Protokoll der Sitzung vom 14.09.2005

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Ihre ja?)

Meine Damen und Herren von der CDU und von der FDP, Sie täuschen die Menschen in Niedersachsen über das wahre Ausmaß der Verschuldung. Ehre, wem Ehre gebührt, aber Ihnen gebührt hier keine.

Meine Damen und Herren, für 2006 legt die Landesregierung uns jetzt einen Haushaltsentwurf vor, der im Wesentlichen aus zwei Komponenten besteht: Erstens neue Schulden - zusätzlich auch wieder über die bekannten Schattenhaushalte -,

(David McAllister [CDU]: Das sind keine Schattenhaushalte!)

zweitens wird das Tafelsilber verkauft. Um die Haushaltslöcher zu stopfen, muss über so genannte Vermögensaktivierungen fast eine Milliarde Euro aufgebracht werden. Für 433 Millionen Euro müssen Darlehensrückflüsse der Landestreuhandstelle zur Haushaltsdeckung verkauft werden. Das führt auch zu Folgekosten, da die Verpflichtungen aus Wohnungsbauprogrammen in den nächsten Jahren den Landeshaushalt belasten.

Die Landeskrankenhäuser sollen en bloc verscherbelt werden, um das Haushaltsloch 2006 zu kitten. Damit greift der Finanzminister jenseits jeglicher Fachkenntnis in die psychiatrische Versorgung und den Maßregelvollzug ein. Eine Privatisie

rung des Maßregelvollzuges würde vermutlich zukünftig zu höheren Haushaltsbelastungen führen. Das ist tatsächlich finanzpolitischer Irrsinn, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auch die Domänenverkäufe müssen erneut zur Haushaltsdeckung herhalten. Dann wird noch eine vermeintliche Rücklage aus dem Jahresabschluss 2004 verbraucht. In Wirklichkeit handelt es sich doch um NORD/LB-Geld aus der nachträglichen marktgerechten Verzinsung des Förderkapitals der Landestreuhandstelle.

Nur etwas mehr als 1 % der Deckungslücke, die trotz Neuverschuldung im Haushalt 2006 klafft, hat diese Landesregierung in diesem Jahr über Einsparungen geschlossen bzw. sie will das tun. Wer dann noch behauptet, Niedersachsen setze den Konsolidierungskurs konsequent fort, der ist nicht nur nicht ehrlich, der ist auch noch mutlos.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, sind die strukturellen Reformen zur Sanierung des Landeshaushaltes bereits abgeschlossen? Hat das Land so viel Vermögen, dass allein auf diesem Wege eine Sanierung möglich ist? Ist der Staatsbankrott, den Ihr Berater Herr Homburg vor kurzem an die Hauswand gemalt hat, schon abgewendet? - Mitnichten. Die Erklärung für diesen Haushaltsentwurf ist viel einfacher: In vier Tagen ist Wahltag. Da haben Sie das Fracksausen gekriegt. Ehrlichkeit gibt es, wenn überhaupt, nur noch in kleinen Häppchen. Im nächsten Jahr ist Kommunalwahl. Werden Sie dann furchtloser sein? - Ich befürchte: kaum. Und vor der Landtagswahl? Sind Sie dann unerschrockener als heute? - Das ist kaum zu erwarten, meine Damen und Herren. Weitere Reformen bei der Beihilfe? - Fehlanzeige! Kreis- und Regionalreform? - Fehlanzeige! Reform im Bereich der Versorgungskosten? - Auch hier stehen Sie auf der Bremse. Das Versorgungsnachhaltigkeitsgesetz des Bundes, das die Veränderungen der Rentenversicherung auf den Bereich der Beamtenversorgung übertragen sollte, haben Sie im Bundesrat blockiert - erst jetzt zu Beginn der Sommerpause. Lebensarbeitszeit? - Alles nur Sprücheklopfereien, meine Damen und Herren! Sie pensionieren 50jährige Beamte. Sie arbeiten 25 Jahre und bekommen 35 Jahre Ruhegeld. Das hält kein Gemeinwesen aus. Das funktioniert rein rechnerisch nach Adam Riese nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Was passiert auf der Einnahmeseite? - Nach der langjährigen Bundesratsblockade drohen jetzt Kirchhof-Chaos, Merkel-Murks und die Länderborniertheit der CDU-Ministerpräsidenten. Was gilt denn nun eigentlich? - Kirchhof will die Eigenheimzulage abschaffen. Die CDU will damit ihre Wahlversprechen finanzieren. Die Ministerpräsidenten aber stimmen just in der letzten Woche gegen die Abschaffung der Eigenheimzulage im Bundesrat. Kirchhof will die Pendlerpauschale abschaffen. Die CDU will sie kürzen, um den Spitzensteuersatz zu senken.

(David McAllister [CDU]: Es gilt das Regierungsprogramm! - Bernd Althus- mann [CDU]: Glauben Sie allen Ernstes, wir vertrauen Ihnen noch ei- nen Cent an?)

- Sie haben kein Vertrauen in den Wahlsieg, Herr Althusmann. Das ist es.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Die Ministerpräsidenten wollten noch bis vor kurzem alle diejenigen bei lebendigem Leibe steinigen, die so etwas auch nur gedacht haben.

(Bernd Althusmann [CDU]: Sie wollen das doch alles nur verfrühstücken!)

Dann kommt der Höhepunkt: Die Steuern auf Benzin sollen herunter, aber dann wieder herauf mit der Mehrwertsteuer.

(Bernd Althusmann [CDU]: Noch nie hatten wir so hohe Energiekosten!)

Ist das Bürokratieabbau, oder wie nennt man das? - Die CDU fährt in diesen Fragen steuerpolitisch Achterbahn, meine Damen und Herren. Erst war Kirchhof der Held, der Rächer der Mutlosen, einer für alle - für CDU und FDP. Jetzt hat er Redeverbot. Die FDP hat ihn auf ihrem Parteitag nicht einmal mehr namentlich erwähnt. Und Sie, Herr Wulff, bringen im Kampf um die Umfragewerte von Merkel den Widersacher von Kirchhof, Herrn Merz, erneut ins Spiel. Aber worum geht es in der Sache? Es geht um die Kirchhof‘sche Streichliste, die nicht vorgezeigt werden darf. Was steht denn darauf? Warum ist diese Liste so geheim, so gefährlich?

(Zuruf von Heinz Rolfes [CDU])

Herr Rolfes, steht der Sparerfreibetrag auf der Liste? Ist der Behindertenpauschbetrag auf der Liste?

(Bernd Althusmann [CDU]: Was ist mit der Mehrwertsteuer auf Nahrungs- mittel?)

Was ist mit der Übungsleiterpauschale, Herr Althusmann, mit dem Pflegepauschbetrag, mit der Absetzbarkeit der Ausbildungskosten, mit der Absetzbarkeit von Betriebskindergärten, mit der Besteuerung des Arbeitslosengeldes I? Sind das alles überflüssige Subventionen, Herr Wulff? Ja oder nein? - So viel Ehrlichkeit kann man vor der Wahl erwarten. Sie haben sicherlich noch Redezeit. Wir freuen uns, wenn Sie dazu Stellung nehmen würden.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Die Vorschläge, egal ob von Kirchhof oder Merz, sind unsozial. Vor allen Dingen - das interessiert uns heute an dieser Stelle ganz besonders - kommen sie die öffentlichen Haushalte teuer zu stehen und damit auch den Landeshaushalt 2006.

Herr Minister Möllring, Sie glauben selbst nicht an einen Wahlsieg der Union, nicht an die eigenen Wahlversprechen und ihre Wirkung auf das Wirtschaftswachstum. Sonst hätten Sie doch nicht die Wachstumsprognosen in der mittelfristigen Finanzplanung nach unten korrigiert. Aber das nur am Rande.

Es gibt zwei potenzielle Wirkungen des CDU/Kirchhof-Programms: Beide würden zu drastischen Einnahmeausfällen im Haushalt des Landes Niedersachsen führen. Erstens. Der Steuerausgleich für die Finanzierung der für Chefärzte und Krankenschwestern gleich hohen Kopfpauschale würde das Land Niedersachsen Unsummen kosten. Zweitens. Auch die Flat tax von Kirchhof - gleiche Kopfsteuersätze für Schichtarbeiter und Manager würde das Land Unsummen kosten.

Dann bliebe nur die von Frau Merkel angekündigte höhere Mehrwertsteuer. Merkel will die Einnahmen für die Senkung der Lohnnebenkosten. Aber die Begehrlichkeiten der CDU-Ministerpräsidenten sind groß. Auch in Niedersachsen gibt es nach Zeitungsberichten „neue Verwirrung um die Mehrwertsteuer“.

Meine Damen und Herren, jenseits der Frage, was mit den Einnahmen aus der höheren Mehrwertsteuer tatsächlich geschieht, bleiben die grundsätzlichen Probleme mit diesem Ansatz. Die höhere Mehrwertsteuer würde ohne jeden Ausgleich beispielsweise Arbeitslose, Studierende und Rentner belasten. Gleichzeitig würde die Mehrwertsteuer voll auf die Konjunktur durchschlagen und die Kaufkraft dämpfen. Der Einzelhandelsverband befürchtet einen deutlichen Kaufkraftverlust und appelliert eindringlich an die Union, auf die Mehrwertsteuererhöhung zu verzichten. Auch den Handwerkern würde das Leben schwer gemacht, weil der Anreiz zur Schwarzarbeit größer würde. Allein das, was Sie aus dieser Ecke zu hören bekommen haben, sollte Ihnen zum Nachdenken Anlass geben.

Meine Damen und Herren, Sie haben kein Konzept - nicht für den Bund und nicht für das Land.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Jetzt sind Sie in Niedersachsen seit 30 Monaten im Amt. Das ist keine besonders lange Regierungszeit,

(David McAllister [CDU]: Aber sehr erfolgreich!)

aber es gibt aber schon einen deutlichen Negativtrend, Herr McAllister. Ich habe vorhin schon einige Zahlen genannt. Irgendwelche Stiftungen, die sich da - -

(Lachen bei der CDU)

- Wir nehmen lieber amtliche Zahlen. Wie wäre es denn damit, Herr McAllister? Wir scheuen da keinen Vergleich. Wir nehmen das Bundesamt für Statistik, wir nehmen das Landesamt für Statistik, wir nehmen amtliche Zahlen, die wir nebeneinander legen. Da zeigt sich, dass die Arbeitslosigkeit bei jungen Menschen unter 25 Jahren in Niedersachsen im Vergleich zum letzten Jahr um 41 % angestiegen ist. Ich hätte gerne von Ihnen eine Vergleichszahl, was Ihre Bertelsmann-Stiftung dazu sagt, Herr McAllister. Wenn die bessere Zahlen haben, dann legen Sie sie bitte hier auf den Tisch. Ich kenne solche Zahlen nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Hirche hat eben versucht, etwas in Bezug auf die Insolvenzen klarzustellen. In Niedersachsen

meldeten im ersten Halbjahr dieses Jahres 11 % mehr Unternehmen Insolvenz an als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Bundesweit ist die Zahl der Unternehmenspleiten aber rückläufig. Herr McAllister, wenn Sie auch dazu eine aktuelle Zahl von der Bertelsmann-Stiftung haben, dann legen wir sie gern daneben. Wir schauen uns das an. Das können wir noch heute Abend machen.

Meine Damen und Herren, die Armutsquote ist in Niedersachsen doppelt so stark gestiegen wie im Bundesdurchschnitt. 10 bis 15 % der Schulabgänger in Niedersachsen haben keinen Schulabschluss. Niedersachsen ist hier viertletztes Land in der Länderstatistik, Platz 12 von 16. Den Hochschulen werden mit dem Zukunftsvertrag bis zum Jahr 2010 160 Millionen Euro entzogen. Dafür müssen dann die Studierenden bluten.

Auch zur Umweltpolitik der Landesregierung, meine Damen und Herren, fällt einem nichts mehr ein. Selbst der Landesvorsitzende des Naturschutzbundes hat letzten Samstag erklärt: Es gibt erhebliche Probleme in etlichen Bereichen. - Sie wissen das. Sie kennen unsere Kritik. Ich möchte das an dieser Stelle nicht weiter ausführen.

In Sachen Finanzen wird der Ministerpräsident, Herr Wulff, mit diesem Haushalt 2006 zum größten Schuldenkönig in der Geschichte des Landes Niedersachsen.

(Beifall bei der SPD)

Mein Kollege Jüttner hat erfreulicherweise auf das Zitat aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hingewiesen, die sehr deutlich macht, dass wir mit diesem Urteil in diesem Land nicht allein stehen.

Herr Wulff, Sie hätten mehrfach die Gelegenheit zur Kooperation mit dem Bund gehabt. Sie haben im Bundesrat Entlastungsvorschläge im Umfang von mehr als 17 Milliarden Euro abgelehnt. Sie haben bei solchen Entscheidungen die Interessen Ihrer Partei vor die Interessen der Menschen dieses Landes gestellt. Tatsache ist, meine Damen und Herren, dass der Haushalt noch immer verfassungswidrig ist und dass er laut Ihrer Mittelfristigen Planung sogar bis 2009 verfassungswidrig bleiben soll. Wie Sie richtigerweise klargestellt haben, kann man 2007 nicht dazu zählen, weil Sie da die Einlage mit den 700 Millionen bei der NORD/LB machen; das ist ein Sondereffekt, den Sie sich tatsächlich nicht zurechnen können, zumal wir Ihnen mit dem Nachtragshaushalt noch über die Hürden geholfen haben, damit Sie das Geld noch rechtzei

tig vereinnahmen konnten, was aus den Zinsrückflüssen geflossen ist. Das können Sie gerne noch einmal erläutern. Dann können Sie vielleicht auch meine Zahlen korrigieren. Wenn die BertelsmannStiftung bessere Zahlen in Bezug auf die Insolvenzen, die Jugendarbeitslosigkeit und die Gesamtverschuldung vorgelegt hat, wäre ich dankbar, wenn wir das hier gleich noch zu hören bekämen.

Meine Damen und Herren, weil der Haushalt jetzt offenbar sogar bis 2009 verfassungswidrig sein soll, werden wir prüfen, ob man die Landesregierung durch eine Klage vor dem Staatsgerichtshof zur Verantwortung ziehen kann. Wir werden prüfen, ob man die Landesregierung auf diesem Wege zwingen kann, die Sparvorschläge des Bundes konstruktiv aufzugreifen, um eine extreme Neuverschuldung zu unterbinden und Kürzungen bei den Ärmsten der Armen, bei den Blinden, Obdachlosen und psychisch Kranken, zu verhindern.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Bernd Althusmann [CDU]: Ma- chen Sie mal einen Vorschlag, Herr Wenzel!)