Protokoll der Sitzung vom 20.04.2005

Deshalb haben wir im vergangenen Jahr einen Antrag zur Weiterentwicklung des „Girls‘ Day“ vorgelegt. Nach langen Debatten konnten sich die Fraktionen nun auf einen gemeinsamen Beschluss einigen. Ich bedanke mich ausdrücklich bei den beteiligten Kolleginnen für die angenehme und konstruktive Zusammenarbeit.

Die Kerninhalte dieser Entschließung sind, dass der „Girls‘ Day“ in ein Gesamtkonzept der Berufsund Lebensplanung von Jungen und Mädchen eingebunden wird, das geschlechtsspezifische Rollenerwartungen hinterfragen und durchbrechen soll. Jungen und Mädchen sollen in diesem Kontext jeweils am „Girls‘ Day“ Erfahrungen in den geschlechtsuntypischen Berufsfeldern gewinnen. Daneben soll das Konzept stärker in den Schulen verankert werden. Lehrerinnen und Lehrer erhalten Material. Die Informationsarbeit für alle beteiligten Gruppen wird verstärkt. Dieses Konzept wird verbindlich an den Schulen eingeführt.

Es ist gut, dass wir uns im Laufe der Beratungen darauf verständigen konnten, den „Girls‘ Day“ als eingeführte Marke an einem bundeseinheitlichen Tag zu behalten. Ein niedersächsischer Sonderweg in diesem Zusammenhang hätte einen Rückschritt bedeutet; denn die Betriebe sind auf den „Girls‘ Day“ als Marke und Aktionstag eingestellt. Es ist gut, dass die Orientierung bereits sehr früh, nämlich in den Klassenstufen 5 bis 7 erfolgt. Erfahrungsgemäß sind Jungen und Mädchen zu diesem Zeitpunkt noch relativ offen und nicht so eingeschränkt. Außerdem ist es gut, dass der „Girls‘ Day“ verbindlicher wird und nicht nur, wie in der Vergangenheit, mit dem Anspruch verbunden ist,

schulfrei für Mädchen zu geben. Zukünftig ist damit auch ein pädagogischer Anspruch verbunden, nämlich die Aufbrechung der Rollenerwartungen.

Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, können wir mit Fug und Recht behaupten, dass wir auf der Grundlage unseres Antrages und der gemeinsamen Entschließung, die wir heute verabschieden, den „Girls‘ Day“ zurück in die Zukunft führen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Ich möchte die Mitarbeiter am Regiepult noch einmal darauf hinweisen, dass die Lautsprecheranlage zurückkoppelt. Sie ist nicht in Ordnung. Da muss etwas getan werden.

Für die SPD-Fraktion hat nun Frau Hemme das Wort. Ich erteile es ihr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Begriff „Girls‘ Day“ löst unterschiedliche Reaktionen aus. Die einen sagen: Das ist ja doch nur ein freier Tag für die Mädchen. - Andere fragen: Wo ist denn die Gleichberechtigung den Jungen gegenüber? - Und wieder andere fragen: Wird der Zweck erfüllt, wenn die Mädchen mit den Müttern in die Behörden gehen und die Mutter Abteilungsleiterin ist? Das ist doch nicht frauentypisch. - So ist dieser „Girls‘ Day“ insgesamt in die Kritik geraten:

Es gibt auf Bundesebene allerdings Kooperationspartner. Diese Kooperationspartner befürworten die Beibehaltung des „Girls‘ Day“. Wir haben im Ausschuss damals schriftliche Stellungnahmen beantragt. Mit diesen Stellungnahmen machen die Kooperationspartner genau wie die vielen angebotenen Projekte deutlich, dass sie hinter dem „Girls‘ Day“ stehen. Ich zitiere einmal aus der Stellungnahme des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, der nicht gerade dafür bekannt ist, dass er ausschließlich Fraueninteressen vertritt:

„Der Girls‘ Day liefert einen guten Ansatz, schon frühzeitig, nämlich im Prozess der Berufsorientierung das Interesse von Mädchen und jungen Frauen an zukunftsweisenden technischen und naturwissenschaftlichen Berufsbereichen zu wecken.“

(Uwe Schwarz [SPD]: Herr Präsident, die Anlage ist sehr leise!)

- Ich stelle das Mikrofon einmal etwas höher. Dabei habe ich aber schon das Gefühl, dass ich schreie.

Frau Hemme, einen Augenblick! Das geht jetzt nicht von Ihrer Redezeit ab. - Die Abgeordneten beschweren sich, dass die Anlage zu leise ist. Sie verstehen nichts mehr. Außerdem koppelt die Anlage immer wieder zurück. Es pfeift. - Es pfeift kein Abgeordneter, aber die Anlage pfeift.

Ich könnte auch gar nicht wie Ilse Werner pfeifen.

Fahren Sie fort!

Ich zitiere weiter:

„Eine richtige Berufswahl setzt vor allem voraus, dass möglichst viele Optionen bekannt sind. Viele Berufe sind den Mädchen einfach unbekannt oder werden aufgrund von Vorurteilen und Ängsten überhaupt nicht in Betracht gezogen.“

Soweit der Bundesverband der Deutschen Industrie.

Berechtigt ist aber auch Kritik an der Durchführung des „Girls‘ Day“. Wie viele von Ihnen habe auch ich im letzten Jahr einen Praxistag in einer Gärtnerei absolviert. Begleitet haben mich zwei Schülerinnen. Wenn ich Ihnen jetzt sage, dass dies der „Girls‘ Day“ war, dann werden Sie mit mir darüber übereinstimmen, dass dieser Tag so eigentlich nicht gedacht war. Für mich war es ein Old Girls‘ Day, für die jungen Mädchen aber war etwas anderes gefragt.

Kritisiert wird ferner, dass dieser Tag nicht an allen Schulen vorbereitet und durchgeführt wird. Zum Glück gibt es genügend Mädchen, die diesen Tag einfordern und sagen: Es gibt den „Girls‘ Day“, und ich möchte daran teilnehmen. - Der Vorwurf, es gebe nicht genügend Vorbereitungsmaterial für die

Schulen, zieht nun gar nicht; denn davon gibt es nun wirklich genug.

Es ist kein neues Thema, diesen Tag auch für Jungen zu öffnen. In der 14. Wahlperiode haben wir im Gleichstellungsausschuss eine Petition von Göttinger Schülern behandelt, die gesagt haben: Wir wollen auch. - Es gab damals heftige Diskussionen. Wir waren uns aber relativ einig darüber, dass dieser Tag fortentwickelt werden sollte. Deshalb haben wir diese Petition der Landesregierung damals als Material überwiesen. Das war, wie gesagt, noch in der 14. Wahlperiode. Das zuständige Ministerium hatte damals angefangen, Überlegungen anzustellen, was getan werden kann, um diesen Tag zu öffnen.

Inzwischen sind die Jungen mit ihren fehlenden vor allem sozialen Kompetenzen Thema von Titelgeschichten der Magazine. Insgesamt ist das Augenmerk verstärkt auf sie gerichtet.

Die Initiative D21 spricht sich in ihrer Stellungnahme dafür aus, die Gender-Thematik in den Schulen stärker zu verankern. Auch die anderen Kooperationspartner sehen die Notwendigkeit, das Rollenbild und auch das Rollenverhalten beider Geschlechter aufzubrechen. Dieses Aufbrechen soll nun gemäß des gemeinsamen Antrages unter anderem durch eine Berufs- und Lebensplanung erfolgen, bei der es um Fähigkeiten und Interessen, nicht aber um Geschlechtszugehörigkeit geht.

Für dieses neue Vorhaben sind nun allerdings neue Kooperationspartner nötig. Wohlfahrtsverbände und soziale Einrichtungen sind aufgerufen, zu überlegen, mit welchen altersgerechten Projekten den Jungen Kompetenzen oder auch Erfahrungen auf sozialen Gebieten vermittelt werden können.

Die Erfahrungen mit Zivildienstleistenden zeigen - es ist ja nicht so, dass Jungen daran überhaupt kein Interesse haben oder dazu überhaupt nicht fähig wären -, dass viele von ihnen nach Ableisten des Zivildienstes einen anderen Berufswunsch haben und durchaus auch soziale Berufe ergreifen.

Alles in allem geht der Antrag über das bloße Öffnen des Tages für Jungen hinaus. Der „Girls‘ Day“ wird aber in seiner Bedeutung für die Mädchen erhalten. Ich lege sehr viel Wert darauf, dass dieser Tag keine allgemeiner Praxistag wird. Dafür gibt es genügend andere Möglichkeiten und Angebote. Dieser Tag muss seine spezielle Bedeutung behalten.

Eingebunden in ein Gesamtkonzept, werden die Mädchen an diesem Tag weiterhin erfahren, dass es mehr als die zehn üblichen Berufe gibt, dass sie mehr können, als sie vielleicht glauben, und dass sie mit ihren Fähigkeiten ernst genommen werden. Die Jungen werden feststellen, dass es - zugespitzt ausgedrückt - mehr gibt, als cool zu sein und vor dem PC zu sitzen. Sie werden auch die Erfahrung machen, dass sie nicht auf bestimmte Männerrollen festgelegt sind.

Allen, die befürchten, der „Girls‘ Day“ stehe vor seinem Ende, sage ich: Wir werden auch weiterhin ein Auge auf seine Durchführung haben. Für den morgigen „Girls‘ Day“ wünsche ich allen Beteiligten neue Erkenntnisse und Einblicke, die später bei der Berufswahl mit bedacht werden können.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion hat nun die Abgeordnete Meißner das Wort.

(Zuruf: Der „Girls‘ Day“ ist doch erst in einer Woche!)

- Es ist besser, man kommt zu früh als zu spät.

Damit haben Sie Recht, Herr Präsident.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Hemme, das haben wir schon geklärt: Der „Girls‘ Day“ ist am 28. April. Sie meinten aber das Richtige.

Meine Damen und Herren, wir haben in diesem Fall eine fraktionsübergreifend getragene Beschlussempfehlung. Denn wir waren uns alle einig: Es muss eine Änderung bzw. Weiterentwicklung des „Girls‘ Day“ geben. Damit ich nicht das Gleiche erzähle, was die anderen vor mir gesagt haben, habe ich einen anderen Aufhänger, nämlich dass Mädchen und Jungen nicht nur biologisch verschieden sind, sondern auch unterschiedliche Gehirne haben. Die Gehirne von Jungen sind schwerer. Aber die Menge macht’s nicht. Eigentlich sind die Gehirne der Mädchen von der Funktionsweise her besser, weil bei ihnen die Gehirnhälften besser zusammenarbeiten. Das Dumme ist nur, dass die „rechtsgehirnlastigen“ Mädchen und Frauen später meistens die Berufe ergreifen, die, wie Frau Helm

hold das eben geschildert hat, schlechter bezahlt werden, d. h. aufgrund ihrer höheren sozialen Kompetenz eher in soziale Berufe gehen. Das wollen wir ändern.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Stimmt das wirklich?)

- Das stimmt tatsächlich und ist wissenschaftlich bewiesen. Das können Sie überall nachlesen. - Wir wollen den Horizont von Mädchen und Jungen erweitern. Wir wollen aus Jungen keine Mädchen machen und aus Mädchen auch keine Jungen, aber wir wollen zumindest zeigen, dass es noch andere Möglichkeiten gibt. Wir brauchen in Zukunft - Stichwort „demografischer Wandel“ - auf jeden Fall gut ausgebildete Frauen in technischen Berufen, für die sie sehr wohl die Fähigkeiten haben. Sie müssen nur herangeführt werden. Und wir brauchen auch Männer mit mehr sozialer Kompetenz.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Das ist übrigens für Männer sogar sehr lohnenswert; denn soziale Kompetenzen sind Managementfähigkeiten. Heute wird den Männern in Topetagen häufig beigebracht, wie man zuhört und wie man mit Menschen umgeht. Das können Mädchen aufgrund ihrer „Rechtshirnigkeit“ traditionell meistens besser.

Wir brauchen ein Gesamtkonzept. Dafür sind die Ministerien angetreten: Sozialministerium, Wirtschaftsministerium und Kultusministerium haben erklärt, sie wollen zusammen mit Schule und Wirtschaft dafür sorgen, dass die Forderung nach gleichem Zugang für Jungen und Mädchen zu allen Bereichen der Gesellschaft besser umgesetzt wird. Dafür gibt es in den Klassen 5 bis 10 eine Berufsund Lebensplanung. Dabei ist wichtig, dass der „Girls‘ Day“ nur ein Aspekt von vielen eines Gesamtkonzeptes ist und dass er vor- und nachbereitet wird; das ist bisher viel zu wenig geschehen.

Wir haben schon sehr positive Beispiele. Zum Beispiel wird so etwas wie „Haushalts(s)pass“ durch Landfrauenvereine für Jungen angeboten, eine Rallye durch den Haushalt mit Einblick nicht nur in Ernährung, sondern auch in Zeitbudget und Organisation. Wir brauchen Angebote in der Pflege - das hat Frau Hemme richtig gesagt -, um Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch für Jungen besser zu ermöglichen, sonst haben die das nicht richtig drauf.

Mädchen haben in der Tat einen wesentlich höheren Nachholbedarf. Darum haben wir ganz bewusst den Namen „Girls‘ Day“ beibehalten und ihn nicht in „Girls‘ and Boys‘ Day“ umbenannt; denn wir achten darauf, warum wir das mal eingeführt haben und was damit bewirkt werden sollte. - Diese Entschließung ist für die Zukunft unserer Jungen und Mädchen gedacht. Darum waren wir uns auch alle einig: Da muss etwas getan werden. Ich bitte Sie alle, dieser Beschlussempfehlung freudig zuzustimmen!

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion hat nun die Abgeordnete Jakob das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der eine oder andere erinnert sich vielleicht noch an den Schlager „Ich will ‘nen Cowboy als Mann“. Heute müssen Frauen nicht mehr von exotischen Berufen träumen; ihnen stehen alle Chancen offen. - Soweit die Theorie. Doch die Praxis sieht ganz anders aus. Denn obwohl junge Frauen noch nie zuvor über eine so gute Schulausbildung wie heute, verfügten, entscheiden sie sich bei der Wahl ihrer Ausbildung und ihres Studienfaches häufig für so genannte typische weibliche Berufsfelder. So sind es innerhalb der breiten Palette der Berufsmöglichkeiten gerade einmal zehn bis zwölf Ausbildungsberufe. Nun könnte man sagen, das ist eine private Entscheidung. Was die Mädchen dabei aber oft nicht bedenken, ist die Tatsache, dass diese Berufe viel schlechter bezahlt werden als so genannte männliche Berufe und sie im Alter mit einer deutlich geringeren Rente dastehen. Im Studienbereich sieht es ähnlich aus: Nur wenige junge Frauen wagen sich an technische und naturwissenschaftliche Fächer. Aber gerade das sind Fächer mit Zukunft, mit denen sie auf dem Arbeitsmarkt deutlich bessere Chancen haben.

Mit dieser Entwicklung können wir Frauen- und Familienpolitikerinnen und -politiker nicht zufrieden sein. Frauen müssen lernen, die ganze Palette ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten auszuschöpfen. Dazu gehört nicht nur Ermutigung, sondern vor allem Information. Der „Girls‘ Day“ wurde eingeführt, um Mädchen und junge Frauen einen Einblick in das breite Spektrum der Ausbildungsberufe zu er

möglichen. Nach vier Jahren fällt die Bilanz positiv aus. Wir können feststellen, dass sich dieser Tag eindeutig zu einem wichtigen Bestandteil der Berufsorientierung von Mädchen und jungen Frauen entwickelt hat - übrigens nicht einseitig. Dass wir heute im Parlament über den „Girls‘ Day“ relativ einvernehmlich diskutieren, zeigt, dass auch im politischen Raum das Bewusstsein für das wichtige Thema geschlechtsspezifische Berufswahl gewachsen ist. Auch die Wirtschaft hat erkannt, dass ohne Frauen kein Staat zu machen ist. Viele Firmen setzen immer mehr auf weibliche Potenziale und fördern deshalb junge Frauen ganz gezielt. Dies ist besonders vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung in Deutschland und dem daraus resultierenden Nachwuchsmangel eine dringende Notwendigkeit. Da Betriebe in Zukunft nicht auf die gut ausgebildeten Frauen verzichten können und wollen, bin ich optimistisch, dass sie sich darüber hinaus auch mit dem Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf beschäftigen und geeignete Maßnahmen ergreifen.

Meine Damen und Herren, so exotisch die Welt der Cowboys für Gitte, sind auch im 21. Jahrhundert für viele Jungen noch der Haushalt, die Familienarbeit oder soziale Berufe. Jungen wollen Fußballstar, Feuerwehrmann oder Manager werden, aber nicht Altenpfleger oder Sekretär. Schon seit längerer Zeit rücken deshalb auch die Bildungs- und Berufschancen von Jungen ins Blickfeld. Wissenschaftliche Studien zeigen uns, dass Jungen heute größere Probleme haben, ihren eigenen Weg zu finden. Sie sind in vielen schulischen Bereichen schlechter, und sie werden häufiger verhaltensauffällig als Mädchen. Auch bei der beruflichen Orientierung ist eine gewisse Einseitigkeit zu beobachten. Sie beschränken sich zu 35 % auf zehn handwerkliche und technische Berufe. Gerade in dem Bereich der Sozial- und Gesundheitsberufe sind Jungen bzw. Männer selten anzutreffen. Das halte ich für ein großes gesellschaftliches Problem. Gerade in den ersten prägenden Lebensjahren zu Hause, im Kindergarten und dann in der Grundschule werden Kinder noch immer nahezu ausschließlich von weiblichen Bezugspersonen betreut. So wird es schwierig, ihnen ein neues Frauen- und Männerbild zu vermitteln. Wir haben deshalb parteiübergreifend beschlossen, den „Girls‘ Day“ zu einem Zukunftstag für Jungen und Mädchen zu entwickeln.