Protokoll der Sitzung vom 08.12.2005

(Beifall bei der CDU)

Als Nächstem erteile ich Herrn Briese von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte über den Justizhaushalt bietet nicht nur Gelegenheit, über die finanzielle Ausstattung des Justizministeriums zu diskutieren,

sondern wir können auch eine allgemeine Gesamtschau der Rechtspolitik dieser Landesregierung machen. Ich finde, wir machen das viel zu wenig. Das wird auch der verfassungsrechtlichen Stellung der Rechtspolitik überhaupt nicht gerecht; denn wir stehen leider Gottes fast immer im Schatten der allmächtigen, sicherheitsfixierten Innenpolitik. Es wäre sehr gut gewesen, wenn diese Landesregierung in dieser Legislaturperiode öfter einmal auf den rechtspolitischen oppositionellen Rat gehört hätte. Dann hätte man sich nämlich viele höchstrichterliche Watschen ersparen können, die diese Landesregierung innerhalb dieser Legislaturperiode eingefahren hat.

(Beifall bei den GRÜNEN - David McAllister [CDU]: Zwei!)

- Nein, Herr McAllister, es waren nicht nur zwei. Sie wissen noch nicht einmal die genaue Zahl. Das Polizeigesetz und das Mediengesetz sind höchstrichterlich kritisiert worden. Sie haben auch versucht, eine nachträgliche Sicherungsverwahrung auf Landesebene durchzusetzen. Auch dabei sind Sie vor dem höchsten deutschen Gericht, dem Bundesverfassungsgericht, gescheitert. Ich sage Ihnen, was es wert gewesen wäre, wenn man so vor dem höchsten deutschen Gericht scheitert: Das wäre eigentlich einen Warnschussarrest für die Landesregierung wert gewesen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nun zur finanziellen Ausstattung des Justizministeriums. Diese Justizministerin ist im Jahre 2003 in Niedersachsen mit der Ansage gestartet, in der Bundesrepublik, in Niedersachsen eine große Justizreform durchzusetzen. Der Grund war ganz klar eine gewisse Einsparauflage, die sie vom Finanzminister bekommen hatte. Prinzipiell ist daran erst einmal nichts zu kritisieren. In Zeiten ständigen Verfassungsbruchs und absoluter Haushaltsnöte muss sich auch die Justiz überlegen, wie sie einen Einsparbeitrag leisten kann. Aber wenn wir über Strukturveränderungen, über Prozessoptimierung und über Einsparungen in diesem Bereich reden, dann muss man das irgendwann auch einmal realisieren, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Zustimmung von Ina Korter [GRÜ- NE])

Dazu ist es bisher überhaupt nicht gekommen. Bei der großen Justizreform sind wir keinen Millimeter weitergekommen. Innerhalb von drei Jahren hat

sich nichts getan. Ich will Ihnen das an einigen Beispielen deutlich machen: Sie haben eine große Privatisierungsdebatte innerhalb der Justiz geführt. Die Handelsregister sollten auf die IHKen verlagert werden. Das haben wir mittlerweile ad acta gelegt. Wir wollten Gerichtsvollzieher privatisieren oder beleihen. Dieses Thema steht nicht mehr auf der Tagesordnung. Sie wollten einvernehmliche Scheidungen an die Notare vergeben. Darüber wird nicht mehr geredet; dieses Thema ist tot. Das Einzige, was noch verblieben ist, ist, dass wir Nachlasssachen an die Notare geben - und das ist finanzpolitisch auch noch kontraproduktiv. Die Kollegin Bockmann hat dies dargestellt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bereich der Privatisierung innerhalb der Justiz ist also eine homöopathische Dosis.

Nun zum eigentlichen Kernstück der großen Justizreform. Sie wollten eine gesamte Tatsacheninstanz abschaffen, die so genannte funktionale Zweistufigkeit. Dazu hat es massive Kritik aus der Expertenwelt gegeben. Strafrechtsprofessoren bzw. Justizökonomen haben Ihnen gesagt: Das bringt überhaupt nichts. Das wird die Verfahren wahrscheinlich verlängern. - Widerwillig haben Sie sich in der Justizministerkonferenz davon überzeugen lassen. Auch dieses Thema haben wir mittlerweile ad acta gelegt.

Darüber hinaus gibt es die große Debatte über die Zusammenlegung von Fachgerichtsbarkeiten. Auch da ist bis jetzt gar nichts passiert. Drei Jahre Diskussion - kein Resultat!

Ein weiterer Punkt: Die Justizminister der Länder haben gesagt: Wir wollen die außergerichtliche Streitschlichtung ein wenig fördern. - Wir haben daraufhin gesagt: Das ist sehr gut und sehr vernünftig. Es gibt ein wunderbares großes Innovationstableau, wie man die Justiz vielleicht ein bisschen entlasten könnte. - Sie haben gesagt: Wir wollen die Mediation und auch den Täter-OpferAusgleich ein bisschen fördern. - Was ist innerhalb der letzten drei Jahre in diesem Bereich passiert? Nichts, meine sehr verehrten Damen und Herren! Still ruht der See. Funkstille.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nichts ist in dem ganzen Bereich der außergerichtlichen Streitschlichtung passiert. Das Einzige, was ich vernommen habe, war eine Pressekonferenz mit der österreichischen Justizministerin bzw. waren ein oder zwei Grußworte, die ihr Staatssekretär

auf den Schlichtungstagen oder Mediationstagen gesagt hat. Aber faktisch ist an rechtspolitischen Initiativen oder Umsetzungen in diesem Bereich der außergerichtlichen Streitschlichtung nichts, aber auch gar nichts passiert.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Kommen wir nun zu der konkreten finanziellen Ausstattung der Justiz. Sie wissen, der Justizhaushalt ist im Gesamthaushalt ein sehr kleiner Baustein. Insgesamt liegt er unter 1 Milliarde Euro und macht knapp 3 % des Gesamthaushalts aus. Davon refinanziert sich die Justiz zu 60 % über Bußgelder und Gerichtsgebühren selbst. Wir haben in diesem Ressort eine sehr hohe Personalkostenquote und einen sehr schmalen Bereich von freiwilligen Leistungen. Allzu viel können Sie in diesem Bereich also gar nicht einsparen. Das wissen Sie, und das wissen wir alle. Trotzdem kann man sehr viel zerdeppern, man kann sehr viel zerstören, wenn man anfängt, bei der dritten Gewalt, die ja im gewaltenteilenden Staat verfassungsrechtlich eine wichtige Rolle spielt, zu stark einzusparen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie anfangen, die Justiz indirekt über die Exekutive oder die Legislative finanzpolitisch zu steuern, dann ist es nicht mehr weit her mit der Unabhängigkeit der Justiz. In Bezug auf die Unabhängigkeit der Justiz wird es nämlich gefährlich, wenn Sie ihr indirekt immer mehr Mittel entziehen. Da gilt der alte Satz von Bismarck, den Sie wahrscheinlich kennen: Was interessiert mich eigentlich die Unabhängigkeit der Richter, wenn ich über ihre Beförderung entscheide?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Daneben gibt es ein weiteres Problem: Im Grundgesetz gibt es einen Justizgewährungsanspruch. Das wissen Sie alle. Artikel 20 des Grundgesetzes bietet einen Justizgewährungsanspruch. Ich frage mich aber: Was ist dieser Gewährungsanspruch überhaupt noch wert, wenn die Leute immer länger auf ein Urteil warten müssen? - An den Gerichten, insbesondere an den Fachgerichten, an den Finanzgerichten, an den Verwaltungsgerichten und an den Sozialgerichten, müssen die Leute mittlerweile mehr als ein Jahr auf ein Urteil warten. Das müssen Sie mal einem Handwerker oder einem Arbeitslosen erklären. Der sagt: Ich brauche endlich ein gerichtliches Urteil, ich brauche eine Entscheidung, weil eine Rechnung nicht bezahlt wur

de oder weil mir das Arbeitslosengeld gekürzt worden ist. - Diese Leute müssen mehr als ein Jahr auf ein Urteil warten, meine sehr verehrten Damen und Herren. Mit dem Rechtsanspruch auf Justizgewährung ist es dann nicht mehr weit her.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das MJ hat ziemlich lange die Parole ausgegeben: Wir wissen nicht ganz genau, was die Kritik und das Krakeelen der Opposition soll, dass die Gerichtsbarkeit personell zu schwach ausgestattet sei. Das alles ist doch wunderbar. - Wir haben mehrfach dazu Debatten geführt. Dann - ganz spät - sind Sie auf diesen Zug aufgesprungen und haben gesagt: Bei der Sozialgerichtsbarkeit haben wir doch ein paar Probleme, deswegen schaffen wir jetzt 30 Stellen. - Das ist ja löblich, meine sehr verehrten Damen und Herren. Es ist auch vernünftig, dass Sie diese Beratungsresistenz endlich abgelegt haben. Wir müssen aber ehrlich sagen: Das reicht nicht unbedingt. Wir können in Niedersachsen die Polizei nicht besser ausstatten, aber bei den Staatsanwaltschaften fast gar nichts tun. Das ist absolut widersprüchlich. Das ist auch kontraproduktiv. Dann macht die Polizei zwar Aufklärungsarbeit, aber es kommt nicht mehr zu einer Anklage, weil die Staatsanwaltschaften viel zu überlastet sind. Die ganze Arbeit ist dann für die Katz.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nun zu einem letzten wichtigen Punkt: dem Strafvollzug. Ich finde, nirgendwo anders ist diese Landesregierung so beratungsresistent wie beim Strafvollzug. Es würde sich lohnen, mal eine allgemeine politische Debatte zum Strafvollzug zu führen.

(David McAllister [CDU]: Machen Sie doch einen Entschließungsantrag!)

- Das haben wir schon mehrfach gemacht.

(David McAllister [CDU]: Dann haben Sie doch Ihre Debatte!)

Das haben Sie gar nicht zur Kenntnis genommen. Das wird immer gleich abgelehnt.

Wir werden in Niedersachsen in Zukunft eine große Debatte führen, weil die Föderalismusreform wahrscheinlich zu dem fragwürdigen Resultat kommt, dass das Strafvollzugsgesetz - übrigens wieder gegen jegliche fachliche Expertise, gegen jeglichen Rat aus der Expertenwelt - auf Landesebene heruntergebrochen wird.

(David McAllister [CDU]: Wieso das denn?)

Von fast niemandem wird befürwortet, dass das Strafvollzugsgesetz auf Landesebene heruntergebrochen wird. Beispielsweise der Richterbund sagt: Das soll kein Landesgesetz werden. - Strafrechtsprofessoren sagen: Das soll kein Landesgesetz werden. - Kriminologen sagen: Das soll kein Landesgesetz werden. - Nur unsere Justizministerin zieht fröhlich trällernd durch die Lande und sagt: Her mit diesem Gesetz. Das finden wir gut, das machen wir auf Landesebene besser. - Wir werden mal sehen, ob es wirklich besser wird. Ich glaube das, ehrlich gesagt, nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir kennen das konservative Credo in der Kriminalpolitik. Das lautet nämlich nur: Strafverschärfung ist die einzig selig machende Sanktion in der Rechtspolitik. - Ich sage Ihnen: Die Qualität eines Rechtsstaates zeigt sich nicht an der ständigen Ausweitung von Strafen, sondern daran, seine Bürger mit möglichst wenig Strafe sicher zu schützen.

Wir könnten in Niedersachsen sehr viel intelligentere Sanktionssysteme implementieren. Wir könnten mehr über gemeinnützige Arbeit reden. Wir könnten mehr über eine bessere Ausstattung der Bewährungshilfe reden. Wir könnten über ein Vollzugskonzept reden, das sich z. B. eine möglichst niedrige Inhaftierungsquote zum Ziel nimmt. All das wird aber nicht getan. Das steht nicht zur Debatte, meine sehr verehrten Damen und Herren. Stattdessen fangen Sie an, dem Staat peu à peu seine staatlichen Kernaufgaben zu entziehen.

Herr Briese, wenn Sie sich in Ihrer Fraktion nicht unbeliebt machen wollen, dann kommen Sie bitte zum Schluss.

Frau Präsidentin, ich komme jetzt zum Schluss. In Bezug auf die Teilprivatisierung machen Sie ganz abenteuerliche Rechtskonstruktionen. Ich kann nur feststellen: Die Rechtspolitik ist bei dieser Landesregierung in keine guten Hände gefallen. Sie ist rückständig, unmodern, repressiv und zudem auch noch teuer.

(Unruhe bei der CDU)

Unsere Zustimmung können Sie dafür nicht bekommen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Nächster Redner ist Professor Zielke von der FDP.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf für das Justizressort werden die Rahmenbedingungen für einen effektiven Rechtsschutz gesichert, dies insbesondere durch eine Schwerpunktsetzung bei der Sozialgerichtsbarkeit und durch eine verstärkte Bekämpfung von Korruption und Internetkriminalität. Hierfür werden wir 32 Richter am Sozialgericht plus Folgepersonal und - Herr Kollege Briese, hören Sie gut zu - zwei zusätzliche Staatsanwälte einstellen.

(Ralf Briese [GRÜNE]: Doch zwei!)

- Ja, immerhin. - Dass uns dies trotz der äußerst angespannten Lage des Haushalts gelungen ist, zeigt einmal mehr die Innovationsfähigkeit dieser Landesregierung, auch und gerade in Zeiten knapper Kassen politische Schwerpunkte zu setzen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Für diese Maßnahmen sind knapp 3 Millionen Euro zusätzlich zu veranschlagen. Angesichts der Sparzwänge muss es für jede Zusatzausgabe eine sehr gute Begründung geben. Die gibt es hier in der Tat. Die Zunahme von Korruptionsdelikten stellt den Rechtsstaat vor neue Aufgaben. Er muss alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um diese Kriminalitätsform zu bekämpfen; denn Korruption ist ein schleichendes Gift und untergräbt das Vertrauen des Bürgers in den Staat.

(Beifall bei der FDP)

Dass die Korruption auch bei uns ein Problem darstellt, wissen wir nicht erst seit dem Antrag der Grünen aus dem letzten Plenum, der uns im Ausschuss noch beschäftigen wird. Wir werden neben der in Hannover schon bestehenden Staatsanwaltschaft mit Schwerpunkt Korruptionsbekämpfung eine weitere in Verden einrichten. Es geht in diesem Rechtsstaat nicht an, dass mangels Kapazitäten der Strafverfolgungsbehörden nur ein Teil

der Delikte verfolgt werden kann. Letztlich führt ein solcher Mangel dazu, dass wilde Spekulationen über das angeblich wahre Ausmaß des Dunkelfeldes gedeihen und einige schwarze Schafe das Ansehen ganzer Branchen und insgesamt das Ansehen des Wirtschaftsstandorts Niedersachsen schädigen.

Daneben hat das Internet völlig neuartige Varianten krimineller Betätigung hervorgebracht bzw. ermöglicht, die sich mit atemberaubender Geschwindigkeit ausbreiten. Darauf müssen wir angemessen reagieren. Das gilt nicht nur für Bereiche wie Kinderpornografie, Geldwäsche oder rechtsradikale Propaganda, sondern auch für Datenspionage, Kreditkartenbetrug und Verstöße gegen das Urheberrecht. Nach Auskunft von Fachleuten ist fast jedes zweite Unternehmen bewusst oder unbewusst Opfer eines Hackers, der Daten ausspioniert oder über Viren und Würmer erheblichen Schaden auf den betroffenen Rechnern anrichtet oder auch nur mittelbar Kosten verursacht. Dass eine einzige Staatsanwaltschaft mit Schwerpunkt Internetkriminalität auf Dauer ausreicht, ist angesichts von 4 Milliarden Webseiten und über 80 000 Internetforen, wie man schätzt, eher unwahrscheinlich. Dennoch wollen wir deutlich machen, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist. Die neue Staatsanwaltschaft dient mithin einer ersten Abschreckung.