Protokoll der Sitzung vom 22.04.2005

„Die politische Absicht ist deutlich geworden: Wer an Werktagen öffnen will, muss dies auch in Niedersachsen uneingeschränkt tun können.“

Sie wollen also das Ladenschlussgesetz nicht nur geringfügig ändern oder modifizieren, nein, meine Damen und Herren, Sie wollen es vollständig abschaffen. Zumindest hat Herr Hermann den Mut gehabt, das in dieser Debatte auch noch einmal deutlich zu sagen, auch wenn er so einen kleinen Schwenk zur rechten Seite gemacht hat.

Ich sage Ihnen aber ganz deutlich: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Juni letzten Jahres hat klar gemacht, beim Ladenschluss gibt es gar keinen Handlungsbedarf. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist nämlich geklärt worden, dass das Ladenschlussgesetz verfassungskonform ist. Das ist auch gut so. Nach dem Urteil sollen der Sonntag und die gesetzlichen Feiertage als Tage der Arbeitsruhe geschützt bleiben und der - wie es so schön heißt - seelischen Erhebung dienen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP: Wem reden Sie mit dem Antrag eigentlich das Wort?

(Zuruf von der CDU: Dem Verbrau- cher!)

Sonst sagen Sie doch immer, dass Mittelstandsfreundlichkeit, kleine und mittelständische Unternehmen in Ihrem Fokus stehen. Aber wer hat denn eigentlich im letzten Jahr vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt? - Das war doch nicht der kleine Facheinzelhändler aus der Innenstadt, sondern das war der große Konzern Metro, der rund um die Uhr verkaufen wollte. Mit dem Argument der Berufsfreiheit und der Chancengleichheit waren diejenigen unterwegs, für die das Ladenschlussgesetz verfassungswidrig war. Sie hatten keinen Erfolg. Für einige war sogar weder der Sonn- noch der Feiertag ein Tabu. Auch sie erhielten beim Bundesverfassungsgericht eine Abfuhr.

Bei der Werteentscheidung über Arbeitsund Wettbewerbsschutz hat sich das oberste Gericht für die bestehende bundesweite gesetzliche Regelung des Ladenschlusses entschieden. Das Ladenschlussgesetz lässt im Moment eine Ladenöffnungszeit von immerhin 84 Stunden in der Woche zu. Das ist doch schon eine ganze Menge. Insofern würde die Aufhebung des Ladenschlussgesetzes zu einer nicht vertretbaren Belastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer führen. Sie wissen, es sind insbesondere Frauen, die im Einzelhandel beschäftigt sind.

(Zustimmung bei der SPD)

Der Schutz der Beschäftigten vor überlangen Arbeitszeiten zu sozial ungünstigen Zeiten muss weiterhin gesichert bleiben.

Das Ladenschlussgesetz dient aber nicht nur dem Arbeitsschutz, sondern auch dem Wettbewerb. Der Ladenschluss ist deshalb für uns auch gerade aus mittelstandspolitischer Sicht ein wichtiges Instrument. Nur, erweiterte Öffnungszeiten führen nicht zwangsläufig zu mehr Umsatz, sie führen nur zur Umsatzverlagerung. Schauen Sie es sich an: Nicht ein einziges Mittelzentrum in der Größenordnung von 30 000 bis 50 000 Einwohnern ist in der Lage, in der Innenstadt, da, wo der Facheinzelhandel Gott sei Dank noch vorhanden ist, diese Möglichkeiten auch tatsächlich auszuschöpfen. Das findet doch nur bei den Großkonzernen und auf der grünen Wiese statt.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich meine, mit den bestehenden Regelungen ist ein guter Kompromiss zwischen Arbeitsschutz, Sonntagsruhe und wirtschaftlichen Notwendigkeiten gefunden worden. Es ist sehr zu begrüßen, dass mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts endlich Rechtsklarheit herrscht.

Deshalb sage ich für die SPD-Fraktion ganz deutlich: Weder der Sonntag noch eine Rund-um-dieUhr-Öffnung stehen aktuell zur Diskussion.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir hier über die Gesetzkompetenz auf Landesebene reden, dann werden wir sicherlich nur über Nuancen sprechen, aber nicht über eine Abschaffung des Ladenschlussgesetzes.

(Brunhilde Rühl [CDU]: So lautet der Antrag, nicht anders! Das steht nicht in dem Antrag!)

Ich denke, ausweislich der gehandhabten Praxis - es sind die kleinen Unternehmen in den Mittelzentren, in den Städten, die den Wettbewerb fürchten, wenn noch länger geöffnet werden kann meine ich: Wir brauchen keine Öffnungszeiten rund um die Uhr. Ladenschluss bedeutet Schutz für Arbeitnehmerinnen und Arbeiter und damit verlässliche Arbeitszeiten. Ladenschluss ist in der bisher praktizierten Art aber auch ein Stück weit Wirtschaftspolitik.

(Brunhilde Rühl [CDU]: Das ist nicht das Thema!!)

Dabei sollten wir es belassen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Herr Minister Hirche hat das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass die Kompetenz für die Regelung des Ladenschlusses auf der Landesebene liegen soll. - Im Übrigen, Frau Kollegin: Das Bundesverfassungsgericht verhandelt nicht darüber, ob ein Gesetz politisch vernünftig ist, sondern untersucht nur, ob es verfas

sungswidrig ist. Das gilt auch in diesem Zusammenhang.

(Frauke Heiligenstadt [SPD]: Es ist verfassungskonform!)

Meine Damen und Herren, der Bundesrat hat die Bundesregierung aufgefordert, die Kompetenz für die Regelung dieser Fragen auf die Länderebene zu geben. Herr Clement, der zunächst auch dafür war, hat jetzt erklärt, dass man diese Regelung in der großen Föderalismusdiskussion sozusagen als Pfand dafür einbringen müsse, dass auch andere Dinge gemacht werden.

Meine Damen und Herren, ich will hier ganz klar sagen: Die Landesregierung ist der Meinung, wenn das Ganze auf die Landesebene kommt - und wir sind dafür, dass es auf die Landesebene kommt -, dann wollen wir Ladenöffnungszeiten nach dem Motto „6 mal 24“, also montags bis samstags von 0 bis 24 Uhr. Das ist unser Ziel. Einen allgemeinen Sonntagsverkauf soll es aber - wie bisher - nicht geben. Das schließt jedoch nicht aus, dass es nicht auch behutsame situationsangepasste Modifizierungen geben kann. Wie man das regelt, weiß man vor Ort.

Im Übrigen, Frau Kollegin: Die Arbeitnehmerschutzrechte werden in anderen Gesetzen geregelt. Dafür ist das Ladenschlussgesetz nicht da.

Meine Damen und Herren, es kommt ja nicht von ungefähr, dass die Wünsche der Verbraucher in diese Richtung gehen. Wer heute mit offenen Augen durch die Städte, z. B. durch Hannover, fährt, stellt fest, dass man dort, auch wenn es gesetzwidrig ist, bis Mitternacht einkaufen kann, nämlich bei Türken, Vietnamesen usw., da gibt es bestimmte Viertel. Oder man geht zur Tankstelle, zu einem Kiosk oder zum Bahnhof: Dort bekommt man alles. Angesichts dessen ist nicht einzusehen, dass einem Einzelhändler verwehrt sein soll, seine Waren ebenfalls anzubieten.

(Zustimmung bei der CDU)

Im Übrigen, meine Damen und Herren - das nur zu der Semantik, die in Deutschland gepflegt wird -: Verkaufen tut man nur, wenn der Laden offen ist. Deshalb sollten wir über Ladenöffnungszeiten reden und nicht über Ladenschlusszeiten.

Als Beispiel dafür, dass Flexibilität notwendig ist, nenne ich die beiden Großereignisse, die in Hannover vor uns liegen: der Confederations Cup in

diesem Sommer und die Fußballweltmeisterschaft im nächsten Jahr. Da wird man sicherlich von den Möglichkeiten Gebrauch machen, die die Gesetze heute schon bieten. Ich denke, dass es dann auch vernünftige Arbeitsregelungen mit den Beschäftigten geben wird; darum werden sich die Betriebsräte schon erfolgreich kümmern. In diesem Fall bin ich ganz zuversichtlich, und zwar zuversichtlicher, als es manchmal aus Ihren Reihen zu vernehmen ist.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein weiteres Thema ansprechen, dass zum Beginn des Sommers aktuell wird und das auch in diesen Zusammenhang gehört: die Öffnungszeiten für Biergärten. Herr Kollege Sander und ich haben verabredet, die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten für eine flexible Gestaltung der Öffnungszeiten in vollem Umfang auszuschöpfen.

Nach der bisherigen Verwaltungspraxis dürfen diejenigen Biergärten über 22 Uhr hinaus geöffnet bleiben, die abseits der Bebauungslage liegen. Das empfinden viele Gäste als unzureichend. Sie möchten längere Öffnungszeiten auch in den Biergärten der Innenstadt. Ich unterstütze diesen Wunsch; denn es ist schon ein besonderes Erlebnis - man kennt das von seinem Urlaub in südlichen Ländern -, wenn auch noch zu späterer Stunde draußen sitzen kann.

Meine Damen und Herren, Herr Sander und ich haben einen Erlass vorbereitet, der die Behörden anhält, die bestehenden Möglichkeiten auszuschöpfen. Der Nachbarschutz kommt dabei nicht unter die Räder; denn die lärmschutzrechtlichen Vorschriften sehen auch für Biergärten Immissionsobergrenzen vor. Nach einer zweijährigen Erprobungsphase wollen wir untersuchen, ob sich das in Niedersachsen ähnlich gestaltet, wie wir es aus anderen Ländern kennen. Bereits heute hat man an 18 Tagen im Jahr die Möglichkeit, sein Lokal im Freien nach 22 Uhr geöffnet zu halten.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert übernimmt den Vorsitz)

Dies alles dient dazu, dass unsere Gesellschaft offener wird, dass die Menschen fröhlicher sein können und dass sie dazu nicht in südliche Länder fahren müssen, weil sie es auch in Niedersachsen haben können.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Zum gleichen Tagesordnungspunkt hat Herr Kollege Hagenah von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wir können uns vorstellen, die Zuständigkeit für die Regelung der Ladenschlusszeiten den Ländern zu übertragen. Aber wir sagen auch, dass längere Öffnungszeiten kein Allheilmittel für den nachlassenden Konsum und die Wirtschaftsflaute im deutschen Einzelhandel sind.

(Zustimmung bei der CDU)

Wir warnen davor, sich die Ladenschlusszeiten mittelfristig von Shopping Malls und Globalplayern diktieren zu lassen.

(Zuruf von der CDU: Verkaufen tut man nur, wenn der Laden offen ist.)

Ich muss zugeben, dass mich Ihr Antrag anfangs irritiert hat, da ausgerechnet die Partei auf die Übertragung der Ladenschlussgesetzgebung auf die Landesebene drängt, deren eigene Leute solche Kompetenzübertragungen gerade erst, im Dezember des letzten Jahres, verhindert haben. Waren es nicht die Ministerpräsidenten von Hessen und Niedersachsen, die die Föderalismusdebatte zum Scheitern brachten? Jetzt versuchen Sie in Niedersachsen, das Pferd von hinten aufzuzäumen und die Rosinen aus dem verdorbenen Kuchen zu holen.

(David McAllister [CDU]: Wer hat Ih- nen denn dieses Blech aufgeschrie- ben?)

Die selbst verschuldete Niederlage auf Bundesebene soll jetzt mit einem Antrag durch die Hintertür abgefedert werden. Das hätten Sie früher und einfacher haben können. Statt vollmundig Forderungen zu stellen, rate ich, dass Sie die Landesregierung auffordern, die neuerlichen Einigungsversuche in Sachen Föderalismusreform aktiv zu unterstützen.

Meine Damen und Herren, die Landtagsdebatte über längere Öffnungszeiten kann sinnvollerweise erst dann beginnen, wenn den Ländern im Rahmen der Föderalismusreform die entsprechende Regelungskompetenz übertragen worden ist. Laut dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom

Juli 2004 sind die Öffnungszeiten allerdings weiter in engen Grenzen zu halten. Danach, Herr Minister Hirche, sollen nicht nur an Sonn- und Feiertagen, sondern auch werktags zwischen 20 und 6 Uhr die Geschäfte geschlossen bleiben. Länderkompetenz hin oder her - damit würde zunächst alles beim Alten bleiben. Ihre aufgeregten Ankündigungen grenzenloser Öffnungszeiten sind da wohl umsonst.

Jenseits der eindimensionalen Ladenschlussdiskussion müssen wir uns Gedanken darüber machen, welche Einzelhandelslandschaft wir in unserem Land künftig wollen. Wir müssen uns fragen, ob wir die Zukunft des Einzelhandels den Kettenfilialen, den Shopping Malls und den Globalplayern überlassen wollen.

(Zuruf von Brunhilde Rühl [CDU])

Denn die sind die Gewinner, wenn wir - egal ob Bund oder Land - die Öffnungszeiten undifferenziert weiter ausdehnen. Wir sollten uns darüber klar sein, dass grenzenlose Einkaufszeiten zur Verödung unserer Innenstädte und Altstädte führen und klassische Fachgeschäfte in Familienbesitz in den Konkurs treiben.