Protokoll der Sitzung vom 11.11.2005

Zu Frage 2: Die Landesregierung beabsichtigt, sich für die Wiedereinbringung der Gesetzesinitiative zur Stärkung des Jugendstrafrechts und zur Verbesserung und Beschleunigung des Jugendstrafverfahrens einzusetzen. Die Landesregierung hält es nach wie vor für angezeigt, insbesondere den Warnschussarrest neben Bewährungsstrafen einzuführen, um den Jugendgerichten die Möglichkeit zu geben, deutlich und spürbar Grenzen setzen zu können. Auch die Einführung des verkehrsdeliktunabhängigen Fahrverbots ist meines Erachtens eine sinnvolle Erweiterung des Sanktionensystems. Die Erhöhung der Jugendstrafe von 10 auf 15 Jahre, die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf Heranwachsende im Regelfall, die Stärkung des Opferschutzes und die Stärkung des

schnelleren vereinfachten Jugendverfahrens sind ebenfalls nach wie vor wichtige Anliegen der Landesregierung. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Danke schön. - Bevor ich den ersten Fragesteller aufrufe, stelle ich die Beschlussfähigkeit des Hauses fest.

Zur ersten Zusatzfrage Herr Briese, bitte!

Die Kleine Anfrage der Abgeordneten Lorberg bezieht sich ja auf den Kriminologen Professor Pfeiffer. Kann uns die Landesregierung die Position und die Empfehlungen des Kriminologen Pfeiffer hinsichtlich einer Änderung des Jugendgerichtsgesetzes hier noch einmal ausführlich darstellen, vielleicht auch vor dem Hintergrund der Empfehlungen, die Herr Pfeiffer Mitte dieses Jahres an die Justiz- und Innenminister der Länder und des Bundes gegeben hat?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön. - Für die Landesregierung Frau Ministerin Heister-Neumann!

Der Kriminologe Herr Pfeiffer setzt natürlich schwerpunktmäßig auf Prävention. Er will keine Verschärfung des Strafrechts. Dazu gibt es unterschiedliche Positionen; das muss man ganz deutlich sagen. Herr Pfeiffer hat aber auch unmissverständlich klargestellt, dass vor dem Hintergrund kultureller Unterschiedlichkeiten und der Erfahrung aus dem gegebenen Kulturkreis vor allem das von ihm immer wieder vorgetragene Machoverhalten ausländischer Jugendlicher im Rahmen dieser Delinquenz eine ganz besondere Rolle spielt.

Es ist meines Erachtens, Herr Briese, sehr wichtig, dass diese Jugendlichen im Rahmen des Sanktionsrechts des deutschen Strafrechts sehr frühzeitig zu spüren bekommen, dass es einfach Grenzen gibt. Das ist unser Ansatz. Ich glaube, der ist sehr wichtig, unabhängig von allen präventiven Maß

nahmen, die ebenso notwendig und erforderlich sind; das ist gar keine Frage.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Eine weitere Zusatzfrage stellt Herr Meihsies.

Frau Präsidentin! Ich frage die Landesregierung, ob sie uns darlegen kann, welche Position der Deutsche Juristentag im Jahre 2002 hinsichtlich der Positionierung und Begründung gegen eine Verschärfung des Jugendstrafrechts eingenommen hat, und - das ist die zweite Frage - ob sie bereit ist, sich dieser Position anzuschließen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Meihsies. - Für die Landesregierung Frau Ministerin Heister-Neumann!

Herr Meihsies, der Jugendgerichtstag ist im Ergebnis auch zu dem Schluss gekommen, dass eine Verschärfung des Strafrechts nichts bringt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Insbesondere hat er sich auch mit dem Warnschussarrest beschäftigt. Der Warnschussarrest ist auch mit der Begründung abgelehnt worden, es sei nachgewiesen, dass in den Fällen, in denen ein Arrest verhängt wird, die Rückfallquote höher ist als bei der Verhängung von Erziehungsmaßregeln.

(Zuruf von Enno Hagenah [GRÜNE])

- Herr Hagenah, hier gibt es unterschiedliche Auffassungen, und ich kann mich dieser Position auch nicht anschließen. Diese Einschätzung beruht schlicht und ergreifend auf einer Behauptung. Beides ist meines Erachtens aber nicht miteinander vergleichbar. Die Verhängung eines Arrests oder einer Erziehungsmaßregel fußt auf völlig unterschiedlichen Ausgangspositionen. Der Arrest wird immer schon dann verhängt, wenn bei dem Jugendlichen ein sich verfestigtes kriminelles Verhalten zu erkennen ist. Dass in den Fällen die Rückfallquote natürlich höher ist als bei einem ersten Angehen und einer Erziehungsmaßregel, ist

für mich selbstverständlich. Insofern ist das eine Einschätzung. Der Vergleich hat sich in der Realität auch noch gar nicht bewähren können.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Langhans!

Frau Präsidentin! Ich frage die Landesregierung: Wie steht sie zu der These des Sachverständigenrats für Zuwanderung und Integration, dass entscheidend für die Kriminalitätsneigung das soziale Umfeld und die persönlichen Lebenslagen sind - d. h. Armut, Arbeitslosigkeit -, nicht aber der Migrationshintergrund oder die Staatsangehörigkeit?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die Landesregierung Frau Ministerin HeisterNeumann!

Frau Langhans, ich bin davon überzeugt, dass das soziale Umfeld dabei eine ganz entscheidende Rolle spielt. Ich bin allerdings auch davon überzeugt, dass daneben auch der kulturelle Hintergrund eine Rolle spielt, gerade vor dem Hintergrund dessen, was Herr Pfeiffer gesagt hat: In bestimmten Ländern gibt es eben einen anderen Zugang zur innerfamiliären Auseinandersetzung. Die wird in diesen Ländern eher durch Gewalt und durch sehr autoritäres Verhalten beeinflusst als in anderen Ländern.

Ich sage an dieser Stelle aber auch sehr deutlich: Ich glaube, es wird niemals immer nur eine Ursache geben. Eine Verstärkung tritt dann ein, wenn unterschiedliche Dinge zusammen kommen. Das ist zum einen das soziale Umfeld. Zum anderen ist es aber auch die Benachteiligung in der schulischen oder in der wirtschaftlichen Entwicklung. Das alles kommt zusammen. Wenn diese Dinge zusammenkommen und kumulieren, entsteht daraus eine ganz brisante Mischung. Mit der haben wir dann umzugehen.

Herzlichen Dank. - Eine weitere Zusatzfrage stellt Frau Korter. Bitte!

Frau Präsidentin! Frau Heister-Neumann, Sie haben eben viele Zahlen vorgetragen, auch zum Anstieg der Rohheitsdelikte, wenn ich richtig zugehört habe. Warum kommt der hier schon erwähnte Professor Pfeiffer in seinen Forschungsarbeiten dann aber zu dem Schluss - ich zitiere -, dass die neueren Untersuchungen des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen klare Belege dafür bieten, dass die polizeilich registrierten Gewalttaten junger Menschen in den letzten Jahren nicht brutaler geworden sind?

Danke schön. - Frau Ministerin!

Die Untersuchungen von Herrn Pfeiffer basieren im Wesentlichen auf einer empirischen Feststellung. Diese empirische Feststellung basiert wiederum darauf, dass er Jugendliche in München zu ihren Erfahrungen in ihrem Umfeld befragt hat. Also, das sind die Wahrnehmungen, die zu bestimmten Schlüssen aus der Befragung von Jugendlichen in Schulen festgehalten werden.

Das andere, Frau Korter - das muss ich einfach einmal so sagen -, sind schlicht und ergreifend unsere Polizeiliche Kriminalstatistik und die Strafverfolgungsstatistik. Da müssen wir einfach feststellen, welche Zahlen wir über Tatverdächtige und Verurteilungen haben.

Ich würde mich freuen - um das ganz deutlich zu sagen -, wenn die Befragung der Jugendlichen im nächsten oder im übernächsten Jahr eine Reduzierung dieser Gewalttaten ergeben würde.

Eine weitere Zusatzfrage Frau Kollegin Bockmann, bitte!

Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass alle Fachleute - so auch Professor Pfeiffer - der Auf

fassung sind, dass verbesserte Integrationsmaßnahmen das richtige Mittel zur Bekämpfung der Jugendkriminalität sind, frage ich die Landesregierung: Wie erklären Sie sich, dass unter der Verantwortung von CDU und FDP die Mittel für Integration und Prävention entscheidend gekürzt worden sind?

Danke schön. - Für die Landesregierung Frau Ministerin Heister-Neumann!

Die Mittel im Bereich der Prävention sind nicht entscheidend gekürzt worden. Sie sind gekürzt worden, wie in anderen Bereichen auch, aber mit Sicherheit nicht entscheidend.

Auch Ihre Behauptung, dass die Landesregierung weniger für die Integration tue, stimmt nicht. Ich habe Ihnen im Rahmen der Beantwortung der Frage eben vorgetragen, wie wichtig es ist, dass speziell die ausländischen Jugendlichen, aber auch die jungen Spätaussiedler über gute Deutschkenntnisse verfügen. Die Vermittlung von Deutschkenntnissen in den Kindergärten und in den Schulen wird durch unseren Kultusminister unterstützt. Es ist ganz entscheidend - an dieser Stelle spreche ich Frau Langhans an -, dass ein Jugendlicher - egal, ob ein Spätaussiedler oder ein ausländischer Jugendlicher -, wenn er in die Schule kommt, die Sprache versteht, um am Unterricht vernünftig teilnehmen zu können. Ist das der Fall, werden die Benachteilungen bei den betreffenden Jugendlichen von vornherein reduziert. Wenn er die Sprache nicht versteht, dann hat er ein Riesenproblem. Dieses Problem kommt zu den anderen Problemen hinzu. Dann führt das soziale Umfeld eher zu einer Straffälligkeit, was aber wirklich nicht in unser aller Interesse liegen kann. Daran müssen wir weiterhin arbeiten.

(Beifall bei der FDP)

Danke schön. - Eine weitere Zusatzfrage stellt Frau Kollegin Schuster-Barkau.

Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Niedersächsische Landesregierung schon einmal die Städtebaufördermittel und damit auch die Förderung des Schwerpunktes soziale Stadt/sozialer Brennpunkt ausgesetzt und nicht kofinanziert hat, womit sie nicht nur der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und der Jugendkriminalität geschadet hat, frage ich die Landesregierung, was sie über die Wiedereinsetzung des meines Erachtens unabdingbaren Fördermittelanteils hinaus zu tun gedenkt, um den Anstieg der Jugendgewalt und der Jugendkriminalität effektiver zu bekämpfen.

Danke schön. - Für die Landesregierung Frau Ministerin Heister-Neumann!

Ich darf Ihnen dazu wie folgt antworten: Mein Ressort arbeitet im Bereich der Prävention sehr stark in einem vernetzten System. Dazu haben wir unseren Landespräventionsrat, dessen Geschäftsstelle im Justizministerium angesiedelt ist. Dieser Landespräventionsrat hat sich im vergangenen Jahr neu aufgestellt. „Neu aufgestellt“ heißt: Wir haben alle Ministerien - dazu gehört auch das von Ihnen angesprochene Ministerium, das für diesen Bereich letztendlich zuständig ist - mit in die präventive Arbeit eingebunden. Auf der Grundlage der Zusammenarbeit aller Disziplinen im Landespräventionsrat werden wir sicherlich auch dieses Thema erneut beraten und versuchen, weitere Lösungsansätze zu finden. Es ist ein Problem, aber Gott sei Dank kein Problem, das sich mit den Problemen in den französischen Banlieues vergleichen lässt.

Herr Briese zu seiner zweiten und damit letzten Zusatzfrage!

Fakt ist doch, dass die Landesregierung mit ihrer Position zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes in der Expertenwelt noch völlig allein dasteht. Niemand teilt ihre Meinung; weder der Deutsche Juristenverband noch die DVJJ oder verschiedene Strafrechtsprofessoren. Sie haben in Ihrer Antwort

eben selbst gesagt, dass die größten Probleme in der sozialen Integration von jungen Aussiedlern und Ausländern sowie in der hohen Arbeitslosigkeit liegen und dass wir da gegensteuern müssen. Deshalb frage ich die Landesregierung: Warum kürzt sie - obwohl sie weiß, dass sie ihre Integrationsbemühungen erhöhen muss trotzdem die Haushaltsansätze für diesen Bereich, wenn auch moderat? Das ist doch völlig widersprüchlich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die Landesregierung Frau Ministerin HeisterNeumann!