Protokoll der Sitzung vom 25.02.2005

Ebenso kurzsichtig ist die kritische Haltung von Ministerpräsident Wulff zur Regionalplanung, die seit seiner Regierungsübernahme ein Schattendasein führt, statt sie als gestaltendes Instrument zur übergreifenden Klärung sich widersprechender Entwicklungswünsche in den Regionen zu stärken. Wer zukünftig allen Bürgern und Bürgerinnen eine ausreichende Grundversorgung sichern will,

braucht im demografischen Umbruch die Möglichkeit zur Beschränkung auf das in zentralen Orten Bezahlbare. Dabei sind die bisherigen zentralen Orte sowohl auf ausreichende Präsenz in der Fläche als auch auf unwirtschaftliche, redundante Doppelungen zu überprüfen.

Auch bei der Verkehrsinfrastruktur wird der demografische Wandel neue Denkweisen erzwingen. Die unterfinanzierte Bauunterhaltung der vergangenen Jahrzehnte wird schon in wenigen Jahren alle verfügbaren öffentlichen Ressourcen binden und manche unsinnigen Bauprojekte wie die A 22 unmöglich machen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist nämlich einfach nicht sinnvoll, neue Autobahnen zu bauen, wenn man das vorhandene Straßennetz schon nicht mehr in Ordnung halten kann. Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger jedenfalls nicht zusätzlich durch höhere Steuern oder eine PKW-Maut zur Kasse bitten, damit jene Luftschlösser trotz Bevölkerungsrückgangs noch reifen. Die Menschen, die auf jenen Autobahnen fahren sollen, sind dann ja gar nicht mehr da.

(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Sie ha- ben keine Ahnung! Im Elbe-Weser- Dreieck gibt es Bevölkerungswachs- tum! Das wissen Sie wohl gar nicht?)

Kreatives Umdenken wird von uns aber auch beim öffentlichen Personennahverkehr gefordert sein. Gute Anbindungen bleiben nur dort finanzierbar, wo sich die Siedlungsstruktur konsequent darauf ausrichtet. Alle weiteren Zersiedlungstendenzen müssen zum Schutz der kommunalen Kassen, aber auch zum Schutz der Häuslebauer, deren entlegene Liegenschaften vielleicht schon in 20 Jahren unverkäuflich sein könnten, verhindert werden. In den dünn besiedelten Bereichen unseres Landes müssen wir den öffentlichen Nahverkehr ohnehin mit flexiblen und nachfrageorientierten Konzepten neu entwickeln. Dort droht uns schon bald, dass die Schülerbeförderung als Rückgrat dieses Verkehrs wegen der demografisch verursachten Rückgänge der Schülerzahlen nicht mehr zu bezahlen sein wird.

Es ist kontraproduktiv, diesen Entwicklungen in demografischen Schrumpfungsregionen mit Subventionen begegnen zu wollen. Das behindert die notwendige Eigeninitiative zur Umorganisation. Wenn sich allerdings tragfähige innovative Ansätze vor Ort entwickeln, ist eine temporäre Anschubfi

nanzierung auch in Zukunft unverzichtbar. Förderung mit der Gießkanne im ganzen Land ist aber in Zukunft sicherlich nicht mehr zu bezahlen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der demografischen Herausforderung müssen wir aktiv und planvoll begegnen. Dafür ist es erforderlich, durch die Beteiligung der Öffentlichkeit an der Erarbeitung der Lösungsansätze die Mitwirkungsbereitschaft und auch das Problembewusstsein zu steigern.

Andere Bundesländer sind auch auf diesem Feld weiter und haben, wie z. B. Schleswig-Holstein, bereits umfangreiche Strategiekonzepte erarbeitet. Wir können aufholen, wenn wir bei dem von uns vorgeschlagenen Fachsymposium zusammen mit den Kommunen, der Wirtschaft und den relevanten gesellschaftlichen Gruppen in allen Politikfeldern die in Niedersachsen demografierelevanten Aspekte und Gestaltungsmöglichkeiten erarbeiten und kommunizieren.

Die Steuerung der politischen, administrativen und gesellschaftlichen Gegenmaßnahmen zur Milderung der demografischen Auswirkungen ließe sich mit einem runden Tisch „die demografische Herausforderung gestalten“ effektiv und gesellschaftlich gut eingebunden erreichen.

Es wäre eine ungeheure Vergeudung von öffentlichen Mitteln und ein fataler Wettbewerbsnachteil für die Zukunft unseres Landes, wenn jetzt nicht sehr schnell gemeinsam steuernd auf die schon lange absehbaren Entwicklungen reagiert würde. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön. - Für die FDP-Fraktion hat sich der Kollege Oetjen zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Oetjen.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen von den Grünen, die Feststellung, die Sie in Ihrem Antrag treffen - „die demografische Entwicklung stellt das Flächenland Niedersachsen vor neue Herausforderungen“ -, ist eine Binsenweisheit und nun wirklich nicht neu.

(Beifall bei der FDP)

In einigen Regionen Niedersachsens haben wir eine positive Entwicklung. Als Beispiele nenne ich Südoldenburg, das Hamburger und Bremer Umland und auch Osnabrück. Sie haben gesagt, in Regionen mit schrumpfender Bevölkerung würden neue Verkehrsachsen keinen Sinn machen. Gerade im Elbe-Weser-Dreieck gibt es jedoch Bevölkerungswachstum, und gerade dort ist deswegen die A 22 sehr wichtig.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Andere Regionen Niedersachsens - ich denke an das ehemalige Zonenrandgebiet, den Harz und Südniedersachsen - wachsen in eine Altersstruktur hinein, die uns vor besondere Probleme stellt. Das sieht auch die FDP-Fraktion. Nicht umsonst gibt es im Oldenburger Münsterland das geflügelte Wort: „Im Harz werden die Betten vermietet, wir nutzen sie selber.“

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Das Problem der demografischen Entwicklung betrifft nicht nur die von Ihnen angesprochenen Politikfelder, sondern auch eine ganze Reihe weiterer, die zum Teil auch in der Verantwortung des Bundes liegen. Hierzu gibt es eine sehr gute aktuelle Studie des Pestel-Institutes hier aus Hannover, deren Lektüre ich nur empfehlen kann.

(Dorothea Steiner [GRÜNE]: Danke für den Hinweis! Wir kennen sie!)

Ihre Forderung zur Einrichtung eines Runden Tisches spiegelt typische grüne Denkstrukturen wider;

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Partizi- pation gesellschaftlicher Gruppen - das ist typisch für uns!)

frei nach dem Motto: Darüber müssen wir mal diskutieren. - Schon heute gibt es zahlreiche Initiativen der Landesregierung - ich nenne als Beispiele das Landesentwicklungsprogramm, die Schulreform, den interministeriellen Arbeitskreis für den ländlichen Raum -, die sich der Probleme, die Sie beschreiben, annehmen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Aus meiner Sicht brauchen wir eine aktive Beleuchtung der Auswirkungen des demografischen Wandels in allen Lebensbereichen. Dem müssen und dem wollen wir uns auch stellen. Leider habe ich den Eindruck, liebe Kolleginnen und Kollegen

von SPD und Grünen, dass sich SPD und Grüne im Bund diesem Thema nicht stellen. Anders kann ich mir den Stillstand im Bereich der Rentenreform und der Gesundheitsreform wahrlich nicht erklären.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wir werden im Ausschuss eine interessante Diskussion haben und dann sehen, was von Ihrem Antrag tatsächlich an Substanz übrig bleibt. - Vielen Dank.

Danke schön. - Für die SPD-Fraktion hat Frau Kollegin Stief-Kreihe das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erst in den letzten Tagen haben wir alle in unseren Fächern ein Heft der Bertelsmann-Stiftung zum Thema „Demografischer Wandel“ gehabt. Darin heißt es: Nach Jahrzehnten des kollektiven Ignorierens tritt der demografische Wandel heute zunehmend in das öffentliche Bewusstsein. Für mich ist das allerdings noch nicht genug der Fall, wenn ich die Diskussion auf den unterschiedlichsten Ebenen verfolge. Die Ursachen dieser Entwicklung sind bekannt - ich brauche darauf nicht groß einzugehen -: niedrige Geburtenquoten und daraus resultierende Geburtendefizite, gestiegene Lebenserwartung und dadurch Verschiebung der Altersstruktur.

Dieser Entwicklungsprozess findet auch in Niedersachsen statt, allerdings, im Bundesländervergleich betrachtet, insgesamt langsamer. Aber durch die sehr unterschiedliche Entwicklung - das ist schon angesprochen worden - in den Regionen haben wir in Teilen Niedersachsens, gerade im Westen des Landes - das stimmt Herr Oetjen -, steigende Bevölkerungszahlen auch in den nächsten Jahren. In anderen niedersächsischen Regionen verzeichnen wir schon seit Jahren Bevölkerungsrückgänge. Insgesamt gesehen bedeutet dies, positiv betrachtet, dass Niedersachsen noch mehr Zeit hat als andere Bundesländer, Antworten auf die Herausforderungen des demografischen Wandels zu suchen und zu finden. Diese Zeit muss man aber auch nutzen. Doch ob das wirklich passiert, da beginnen unsere Zweifel.

Man neigt allgemein dazu, die im Hinblick auf absehbare Entwicklungen notwendigen Handlungsstrategien auf später zu verschieben nach dem

Motto: Die Darstellungen sind übertrieben, es wird schon nicht so schlimm kommen, wir machen das schon - das war der Ansatz von Herrn Oetjen; in Wirklichkeit reagiert man nur auf aktuelle Zahlen -, bzw. wir haben noch Zeit, das dauert ja noch.

Dass wir keine Zeit haben, zeigen die Entwicklungen in Süd- und Nordostniedersachsen und an der Küste. Um die Problematik anschaulich zu machen, möchte ich einmal aus dem Statistischen Monatsheft vom August 2004 zitieren:

„Zunächst müssen Kindergärten, sodann Grundschulen geschlossen werden. Verbleibende Familien mit Kindern müssen überlegen, ob sie am Ort bleiben wollen. Jugendzentren werden überflüssig. Die Kosten für Straßeninstandhaltung, Abwasserbeseitigung u. Ä. steigen pro Kopf an. Da die Bevölkerungszahl sinkt, geht auch die Zahl der Arbeitsplätze der personenbezogenen Dienstleistungen... zurück, was wiederum den Abwanderungsdruck verstärkt. Buslinien und Bahnverbindungen werden unrentabel und daher eingeschränkt oder ganz eingestellt. Ein größer werdender Teil der Bevölkerung wird pflegebedürftig. Zugleich ist die häusliche Pflege schwer zu organisieren, weil die Menschen zum Teil weitab wohnen. Eine Neubautätigkeit von Wohnraum findet kaum statt; stattdessen mehren sich die Leerstände. Grundeigentum verliert an Wert. Der durchschnittliche Kaufpreis freistehender Einfamilienhäuser ist von 2002 auf 2003 in Lüchow-Dannenberg um 2 000, im LK Holzminden um 6 000, im LK Uelzen um 5 000 und im LK Osterode um 3 000 Euro gefallen. Es wird immer mehr Erben geben, die Opas oder Omas Häuschen im Harz oder im Solling weit unter Wert verkaufen müssen. Selbst dort zu wohnen, kommt nicht in Betracht, weil es kaum Jobs gibt... Die kommunalen Einnahmen sinken, und die Gestaltungsfähigkeit der öffentlichen Hand nimmt ab. Der unvermeidlichen Sparpolitik fallen zuallererst alle Einrichtungen zum Opfer, die nicht gesetzlich vorgeschrieben sind, z. B. Büchereien und Schwimmbäder.“

Die Spirale dreht sich immer weiter. Die Aufrechterhaltung gleichwertiger Lebensbedingungen in den niedersächsischen Regionen ist nicht mehr möglich. Dieses von den Autoren Professor Eichhorn und Dr. Soyka beschriebene Szenario klingt zwar übertrieben, aber wenn wir durch Niedersachsen fahren, können wir bereits erste Ansätze dieses Szenarios in der heutigen Realität erkennen. Das Niedersächsische Institut für Wirtschaftsforschung fordert deshalb, der tiefgreifende demografische Wandel und seine Konsequenzen müssen in Politik und Verwaltung auf der Landesund auf der kommunalen Ebene thematisiert werden. Ich füge hinzu: Schon heute müssen entsprechende Weichenstellungen erfolgen, damit das eben beschriebene Szenario nicht Realität wird.

Meine Damen und Herren, die alte SPDLandesregierung hatte das Niedersächsische Institut für Wirtschaftsforschung beauftragt, ein Regionalmonitoring zur laufenden Beobachtung der regionalen Entwicklung in Niedersachsen aufzubauen; die Berichte für die Jahre 2003 und 2004 liegen vor. Die Berichte liefern uns die Basisdaten bzw. den jeweils aktuellen Entwicklungsstand und benennen schon Herausforderungen der nächsten Jahre.

Die Herausforderungen müssen allerdings auch von der Politik angenommen werden. Es gibt nicht ein Patentrezept, sondern es müssen je nach Betroffenheit der Regionen mit den Kommunen individuelle Lösungsansätze gefunden werden.

Was aber tut nun diese Landesregierung? - Herr Oetjen hat eben behauptet, dass man schon in diese Richtung arbeite. Professor Jung vom NIW betont, dass die Innovationsfähigkeit der Betriebe Motor der zukünftigen Entwicklung ist. Was kommt aber aus dem Wirtschaftsministerium? - Eine Broschüre für Innovationsschmiede und Markteroberer - alles Projekte, die von uns auf den Weg gebracht wurden, keine neuen, eigenen Impulse. Was neu ist unter Herrn Minister Hirche, was mit dem demografischen Wandel allerdings überhaupt nichts zu tun hat, sind bunte Taxis, Toilettenfreiheit für Stehcafés und Führerschein ab 17.

(Zuruf von der FDP: Trotzdem gute Initiativen!)

Wo aber bleibt, Herr Oetjen, die Umsetzung des Masterplans Harz, im Übrigen bereits für 2004 angekündigt? Die Landkreise haben zügig gearbeitet. Es fehlt die Antwort des Wirtschaftsministeriums.

Meine Damen und Herren, wir haben keine Erkenntnisdefizite, wir haben eindeutig Handlungsdefizite.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Dieses Wirtschaftministerium ist handlungsunfähig. Es gibt keine Impulse, und, Herr Minister Hirche - der leider nicht mehr anwesend ist -, es gibt Stimmen aus dem Land - und diese Stimmen mehren sich -, die sagen, es würde bald keiner mehr merken, wenn dieses Wirtschaftsministerium abgeschafft würde. Das Resultat: Die Lebensbedingungen in den niedersächsischen Regionen driften immer weiter auseinander.

Aus dem Kultusministerium kommt eine Schulreform, und im Gegensatz zu der Ansage von Herrn Oetjen ist das eine Schulreform,

(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Für den ländlichen Raum!)

die schon heute erkennbar unter dem Gesichtspunkt des demografischen Wandels die Schließung der kleinen Schulstandorte beschleunigen wird.