Protokoll der Sitzung vom 10.11.2005

Danke schön, Frau Krämer. - Für die FDP-Fraktion hat sich Frau Kollegin Meißner gemeldet. Sie haben das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Krämer, genauso wie Sie freue auch ich mich auf die Beratungen im Sozialausschuss. Ich hatte mich eigentlich auch jetzt auf die Aussprache gefreut, weil ich annahm - wir haben ja gemeinsam einen Beschluss auf den Weg gebracht -, dass das inhaltlich eine von Gemeinsamkeiten geprägte Diskussion werden würde.

Ich finde es schade, dass Sie zunächst lange darüber geredet haben, wer der Urheber war. Dazu kann auch ich etwas sagen: Die FDP ist in Rheinland-Pfalz - das wissen Sie - schon längere Zeit an der Regierung beteiligt. 1998 gab es in RheinlandPfalz die ersten Modellerprobungen zum persönlichen Budget, noch bevor das SGB IX überhaupt die entsprechende Aufforderung an die Länder erlassen hat.

(Uwe Schwarz [SPD]: Das hat uns in Niedersachsen aber nicht vorange- bracht!)

- In Niedersachsen waren wir damals nicht an der Regierung beteiligt. Sonst wäre es vielleicht ein bisschen schneller gegangen, Herr Schwarz. Wer weiß?

(Zustimmung bei der FDP)

Frau Krämer, Sie hatten gesagt, wir schmücken uns mit fremden Federn. Das ist ganz eindeutig nicht der Fall. Ich habe es ja auch schon gesagt: Wir haben es einstimmig beschlossen. Die Fraktionen von CDU und FDP hatten einen gemeinsamen Antrag eingebracht. Ich finde es gut, wenn wir darin einig sind, dass das eine gute Sache ist. Alle Fraktionen sind der Meinung, das ist wirklich etwas Vernünftiges und Gutes, um Menschen mit Behinderung mehr Teilnahme, mehr Autonomie und auch mehr Selbstverantwortung und Eigenständigkeit zu ermöglichen. Das wollen wir alle. Das hatte sich in Rheinland-Pfalz schon gezeigt. Darauf hatten wir uns schon berufen.

In Niedersachsen ist das Modellprojekt knapp zwei Jahre lang gelaufen. Braunschweig ist etwas später eingestiegen; da haben Sie Recht. Wir mussten erst das geeignete Ballungszentrum suchen, das sich für dieses Modellprojekt angeboten hat.

(Heidemarie Mundlos [CDU]: Es ist erfolgreich!)

- Ganz genau, es ist erfolgreich gewesen. Danke, Frau Mundlos. - Es ist ganz klar: Wenn etwas Neues kommt, dann rennen uns nicht unbedingt alle die Türen ein und wollen dabei mitmachen. Wir haben jetzt gemerkt, dass das Modellprojekt auch in Niedersachsen erfolgreich gelaufen ist. Die Selbständigkeit und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen hat sich eindeutig erhöht. Alle Budgetnehmer sehen das sehr positiv. Nebenbei wurden zum Teil sogar Einspareffekte von 18 % erzielt. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Wir wussten schon aus Rheinland-Pfalz, dass es Einspareffekte gibt. Das war aber keineswegs unsere eigentliche Intention. Das ist mehr eine Folgeerscheinung, die ja ganz positiv ist, weil wir dann insgesamt mehr Geld im Topf haben.

Nachdem wir dieses Neuland betreten und positive Erfahrungen gemacht haben, sollten wir jetzt überlegen, wie wir das Projekt ausweiten. Wir haben schon im Mai 2003 gesagt: Wenn wir nach

zwei Jahren positive Erfahrungen verzeichnen können, dann machen wir weiter. Jetzt werben wir dementsprechend und folgerichtig um mehr Teilnehmer am Projekt persönliches Budget, und zwar sowohl um mehr Menschen mit Behinderungen, die sich melden und sich dazu bereit erklären, als auch um mehr Kommunen, die bereit sind, dieses Erfolgsprojekt mit umzusetzen.

Die Budgetassistenz wurde bereits angesprochen - Frau Krämer, auch Sie haben darauf hingewiesen -: Hier muss Verschiedenes noch geklärt werden. Die Budgetassistenz muss berücksichtigt werden, sowohl beim Hilfeplanverfahren als auch bei der Budgetzumessung. Dass das in Kommunen mit unterschiedlichen Erfahrungen belegt ist, ist überhaupt nicht hinderlich. Wir müssen an diesem Punkt auf jeden Fall weiterdenken.

Wenn wir einen Ausblick auf das wagen wollen, was wir noch tun müssen, was aber noch nicht genannt wurde, sehe ich folgenden Aspekt: Wir müssen Fähigkeiten vermitteln und versuchen, die Teilnehmer am Projekt persönliches Budget noch mehr in die Lage zu versetzen, selbstständig mit den Einrichtungen zu verhandeln. Bis jetzt haben sie als direkt Betroffene zwar den gesamten Prozess beobachtet, waren dabei aber nicht immer selbst Handelnde. Ich denke, wir sollten versuchen, sie dazu zu befähigen, dass sie ihre Leistungen möglichst selbstständig und wirklich autonom beantragen können. Wenn wir das schaffen würden, wäre das noch besser.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Unser Ziel ist es, ein trägerübergreifendes Budget zu schaffen, in das auch Leistungen der Pflege mit einbezogen werden.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Das wäre ein weiterer folgerichtiger und sehr positiver Schritt. Mittelfristig sollten wir auch anstreben, das persönliche Budget nicht auf wenige Leistungen der Eingliederungshilfe zu beschränken, sondern eine umfassende Teilnahme auch unter Einbeziehung anderer Träger von Rehabilitationsleistungen einzuführen. Das wäre für die Menschen mit Behinderungen das Richtige. Dann könnten sich diejenigen, die in Niedersachsen leben, über noch mehr Teilhabe an der Gesellschaft freuen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke schön, Frau Meißner. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Helmhold, bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Grundsatz begrüßen wir den Entschließungsantrag von CDU und FDP mit dem Titel „Persönliches Budget für Menschen mit Behinderungen weiterentwickeln“.

(Heidemarie Mundlos [CDU]: Aber jetzt! Jetzt kommt es, das „Aber“!)

- Erst einmal kommt gar kein Aber.

Das persönliche Budget ist ein wirklich wichtiges Institut für Behinderte, und dies ist eine wichtige behinderten- und sozialpolitische Errungenschaft der rot-grünen Bundesregierung, auf die ich sehr stolz bin. Es stärkt die Autonomie und die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und fördert und stärkt den ambulanten Sektor. Es entspricht einer lange gehegten Forderung der Behindertenverbände auf dem Weg zu einer selbstständigen Lebensführung.

Nun allerdings zu Ihrem Vorgehen. Wir hätten uns gewünscht, dass Sie die Fertigstellung des Endberichts zur Evaluation des Modells abgewartet hätten. Denn der Antrag ist, weil er zu früh kommt und weil diese Analyse fehlt, zwangsläufig unvollständig und er bedarf der Ergänzung.

Bei der Umsetzung des Instruments persönliches Budget muss man sehr genau auf die jeweilige Ausgestaltung der Bedingungen achten. Ich erinnere daran, dass die erste Phase des Modells in Rheinland-Pfalz als Rohrkrepierer endete, weil nämlich die Bemessung des persönlichen Budgets einfach zu gering war. Warum wir in Niedersachsen nicht ohnehin mehr auf die Erfahrungen, die dort gemacht wurden, zurückgreifen können, ist mir unerfindlich; denn ich denke, die Behinderten, die hier leben, und die, die weiter im Süden Deutschlands leben, sind nicht sehr unterschiedlich.

(Zuruf von der SPD: Zwei verlorene Jahre!)

- Ja, das waren zwei verlorene Jahre für das persönliche Budget in Niedersachsen.

Die Akzeptanz des Modellversuchs, der seit zwei Jahren läuft und jetzt ausgebaut werden soll, war ja in Niedersachsen nicht gerade umwerfend: Im Emsland beteiligten sich drei Personen, im Vorzeigelandkreis von Staatssekretär Hoofe, in Osnabrück, acht Personen. Ausschließlich in Braunschweig haben mit 40 Personen relativ viele Betroffene teilgenommen. Allerdings: Zu Auszügen aus Heimen kam es so gut wie gar nicht; es bleibt einer Analyse vorbehalten, wie das zu erklären ist. Und: Die bloße Umwandlung einer als Sachleistung bestehenden ambulanten Assistenz in ein Budget ist an sich ja noch keine Veränderung. So steht es auch im Zwischenbericht.

Einen wichtigen Stolperstein haben Sie in Ihrem Antrag selbst genannt: das Problem der Budgetassistenz. Hier haben wir das Problem der ungelösten Finanzierung. Dafür stehen im Hilfeplanverfahren verbindliche Festlegungen leider noch aus. Hierzu nun weitergehende Untersuchungen zu machen ist aus meiner Sicht eher eine Hinhalteund Verschiebetaktik; denn das Problem, das wir an dieser Stelle haben, ist bekannt.

(Zustimmung bei der SPD)

Ursprünglich war es nämlich nicht so gemeint, dass die Behinderten ihre eigene Budgetassistenz auch noch aus ihrem gedeckelten Budget bezahlen sollen. Der Behinderte muss ja schon mit relativ wenigen Stunden zurechtkommen, und dann soll er auch noch seine Assistenz bezahlen. Das ist der Akzeptanz des Modells nicht zuträglich, und das klappt auch nicht. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass einige derjenigen, die am Modellversuch teilgenommen haben, schon das Handtuch geworfen haben und sich wieder in Heimen befinden; denn es rechnet sich nicht und das persönliche Budget ist für sie unter diesen Bedingungen nicht akzeptabel.

Das persönliche Budget darf keinesfalls als Sparmodell für die Eingliederungshilfen missbraucht werden, meine Damen und Herren. Wir müssen in Zukunft auch sehr genau darüber nachdenken, wie man die Konditionen verbessern und Fehlanreize verhindern kann. Ich halte es z. B. für eine Fehlentwicklung, wenn Eltern das persönliche Budget ihres Kindes zum Anlass nehmen, die erwachsenen Kinder zurück in die elterliche Behausung zu nehmen und ihnen dafür als Kostenbeitrag ihr persönliches Budget abzuknöpfen.

Gerade so war das Modell nicht gemeint. Ich finde es auch bemerkenswert, dass unter den bisherigen Teilnehmern am Modell fast keine körperbehinderten Menschen sind. Hier werden wir uns sicherlich noch einmal genauer beraten lassen, wo an dieser Stelle im bisherigen Modell der Webfehler ist.

Wir sehen auch einen großen Handlungsbedarf bei der Bildung trägerübergreifender Budgets, die sich ja aus unterschiedlichen Leistungen von unterschiedlichen Leistungsträgern zusammensetzen können. Dabei zeigt sich, dass die Leistungsträger sehr viel besser zusammenarbeiten müssen. Das funktioniert im Moment leider noch nicht gut, genauso wenig wie bei den Servicestellen nach dem SGB IX; auch da haben wir dringenden Verbesserungsbedarf.

Ihr Vorschlag, das SGB XI einzubeziehen, klingt gut, birgt aber auch erhebliche Gefahren. Es ist nämlich zu befürchten, dass es letzten Endes um eine Senkung der Kosten für die von den Betroffenen zu beanspruchenden Leistungen und damit eher um eine Entlastung der Pflegeversicherung geht.

Alles in allem stehen wir dem Antrag nicht ablehnend gegenüber. Er kommt aus unserer Sicht zu früh und ist verbesserbar. Lassen Sie uns daher in den Ausschüssen im Detail darüber verhandeln. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Helmhold. - Weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Beratung.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung. Es wird empfohlen, den Antrag zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit zu überweisen. Mitberatend soll der Ausschuss für Inneres und Sport tätig sein. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Stimmenthaltungen? - Beides Letztere sehe ich nicht. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 25: Besprechung: Auswirkungen der weitgehenden Abschaffung des bürgerfreundlichen Widerspruchsverfahrens in Niedersachsen Große Anfrage der Fraktion der SPD - Drs. 15/2216 - Antwort der Landesregierung - Drs. 15/2313

Seitens der fragestellenden Fraktion der SPD hat sich Frau Kollegin Bockmann zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eines der Standardwerke für alle, die sich mit dem Thema Statistik beschäftigen, trägt den Titel „So lügt man mit Statistik“. Dieses Buch stellt dubiose Praktiken bei der grafischen Aufbereitung von Daten bloß. Es entlarvt die Illusion der Präzision. Es führt vorsortierte Stichproben, naive Trends und gefälschte Tests vor. Es deckt manipulierte Mittelwerte auf und stellt schließlich auch statistische Falschmünzer mitsamt ihrer Manipulation bloß.

Wenn ich mir die Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage anschaue, dann habe ich den Eindruck, dass die Justizministerin den eigentlich ironisch gemeinten Titel „So lügt man mit Statistik“ gerade zum Leitmotiv ihrer Antwort gemacht hat. Ich hätte nicht gedacht, dass sich die Justizministerin tatsächlich dem Risiko aussetzt, als statistische Falschmünzerin enttarnt zu werden.

(Oh! bei der CDU)

Doch ich habe schlechte Nachrichten für Sie, Frau Ministerin: Wir haben Sie auf frischer Tat ertappt.

(Zustimmung bei der SPD)

In Ihrer Antwort sehen wir Grafiken, wo Zahlen gefragt waren. Gegenläufige Trends werden in verschleiernder Absicht zusammengefasst. Hinzu kommen scheinbar zufällige Rechenfehler. Doch das ist noch nicht alles. Die grafische Darstellung der einzelnen Auswertungen bagatellisiert durch die willkürlich gewählte Skalierung die tatsächlich zwischen 2004 und 2005 eingetretenen Veränderungen in einer Art und Weise, dass sich der Eindruck aufdrängt, dass hier eine böswillige Verschleierung stattgefunden hat.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muss es leider so deutlich sagen: Die Antwort der Landesregierung auf unsere Anfrage nach den Auswirkungen der weitgehenden Abschaffung des bürgerfreundlichen Widerspruchsverfahrens ist eine Unverschämtheit, die ich so nicht für möglich gehalten hätte.