unverschämtheit!)
Wir machen Sprachförderung, wir machen mehr Unterricht. In Kürze wird es das individuelle Förderkonzept geben. Die Hochbegabtenförderung machen wir schon. Auch Abitur nach Klasse 12 machen wir. Es gibt ein Hauptschuloptimierungsprogramm. Darüber werden wir gleich noch diskutieren.
Es gibt mehr Ganztagsschulen. Ich habe in 18 Monaten davon mehr genehmigt als Sie in Ihrer gesamten Regierungszeit.
Meine Damen und Herren, es geht um ein Bündel von Einzelmaßnahmen und nicht um eine abstrakte Systemdebatte nach dem Motto: „Alles geht von selbst.“ Bei diesem Bündel von Einzelmaßnahmen können Sie sich jederzeit einbringen. Sie kennen mich als einen Pragmatiker. Ich bin jederzeit bereit, Ihre Vorschläge aufzunehmen. Aber nicht auf diese einfache Tour, wie es Frau Bulmahn und einige andere handhaben wollen.
Außerdem möchte ich den Berlinern sagen: Macht nicht immer das deutsche Schulwesen, das in der Zuständigkeit der Länder liegt, schlecht! Unsere Gymnasien schneiden - auch im internationalen Vergleich - durchweg sehr gut ab. Wollen wir das durch eine Einheitsschule gefährden? Vor drei, vier Wochen gab es eine Befragung durch das Institut der mittelständischen Wirtschaft. Danach nehmen Niedersachsens Gymnasien Platz 2 im Bundesranking ein. Haben Sie das nicht gelesen? - Auch das muss man einmal sagen dürfen.
Unsere Berufsschulen erbringen gute Ergebnisse. Die Alltagskompetenz der Schülerinnen und Schüler ist in Ordnung.
(Sigmar Gabriel [SPD]: Herr Buse- mann, trifft das auch auf unsere Re- gierungszeit zu? Das war aber auch in unserer Regierungszeit!)
Ich will auf Folgendes hinaus: Es macht mir große Sorge, dass man meint, alle Probleme rund um PISA, die niemand bestreitet, könnte man mit einer Einheitsschule-Systemdebatte mal eben so beiseite schieben, und so tut, als sei man der große King in der Bundesbildungspolitik.
Noch ein Vorschlag: Wenn Frau Bulmahn meint, sie müsste die Bildungspolitik befördern - ich erinnere an die Diskussion über die Ganztagsschulen -, dann kann man auf Bundesebene doch ganz einfach die Umsatzsteueranteile für die Länder erhöhen und mit einer Zweckvereinbarung verbinden. Damit würden die Länder dann Bildungspolitik machen. Fangen Sie doch einfach einmal damit an, bevor Sie solche Ratschläge loslassen. - Danke schön.
Weitere Wortmeldungen zu Tagesordnungspunkt 1a liegen mir nicht vor. Ich stelle fest, dass dieser Tagesordnungspunkt damit erledigt ist.