Protokoll der Sitzung vom 14.05.2003

Er meint - das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen -, man solle das, worum es in dem Gesetzentwurf geht, in die Titelzeile aufnehmen, und schlägt vor, das Gesetz zu nennen: „Gesetz zum Ausbau des gegliederten Schulwesens“.

(Beifall bei der SPD)

Ja, meine Damen und Herren, darum geht es Ihnen. In den Gesetzentwurf ist richtig heiße Luft hineingeblasen worden. Jetzt kommen die Sachverstän

digen, die Juristen, pieksen rein, und weg ist die heiße Luft. Es bleibt verdammt wenig übrig.

Der Satz, der in der Anhörung am häufigsten gefallen ist, kam von Herrn Klare - dem Inspirator und Koordinator dieser Musternovelle -, und zwar immer dann, wenn jemand Kritik vorgetragen hatte. Der Satz lautete: Ja, ja, da bessern wir noch nach.

(Beifall bei der SPD)

Das war schon elegant, meine Damen und Herren, aber ich sage Ihnen: Auf diesen Satz - „da bessern wir noch nach“ - fallen wir nicht rein. Für uns ist entscheidend, was nachher im Gesetzesblatt steht. Ich glaube, dass Sie an einigen Ecken noch nachbessern, weil Sie sonst so viel Ärger bekommen, dass Sie schon in diesem Herbst richtig in die Bredouille kommen. Sie werden noch nachbessern und damit erreichen, dass Sie erst im nächsten Herbst richtig in die Bredouille kommen. Verlassen Sie sich drauf, Sie werden sich an diesen Satz von mir noch erinnern!

(Beifall bei der SPD)

Wir werden gucken, was nachher im Gesetzesblatt steht. Daran werden wir Sie messen, und das werden wir dann in die niedersächsische Debatte einbringen.

Meine Damen und Herren, dieser Schulgesetzentwurf zeigt die Grenzen Ihres bildungspolitischen Horizonts.

(Wolfgang Wulf [SPD]: Der ist sehr eng!)

Herr Busemann hat in der Schlussphase seiner Rede den zentralen Satz der CDU-Bildungspolitik vorgetragen. Ich zitiere ihn: „Wir setzen aber konsequent auf ein begabungsgerechtes und damit auf ein gegliedertes Schulwesen.“

(Minister Bernd Busemann: Ja!)

Das ist Ihr Problem, meine Damen und Herren: Sie fördern eine Schulform, wir fördern Schülerinnen und Schüler.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Was heute notwendig wäre, meine Damen und Herren, das hat Ihnen die SPD-Fraktion schon mit Datum vom 20. August letzten Jahres als Entschließungsantrag eingebracht:

(Angelika Jahns [CDU]: Dafür ist sie abgewählt worden!)

„Konsequenzen für die niedersächsische Schulentwicklung nach PISA: Mehr Selbständigkeit und Gestaltungsfreiheit für Niedersachsens Schulen.“ Herr Busemann, Sie sollten sich einmal vornehmen, was in diesem Antrag steht; denn er ist, wenn man so will, der Rahmen für die Herausforderungen, die uns in den nächsten Jahren vor der Tür stehen. - Das werden Sie natürlich nicht tun, denn man nimmt ja nicht die Anregungen der gegnerischen Partei auf; das kann ich nachvollziehen, und deshalb baue ich Ihnen an dieser Stelle eine Brücke.

Sie waren vor wenigen Wochen bei meinem Freund Hartwig Henke in Spiekeroog bei der Geburtstagsfeier der Hermann-Lietz-Schule. Bei der Gelegenheit hatten Sie die Chance, an einer kollektiven Weiterbildungsmaßnahme teilzunehmen. Dort hat nämlich Professor Meffert von der Bertelsmann-Stiftung vorgetragen, wo das Problem der deutschen und damit vielleicht auch der niedersächsischen Bildungspolitik liegt. Ich zitiere ihn:

„Als unabhängige Instanz hat die Bertelsmann-Stiftung auf der Basis ihrer langjährigen Projekterfahrung mit innovativen Schulen und Bildungssystemen im In- und Ausland frühzeitig nach Bekanntgabe der PISAErgebnisse dafür plädiert, jenseits aller lediglich Symptome kurierenden Einzelmaßnahmen die schlichten Fakten zur Kenntnis zu nehmen und bei den Ursachen anzusetzen: Und das ist unserer Meinung nach in erster Linie die fehlende individuelle Förderung der Kinder und Jugendlichen. Diese scheinbar selbstverständliche Aufgabe konsequent anzugehen, wäre nicht weniger als eine bildungspolitische Revolution und das Ende der Schule, wie wir sie kennen.“

„Das Ende der Schule, wie wir sie kennen“ - ich glaube, da steckt viel drin. Und was ist das CDUKonzept? - Die Schule, die wir von früher kennen, meine Damen und Herren. Das ist das Konzept, das die CDU dagegen setzt.

Herr Meffert hat weiter darauf hingewiesen, dass wir eine Stärkung der frühkindlichen Bildung brauchen. Er führte aus, dass die individuelle För

derung im Unterricht in den Mittelpunkt zu stellen ist, dass es darum geht, Standards einzuführen, Verantwortung zu delegieren und Schule endlich zum Ort des Erlebens und Lernens werden zu lassen.

Meine Damen und Herren, ich meine, unser Bild davon, wie sich Schule heute darzustellen hat, muss sehr viel weiter entwickelt werden, mit all den möglichen Konsequenzen hinsichtlich des Rollenverständnisses aller Beteiligten. Wir sollten uns eingestehen, dass wir in diesem Prozess Suchende sind und nicht schon alles wissen.

(Beifall bei der SPD)

Außerdem sollten wir endlich die Kraft aufbringen, uns von dem zu lösen, was - im internationalen Vergleich erkennbar - auf der Strecke geblieben ist. Das erfordert viel mehr an anderen Formen, als wir bisher miteinander entwickelt haben. Es gibt an vielen Stellen Ansätze, interessanterweise übrigens oft in Privatschulen. Wir sollten darangehen zu prüfen, was wir von solchen Schulen lernen können. Darauf kommt es an.

Das heißt also, wir müssen inhaltliche Reformen, die Qualitätsentwicklung und -sicherung sowie die Veränderung der Unterrichtspraxis in den Mittelpunkt stellen. Darauf kommt es in den nächsten Jahren an. - Und Sie halten hier eine buchhalterische Rede darüber, an welcher Stelle welche Stelle noch geschaffen wird, meine Damen und Herren. Das ist weiß Gott zu kurz gesprungen.

(Beifall bei der SPD)

Natürlich braucht man auch in diesem Konzept Lehrerinnen und Lehrer, und im Zweifel nicht weniger. Das ist doch überhaupt keine Frage.

(Oh! bei der CDU)

An der Stelle sind wir doch gar nicht strittig. Ich wehre mich nur dagegen, dass Sie den Eindruck erwecken, die einen zeigen an der Stelle Muckis und die anderen machen nichts. Das ist doch Unfug.

(Reinhold Coenen [CDU]: So ist es aber!)

- Zum Glück wird hier nicht nach der Qualität von Zwischenrufen bezahlt. Da können Sie sich wirklich freuen.

(Beifall bei der SPD - Bernd Althus- mann [CDU]: Nach der Qualität der Reden aber auch nicht!)

- Vorsicht, das gilt auch für Parlamentarische Geschäftsführer.

(Bernd Althusmann [CDU]: Das gilt auch für Redner!)

- Ja, das gilt auch für Redner.

Meine Damen und Herren, in der Zeit von 1998 bis 2002 haben etwas über 15 000 neue Gesichter in die niedersächsischen Lehrerzimmer geguckt, haben sich dort ihren Platz gesucht und arbeiten seitdem dort. Das waren 3 100 Lehrerinnen und Lehrer zusätzlich; denn die Stellen aller 12 000 Lehrerinnen und Lehrer, die ausgeschieden sind, sind wieder besetzt worden. Ich finde, das ist eine stolze Bilanz. Als wir das 1998 aufgeschrieben haben, haben wir gedacht, das wird ganz schön anstrengend. Wir haben es aber geschafft und sogar mehr eingestellt, als wir uns damals zugetraut haben.

(Wilhelm Heidemann [CDU]: Aber nicht finanziert!)

Jetzt kommen Sie und haben im Wahlkampf - vielleicht sogar in der Einschätzung, dass Sie die Wahl sowieso nicht gewinnen

(Oh! bei der CDU)

- das war doch die Situation, als Sie Ihr Wahlprogramm beschlossen haben; das muss man doch fairerweise einräumen - öffentlich bekannt gegeben, dass Sie 2 500 Stellen neu schaffen wollen. Das kam zwar gut an, völlig klar, aber ich glaube, ein bisschen schwang bei Ihnen die Hoffnung mit, dass Sie das dann doch nicht machen müssen. Aber jetzt müssen Sie es machen. Sie sind bei dem Thema so unter Druck, dass selbst die Hinweise aus der FDP in den Koalitionsverhandlungen untergepflügt worden sind. Da gilt die Methode Koch: Wenigstens an einer Stelle muss ein Wahlversprechen umgesetzt werden. - Aber das finde ich auch in Ordnung.

Im Übrigen: Wenn alle Voraussetzungen da wären, um 2 500 Lehrerinnen und Lehrer zusätzlich einzustellen, dann fände das auch unsere Unterstützung,

(Anneliese Zachow [CDU]: Donner- wetter!)

weil damit ja der schulische Sektor entlastet würde. Wie gesagt: Wenn die Rahmenbedingungen stimmen.

(Reinhold Coenen [CDU]: Und wa- rum reden wir dann darüber?)

- Wir reden deshalb darüber, weil Sie das als Erfolg verkaufen, ich aber gerne einräume - -

(Hermann Eppers [CDU]: Dann ist doch alles klar!)

- Dafür bekommen Sie ja Lob in der veröffentlichten Meinung und auch vor Ort. Das ist keine Frage, und das neide ich Ihnen auch nicht. Aber unsere Rolle als Opposition ist, darauf hinzuweisen, was an bestimmten Stellen der Preis dafür ist.

Wir haben im Wahlkampf gesagt, wir trauen uns die 700 Stellen zu - die dann auch besetzt worden sind -, sind aber sonst erst einmal ein bisschen zurückhaltend und schauen, wie sich das entwickelt. Diese Argumentation ist ja auch durchaus verantwortbar.

Die Frage ist nun, wie verantwortbar Ihre Entscheidung ist. Heute sehen Sie mit der Geschichte ja noch ganz gut aus.