Federführend soll der Ausschuss für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz beraten. Mitberaten sollen der Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr sowie der Ausschuss für Haushalt und Finanzen. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Stimmenthaltungen? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. Das ist so beschlossen.
Der Antrag soll zur federführenden Beratung in den Ausschuss für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie zur Mitberatung in den Umweltausschuss überwiesen werden. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? Gibt es Stimmenthaltungen? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. Das ist so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 32: Erste Beratung: Kinder- und Jugendliche stärker vor Misshandlung und Verwahrlosung schützen regelmäßige Kinder- und Jugenduntersuchungen zur Pflicht machen - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/2538
Eingebracht wird der Antrag von der Abgeordneten Weddige-Degenhard. Frau Kollegin, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es sind keine mehr da.
Frau Abgeordnete, Sie sprechen die Leute, die auf den Rängen sind, ohnehin nicht an. Sie sprechen das Parlament an.
Kinder misshandelt, Kinder eingesperrt, Kinder totgeschüttelt, Kinder verhungert - solche Nachrichten erreichen uns häufig durch unsere Medien zu häufig, meine Damen und Herren!
Am Montag dieser Woche beantragte der Cottbuser Staatsanwalt eine lebenslängliche Freiheitsstrafe für die Eltern des kleinen Dennis, dessen Leiche im Juni 2004 in der Tiefkühltruhe entdeckt wurde. Dieses Kind wog im Alter von sieben Jahren noch ganze 7 kg. Wie kann so etwas mitten unter uns unentdeckt bleiben?
Dennis hatte die ersten eineinhalb Lebensjahre in einem Heim verbracht und war gesund in die Familie zurückgekehrt; das berichtet die behandelnde Ärztin. Danach versteckten ihn die Eltern und stellten ihn fünfeinhalb Jahre lang keinem Arzt mehr vor. - So etwas ist möglich in unserem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Dennis hat an keiner Vorsorgeuntersuchung mehr teilgenommen. Er hat keinen Kindergarten besucht. Es war das Recht seiner Eltern, diese staatlichen Angebote nicht wahrzunehmen. - Wo bleibt eigentlich das Recht des Kindes?
Dieses Beispiel soll nicht verallgemeinert werden. Aber wir müssen uns die Frage gefallen lassen, was wir denn tun, um solche Fälle und vor allem die vielen Fälle, die nicht ans Licht der Öffentlichkeit gelangen, zu verhindern.
Laut Statistik des Bundeskriminalamts wurden im Jahr 2004 2 916 Kinder misshandelt und vernachlässigt. Aber die Dunkelziffer ist sehr viel höher. Der Kinderschutzbund nennt eine Zahl von 50 000 als Untergrenze für die Zahl der Kinder, die erheblich vernachlässigt werden. Nach oben schwankt die Zahl zwischen 250 000 und 500 000.
Warum vernachlässigen oder misshandeln Eltern ihre Kinder? - Ein solches Verhalten gegenüber Säuglingen und Kleinkindern entsteht selten spontan in akuten Krisen, so der Deutsche Kinderschutzbund. Vernachlässigende Eltern sind meist überfordert, die alltäglichen Dinge des Lebens zu regeln und auf die Bedürfnisse eines Kindes ein
zugehen. Das betrifft sowohl Nahrung, Kleidung, Sauberkeit und Pflege als auch Zuwendung, Schutz, Zärtlichkeit und Wertschätzung. Dabei gelten als Risikofaktoren z. B. materielle Probleme und persönliche Belastungen wie Suchtprobleme, ungewollte Schwangerschaft oder eigene negative Kindheitserfahrungen. Auch Partnerschaftsprobleme oder eine hohe Krankheitsanfälligkeit können Risikofaktoren sein.
Eltern, die dermaßen belastet sind, reagieren mit Erschöpfung, Apathie oder Resignation und isolieren sich von ihrer Umwelt. Zu diesen hoch gefährdeten Kindern kommen noch die vielen bewegungsgestörten, zu dicken oder diabetesgefährdeten Kinder aus den so genannten normalen Familien hinzu. Wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen uns fragen, wie wir allen Kindern eine körperlich und psychisch gesunde Kindheit ermöglichen können.
Uns ist durchaus klar, dass es kein Patentrezept gibt. Wie in anderen Bereichen kommt es aber auch hier auf einzelne Bausteine an, aus denen diese Brücke zu den Kindern gebaut wird. Dazu gehört natürlich auch die flächendeckende Schuleingangsuntersuchung nach gleichen Kriterien, die wir gerade im Zusammenhang mit dem Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst diskutieren.
Um einen weiteren Baustein geht es in dem von uns vorgelegten Antrag. Die von den Krankenkassen kostenlos angebotenen Vorsorgeuntersuchungen für Säuglinge und Kinder bis zum zwölften oder dreizehnten Lebensjahr werden leider nur von durchschnittlich 75 % der Familien wahrgenommen, von bildungsfernen Familien nur zu knapp 50 % - und das, obwohl alle Eltern das Untersuchungsheft ausgehändigt bekommen und von Kliniken und Hebammen darüber informiert werden. Deshalb hält es die SPD-Fraktion für dringend geboten, die Bundesratsinitiative des Saarlands und Hamburgs zu unterstützen, die zum Ziel hat, die U-Untersuchungen bis zur J 1 verpflichtend vorzuschreiben. Dass weitere Länder darüber nachdenken, zeigt auch eine vom brandenburgischen Landtagspräsidenten am vergangenen Montag gemachte Äußerung, die in die gleiche Richtung geht. Heute ist in der Süddeutschen Zeitung zu lesen, dass auch Berlin, NordrheinWestfalen und Rheinland-Pfalz in diese Richtung denken.
Außerdem halten wir es für sinnvoll, die anonymisierten Daten aus diesen Untersuchungen auf Bundes- und Länderebene zu sammeln. Damit hätten wir endlich eine gesicherte Datenlage zur Kindergesundheit in unserem Land, die es uns ermöglichen würde, gezielte Präventionsprogramme auf den Weg zu bringen.
Der dritte Punkt unseres Antrags betrifft die Umsetzung der aus den Untersuchungen gewonnenen Erkenntnisse, die wir in weitere Bausteine wie z. B. eine aufsuchende Betreuung gefährdeter Familien einbinden müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen nicht wegschauen, wenn Eltern ihre Pflichten nicht wahrnehmen. Wir müssen Kinderrechte schützen; denn Kinderrechte sind Menschenrechte. - Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, man sollte sich überlegen, ob es sich lohnt, bei einem solch ernsten Thema Zwischenrufe zu machen. Ich sage das nur zu dem letzten Zwischenruf.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist unfassbar, nicht vorstellbar und für jeden von uns außerordentlich erschreckend zu sehen, dass es immer wieder Kleinkinder, Kinder und Jugendliche - Mädchen wie Jungen - gibt, die von ihren Eltern derart vernachlässigt werden, dass sie in ihren Familien körperlich und seelisch verwahrlosen. In den vergangenen Wochen und Monaten haben uns alle schockierende Fotos und Filmberichte über zahlreiche derartige Fälle in Deutschland erreicht. Dabei kann es kein Trost sein, dass bisher kein Fall aus Niedersachsen dabei war.
Schnell wird der Ruf in Politik und Medien laut: Was können wir tun? So etwas darf schließlich nicht passieren! - Ja, meine Damen und Herren, so etwas darf nicht passieren. Aber: Was können wir
tun? - Die SPD fordert in dem vorliegenden Antrag eine Verpflichtung zur Teilnahme an den regelmäßigen Kinderund Jugenduntersuchungen, die vielen besser als U-Untersuchungen bekannt sind.
Die Idee klingt zunächst verlockend gut. Ob sie aber auch so gut ist, wie im ersten Moment gedacht, gilt es in den kommenden Beratungen in den Ausschüssen zu überprüfen. Es darf jedenfalls keinen Beschluss geben, der uns lediglich beruhigt, aber den Kindern wenig nützlich ist.
Bereits jetzt weisen Kinderärzte darauf hin, dass sie diesem Vorhaben, das ja auch auf Bundesebene diskutiert wird, skeptisch gegenüberstehen. Sie befürchten nicht zuletzt einen Vertrauensverlust zwischen Arzt und Patient bzw. den Erziehungsberechtigten. Einzelne Kommunen merken bereits an, dass die Gedanken zunächst gut klängen, aber wirklichkeitsfern und nicht umsetzbar wären. Schließlich bräuchte man Kontroll- und Sanktionsmechanismen, und die Kontrolle der Einhaltung einer Untersuchungsverpflichtung wäre kaum leistbar. Deutschlandweit gibt es derzeit keine Einrichtung, die dokumentiert, ob und wo unsere Bürgerinnen und Bürger versichert sind.
Zudem ist es unbedingt erforderlich, unsere Kommunalpolitiker einzubinden. Ich bin mir sicher, dass auch sie das Wohl unserer Kinder absolut im Blick haben. Doch wir müssen vernetzt mit den Kommunen arbeiten und im Zusammenhang mit dem Konnexitätsprinzip, das wir erst gestern alle beschlossen haben, auch die Kostenfrage klären.
Eine Pflicht zur Teilnahme an den entsprechenden Untersuchungen würde vermutlich - so traurig es auch ist - Missbrauchs- und Misshandlungsfälle nicht völlig unterbinden können. Oftmals haben Ärzte und Pflegepersonal schon heute Verdachtsmomente, die aber nicht genau belegt werden können. „Oftmals sind wir einfach hilflos“, schilderte mir im Vorfeld der Beratungen eine Kinderkrankenschwester. Sie ergänzte, manchmal bleibe einfach ein ungutes Gefühl, weil bestimmte Verletzungen und Verhaltensweisen erklärt würden, aber nicht völlig klar ersichtlich seien.
Zudem ist die psychische Stabilität der Eltern maßgeblich für das Verhalten ihren Kindern gegenüber. Können wir die durch U-Untersuchungen des Kindes wirklich feststellen? Können wir für geordnete Verhältnisse zu Hause garantieren und sicherstellen, dass die häusliche Situation schon
am Tage nach der Untersuchung immer noch kindesgemäß ist? - Wohl leider nicht. Den Stein der Weisen haben wir noch nicht gefunden. Ich bin aber froh, dass wir uns weiter auf die Suche nach ihm begeben und dass wir an dieser Stelle nicht resignieren, wenn es darum geht, welchen Weg wir einschlagen werden, um Kindern derartiges Leid, wie eingangs erwähnt, ersparen zu können. Ich bin ferner froh darüber, dass Niedersachsen fernab dieses Antrags bereits auf einem guten Weg ist, was die Prävention im Kinder- und Jugendbereich betrifft.
Ich bin auch froh darüber, dass es modellhaft bereits gute Ansätze wie z. B. die Begleitung sozial auffälliger oder gefährdeter junger Familien durch Hebammen gibt, die über die herkömmliche Geburtsvor- und -nachbereitung hinaus tätig sind. An dieser Stelle danke ich ganz herzlich der Stiftung „Eine Chance für Kinder“, die hier ein großartiges Engagement zeigt.
Positiv hervorzuheben ist zudem, dass durch leicht verständliche Einladungen in Deutsch, aber auch in Russisch und Türkisch die Inanspruchnahme der wichtigen Vorsorgeuntersuchungen gesteigert werden konnte. Dafür einen herzlichen Dank an das Ministerium und an Frau Mechthild RossLuttmann!