Protokoll der Sitzung vom 26.01.2006

(Beifall bei der CDU)

Herr Biallas und Herr Bode, ich habe von Ihnen Wortmeldungen vorliegen. Hat der Herr Minister das schon gesagt, was Sie sagen wollen, oder wollen Sie noch das Wort ergreifen?

(Heiterkeit - David McAllister [CDU]: Natürlich wollen wir auch etwas sa- gen! Wir sind das Parlament! Biallas kann man nicht übertreffen!)

Herr Biallas, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal gehe ich davon aus, Herr Präsident, dass Sie die Interessen des Hohen Hauses selbstverständlich wahren

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

und dass Sie Mitglieder des Landtages, die sich zu Wort melden, selbstverständlich auch zu Wort kommen lassen. Herr Präsident, ich gebe Ihnen in Ihrer Einschätzung ja Recht, dass der Herr Innenminister ganz im Sinne der CDU-Fraktion gesprochen hat.

(Beifall bei der CDU)

Ich gehe einmal davon aus, dass diese Seite des Hauses es auch nicht anders erwartet hat.

Die Sache ist aber in der Tat zu ernst, als dass man es so abtun kann, wie Frau Kollegin Merk es getan hat. Mit Verlaub, Frau Kollegin, ich hatte es bei Ihnen auch nicht anders erwartet. Wenigstens bei Herrn Kollegen Dr. Lennartz habe ich aber erwartet, dass er sich die ganze Angelegenheit erst einmal genau anguckt. Das hätte dann verhindert, dass bei diesem Antrag allein schon von der

Wortwahl in der Überschrift der Eindruck erweckt wird, als wolle man sozusagen weit über das Ziel hinausschießen und das Kind mit dem Bade ausschütten. Das ist in dieser wichtigen Frage allemal das völlig falsche Rezept.

Der Herr Innenminister hat eben dargestellt, dass der Antrag, den Sie formuliert haben, auf völlig falschen, aber wenigstens sehr verzerrten Annahmen beruht.

(Uwe Harden [SPD]: Falsch oder ver- zerrt?)

- Ich mache es nun nicht wie die Märchentante eben, sondern ich mache es schon sachlich.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, Sie erwecken den Eindruck, als habe der Herr Innenminister in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr nichts Vernünftiges zu tun gehabt, und es sei ihm deshalb die Idee gekommen, man könne doch jeden potenziellen islamistischen Gefährder mit elektronischen Fußfesseln ausstatten. Sie erwecken den Eindruck, dass sozusagen der Herr Innenminister selber entscheidet, für wen das gilt und für wen es nicht gilt. Nur dann, wenn das wahr wäre, hätten Sie Recht.

Nun hat der Herr Innenminister eben ja vorgetragen, dass es ihm nicht darum geht, dass sozusagen alle je nach Gutdünken des Entscheidungsträgers mit diesen elektronischen Fußfesseln ausgestattet werden. Er hat hier vielmehr sehr konkrete Beispiele genannt. Einen solchen Fall, der uns hier im Landtag und darüber hinaus vor einiger Zeit bewegt hat, will ich jetzt noch einmal in Erinnerung rufen. Es ging damals um Herrn Kaplan, allerdings in Köln.

(Zuruf von Monika Wörmer-Zimmer- mann [SPD])

- Frau Wörmer-Zimmermann, auf Ihre Einlassungen habe ich gewartet, und ich habe sie mit großem Respekt gehört.

(Heiterkeit bei der CDU und bei der FDP)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich wollte am Beispiel von Herrn Kaplan noch einmal deutlich machen, dass Herr Kaplan einer war, bei dem eigentlich parteiübergreifend und in der gesamten Bevölkerung alle der Auffassung waren, er

müsse schleunigst - das war ausländerrechtlich ja auch einwandfrei festgestellt worden - ausgewiesen werden. Er konnte nicht ausgewiesen werden, weil ihm in der Türkei, deren schnellen EU-Beitritt einige hier ja besonders fordern, Folter drohte. Das war der Tatbestand. Deswegen hatte man Herrn Kaplan Meldeauflagen gemacht, die er aber verschiedentlich nicht einhielt. Er war mehrere Tage, manchmal mehrere Wochen verschollen; man wusste nicht, wo er war. Was der Innenminister fordert, ist, Frau Wörmer-Zimmermann, dass in einem solchen Fall ein unabhängiges Gericht feststellt, ob eine elektronische Fußfessel dafür sorgen kann, dass man weiß, wo der Betreffende ist, damit man seiner in dem Moment, in dem man weiß, dass man ihn abschieben kann, auch habhaft werden kann. Diese Feststellung soll nicht vom Innenminister, sondern ausdrücklich von einem unabhängigen Gericht getroffen werden.

Damit würde das passieren, was Sie, Herr Lennartz, in solchen Debatten sonst immer fordern. Sie sagen ja, die Verfassungsgemäßheit entscheide sich wesentlich an der Tatsache des Richtervorbehalts. Dieser ist vom Innenminister ausdrücklich immer betont worden. Von Ihnen ist das aber offensichtlich bewusst nicht wahrgenommen worden. Jetzt hören wir von Ihnen das, was man als Geplärre einer unorientierten Opposition natürlich erwarten muss. Sie beherrschen die Kunst der Übertreibung. Sie versuchen, hier den Skandal auszurufen. Sie erdreisten sich sogar, dem Herrn Minister vorzuwerfen, er verstoße gegen die Landesverfassung. Das ist ein starkes Stück. Wir weisen das mit Empörung zurück.

(Beifall bei der CDU - Ursula Helm- hold [GRÜNE]: Das würde er ja auch nie machen!)

Ich will nun noch eine Bemerkung machen, die meine Auffassung verdeutlichen soll. Ich weiß, dass Sie ungern die Wahrheit hören, aber ich kann sie Ihnen nicht ersparen. Herr Präsident, Sie werden jetzt auch zu der Überzeugung gelangt sein, dass es durchaus hilfreich ist, dass die beiden Vertreter der Regierungsfraktionen hier noch zu Wort kommen. Ich kann Ihnen sagen, dass die Rechtslage im Moment die ist, dass bei dem Personenkreis, den ich eben angesprochen habe, aus Sicherheitsgründen natürlich eine ständige Observation durch die Sicherheitsbehörden durchgeführt wird. Diese Observation der potenziellen Gefährder rund um die Uhr ist erstens sehr personalintensiv und sie verursacht zweitens für alle Steuer

zahler in einem beträchtlichen Maße Kosten. Die rechtliche Würdigung des Tatbestandes, dass ein potenzieller islamistischer Gefährder rund um die Uhr observiert wird, was ja auch für die Persönlichkeitsrechte der betreffenden Person relevant ist, ist im Grunde dieselbe wie die Würdigung des Tatbestandes, der erfüllt wird, wenn man nach einer Entscheidung des Gerichtes mit Hilfe der elektronischen Fußfessel arbeitet. Darum geht es.

Wer hier so tut, als wolle diese Landesregierung quasi alle unter Generalverdacht stellen, alle mit Fußfesseln ausstatten, als ob der Herr Minister am Monitor sitze und gucke, wo sich seine Klientel aufhält, dem kann ich nur zurufen: Das will hier keiner. Hier will auch keiner die Mundfessel für die Grünen.

(Heiterkeit bei der CDU und bei der FDP)

Auch das wollen wir nicht. Wir wollen die Meinungsfreiheit. Herr Kollege Lennartz, wenn Sie nicht wissen, was ich mit dieser Mundfessel meine: Sie können sich das in der Tierärztlichen Hochschule angucken. Dort wird diese Mundfessel in der Pferdeklinik an Pferden praktiziert. Das wollen wir aber natürlich nicht. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Biallas, Sie haben in Ihrer Rede eben den Begriff „Märchentante“ gebraucht. Ich weiß nicht, ob Sie Frau Merk damit gemeint haben. Ich weiß deshalb auch nicht, bei wem Sie sich entschuldigen können. Märchentanten sind hier nicht im Parlament. Geplärre gibt es hier im Parlament auch nicht. Sie sollten wirklich einmal auf die Wortwahl achten und solche Aussagen unterlassen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Als Nächster hat sich Herr Bode zu Wort gemeldet.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man diese Diskussion bewerten will, muss man sich auch mit der Vergangenheit und den Auslösern der Diskussion auseinander setzen. Tatsächlich ist es so, dass die Diskussion im letzten Jahr

durch die damals amtierende rot-grüne Bundesregierung begonnen wurde, als der Bundesinnenminister und auch andere Vertreter der SPD, z. B. Herr Wiefelspütz, mit einer ganz neuen Kreation aufwarteten und die präventive Sicherungshaft forderten. Man kann der Bundesregierung sogar dankbar sein, weil sie nämlich sehr konkret darin geworden ist, wie sie sich das vorstellt. Das hat Herr Schily dann auch allen erzählt, nämlich in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Darin heißt es: Es gehe ihm um Fälle, bei denen es „keine konkreten Anhaltspunkte für eine Straftat“ gebe und daher kein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden dürfe. Solche Personen solle der Staat „zur Gefahrenabwehr und zur Sicherheit der Bevölkerung“ in Haft nehmen dürfen.

Er wird sogar noch genauer und sagt, welche Delikte man als Anhaltspunkte bezeichnen könnte. Er sagt, das könnte auch der Vertrieb von Videos sein - also von Videos, die ihm nicht gefallen.

Meine Damen und Herren, dieses Ansinnen von Rot-Grün in Berlin war völlig unhaltbar und wäre auch verfassungswidrig gewesen. Wir müssen froh sein, dass diese Sicherungshaft nicht kommt. Würde man den Vorschlag mit der elektronischen Fußfessel damit vergleichen, dann wäre diese schon ein Riesenschritt hin zu mehr Rechtsstaat.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Aber nur „wäre“!)

Die FDP ist keinesfalls der Meinung, dass man islamistische Terroristen schützen oder dem Thema gegenüber nicht offen sein sollte. Wir haben daher im Zuwanderungsgesetz umfangreiche Möglichkeiten zur Ausweisung von potenziellen Gefährdern bzw. potenziellen Terroristen vorgesehen.

Die Frage der Unverletzlichkeit der Freiheit der Person - Artikel 2 unseres Grundgesetzes ist allerdings durchaus ernst. Wir haben unsere Wurzeln in der Magna Charta von 1215. Ich möchte Ihnen die Passage, die für diesen Fall gilt, zitieren - es handelt sich um Artikel 39 der Magna Charta -:

„Kein freier Mann soll ergriffen, gefangen genommen... werden, noch wollen wir gegen ihn vorgehen oder ihm nachstellen lassen, es sei denn aufgrund eines gesetzlichen Urteils seiner Standesgenossen und gemäß dem Gesetz des Landes.“

Genau so ist es, meine Damen und Herren; dem ist nichts mehr hinzufügen. Niemand wird wegen des Vertriebs von Videos oder anderer obskurer Anhaltspunkte, dass er eventuell etwas tun könnte, in Deutschland gefangen genommen, inhaftiert oder gefesselt werden - egal, ob elektronisch oder manuell -, jedenfalls so lange nicht, wie die FDP etwas zu sagen hat. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Herr Dr. Lennartz das Wort. Sie haben noch eine Redezeit von vier Minuten.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will die Gelegenheit nutzen, auf einige Bemerkungen insbesondere des Kollegen Biallas und auch von Herrn Schünemann einzugehen.

Herr Schünemann, zur Rechtfertigung Ihres Vorstoßes haben Sie ja den Fall Kaplan herangezogen. Es hätte aber doch viel näher gelegen, die tatsächliche islamistische Bedrohung in Niedersachsen heranzuziehen. Diese ziehen Sie aber nicht heran - weil es sie nämlich gar nicht gibt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Sie nehmen also einen Fall, der bereits stattgefunden hat. Dass Kaplan für mehrere Tage verschwunden war, ist in meinen Augen auf eine Panne der nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden, der Polizei und des Verfassungsschutzes, zurückzuführen. Und Sie sagen jetzt: Damit solche Pannen, die für einen Innenminister - in diesem Fall für den nordrhein-westfälischen Innenminister, nicht für Sie - und für die Polizeibehörden natürlich sehr unangenehm sind, in Zukunft nicht mehr vorkommen, soll die elektronische Fußfessel kommen.

Herr Schünemann, ich hätte schon erwartet, dass Sie, wenn Sie schon begründen, aus welchem Motiv heraus Ihr Vorschlag entstanden ist, auch sagen, welchen Sicherheitszuwachs Sie in Niedersachsen dadurch erwarten. Denn Sie sind in Niedersachsen zuständig und sonst nirgendwo.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Welchen Sicherheitszuwachs erwarten Sie in Niedersachsen? - Die Debatte, die Sie hier führen, ist rein fiktiv.