Protokoll der Sitzung vom 25.01.2006

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Abgeordnete Herr Dr. Lennartz das Wort.

(Unruhe)

- Meine Damen und Herren, das Präsidium hat wie viele andere auch den herzlichen Wunsch, dass es wieder etwas ruhiger zugeht.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Das liegt aber an der Rede!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Uhr läuft bereits. - Ich spreche zu denselben Tagesordnungspunkten, zum Teil in die gleiche Richtung wie meine Vorrednerin.

Am 24. Mai letzten Jahres hat die Landesregierung beschlossen, die über zehn Jahre praktizierte und bewährte zusammenfassende Datenschutzaufsicht des Landesbeauftragten über den öffentlichen und den privaten Bereich zu zerlegen. Mit dem 1. Januar 2006 ist diese Entscheidung bedauerlicherweise wirksam geworden. Diese Entscheidung hat verschiedene Haken und Ösen. Zum einen hat die Aufsicht des Datenschutzbeauftragten - -

(Unruhe)

Herr Dr. Lennartz, einen Augenblick, bitte! - Meine Damen und Herren, es ist wirklich sehr laut. Diejenigen, die etwas anderes tun, als hier zuzuhören, sollten, wenn sie reden, dies ganz leise tun, damit wir nicht gestört werden.

Die Entscheidung zur Trennung der Zuständigkeit hat deswegen Haken und Ösen, weil sich die Arbeit des Datenschutzbeauftragten im Bereich der privaten Unternehmen bewährt hat und weil das nachweisbar auch von privaten Unternehmen als „Kunden“ des Landesbeauftragten für den Datenschutz belegt werden kann.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Ich ha- be da anderes gehört!)

Es ist einfach so, dass die Beratungstätigkeit, die die „Behörde“ des Datenschutzbeauftragten in den letzten Jahren zunehmend stärker statt einer Expost-Kontrolle durchgeführt hat, auch im Interesse privater Unternehmen gewesen ist. Es gibt zunehmend mehr private Unternehmen, die sich beispielsweise mithilfe des Instrumentes Datenschutzaudit im Bereich ihrer Informationsdatenverarbeitung sozusagen auch unter Verbraucherschutzgesichtspunkten zu profilieren suchen. Überall dort ist die Zuständigkeit eines Datenschutzbeauftragten besser geeignet als die Zuständigkeit eines Referats im Innenministerium, diese beratende Arbeit voranzubringen.

Ihre Entscheidung, diese Trennung durchzuführen, ist aus unserer Sicht pure Ideologie gewesen. Sie haben mit dieser Entscheidung sozusagen weitere Probleme vorprogrammiert. Es ist schon angesprochen worden - ich will das noch einmal zitieren -: Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst hat Ihnen, Herr Innenminister Schünemann, im Kontext der Vorlage 10 zum Haushaltsbegleitgesetz 2006, Drucksache 2170, Folgendes ins Stammbuch geschrieben - ich zitiere -:

„Wir haben bereits mündlich darauf hingewiesen, dass diese Änderung der Zuständigkeit des Datenschutzbeauftragten auf europarechtliche Bedenken stößt.... Nach umstrittener, aber wohl zutreffender Auffassung ist damit eine Einordnung der Datenschutzkontrolle in die hierarchisch aufgebaute Ministerialverwaltung nicht vereinbar. Das Land würde sich deshalb mit der geplanten Organisationsänderung in das Streitfeld der bereits laufenden Vertragsverletzungsverfahren... begeben.“

Wer sehenden Auges und in Kenntnis dieser Aussagen des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes, der ja ansonsten von Ihnen richtigerweise als Autorität herangezogen wird, diese Entscheidung getroffen hat, muss also von anderen Motiven als sachrationalen geprägt und beeinflusst gewesen sein.

Herr Dr. Lennartz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Biallas?

Nein, im Augenblick nicht.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Pech!)

Herr Biallas, was ist los?

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Ich möchte eine lebendige Debatte!)

Der zweite Punkt, den ich ansprechen muss - der Antrag, den wir eingebracht haben, ist von Frau Leuschner bereits vorgestellt worden -: Wir wollen, dass der Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten nicht nur im Innenausschuss und im Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen zur Kenntnis genommen und vielleicht ein wenig andiskutiert wird, sondern dass er den Stellenwert bekommt, den er verdient. Das Plenum des Landtages ist der Ort, an dem diese Fragen zu debattieren sind. In Relation zu dem, was ansonsten hier manchmal an Anträgen diskutiert wird, ist es allemal gerechtfertigt, dass das nicht mehr nur in den Ausschüssen, sondern auch im Plenum verhandelt wird.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Eine Bemerkung und ein Zitat in Richtung der FDP, die ja diese Umorganisation mitträgt: Ihre Kollegin Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung kurz nach Abschluss des Koalitionsvertrages der großen Koalition in Berlin auf die Frage der Süddeutschen, was sie am Koalitionsvertrag am meisten ärgere, geantwortet: Was mich ganz besonders stört: Der Datenschutz wird nur unter dem Gesichtspunkt Hindernis und Bürokratie betrachtet. - Meine Damen und Herren von der FDP, vielleicht können Sie sich in Zukunft bzw. auch dann, wenn es um die Wahl eines Nachfolgers für Herrn Nedden geht, dieser Aussage Ihrer Kollegin anschließen und dem Datenschutz wieder eine höhere Präferenz, einen höheren Stellenwert einräumen.

Die Nachfolge von Herrn Nedden steht an. Der Landtag wählt auf Vorschlag der Landesregierung. Die Nachfolge muss zum 1. April 2006 geregelt sein. Ich habe

den Eindruck, dass Sie keinen Vorschlag haben. Ansonsten müssten Sie damit zügig rüberkommen; denn es bedarf bekanntlich einer Zweidrittelmehrheit des Landtages. Diese Zweidrittelmehrheit haben die Regierungsfraktionen bekanntlich nicht.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Sie können es ja verhindern!)

Also bedarf es der Zustimmung von Teilen der Opposition oder der gesamten Opposition. Deswegen sage ich: Wenn Sie keinen Vorschlag haben, Herr Minister, dann fragen Sie uns! Wir machen substanziierte Vorschläge!

(Lachen bei der CDU - David McAl- lister [CDU]: Seien Sie ganz beruhigt!)

Wenn Sie uns nicht fragen wollen, dann schreiben Sie die Stelle doch aus, damit Sie Ihre Unbeholfenheit auf diesem Weg korrigieren können! Schönen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf von der CDU: So kenne ich Sie gar nicht!)

Meine Damen und Herren, es kam eben die Klage, dass der Redner nicht zu hören sei, ein Teil der Lautsprecheranlage sei nicht in Ordnung. Ich muss dazu sagen: Herr Dr. Lennartz hat über das Mikrofon hinweggeredet.

(Prof. Dr. Hans-Albert Lennartz [GRÜNE]: Nein! - Hans-Christian Bi- allas [CDU]: Über die Köpfe hinweg! - Unruhe)

-Nein! - Meine Damen und Herren, von mir folgender Tipp: Erstens sollten Sie das Mikrofon richtig benutzen. Zweitens sollten alle - das habe ich schon mehrfach gesagt -, die der Debatte nicht folgen und etwas anderes besprechen wollen, nach draußen gehen. Hier im Saal stören sie jedenfalls. Der Geräuschpegel ist heute Nachmittag schon wieder ziemlich hoch.

Nun hat der Abgeordnete Schrader das Wort, und zwar nur er.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit der Sitzung im Juni des letzten Jahres hat sich an der Situation nichts geändert. Die Landesregierung überträgt den nichtöffentlichen Teil

der Datenschutzbestimmungen in die Zuständigkeit des Fachministeriums. Der Beschluss der Landesregierung vom Mai 2005 trat am 1. Januar dieses Jahres in Kraft und wird von der CDUFraktion mitgetragen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe das bereits im letzten Jahr an dieser Stelle - -

(Unruhe - Ulf Thiele [CDU] unterhält sich - Glocke des Präsidenten)

Herr Schrader, einen Augenblick, bitte! - Herr Generalsekretär!

(Ulf Thiele [CDU]: Jawohl!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe das bereits im letzten Jahr an dieser Stelle gesagt und möchte es kurz wiederholen: Eines der herausragenden Ziele der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen ist der Rückzug des Staates auf seine Kernaufgaben. Sofern hierdurch staatliche Aufsicht und Beratung reduziert werden, wird dies in Kauf genommen. Ziel ist insbesondere die Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Bürgerinnen und Bürger sowie aller nichtstaatlicher Stellen. Durch die ohnehin von vielen Unternehmen vorgehaltenen betrieblichen Datenschutzbeauftragten wird künftig die Selbstregulierung in der Wirtschaft einen höheren Stellenwert bekommen.

Die Rechtsprobleme des Datenschutzes im öffentlichen Bereich, z. B. bei der Polizei und in Sozialund Finanzämtern, sind überwiegend nicht identisch mit denen im nichtöffentlichen Bereich, z. B. bei Banken, Auskunfteien usw. Zwar sollen sowohl den öffentlichen als auch den nichtöffentlichen Bereich berührende datenschutzrechtliche Fragestellungen nicht in Abrede gestellt werden. Solche Überschneidungen halten sich jedoch in Grenzen und können durch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen LfD und MI sowie eine effektive Aufgabenwahrnehmung gelöst werden.

Im Übrigen erwarte ich, dass die durch den Wegfall einer Bürokratieebene und die Konzentration aller Aufgaben im nichtöffentlichen Bereich im MI eintretenden Synergieeffekte die der bisherigen Aufgabenwahrnehmung übersteigen. Durch die Zusammenfassung der Datenschutzkontrolle für den öffentlichen und den privaten Bereich beim Landesbeauftragten für den Datenschutz in den Bun

desländern Berlin, Hamburg, Bremen, NordrheinWestfalen und Schleswig-Holstein, die der LfD für besonders bürgerfreundlich hält, ist jedoch nicht gewährleistet, dass Bürgerinnen und Bürger nur einen Ansprechpartner für Fragen des Datenschutzes haben.

Aufgrund der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland gibt es neben dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz 16 Landesbeauftragte für den Datenschutz und daneben aus verfassungsrechtlichen Gründen Datenschutzbeauftragte für Kirchen, Rundfunk- und Medienanstalten. Eine Vereinfachung, die den Bürgerinnen und Bürgern tatsächlich nur einen Ansprechpartner für den Datenschutz verschaffen könnte, ist nicht möglich.

Zudem wird es immer wieder notwendig sein, Eingaben an die jeweils örtlich zuständige Stelle weiterzuleiten. Eine Beschwerde einer Einwohnerin aus Niedersachsen über ein Unternehmen mit Sitz in Hamburg muss wegen der örtlichen Zuständigkeit an die Hamburger Aufsichtsbehörde abgegeben werden unabhängig davon, wer in Niedersachsen zuständig ist. Hinzu kommt, dass die Organisation des Datenschutzes in den Bundesländern sehr unterschiedlich ist, sodass Schlussfolgerungen im Hinblick auf Bürgerfreundlichkeit nicht einheitlich gezogen werden können.

Neben den genannten Bundesländern, bei denen die Datenschutzaufsicht für den nichtöffentlichen Bereich dem Innenministerium selbst zugeordnet ist, haben die Bundesländer Bayern, Hessen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Rheinland-Pfalz die Datenschutzaufsicht für den nichtöffentlichen Bereich schon den dem Innenministerium nachgeordneten Behörden zugewiesen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, kurz nach der ersten Beratung hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaft mit Schreiben vom 13. Juli 2005 festgestellt, dass in allen 16 Ländern der Bundesrepublik Deutschland gegen Artikel 28 der Datenschutzrichtlinie 95/46 verstoßen wird. Ich zitiere aus der folgenden Antwort der Bundesrepublik Deutschland an die Kommission der Europäischen Gemeinschaft vom 12. September 2005, also noch von der seinerzeitigen rot-grünen Regierung in Berlin; das betone ich. Zitat:

„Die Europäische Kommission legt in ihrem Anforderungsschreiben vom 13.07.2005 ihre Rechtsauffassung dar, dass die Organisation der Auf

sichtsbehörden für den nichtöffentlichen Bereich in allen 16 Ländern der Bundesrepublik Deutschland gegen Artikel 28 der Richtlinie 95/46 EG verstoße, da die notwendige ‚völlige Unabhängigkeit‘ dieser Aufsichtsbehörden nicht gewährleistet sei. Die Mitgliedstaaten seien verpflichtet, Regelungen zu treffen, die jede Einflussnahme auf die Meinungsbildung und das Vorgehen der Kontrollstellen von außen unmöglich machen. Hiermit unvereinbar sei es, die Wahrnehmung der Kontrollaufgaben dem Innenministerium zu übertragen oder Stellen, die der Fachaufsicht durch die zuständigen Ministerien unterliegen. Auch bei der Wahrnehmung der Kontrollaufgaben durch den Landesdatenschutzbeauftragten sei deren völlige Unabhängigkeit nicht gegeben, soweit diese in irgendeiner Form der Aufsicht durch die Exekutive oder anderer politischer Instanzen unterlägen. Dieses gälte auch dann, wenn sie nur einer Rechts- oder Dienstaufsicht unterlägen. Ein Richtlinienverstoß liege selbst dann vor, wenn insofern eine eindeutige gesetzliche Regelung fehle und dadurch eine Einflussmöglichkeit zumindest nicht auszuschließen sei.“

So weit die Meinung der EG.

Dazu hat Bundesrepublik Deutschland wie folgt Stellung genommen:

„Die Bundesrepublik Deutschland hält dagegen an ihrer zuletzt mit Schreiben vom 25.03.2004 der Kommission übermittelten Auffassung fest, dass die Organisation der Datenschutzkontrollen in Deutschland der EG-Richtlinie entspricht.“