Protokoll der Sitzung vom 04.04.2003

Nun kommen wir zu

Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung: Liberalisierung der Trinkwasserversorgung stoppen - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/66

Zur Einbringung dieses Antrages erteile ich Frau Steiner das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die WTO in Genf wartet derzeit auf Post aus Brüssel. Das Thema: Die Mitgliedsländer der WTO sollen ihre Liberalisierungsangebote für die laufende Verhandlungsrunde über den Dienstleistungssektor auf den Tisch legen.

Nach den bisher bekannten Verhandlungspositionen der EU-Kommission ist vorgesehen, die

Dienstleistung Trinkwasserversorgung in das Liberalisierungspaket aufzunehmen. Vereinbarungen hierzu würden tief in die Innenpolitik der Nationen eingreifen und auch in den deutschen Bundesländern wesentliche Strukturen tief greifend verändern. Bisher wird der Wasserbereich als grundlegende Aufgabe der staatlichen Daseinsvorsorge wahrgenommen. Mit der Debatte über unseren Antrag wollen wir dazu beitragen, dass diese Daseinsvorsorge als staatliche Verpflichtung erhalten bleibt. Wir wollen sicherstellen, dass der Staat für den Zugang zu Wasser, für die Verteilung und für den Erhalt der Ressourcen verantwortlich ist.

Würde man auch im Bereich der Trinkwasserversorgung uneingeschränkte Liberalisierung verordnen, so würde Wasser nicht mehr als Lebensmittel von höchstem Rang behandelt, sondern als eine Handelsware und als Objekt des Welthandels. Die Bestrebungen, mit dem Welthandelsabkommen über den Dienstleistungssektor GATS den internationalen Wassermarkt liberalisieren zu wollen, werden sich vor allem für die Länder des Südens und für die Schwellenländer verheerend auswirken.

Wird die Vergabe von Krediten durch die Weltbank an die Öffnung von Märkten, in diesem Fall an die Öffnung des Wassermarkts, geknüpft, werden davon vor allem die multinationalen Konzerne aus den USA und der EU profitieren.

Sie alle wissen: Nach den bisherigen Prognosen wird Wasser bis zum Jahre 2025 weltweit zur Mangelware werden. Bereits jetzt sind 60 % der Weltwasserbestände im Besitz von neun Staaten, und 80 Länder leiden unter Wassernot. Wasserknappheit, Grundwasserübernutzung, folgende Senkung des Grundwasserpegels sowie Wasserverschmutzung stellen gerade viele Länder des Südens vor riesige Aufgaben, wenn sie Wasserversorgung und Gesundheit der Bevölkerung auf einem Mindestniveau sichern wollen.

Trinkwasserknappheit stellt nach Auffassung der UNO-Menschenrechtsorganisation in Zukunft die größte Bedrohung dar, der die Menschheit je ausgesetzt war. Kofi Annan hat deshalb gute Gründe, wenn er das Menschenrecht auf Wasser postuliert. Es handelt sich aber keineswegs um einen Anfall von Gutmenschentum in Bezug auf die Länder des Südens, wenn wir dieses Thema hier im Niedersächsischen Landtag aufgreifen und die Liberalisierung und völlige Privatisierung ablehnen.

Auch die Wasserversorgungsstrukturen in Deutschland und in Niedersachsen würden einer tief greifenden Umstrukturierung unterworfen. Seit drei Jahren wird in Deutschland über die Liberalisierung und Privatisierung des Wassermarktes diskutiert. Bisher hat das GWB, das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, als Ausnahme einen Gebietsschutz festgelegt. Damit wird die Grundlage der regionalen Strukturen der Trinkwasserversorgung gesichert.

Die großen Energiekonzerne sind allerdings schon längst dabei, den Markt aufzurollen. Es gibt genügend Kommunen, die wegen chronischer Geldknappheit ihre Stadtwerke oder ihre Wasserwerke an große Konzerne oder deren Töchter - wie z. B. Gelsenwasser - veräußern. E.ON steigt gerade groß in den hessischen Wassermarkt ein. Eurowater, Vivendi, Suez Lyonnaise des Eaux streben nach größeren Anteilen als bisher am 25-MilliardenWassermarkt in Deutschland.

Bisher ist in Niedersachsen die Qualität des Trinkwassers durchwegs sehr gut, die regional verfügbare Wassermenge ist ausreichend, die Anlagenqualität ist am höchsten, und die Wasserverluste in Anlagen und Leitungen sind am geringsten. Im internationalen Vergleich der Industrieländer liegt der Verbrauch in Deutschland im unteren Drittel.

Wir Grüne wollen, dass diese Position erhalten wird. Dazu müssen die regionalen Versorgungsstrukturen bestehen bleiben und muss der uneingeschränkten Liberalisierung und Privatisierung ein Riegel vorgeschoben werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das ist die Basis, um die bisherige Qualität und Versorgungssicherheit zu erhalten. Nur so kann gesichert werden, dass im Wasserbereich Ressourcenmanagement betrieben wird statt Schadstoffentsorgung. Nur so können die Preise für die Verbraucher stabil gehalten werden.

Ich möchte das zusammenfassen: Wir wollen die Rahmenbedingungen erhalten, um eine nachhaltige Wasserbewirtschaftung auch in Zukunft betreiben zu können.

Warum sind diese Rahmenbedingungen nicht mehr gegeben, wenn der Markt völlig freigegeben wird, wenn der Gebietsschutz aufgehoben wird? - Viele der bei der Wasserversorgung erbrachten Leistungen für den Natur-, Umwelt- und Gesundheits

schutz werden bei einem liberalisierten Wassermarkt zurückgefahren werden oder ganz entfallen.

Naturgemäß ist die Zielsetzung großer Energieund Wasserkonzerne an anderen Zielen ausgerichtet als Daseinsvorsorge und Nachhaltigkeit. Sie arbeiten nach unternehmerischen Grundsätzen. Eine angemessene Rendite muss erzielt werden, hoher Umsatz - in diesem Fall hoher Wasserverbrauch - und Zwang zur Kostenminimierung sind Grundlagen des unternehmerischen Handelns. Solche Zielvorgaben können aber im Bereich der Versorgung mit Wasser, dem Lebensmittel Nummer eins, nicht bestimmend sein. Es kann nicht sein, dass wesentliche Entscheidungen über die Qualität der Wasserversorgung an der Börse getroffen werden,

(Beifall bei den GRÜNEN)

und wir können nicht zulassen, dass Shareholder Value auch noch in der Küche und gegebenenfalls am Klo regiert.

Das heißt natürlich nicht, dass sich die Wasserwirtschaft in Deutschland schon in Bestform befindet. Das gilt auch für Niedersachsen. Auch die kommunale Wasserwirtschaft muss zu Kooperationen und Fusionen kommen, um Synergieeffekte zu erzielen. Dezentrale Anlagen müssen organisatorische Verbünde eingehen, um den Personaleinsatz zu senken. Benchmarking ist auch in diesem Bereich angesagt. Die Aufgabe heißt: Umbau zu effizienten und kundenorientierten Dienstleistungsunternehmen, die sich einer nachhaltigen, ökologisch ausgerichteten Gewässerbewirtschaftung verpflichtet fühlen.

In der politischen Konsequenz bedeutet das: Wir erwarten von der Landesregierung, dass sie in Niedersachsen eine regional orientierte und nachhaltige Wasserpolitik fortsetzt und weiterentwickelt. Wir haben die Grundsätze in unserem Antrag genannt. Die Trinkwasserversorgung bleibt Teil der Daseinsvorsorge der Kommunen und Regionen, das System der Gebietsmonopole und das Prinzip der Regionalität bleiben erhalten, die Kooperation der Trinkwasserunternehmen untereinander wird gefördert, und die Trinkwasserunternehmen werden bei der Einführung neuer Techniken durch das Land unterstützt.

Auf nationaler Ebene und auf EU-Ebene bedeutet das: Die Bundesregierung wird bei ihrem Bemühen unterstützt, die Verhandlungsposition der EU so festzulegen, dass eine globale Liberalisierung der

Trinkwasserversorgung nicht durchgesetzt wird. Wir erwarten, dass entsprechend dem Prinzip der Subsidiarität die Stellungnahmen demokratischer Organe der Staaten der EU - wie des Bundestages, aber auch der Landtage der Bundesländer - entsprechend berücksichtigt werden. Denn es ist vor allem ein regionales Interesse der Bevölkerung der EU, wie die Organisation und Struktur der Trinkwasserversorgung ausgestaltet werden.

Der Deutsche Bundestag hat vorgestern zu diesem Thema beraten und wird auf die Positionsfindung der EU-Kommission via Bundesregierung und insofern auch auf die Festlegung der Position Einfluss nehmen. Da jetzt genau der Zeitraum ist, in dem das entschieden wird, ist es auch notwendig, dass sich der Niedersächsische Landtag auf die Position verständigt, die wir in unserem Antrag formuliert haben. Deshalb, meine Damen und Herren, bitten wir alle Fraktionen um Unterstützung. Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Haase, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema Wasser ist in der Tat eine der zentralen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte. Das wird uns nicht nur alljährlich durch den Internationalen Tag des Wassers am 22. März - das war vor einigen Wochen - vor Augen geführt.

Aber wir müssen bei diesem Thema sehr sorgfältig unterscheiden; denn es hat eine nationale und eine internationale Komponente. Dies wird auch in dem vorliegenden Antrag der Grünen sehr deutlich.

Die nationale Komponente ist ein relativ einfaches Spiel, fast ein Heimspiel, würde ich sagen. Die Wassermenge in Deutschland ist mehr als ausreichend, die Wasserqualität ist unbestritten gut, die Versorgung funktioniert zuverlässig, die Netzverluste sind minimal, und die Preise sind in Relation zum durchschnittlichen Familieneinkommen in letzter Zeit weder nennenswert gestiegen, noch liegen sie im internationalen Vergleich in schlechter Position.

Dazu kommt, dass in den letzten Jahren das ökologische Verbraucherverhalten wirklich massive Konsequenzen nach sich gezogen hat, sodass wir

im internationalen Vergleich unter den entwickelten Industriestaaten neben Belgien mittlerweile am wenigsten Wasser verbrauchen.

Natürlich gibt es in der Realität den Wettbewerb um Beteiligungen an Wasserversorgungsunternehmen oder den Kauf solcher Unternehmen, und natürlich muss über die Entwicklung im Bereich der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung nachgedacht werden.

Aus dem zunehmenden Wettbewerbsdruck resultiert ein Trend zur Vergrößerung der Organisationseinheiten, der idealerweise in einer gemeinsamen Anstrengung der Unternehmen der Wasserwirtschaft zu mehr Kooperation auf den Geschäftsfeldern mündet, die in den kleinen Unternehmen nicht oder nur schwer erfüllt werden können.

Es wäre unserer Meinung nach der sinnvollste Weg, mit der guten Tradition der deutschen Wasserwirtschaft die eigene Zukunft zu gestalten, nicht aber - das sage ich hier in aller Deutlichkeit - mit einer erneuten, quasi zwanghaften Liberalisierungsdebatte die gewachsenen und effektiven Strukturen gerade der regionalen Anbieter – Niedersachsen als ein Wasserland hat sehr viel davon zu zerschlagen.

Wenn nun der neue Umweltminister, Herr Sander - ich gehe davon aus, mit der vehementen Unterstützung seiner Partei und seines Kollegen Hirche -, die Debatte um die Liberalisierung, ja Privatisierung der Wasserversorgung erneut forciert, so tut er dies quasi - entschuldigen Sie das harte Wort - unter Missachtung der niedersächsischen Interessen - zumindest so, wie ich sie sehe - und auch der deutschen und europäischen Interessen.

Ich möchte in diesem Zusammenhang nur auf den Beschluss der Innenministerkonferenz vom 5. Mai 2000 in Düsseldorf hinweisen - übrigens eine Beschlussvorlage der CDU-regierten Bundesländer. Die Innenminister der Länder sprachen sich nachdrücklich dafür aus, an den Wettbewerbsbeschränkungen - Frau Steiner sagte es vorhin schon - festzuhalten. Ich zitiere:

„Die Aufhebung der genannten Vorschriften würde zu einer Zerschlagung der bestehenden kommunalen Wasserversorgungsstrukturen und damit zu einer Gefährdung der kommunalen Selbstversorgung führen. Außerdem sei Wasser kein Wirtschaftsgut, sondern ein Lebensmittel, bei dem die

hohen Standards der Trinkwasserversorgung einzuhalten sind.

Die deutschen Umweltminister“

- Herr Sander, hoffentlich jetzt nicht mit einer Ausnahme

„stehen und standen auf dem Standpunkt, dass die Verankerung der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung im Rahmen der kommunalen Daseinsvorsorge nicht zur Disposition gestellt werden darf,“

(Beifall bei der SPD)

„sei es auf Bundes-, sei es auf europäischer Ebene.“

Dem habe ich - für die nationale Seite - nichts hinzuzufügen.

Meine Damen und Herren, in dem Antrag der Grünen wird auf die derzeit laufenden Verhandlungen der EU zum GATS-Abkommen hingewiesen. An dieser Stelle kommt die internationale Dimension des Themas Wasser ins Spiel. Bisher steht ein Angebot, die Liberalisierung der Wasserversorgung seitens der EU in die Verhandlungen mit aufzunehmen, eigentlich nicht ernsthaft zur Debatte. Dies wurde sowohl vonseiten der EU-Kommission als auch von Europaabgeordneten bestätigt.

Meine Damen und Herren, auch wenn wir uns in Europa und in Deutschland aus guten Gründen gegen eine Liberalisierung der Wasserversorgung aussprechen, kann dies aus Sicht der Entwicklungsländer völlig anders beurteilt werden. Die Zahlen schwanken, aber es ist relativ unstrittig, auch hier im Hause, dass 20 bis 25 % der Weltbevölkerung kein Trinkwasser oberhalb der notwendigen Untergrenze und in der notwendigen Qualität zur Verfügung haben. Es ist ebenso unstrittig, dass die Hälfte der Weltbevölkerung an keine Abwasserbehandlungssysteme angeschlossen ist. Vor diesem Hintergrund wundert es auch nicht, dass verschmutztes Wasser weltweit die Hauptursache für Krankheiten ist. Im Zuge der Bevölkerungsentwicklung gibt es mittlerweile Regionen, wo eklatanter Wassermangel herrscht und wo das Fehlen des Wassers nicht nur massive soziale Probleme aufwirft. Wasser, meine Damen und Herren, ist der Schlüssel für wirtschaftliche Dynamik und für die Gewährleistung von Lebensqualität. Wo das fehlt, fehlen auch die Lebenschancen,

die Lebensperspektiven. Ich will darauf hinweisen - auch wenn dies angesichts der aktuellen Situation vielleicht makaber klingt; so ist es aber nicht gemeint -, dass in dieser Welt mehr Menschen an Armut sterben, häufig verbunden mit schlechten Wasserqualitäten, als in den vielen Kriegen, die es zurzeit gibt.

Deshalb wird die Frage der sozialen Befriedung der Welt vorrangig auch darüber organisiert, ob wir der Bevölkerung dort, wo sie heute lebt, eine Chance zum Überleben zur Verfügung stellen. Wir reden manchmal über Wirtschaftsflüchtlinge in Diskussionen auch im Innenausschuss. Aber wenn der Status quo fortgesetzt wird, dann reden wir in zwei, drei Jahrzehnten, vielleicht schon eher, auch über Wasserflüchtlinge.