Protokoll der Sitzung vom 19.05.2005

(Beifall bei der SPD)

Von daher steht es Ihnen nicht gut an, wenn Sie hier jetzt eine Erklärung für die Landesregierung abgeben und Antworten geben.

(Beifall bei der SPD - Bernd Althus- mann [CDU]: Gestatten Sie eine wei- tere Zwischenfrage?)

Ich beantworte zunächst die Zwischenfrage der Abgeordneten Stief-Kreihe. Herr Aller hat mir eine Frage gestellt. Auf diese Frage habe ich eine Antwort gegeben. Er hat gefragt, ob die Landesregierung auf die Thematik, die ich gerade ausgeführt habe, auch unter haushälterischen Gesichtspunkten zu reagieren gedenkt. Genau das habe ich getan. Sie dürfen mir solche Fragen nicht stellen, wenn Sie die Antworten nicht ertragen können.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Bernd Althusmann [CDU]: Das wäre auch meine Frage gewesen!)

Meine Damen und Herren, diese Diskussion zeigt, wie umfassend dieses Thema ist, dass es alle betrifft, dass es offensichtlich sehr viele interessante Diskussionspunkte zu diesem Zeitpunkt zu diesem Thema gibt und dass es richtig ist, eine Enquete-Kommission einzurichten. Wir werden sicherlich ausführlich darüber diskutieren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung.

Wer der Beschlussempfehlung des Ältestenrates zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Gibt es Stimmenthaltungen? Ich sehe, das ist nicht der Fall. Das Erste war die Mehrheit.

Meine Damen und Herren, nun noch eine technische Ansage: Wir treffen uns um 15 Uhr wieder.

Unterbrechung: 13.11 Uhr.

Wiederbeginn: 15.01 Uhr.

Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, Platz zu nehmen. Ich weiß zwar, dass es schwer fällt, nach dieser Mittagspause in dieser herrlichen Sonne jetzt wieder hier in dem Gestank zu sitzen. Aber es hilft nichts, wir müssen weitermachen.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 27: Besprechung: Stand der Jugendkriminalität und Sanktionspraxis in Niedersachsen - Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/1721 - Antwort der Landesregierung - Drs. 15/1894

Ich erteile Herrn Briese von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor wir zur sachlichen und inhaltlichen Auseinandersetzung kommen, möchte ich am Beginn meiner Rede ganz prinzipiell den Umgang der Landesregierung mit dem Parlament ansprechen. Ich finde es, ehrlich gesagt, etwas befremdlich, dass die Landesregierung eine Bundesratsinitiative nach der anderen startet - viele davon in meinen Augen auch sehr unausgegoren -, ohne dass wir im Parlament auch nur ein einziges Mal darüber diskutieren, geschweige denn, dass es ein Plazet dafür gibt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich finde, die Landesparlamente dürfen sich wirklich nicht wundern, dass sie in der Achtung der Bürger sinken und dass das mediale Interesse zurückgeht, wenn wir in diesem Parlament nicht ein einziges Mal über Bundesratsinitiativen reden. Damit tut die Exekutive auch ein Stück weit ihre Verachtung in Bezug auf das Parlament kund. Das ist nicht in Ordnung. Wenn Bundesratsinitiativen gestartet werden, dann sollten wir in diesem Parlament zumindest ein einziges Mal darüber geredet haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

In Sachen Jugendkriminalität ist das ganz ähnlich: Die Landesregierung startet eine Bundesratsinitiative nach der anderen, ohne dass es eine einzige parlamentarische Auseinandersetzung gegeben hat. Sie wissen wahrscheinlich auch, wie sie verlaufen würde. Sie würden nämlich wenig Zustimmung dafür erhalten. In meinen Augen ist es ein Trauerspiel, wie weit Sie sich in Sachen Jugendgerichtsgesetz von der Fachdebatte entfernt haben und welche antiquiert repressiven Vorstellungen Sie dabei vertreten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich finde es auch ein bisschen frech, wenn die Landesregierung in ihrer Antwort auf unsere Anfrage sagt, man fordere ja gar keine Verschärfung des Jugendstrafrechts, sondern nur etwas mehr Konsequenz und Effektivität. Mein lieber Scholli, habe ich mir da gedacht. Sie sollten sich die Stellungnahmen der etablierten Fachwelt zu den Vorschlägen der CDU in Sachen Jugendgerichtsgesetz einmal genau anschauen. In Bausch und Bogen werden Ihre Vorschläge dort als repressiver Rückfall bezeich

net. Es gibt so gut wie niemanden in der Fachwelt, der Sie in Ihren Forderungen unterstützt - nicht der Deutsche Anwaltsverein, schon gar nicht die Vereinigung der Strafverteidiger, nicht der Deutsche Juristentag, nicht die Vereinigung DVJJ. Ich finde, so viel Ablehnung, so viel Kritik sollte eine Regierung zum Nachdenken bringen. Es gibt keine Argumente, die für eine Verschärfung des Jugendstrafrechts sprechen. Sie haben uns in der Antwort auf unsere Anfrage auch keine neuen geliefert.

Das MJ muss uns einmal erklären, warum die Heraufsetzung des Strafrahmens für Heranwachsende von zehn auf fünfzehn Jahre keine Strafverschärfung sein soll. Was, bitte schön, ist es dann, wenn man die Heraufsetzung eines Strafrahmens von 50 % fordert? - Mit so einer Logik kann man natürlich auch argumentieren. Dann kann man auch sagen, der Unterschied zwischen „lebenslänglich“ und „Todesstrafe“ sei auch nur graduell, er liege quasi nur in einer konsequenteren Effektivität; aber Verschärfung, nein, so kann man das natürlich nicht nennen. - Liebes MJ, wir haben zwar jetzt einen deutschen Papst. Darüber freuen wir uns auch. Aber deswegen muss man bei der Beantwortung von Großen Anfragen nicht anfangen, mit mittelalterlicher Scholastik zu argumentieren. Sagen Sie einfach die Wahrheit:

(Bernd Althusmann [CDU]: Die Wahr- heit ist konkret!)

Wir fordern die Heraufsetzung des maximalen Strafrahmens um 50 %, weil wir eben so gerne dem Boulevard nachlaufen. - Dessen Hauptmotivation ist definitiv nicht die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger, sondern eben die Sicherstellung von Einschaltquoten. In meinen Augen ist es eine gefährliche Entwicklung, wenn Politik ihre Programme und Ziele nach medialer Zustimmung ausrichtet und nicht mehr nach der Fachmeinung. Das ist ein Rückfall ins Voraufklärerische.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich finde es auch interessant und bemerkenswert, dass Sie keine niedersächsischen Richterinnen und Richter, keine Staatsanwältinnen und Staatsanwälte benennen können, die das geltende Strafmaß von zehn Jahren im Jugendstrafrecht für nicht ausreichend halten. Das geltende Recht - das haben Sie selbst in Ihrer Antwort gesagt - wird kaum ausgereizt. Sie sagen selber, dass in Niedersachsen die Höchststrafe nur in Einzelfällen vollzogen wird.

(Bernd Althusmann [CDU]: Die Höchststrafe sind immer Anträge von den Grünen!)

Dann ist es doch umso absurder, wenn man ein höheres Strafmaß fordert.

Unsinnig ist in unseren Augen genauso die Forderung der Landesregierung, den § 105 JGG wieder auf seine ursprüngliche Absicht zurückzuführen und für Heranwachsende in der Regel Erwachsenenstrafrecht anzuwenden. Ich sage Ihnen: Vertrauen Sie den Richterinnen und Richtern. Sie wenden das geltende Recht wirklich mit sehr viel Sensibilität und Fachverstand an. Es braucht keine Änderung dieses Paragraphen. Vertrauen Sie einfach der Unabhängigkeit und dem Fachverstand der Richterinnen und Richter, dann sind Sie gut bedient und müssen keine Bundesratsinitiativen starten.

Dann gibt es eine weitere Forderung, die Sie ständig und immer wieder aufstellen - das steht schon im Wahlprogramm und im Koalitionsvertrag. Dazu haben Sie aber in der letzten Legislaturperiode in der Anhörung, die dazu durchgeführt wurde, im Prinzip nur Prügel bekommen. Das ist nämlich die Forderung nach einem so genannten Warnschussarrest - auch so eine fixe Idee.

(David McAllister [CDU]: Hände run- ter!)

Sie rechtfertigen das mit der Zunahme an Reaktionsmöglichkeiten auf Jugendkriminalität. Dazu ist zu sagen, dass das geltende JGG einen wirklich dicken Katalog an verschiedenen Sanktionsmöglichkeiten bereithält. Diese Möglichkeiten sind auch noch unterschiedlich zu kombinieren. Es gibt also gar keinen Grund, eine weitere Kombinationsmöglichkeit einzuführen.

Frau Ministerin, Sie müssen mir auch noch Ihre Haltung zu einer weiteren Flexibilisierung in Bezug auf das Erwachsenenstrafrecht erklären. Darüber haben wir in diesem Plenum diskutiert. Die Bundesregierung will das Sanktionsrecht etwas reformieren und etwas mehr Flexibilität einführen. Das bekämpfen Sie aber vehement. Es ist in meinen Augen ein rechtspolitischer Eiertanz, wenn man auf der einen Seite sagt, man möchte mehr Flexibilität im Recht, und man auf der anderen Seite in die falsche Richtung geht. Das ist sehr inkonsequent.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese ständige Lust an höherer Strafe und Arrest ist meiner Meinung nach einer ungenügenden konservativen Empathieleistung zuzuschreiben. Die Bürgerlichen können sich eben einfach nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die ein Stück weit anders funktionieren als sie selbst.

(Reinhold Coenen [CDU]: Nun hören Sie doch auf zu schimpfen! - David McAllister [CDU]: Das ist doch keine Rechtfertigung, das Strafmaß zu er- höhen! Wie reden Sie denn!)

- Jetzt scheint es Wirkung zu entfalten. - Auf einen bürgerlichen Menschen mögen ein Arrest oder eine Haftstrafe abschreckend wirken. Aber auf Jugendliche, die oft aus desolaten Verhältnissen kommen, die regelrecht verwahrlost sind, kaum noch Vertrauen in soziale Bindungen haben, wirkt ein Arrest eben alles andere als läuternd oder abschreckend. Diese Jugendlichen kommen eben nicht aus der warmen Bildungsbürgerstube, sondern aus kaputten Verhältnissen. Deshalb brauchen sie auch keinen Arrest, sondern Unterstützung in Form von sozialem Training oder auch Schulungen. Es bleibt in meinen Augen eine alte pädagogische Wahrheit: Erziehung durch Strafe ist falsch.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Pfingsten ist gerade vorüber: Besinnen Sie sich doch ruhig einmal auf das Neue Testament, und lesen Sie sich genau durch, welche Botschaft darin steht. Dort heißt es nämlich Gewaltfreiheit, Mitgefühl und Liebe und nicht Strafe, meine lieben Leute.

(Beifall bei den GRÜNEN - Reinhold Coenen [CDU]: Das müssen Sie uns gerade noch verkünden!)

Ich finde, man kann die CDU ruhig einmal an ihrer eigenen Ethik und ihren eigenen Ansprüchen messen und darauf hinweisen. Daran sollten Sie sich auch messen lassen, und so sollten Sie sich in meinen Augen auch verhalten.

(Hans Peter Thul [CDU]: Aber nicht mit Ihrem Bibelverständnis!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie hat sich nun die Jugendkriminalität in Niedersachsen in den letzten Jahren entwickelt? Gibt es wirklich einen Besorgnis erregenden Anstieg, sodass das

geltende Recht verändert werden muss? - Ja, es gab in den 90er-Jahren einen Anstieg der registrierten Jugendkriminalität. Das ist richtig. Die Ursachen dafür sind sehr vielfältig. Sie liegen in einem höheren Zuzug von Osteuropäern bzw. Ausländern mit manchmal erschreckenden Erziehungsdefiziten, in einem sehr schwierigen Ausbildungsmarkt - auch darüber haben wir diskutiert und werden heute auch noch einmal diskutieren - und auch in einer ungenügenden Medienkompetenz. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, seit einigen Jahren sinkt die Jugendkriminalität auch wieder. Sie sehen: Man muss das bestehende Recht nicht immer ganz schnell ändern. Die Kriminalitätsraten steigen, sie sinken aber auch wieder. Es gibt dabei Zyklen, die wir gar nicht erklären können. Deswegen gibt es auch keinen Grund, gute Gesetze gleich wieder zu verschlechtern.

Ich möchte noch etwas zur Kriminalprävention sagen. Die Landesregierung listet auf die Anfrage hin, die wir gestellt haben, einen ganzen Katalog dazu auf, was man alles macht und was man getan hat. Dazu ist zu sagen, dass das viele Programme sind, die die Vorgängerregierung angefangen hat - Sie haben also eigentlich nichts Eigenes auf die Schiene gesetzt -, aber deswegen ist es nicht falsch; man soll es trotzdem weiterführen. Die Forderung nach mehr Präventionsräten ist richtig und findet unsere Zustimmung. Aber wenn die Landesregierung einen wirklich fundierten, an den Ursachen orientierten Beitrag zur Eindämmung zur Jugendkriminalität leisten will, dann darf sie nicht nur auf das Jugendstrafrecht setzen, sondern dann muss sie ein großes bildungspolitisches Rad drehen. Längst weiß man, dass die soziale Lage der jungen Menschen, ihre Gegenwartschancen und ihre Zukunftsperspektiven die entscheidenden Kriterien für die Entwicklung und vor allem für die schwere Kriminalität sind. Dazu sage ich Ihnen und insbesondere dem Minister Busemann: Gehen Sie an den konsequenten Ausbau der Ganztagsschule. Da passiert noch viel zu wenig in unserem Land.

(David McAllister [CDU]: Tun wir doch!)

Das ist eine wirkliche Maßnahme für vernachlässigte und benachteiligte Jugendliche.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ferner möchte ich den Kultusminister Bernd Busemann noch an eine andere Forderung erinnern, die er in diesem Landtag immer wieder gestellt hat, nämlich die nach einem kostenlosen Kindergartenjahr. Ich sage Ihnen: Wenn Sie das Land wirklich voranbringen wollen, dann kratzen Sie die allerletzten Euros zusammen, und stecken Sie sie in die Frühförderung.

(David McAllister [CDU]: Stellen Sie einen entsprechenden Haushaltsan- trag!)

Dort werden die Grundlagen für ein Gelingen oder Scheitern im Leben gelegt. Verzichten Sie auf zu viel Verkehrsinfrastrukturmumpitz, oder lassen Sie das zumindest konsequent privat finanzieren, und pumpen Sie die Mittel, die noch vorhanden sind - ja, ich weiß, das ist sehr wenig -, in die Kindergärten. Das wird sich auszahlen.