Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es war der Dichter Novalis, der einmal gesagt hat: „Leben ist der Anfang des Todes.“ Leben und Tod sind zwei Seiten einer Medaille eine Erkenntnis, die wir im Alltag nach Möglichkeit verdrängen; denn wir haben Angst: Angst, dass es zu Ende geht, Angst, dass wir von unseren Lieben scheiden müssen, Angst aber vor allem davor, dass wir irgendwo allein mit Schmerzen unter Fremden sterben.
Der Filmemacher und Schriftsteller Woody Allen hat in seiner selbstironischen Art einmal erklärt: „Ich habe keine Angst vor dem Sterben. Ich möchte bloß nicht dabei sein, wenn es passiert.“ Aber wir sind dabei. Es ist vielleicht das letzte Abenteuer: eine Verabredung mit uns selbst, ein Termin, dem wir uns nicht entziehen können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir können nicht die Tatsache beeinflussen, dass wir sterben müssen. Aber wir können die Umstände beeinflussen, unter denen wir sterben wollen. Angesichts der demografischen Entwicklung und des wachsenden Anteils älterer und hochbetagter Menschen in unserer Gesellschaft gewinnt diese Frage immer mehr an Aktualität. Wenn man in einer Zeit veränderter Familienstrukturen und gesellschaftlicher Veränderungen über humanes Sterben spricht, dann muss man vor allem über Hospize und über Palliativmedizin sprechen.
Meine Damen und Herren, uns liegt ein Gutachten für Palliativversorgung in Niedersachsen vor, das vom Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit, den Landesverbänden, den gesetzlichen Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung in Auftrag gegeben wurde. Ziel dieser Untersuchung, auf die wir aufbauen können, war es, die äußerst komplexe Struktur der Palliativversorgung anhand empirischer Untersuchungen zu analysieren. Daraus sind Bedarfsmodelle zu konzipieren und auf deren Basis konkrete Handlungsempfehlungen für Niedersachsen zu geben.
Aus einer Langzeitstudie der Deutschen Hospizstiftung wissen wir, dass sich 56 % der Menschen für eine schmerzlindernde Behandlung in der letzten Lebensphase entscheiden würden, wenn ihnen dieses Angebot bekannt wäre. Aber leider wissen noch längst nicht alle Bürgerinnen und Bürger, dass es solche Alternativen gibt. Deshalb muss hier die Devise gelten: Tue Gutes und rede darüber. - Auch unter diesem Gesichtspunkt bin ich sehr froh, dass das Thema Hospizbewegung und Palliativmedizin heute erneut auf der Tagesordnung steht. Aktive Sterbehilfe, der schnelle Tod, ist kein wirklicher Ausweg.
Stattdessen ermöglichen es Einrichtungen wie Hospize oder Palliativabteilungen, weitgehend schmerzfrei und bei vollem und klaren Bewusstsein diese schwierige Station des Lebens mit Familie und Freunden zu bewältigen. Die EnqueteKommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ hat vor kurzem einen Zwischenbericht zum Thema Palliativmedizin und Hospizarbeit veröffentlicht. In der Einleitung heißt es:
„... Tod und Sterben müssen enttabuisiert und als natürlicher Teil des menschlichen Lebens wieder in die Gesellschaft zurückgeholt werden. Der kurative Ansatz muss um eine lindernde Medizin ergänzt werden, die der Lebensqualität statt der künstlichen Lebensverlängerung dient."
Das ist, auf einen kurzen Nenner gebracht, die Intention, die hinter unserem Antrag steht. Ich freue mich sehr, dass wir uns in diesem Punkt über alle Fraktionsgrenzen hinweg weitgehend einig sind.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, unter dem Dach der Palliativversorgung treffen sich der stark ehrenamtlich geprägte Teil der Hospizarbeit und der professionell geprägte Bereich der Palliativmedizin. Ziel des schon erwähnten Gutachtens war es, den Ist-Zustand zu erfassen und speziell für ein Flächenland wie Niedersachsen eine wohnortnahe und regional angepasste Palliativversorgung zu gewährleisten, ohne neue Institutionen zu schaffen. Hierzu gibt die Studie Empfehlungen.
Bundesweit steht Niedersachsen bei der Anzahl der Palliativstationen, der stationären Hospize und der von den Krankenkassen geförderten ambulanten Hospize jeweils an dritter Stelle. Die Zahlen zeigen: Wir stehen, was die Zahl der Einrichtungen betrifft, bundesweit im Vergleich recht gut da. Aber die Einrichtungen sind oft zu klein und noch nicht hinreichend miteinander vernetzt, während es in manchen Bereichen sogar ein zu dichtes Netz gibt.
Die Gutachter haben dazu einen Vorschlag entwickelt. Er geht von zwei Modulen aus: einmal die Basisversorgung und zusätzlich darüber hinaus eine Spezialversorgung. An der Basisversorgung sollen alle Strukturen und Professionen, die an der Versorgung von schwerstkranken und sterbenden Patientinnen und Patienten beteiligt sind, zusammenarbeiten, um diese Basisversorgung sicherzustellen. Darüber hinaus sollte aber auch eine Spezialversorgung für diejenigen Patientinnen und Patienten auf- und ausgebaut werden, deren Bedürfnisse über diese Basisversorgung hinausgehen. Dies können Palliativstützpunkte auf Landkreis- bzw. Regionsebene, Palliativkonzildienste an den Krankenhäusern und ein Palliativzentrum mit einer 24-Stunden-Hotline auf Landesebene sein, bei der sich Betroffene kurzfristig erste Informationen holen können. Dies soll gemeinsam mit den unterschiedlichen Leistungserbringern aufgebaut werden.
Für die Ausbildung der Ärzte muss Palliativmedizin als Pflichtlehr- und -prüfungsfach in das Medizinstudium integriert werden.
Hierzu muss aber die Approbationsordnung geändert werden. Dies geht nur über eine Bundesratsinitiative, für die wir uns einsetzen werden.
Die Akademie für Palliativmedizin mit berufsgruppenübergreifender Ausrichtung bei der Niedersächsischen Ärztekammer begrüßen wir in diesem Zusammenhang außerordentlich. Vor allen Dingen
jedoch muss die Finanzierungsproblematik zufrieden stellend gelöst werden. Nur so kann verhindert werden, dass aus Gründen persönlicher Überforderung nur die aktive Sterbehilfe als wünschenswerter Weg zur Bewältigung der Situation übrig bleibt.
Wir brauchen auf Bundesebene einen neuen Rechtsanspruch für Patienten auf Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Kassen sollten eine Rechtsgrundlage dafür bekommen.
Wir wollen, dass es möglichst vielen Menschen vergönnt ist, in ihrer häuslichen Atmosphäre inmitten ihrer Angehörigen und Freunde zu sterben.
Deshalb müssen wir auch dafür sorgen, dass weder die Patienten noch die Familie in dieser sensiblen Phase durch eventuelle Pflegekosten beunruhigt werden.
Ein weiterer Aspekt, der in diesem Zusammenhang diskutiert werden muss, ist die Rolle der ehrenamtlichen Kräfte, ohne die z. B. die Hospizbewegung gar nicht denkbar wäre. Ihr Beitrag für die Begleitung Sterbender ist nicht hoch genug einzuschätzen.
„Soll wirklich aktive Sterbehilfe die Antwort sein, wenn Menschen befürchten müssen, am Ende ihres Lebens mit ihren Leiden allein gelassen zu werden oder anderen zur Last zu fallen?“
Er hat auch gleich die Antwort gegeben, die ich an dieser Stelle ebenfalls zitieren möchte, weil sie mir sozusagen aus dem Herzen gesprochen ist:
„Ein Sterben in Würde zu sichern, ist eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft. Es gibt viele Möglichkeiten, sterbenskranken Menschen beizustehen, ihr Leiden zu lindern und sie zu trösten. Vor allem aber gilt: Wir dürfen sie nicht alleine lassen.“
Ich möchte mit einem Zitat aus der Bibel enden. Es heißt: Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema hat uns hier mehrfach beschäftigt. Es ist in der Tat ein außerordentlich ernstes Thema. Es geht um schwerkranke Menschen und deren Angehörige, die in einem Land leben, dass zwar das drittteuerste Gesundheitswesen der Welt hat, dass aber in der Ausgestaltung der Palliativversorgung extrem rückständig ist.
Ernst - um nicht zu sagen: befremdlich - ist allerdings auch der Umgang der Landesregierung mit diesem Thema. Außer der Fachtagung am 6. Juli 2005 und sich ständig wiederholenden Ankündigungen hat die Sozialministerin nämlich bis heute nichts getan, obwohl sie durch Landtagsbeschlüsse klare Arbeitsaufträge bekommen hatte.
Ich will Ihnen einmal die Chronologie zu diesem Thema aufzeigen. Im Jahr 2002 hatte die alte Landesregierung entschieden, im Zusammenhang mit den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung ein Konzept zur palliativmedizinischen Versorgung in Niedersachsen zu erarbeiten. Im Juli 2003 wurde die Medizinische Hochschule mit der Erstellung dieses Gutachtens beauftragt und hat dieses bereits am 13. Oktober 2004 vorgelegt. Am 28. Oktober 2004, also vor mehr als einem Jahr, hat dieser Landtag einstimmig u. a. beschlossen - ich zitiere -:
„Auf der Grundlage der jetzt vorliegenden Daten ist ein Konzept in Abstimmung mit der Kassenärztlichen Vereinigung, dem Landespflegeausschuss und dem Krankenhausplanungsausschuss vorzulegen. Die Möglichkeiten der integrierten Versorgung sind zu prüfen.“
Sechs Monate später - sechs Monate nach diesem Beschluss - teilt uns die Landesregierung lapidar nicht etwa den Vollzug mit, sondern:
Am 24. Juni hat dann die SPD-Fraktion erneut im Landtag einen Antrag eingebracht und wiederum die Landesregierung aufgefordert, nun endlich den einstimmigen Parlamentsbeschluss zur Palliativversorgung umzusetzen. Bis heute haben CDU und FDP diesen Antrag nicht abschließend behandelt.
In der Fachtagung am 6. Juli hat dann Frau von der Leyen zum wiederholten Male ein abgestuftes Handlungskonzept des Landes angekündigt. Darin sollten, wie vom Parlament beschlossen, alle Akteure einbezogen und eine Arbeitskommission gegründet werden.
Meine Damen und Herren, es hat dann ganze vier Monate gedauert, nämlich exakt bis zum Freitag vergangener Woche, bis die Ministerin eine Einladung ausgesprochen hat. Bei dieser Sitzung, zu der die Akteure alle erschienen sind, war sie selber nicht anwesend, es war auch kein Staatssekretär da, es gab auch keine Tagesordnung, und es ist auch kein neuer Termin vereinbart worden.
Statt nun wirklich endlich die Erarbeitung des zugesagten Konzepts in dieser Runde zu beginnen, wurde in der Runde der Fachleute vom Ministerium der heute hier vorliegende Entschließungsantrag von CDU und FDP verteilt.
Die betroffenen Menschen und die Fachszene sind zwischenzeitlich empört über die Hinhaltetaktik und den Umgang des Sozialministeriums auch mit diesem Thema, und sie haben Recht, meine Damen und Herren.
Anstatt nun endlich intern durch die Koalitionsfraktionen Druck zu machen, damit das Fachministerium seine Bringschuld gegenüber Parlament und