Protokoll der Sitzung vom 20.05.2005

Jetzt, nachdem die Länder wieder in die Tarifverhandlungen eingestiegen sind, wird es allerhöchste Zeit, auch das Thema Wissenschaftstarif endlich anzupacken.

(Beifall bei der SPD)

Herr Möllring, Sie als Verhandlungsführer der Tarifgemeinschaft der Länder sind hier in besonderer Weise gefordert. Das Schlimmste, was passieren könnte, ist, dass - wie bei der Föderalismusreform, den Eliteprogrammen und vielen anderen für die Hochschulen existenziell wichtigen Fragen - auch hier wieder blockiert wird. Dabei wissen wir mittlerweile: Es geht nicht um die Sache, es geht hier nur um Machtfragen, und zwar insbesondere um Machtfragen innerhalb der Ministerpräsidentenriege. Wir hoffen und erwarten, dass Herr Minister Stratmann es nicht so weit kommen lässt. Die Hochschulen und der wissenschaftliche Nachwuchs dürfen nicht erneut im Regen stehen gelassen werden.

(Beifall bei der SPD)

Zum Schluss möchte ich den Antrag stellen, die Federführung für dieses Thema dem Ausschuss für Wissenschaft und Kultur zu übertragen, weil es dorthin gehört. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank, Frau Graschtat. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Dr. Heinen-Kljajić, bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Problembeschreibung im vorliegenden Antrag ist unstrittig und wird auch von Hochschulen und öffentlichen Forschungseinrichtungen geteilt. Frau Graschtat hat es eigentlich schon ausgeführt: Der alte BAT kann Tätigkeiten in Forschung und Lehre mit ihren typischen Berufsverläufen nicht sachgerecht beschreiben. Auf die Ausgestaltung des BAT haben Hochschulen und Wissenschaftsministerium darüber hinaus keinen Einfluss. Deshalb haben wir als Grüne auf Bundesebene bereits 2002 in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt, in der laufenden Legislaturperiode gemeinsam mit den Ländern und den Gewerkschaften einen eigenen Wissenschaftstarifvertrag zu schaffen.

Meine Damen und Herren, auch über den Regelungsbedarf im Wissenschaftstarifvertrag besteht im Wesentlichen Einigkeit: Er muss für alle im Wissenschaftsbetrieb arbeitenden Berufsgruppen gelten. Er soll eine leistungsorientierte Bezahlung beinhalten. Er muss flexible, dem Arbeitsalltag in Forschung und Lehre angemessene Regelungen zur Arbeitszeit schaffen. Er muss die Studienabschlüsse Bachelor und Master abbilden, wobei Absolventinnen und Absolventen von Fachhochschulen und Universitäten gleichzustellen sind. Außerdem ist es dringend geboten, adäquate Rahmenbedingungen für die Beschäftigung von Doktorandinnen und Doktoranden sowie studentischen Hilfskräften zu schaffen.

Bei der Umsetzung dieser Ziele wird es dann allerdings kompliziert. Meine Damen und Herren, auf Bundesebene ist ein eigenständiger Wissenschaftstarifvertrag lange Zeit von Bundesinnenminister Schily torpediert worden; da hat sich die Bundesbildungsministerin Bulmahn mit ihrem ressortzuständigen Ministerium nicht gegen den Ministerkollegen durchsetzen können. Aber nicht nur auf Bundesebene hakt es - das haben wir eben auch schon gehört -, auch die Tarifgemeinschaft deutscher Länder hat bisher die Aushandlung eines eigenständigen Vertrages auf Bundesebene zu verhindern gewusst. Der Strategie von Herrn Minister Möllring können wir folglich nur wenig abgewinnen.

Meine Damen und Herren, an diesem Antrag überzeugt uns noch nicht so ganz, für den Wissenschaftsbereich als einzige Alternative lediglich die kleine Lösung innerhalb des Tarifvertrages öffentli

cher Dienst zu favorisieren. Nur wenn Hochschulen und Forschungseinrichtungen direkt an den Tarifverhandlungen teilnehmen, ist meiner Meinung nach sichergestellt, dass auf Arbeitgeberseite auch tatsächlich die Belange des Wissenschaftsbetriebs Berücksichtigung finden. Das Leitbild selbständiger Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen macht aus unserer Sicht eigentlich einen Arbeitgeberverband Wissenschaft auf Bundesebene erforderlich, der jenseits von BAT und TVöD einen eigenen Tarifvertrag aushandelt. Klar ist aber auch, dass wir eine bundeseinheitliche Lösung brauchen, sonst käme es nämlich zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Hochschulen, die ja in Landeszuständigkeit sind, und außeruniversitären Forschungseinrichtungen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zudem steht aber auch fest: Die Arbeitsbedingungen und Dienstverhältnisse sind nicht allein im Rahmen von Tarifverhandlungen zu regeln. Wollen wir tatsächliche Verbesserungen, erfordert das auch entsprechende Voraussetzungen, z. B. im Teilzeit- und Befristungsgesetz oder im Kündigungsschutzgesetz. Außerdem ist es zu kurz gegriffen, wenn man bei dem Thema Wissenschaftstarifvertrag nur an die Angestellten denkt. Wenn wir das deutsche Hochschulsystem wirklich wettbewerbsfähig machen wollen, müssen wir noch einen Schritt weitergehen und uns von der Verbeamtung von Professorinnen und Professoren verabschieden.

Meine Damen und Herren, ich erwarte von den Ausschussberatungen zumindest die Offenheit, über einen Wissenschaftstarifvertrag auch jenseits des BAT oder des TVöD zu diskutieren.

Von der Landesregierung erwarten wir, dass sie die Blockade der Tarifgemeinschaft deutscher Länder aufgibt und den Weg für einen Wissenschaftstarifvertrag mit bundesweiter Gültigkeit frei macht. Mit einer fortgesetzten Verweigerungspolitik gegenüber bundeseinheitlichen Regelungen im Bildungsbereich schaden Sie jedenfalls dem Hochschulstandort Niedersachsen mehr und mehr. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Danke schön. - Nunmehr hat für die FDP-Fraktion Herr Kollege Professor Dr. Zielke das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit diesem Antrag versucht die SPD, über das Vehikel eines so genannten Wissenschaftstarifs doch noch die Übernahme des Tarifvertrages zu erreichen, den der Bund und die Kommunen mit der Gewerkschaft ver.di geschlossen haben.

Meine Damen und Herren von der linken Seite des Hauses, eine Vorbemerkung kann ich mir dann doch nicht versagen: Sie haben schon besser durchdachte Anträge gestellt. Aber das ist natürlich Ihre Sache.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Sie fordern erstens, den TVöD auf Niedersachsen zu übertragen. Soweit ich weiß, sind einige Details des TVöD noch nicht ganz festgelegt. Schon deshalb sollten wir also abwarten. Es sind aber vor allem die schon fixierten Teile dieses Tarifvertrages, die das Land nicht übernehmen sollte. Denn im Gegensatz zu anderen Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes stellen wir uns der Verpflichtung, unsere Verschuldung nicht ins Uferlose wachsen zu lassen. Niedersachsen soll kein ÖD-Land und auch kein Ödland werden.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Sie fordern zweitens, die abgebrochenen Tarifverhandlungen wieder aufzunehmen. Soweit ich weiß, war es die Gewerkschaft ver.di, die die Gespräche abgebrochen hat. Die Länder waren und sind gesprächsbereit.

(Zuruf von der CDU: Sehr richtig!)

Sie fordern weiterhin eigene Regelungen für die Arbeitsverträge von Wissenschaftlern bzw. von Beschäftigten in Forschung und Lehre. Das tun viele seit langem. In der Allgemeinheit dieses Antrages ist das wohlfeil, aber im Detail ist das eine verzwickte Materie.

Das fängt mit der Abgrenzung des Personenkreises an. Gehören dazu nur die eigentlichen Forscher oder auch die Angestellten der Bibliothek oder des Botanischen Gartens, der Hausmeister,

die Dekanatssekretärin und die studentische Hilfskraft? Man sollte schon präzisieren, was eigentlich für welche Gruppe erreicht werden soll. Ich bin auf die Verhandlungen und die Gespräche im Ausschuss, die sehr detailliert sein werden, schon sehr gespannt, was man eigentlich für welche Gruppe und in welcher Weise geregelt haben möchte.

Eines sollte allerdings jedem klar sein: Von den Scholaren des Mittelalters bis zu den Wanderern auf Tickets des Erasmus-Programms - Wissenschaftler sind fahrendes Volk. Da war der Wettbewerb schon immer international, mit den unterschiedlichsten lokalen Bedingungen - Stichwort Brain Drain, aber auch: Green Card made in Germany.

Wenn neue Regelungen für Wissenschaftler sinnvoll sein sollen und wenn sie den Standort Deutschland bzw. Niedersachsen stärken sollen, dann müssen Sie schon deshalb eine radikale Deregulierung bringen

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

und nicht entfernt etwas, was in das Korsett eines TVöD passen würde.

Noch ein Wort zu der einzigen Stelle Ihres Antrages, bei der Sie in die Nähe eines Arguments geraten. Da wird behauptet, ohne eine Übernahme des TVöD würde es zu Wettbewerbsverzerrungen zulasten niedersächsischer Hochschulen kommen. Wenn dem etwa die Vorstellung einer um zwei Stunden pro Woche längeren Arbeitszeit zugrunde liegen sollte, dann offenbart sich darin eine fast rührende Naivität, was den Arbeitsalltag von Wissenschaftlern betrifft. Die arbeiten nicht nach der Stechuhr. Die haben eine 50- bis 60-StundenWoche. Die denken und schreiben und experimentieren auch am Wochenende, weil sie von ihrer Sache fasziniert sind und weil sie selbst vorankommen wollen. Kaum zwei Dinge liegen so weit auseinander wie intrinsische Motivation und gewerkschaftliches Bewusstsein. Das Argument einer kürzeren Arbeitszeit läuft bei Wissenschaftlern schlicht ins Leere.

Als Fazit zu diesem Antrag drängt sich mir am ehesten die bildkräftige Überschrift der Dringlichen Anfrage von gestern auf: „in die Tonne treten“.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke schön. - Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Röttger. Bitte schön, Sie haben das Wort!

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat so, die Drucksache 15/1908 stellt auch mich vor gewisse Herausforderungen. Ich freue mich, dass ich als Landtagsabgeordneter und Kollege hier zu Ihnen sprechen kann und nicht Gastredner bin und meine einleitenden Worte vielleicht gelautet hätten: Liebe Mitglieder der Tarifkommission!

Ich habe mir das einmal angeschaut. Was sagt der Antrag? - Punkte 1 bis 4: Wir sollen etwas feststellen. Ich glaube, die wichtigste Feststellung dieser Woche ist - dazu müssten wir noch schnell einen Antrag bekommen -: Wir hatten Atemluft mit Geschmack.

Die anderen Punkte gehen eigentlich mehr in die Richtung: Was soll der Antrag überhaupt? Soll er nicht eigentlich nur in die Richtung gehen, uns den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst auf Bundesund auf kommunaler Ebene auf das Auge zu drücken? - Ich bin dankbar, dass wir mit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder einen Verhandlungspartner in der Kommission haben, der das so nicht zulässt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Bewerten wir die ganze Geschichte! Das Erste ist ein Sprung hinter einen abgefahrenen Zug; denn es gibt schon sehr viele Menschen, die betroffen sind, die Kompetenz haben und nach Lösungen suchen. Dem abgefahrenen Zug wird auch noch hinterher gelaufen, weil wir mit unserem Finanzminister Hartmut Möllring jemanden haben, der unsere Interessenlagen in den Verhandlungen entsprechend einbringt.

Nehmen Sie das Internet - auch ohne Informationsfreiheitsgesetz schon für jeden nutzbar -, dann finden Sie sehr viele Informationen zu dem Tarifrecht im öffentlichen Dienst und zu dem Tarifrecht im Bereich Wissenschaft und Unikliniken. Der Wissenschaftsrat, die Hochschulrektorenkonferenz, die Tarifgemeinschaft, die Gewerkschaften, die Landtage - beispielsweise der Landtag NordrheinWestfalen -, der Bundestag - alle beschäftigen sich damit.

Ganz interessant ist auch noch eines: der Koalitionsvertrag von 2002, Berlin, Zielaussage: Wissenschaftstarifvertrag. Wir hörten es gerade: Thema nicht angefasst, nichts erreicht. Die FDP musste einen Antrag stellen, damit das Thema auch dort einmal diskutiert wird.

Ich denke, wir müssten die Situation der Hochschulen einmal richtig betrachten und sie nicht mit allgemeinen Verwaltungen vergleichen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Tarifvertrag öffentlicher Dienst an den Hochschulen und Universitäten uns ein Stück voranbringt; denn es gibt schon im BAT für die allgemeine Verwaltung sehr viele Fallen und Änderungswünsche. Viele von Ihnen, die Kommunalpolitik machen, wissen das.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von der CDU: Richtig!)

Wenn Einigkeit besteht, dass unser heutiges und unser zukunftsorientiertes Handeln der Globalisierung und den innovativen Ideen Rechnung tragen soll, dann brauchen wir doch Freiräume. Wir brauchen keine starren Regeln und Eingrenzungen. Wenn wir beispielsweise einmal für drei Monate eine Kraft brauchen, dann gibt dies das Tarifrecht nicht her. Dann überlegen wir, wie wir das machen könnten.

Ich nenne ein Beispiel. Im öffentlichen Dienst gab es früher einmal sehr viele vom Land angestoßene Sozialstationen. Es gab das BAT-Recht, KR-Tarife usw. Das Land reduzierte die Zuschüsse und stellte sie schließlich ein. Alle Sozialstationen schrieben rote Zahlen. Die Kommunen, die beispielsweise gemeinnützige Gesellschaften gegründet haben, haben freies Arbeitsrecht und eigene Regeln der Vergütung gefunden. Sie überlebten, stehen im Wettbewerb und schreiben sogar schwarze Zahlen. Mindestens solche Freiräume würde ich mir für den Bereich der Hochschulen und Universitäten wünschen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Letztendlich bleibt mir, zum Tarifvertrag öffentlicher Dienst aus kommunalpolitischer wie auch aus verwaltungstechnischer Erfahrung festzustellen - bei allem Respekt vor den Veränderungen, die kommen sollen -: Ein bisschen Leistungshemmendes bleibt. Die Frage nach der Motivationsförderung konnte ich auch noch nicht positiv beantworten, und der Spielraum für besondere Situationen und für Ausnahmen bei örtlichen Belangen war schlichtweg nicht da. Innerhalb des Tarifrechts ist

es ein Reagieren der Arbeitgeber, ein Agieren wird verhindert.

Wo müssen wir also hin? - Wir müssen dahin, dass praktische Lösungen für den Wissenschaftsbereich gefunden werden. Es gibt unendlich viele Papiere, die man lesen kann. Ich habe im Augenblick ungefähr 780 g bedrucktes Papier und werde mich damit auch noch etwas intensiver beschäftigen. Ich wünsche nur, dass sich die Zuständigen - das ist der entscheidende Punkt; wir können hier zwar lange darüber diskutieren, aber zuständig sind die Tarifvertragsparteien - darauf konzentrieren, praktikable, klare und einfache Lösungen im Interesse der Wissenschaft und der Kliniken zu finden. Diese herzliche Bitte habe ich an die Verhandlungspartner.